Lost in Passion

Fabio

Veronika Engler


ISBN: 978-3-95573-485-5
1. Auflage 2016, Bremen (Germany)
Klarant Verlag. © 2016 Klarant GmbH, 28355 Bremen, www.klarant.de

Titelbild: Unter Verwendung eines Bildes von shutterstock.

Sämtliche Figuren, Firmen und Ereignisse dieses Romans sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit echten Personen, lebend oder tot, ist rein zufällig und von der Autorin nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf - auch auszugsweise - nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Inhalt

Für meine liebe Michaela Ott und alle, die auch mit dem Herzen sehen …

 

Prolog

Anna

 

Wenn man nicht wusste, wo man hingehörte, war das Leben jeden Tag wieder eine Überraschung. Nie konnte man sagen, was der nächste Tag bringen würde oder welche unerwarteten Ereignisse einen überrollten. Klar, natürlich wusste auch sonst niemand genau, was morgen sein würde. Dennoch gab es einem eine gewisse Sicherheit, eine starke Familie stützend im Rücken zu haben.

Ganz anders war es bei mir. Bereits vor fünf Jahren waren meine Eltern bei einem tragischen Autounfall ums Leben gekommen, der mich von einem Tag auf den anderen zur Vollwaise machte. Leider gab es in meiner Familie weder Geschwister noch Großeltern oder andere mir bekannte Verwandte, wodurch ich auch heute, mit Ende Zwanzig, gänzlich auf mich alleine gestellt war.

Ich war das weibliche Pendant dessen, was man einen Lebemann nennt. Ein ruheloser Zugvogel auf der Suche nach … na ja, eigentlich wusste ich nicht genau, nach was ich suchte. Damals, nach dem Unfall, hatte ich es schnell nicht mehr in New York, wo ich aufgewachsen war, ausgehalten. Als Tochter einer italo-amerikanischen Einwandererfamilie zog es mich instinktiv zurück nach Europa. Eigentlich mit dem Ziel, eines Tages in Italien zu leben, wie einst meine Eltern.

Die ersten Monate war ich es jedoch nicht über die Grenzen der U.S.A. hinausgekommen, bis es mich, es war vor etwa zwei Jahren, hierher auf die wunderschöne, spanische Urlaubsinsel Mallorca verschlug. Zwar hatte ich es nicht ganz bis Italien geschafft, dennoch immerhin bis in den milden Mittelmeerraum, der wie geschaffen dafür war, meine Seele etwas zur Ruhe kommen zu lassen.

Natürlich sprach ich damals nur Englisch und Italienisch. Aber mit der Zeit kam ich dort sehr gut zurecht und die Sprache machte mir keine Schwierigkeiten mehr. Ich jobbte mal hier, mal da und landete schließlich als Kellnerin in einer gut besuchten Tapas-Bar nahe dem belebten Hafen von Alcudia. Durch meinen Job konnte ich mich hier sprichwörtlich gut über Wasser halten und so kam es, dass ich für meine Verhältnisse viel länger dort blieb, als es für gewöhnlich der Fall war. Natürlich konnte ich meine Meinung jederzeit ändern und wieder auf Reisen gehen. Schließlich war ich ja noch nicht an meinem eