Dieter Mueller-Harju  

TROTZDEM

Agnes Mueller
Mein erfülltes Leben ohne Bein und Hand

Erschienen bei TUBUK.digital



… Wir können uns für den Weg zu einem erfüllten Dasein entscheiden, wenn wir unsere Herzenswünsche kennen lernen und verstehen, was uns wertvoll ist ...
Tief im Herzen ruft uns etwas:
Lebe das Gute, Wahre und Schöne!
Lebe ein erfülltes Leben! Erfülle Deine Berufung!
Entdecken wir also unser Erfüllungsvermögen, ja, unser Glücksvermögen, unsere Lebensaufgabe und unsere Lebensmöglichkeiten!
Es ist nicht entscheidend, was wir gewesen sind –
es kommt einzig und allein darauf an, was wir werden wollen.
Die Entscheidung liegt in uns – und will ins Leben!

Auszug aus: „Das Fortuna Prinzip“ von  Dieter Mueller-Harju



© 2015 Dr. Dieter Mueller-Harju
ISBN 9783955950644 EPUB
ISBN 9783955950651 Druckausgabe

Erschienen bei TUBUK digital
TUBUK digital ist ein Imprint der Open Publishing Rights GmbH

Besuchen Sie uns auch im Internet: www.tubuk-digital.de

Erste Auflage Dezember 2015

Alle Rechte sind vorbehalten, insbesondere Vervielfältigungen, Übersetzungen, öffentliche Vorträge, Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form, z. B. durch Fotografie, Mikroverfilmung oder elektronische Systeme, ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Verlages eingespeichert, vervielfältigt, verarbeitet oder verbreitet werden.

Gestaltung und Layout: Marita Wittner, Andreas Rintzner
Fotos innen: Privat / Dr. Dieter Mueller-Harju
Covergestaltung: Andreas Rintzner


Inhalt

Liebe ist die Antwort auf alle Fragen des Lebens Vorbemerkung des Sohnes

1925 wurde ich dann geboren

Als mein Vater starb, glaubte ich nicht, was ich sah ... 

Meine Geschwister. Mein älterer Bruder, der Bock

Landverschickung 

Schulzeit 

Pflichtjahre

Es war ein ganz klarer, kalter Wintertag ... dann war da so ’ne Wolke

Eines Nachts träumte ich: Eine Bombe hätte in unser Haus eingeschlagen. Wir sind alle in die Luft geflogen

Enttäuschungen: So war es leider, nach dem Krieg

... wieder gehen lernen. Der Ruf nach Andernach

Andernach August 1945: Hoffnung und Neubeginn

Mein Mann Walter und Vater meines Sohnes

Köln und Bruder Heinz

... ich wollte lange keinen Mann – Freundschaften und Liebe

90 Jahre: Was mir besonders wichtig war – und ist

Agnes, geboren um zu lieben Nachbemerkung des Sohnes

Der Autor

Liebe ist die Antwort auf alle Fragen des Lebens
Vorbemerkung des Sohnes

„Für mich macht meine Biographie Sinn, da ich aufzeigen kann, wie man mit Lebenssituationen umgehen kann. Also, dass ich, trotz lebensgefährlicher, schlimmer Erfahrungen, in der glücklichen Lage war, immer alles anzunehmen, gleichgültig, was es war. Dass man mit seinem Schicksal nur dann fertig wird, wenn man dazu bereit ist und nicht verzweifelt. Guck, was ich alles annehmen musste und auch getan habe, sonst wär’ ich nicht mehr da.“ Agnes Mueller

Ja, meine Mutter Agnes ist noch in diesem Leben. Am 2. Juli 2015 feierte sie ihren 90. Geburtstag. Sie geht bis zum heutigen Tage konstruktiv mit ihrem Schicksal als schwer Kriegsbeschädigte um – und das sind körper- liche wie seelische Folgen des Krieges. Wir Kinder der Nachkriegsgeneration können dies nicht wirklich nachempfinden. Ich, ihr Sohn bin nicht nur berührt, erstaunt, sondern vor allem dankbar und erfreut, dass meine Mutter, trotz ihrer schweren gesundheitlichen Beschränkungen immer noch das Leben positiv sehen kann. Keine Klagen oder Vorwürfe gegen andere. 

Sie lebt ihr eigenes Leben, heute und nach vorne. Für mich ist es wahre Lebensfreude, ja, auch das wertvollste Geschenk, Sohn einer solchen Mutter zu sein. 

Ich möchte mit diesen biographischen Notizen, die ich in mehreren Gesprächen aufzeichnete, meiner Mutter Agnes von Herzen Danke sagen: Danke für mein Leben, für ihre Liebe, für ihre Begleitung, ihr Verständnis – auch dann, wenn sie nicht unbedingt begeistert von bestimmten Entscheidungen von mir war, beruflich wie privat.

Danke sage ich, für ihre Unterstützung in allen Lebenslagen bis zum heutigen Tage!

Danke Mutter, dass du so bist, wie du bist!!! 

Meine Mutter hat mir Wertvolles für ein konstruktives Leben beigebracht, ja, vorgelebt, gelehrt, was ich auch in meiner Persönlichkeitsberatung, meinen Büchern und heute in meiner „zauberbunten Kunst“ weitergeben kann. Vor allem: 

Wer nur zurückschaut, lebt in der Vergangenheit.
Wer Angst vor dem nächsten Tag, vor der Zukunft hat verpasst sein Leben heute!!!
Nur heute findet unser Leben statt. Lebendig sind wir jetzt!
Wer den Augenblick lebt, knüpft seine Lebenskette als ein fließendes Lebensband. Geht vorwärts.

Was immer Schlimmes uns widerfahren ist, sollte uns das Heute nicht nehmen. Letztlich haben wir immer nur den heutigen Tag, den wir leben können – und wie schön ist es, wenn wir ihn lieben können. Leben ist immer das, was wir selbst heute daraus machen. 

Wir ernten morgen, was wir heute säen. Bewusst und achtsam leben, ist das Fundament für ein zufriedenes Leben. 

Die Liebe zum Leben, ja, den Willen zum guten Leben hat meine Mutter mit ihrem Lebensweg, bis jetzt neun(!) Jahrzehnte gelebt. Wo ein Wille, da ein Weg – auch das habe ich von ihr lernen dürfen! Am 2. Juli 2015 feierte meine Mutter in meiner Heimatstadt Andernach am Rhein, mit Freundinnen und Freunden

ihren Geburtstag unter dem Motto: „Aus Liebe zum Leben.“

Von meiner Mutter, wie von meinem ebenso geliebten Vater, der schon 2005 vorausgegangen ist, habe ich gelernt und erlebt, dass Liebe die Antwort auf alle Fragen des Lebens ist.

Die biographischen Notizen können nur einige, aber wichtige Momente im Leben meiner Mutter Agnes skizzieren. Für uns Jüngere werfen sie ein Licht auf ein persönliches Schicksal einer Zeit, die für uns Kinder der Nachkriegszeit in ihren persönlichen und seelischen Wirkungen im Dunkeln liegt. Wir schulden unseren Eltern Respekt!


„Das Alter ist wie die Woge im Meer.
Wer sich von ihr tragen lässt, treibt obenauf.
Wer sich dagegen aufbäumt, geht unter.“

Gertrud von le Fort


1925 wurde ich dann geboren 

Ich war ein blaues Baby

Am 2. Juli 1925 wurde ich dann geboren in Sinzig am Rhein. Ich war ein blaues Baby, denn die Nabelschnur hatte sich dreimal um meinen Babyhals gewickelt. Eine tüchtige Hebamme erweckte mich doch noch zum Leben. Ich schrie mehrere Tage, da mich die Hebamme in ihrer Verzweiflung schwarz und blau geschlagen hatte, damit ich erwache. Schmerzhaft erwachte ich so zu meinem Leben. 

Ich habe erfahren, dass ich mit großer Spannung von meinen Eltern erwartet wurde, nach drei Jungen endlich ein Mädchen! So war die Freude meines Vaters besonders groß, endlich eine Tochter zu haben. 

Meine Eltern hatten sich im Lazarett der Kriegsverletzten in Bonn kennengelernt. Das war 1915/16. Sie verliebten sich. Als es soweit war, dass er in die Heimat nach Pommern zurück konnte, wollten sie zusammenbleiben. Sie heirateten 1916. Es sind zunächst drei Jungen gekommen, wovon der Zweite mit drei Monaten an Lungenentzündung verstorben war. 

Ich bin in eine arme Lebenssituation hinein geboren. Wir hatten da nur ’ne kleine Wohnung und wohnten bei der Großmutter. 1926 hatte mein Vater dann angefangen, ein Haus mit größten Mühen und ganz in Eigenarbeit zu bauen. Trotz seiner schweren Kriegsverletzung, die er im ersten Weltkrieg erlitten hat. Durch schwere Bajonettstiche hatte er eine verkrüppelte Hand. Ein Wadenschuss und schwere Kopfverletzungen machten das Leben meines Vaters sehr schwer. Ihm wurde aufgrund der Kopfverletzung eine Silberplatte im Schädel implantiert. Dennoch hielt ihn das nicht ab, unser Haus mit viel Eigenleistung zu bauen. Die Backsteine hat er alle selber gebrannt, trotz seiner Verletzungen. Wie das Haus im Rohbau soweit war, wohnten wir schon darin und hatten auch Ziegen, Schweine, Hühner. Hierfür bauten wir einen kleinen Stall im Hof. Wir alle dachten, dass wir jetzt gut versorgt sind und ein schönes Dach über dem Kopf, unser Heim für unsere Zukunft hätten. Es kam ja dann ganz anders. Ich kann mich erinnern, dass ich gute Brüder hatte und liebevolle Eltern und mein Vater ganz glücklich war, eine kleine Tochter zu haben. Er ist immer sonntags mit mir spazieren gegangen und wir schauten vom Hügel in Sinzig auf den Rhein den vorbeifahrenden Schiffen zu. Es war für mich eine runde, schöne, aber leider nur kurze Zeit. Mein Vater ist schon mit 36 Jahren gestorben. Ich war damals 4½ Jahre. Es war so: 

Als mein Vater starb, glaubte ich nicht, was ich sah ... 

Mein Vater war durch seine schweren Kriegsverletzungen öfter krank. Trotzdem arbeitete er hart, um ein Haus für seine Familie zu bauen. Vater wurde 1930 dann schwer krank, es hieß Venenentzündung. Er ist nach Remagen ins Krankenhaus gekommen und war da ein paar Wochen. Er wurde dort behandelt und sollte bald entlassen werden. 

Als mein Vater ins Krankenhaus musste, schlief meine Mutter in dieser Zeit oben bei uns im Kinderzimmer, weil sie ängstlich war. Am 7. Februar 1930 sollte mein Vater nach Hause kommen. Morgens um 6 Uhr sprang meine Mutter auf, ich kann mich noch genau erinnern, ich war 4½ Jahre. Sie schrie: „Dem Papa ist was passiert. Der hat mich gerufen!“ 

Es war ein Donnerstag und wir haben uns alle gefreut, dass er endlich nach Hause kommen würde. Eine Viertelstunde später war der Hausarzt bei uns. Er klingelte und hat gerufen. „Kommen Sie, Sie müssen nach Remagen. Ihrem Mann geht es gar nicht gut.“ Meine Mutter sagte: „Mein Mann hat mich gerufen, er ist tot.“ Sie ist dann aufgeregt hingefahren. Erst sagte man im Krankenhaus zu ihr, dass er an einem Gehirnschlag gestorben ist, da er ja eine schwere Kopfverletzung mit einer Silberplatte im Kopf hatte. 

Aber dann hieß es auf einmal: Nein, er wäre nicht an einem Gehirnschlag gestorben, sondern er hätte eine Thrombose bekommen. 

Man erzählte uns im Krankenhaus, dass er heute Morgen sich schon sehr auf zu Hause und seine Familie gefreut hatte, sein Köfferchen gerade gepackt hatte und dann plötzlich tot umgefallen sei. 

Ein Professor kam, dann untersuchte er meinen toten Vater, um festzustellen, woran er gestorben war; denn er hatte ja noch mehrere Verwundungen. Die rechte Hand konnte mein Vater kaum bewegen, wie ich. Im Krankenhaus wurde nur eine Venenentzündung festgestellt. Es hieß auf einmal, er wäre nicht an seinem Kriegsleiden gestorben. Der Professor stellte fest, dass mein Vater durch einen Wadenschuss noch eine Kugel in der Wade hatte, die wohl oxidiert war und eine Embolie ausgelöst hat. Das hat man trotz aller Untersuchungen nie festgestellt, obwohl in den Papieren stand, dass er einen Wadenschuss hatte. Keiner ist auf die Idee gekommen, dass die Kugel da noch drin war. Mein Vater ist ständig nur auf Venenentzündung behandelt worden. Dann wurde er seziert und die Kugel wurde raus geschnitten. Erst nach seinem Tod ist dies festgestellt und anerkannt worden, dass er an dem Kriegsleiden, Wadenschuss, gestorben ist. Meine Mutter bekam zumindest später etwas Kriegsrente. 

Als ich ihn dann aufgebahrt im Wohnzimmer sah, schrie ich: „Das ist nicht mein Papa!“ Es war ein schwerer Schock für mich. Dann hab ich gemerkt, er ist nicht mehr da. Das war alles sehr traurig und dramatisch, das einschneidendste Erlebnis meiner Kindheit und für unsere ganze Familie. Wir alle mussten damit fertig werden.

Unsere Familie ohne Vater

Mein Vater war erst 36 Jahre alt, als er starb. Mutter war 34, ich 4½ Jahre – wir waren 3 Kinder und meine Mutter zu diesem Zeitpunkt schwanger. Das Haus war noch nicht verputzt und auch sonst war noch viel am Haus zu tun. Meine Mutter hatte kurz nach dem Tode ihres Mannes Kindbettfieber bekommen und eine Fehlgeburt erlitten. Eine sehr schwere Zeit für sie und uns alle.

Mein ältester Bruder war 12 Jahre und hat versucht zu helfen, wo er konnte. So hatten wir ein Leben, das nicht so einfach war. Wir konnten uns vieles nicht erlauben. Es wurde angeschrieben beim Bäcker. Es war eine schlimme Zeit und Mutter war nicht in der Lage arbeiten zu gehen mit drei Kindern und den Arbeiten am Haus. Sie war eine vollkommen gebrochene Frau und weinte die erste Zeit nur noch. Wir mussten alle von der kleinen Kriegsrente leben.  

Einer hat den anderen getröstet, doch Mutter konnte sich damit nicht abfinden. Die Feiertage, wie Weihnachten waren für sie und uns ganz schlimm. Sie weinte ständig. Es war für uns Kinder ein furchtbares Weihnachten. Aber es gab danach kein Weihnachten mehr, wo meine Mutter nicht am Weinen war. Vor allem war es ihr schwer, dass sie uns nichts schenken konnte. Für mich hatte sie mal was gehäkelt, aber mein Vater hatte immer für die Jungen gebastelt ... was jetzt nicht mehr ging.

Trost nach dem Tod meines Vaters

Wir waren auch sehr traurig, weil Mutter so traurig war. Aber wir hatten uns eher damit abgefunden, dass unser Vater tot war.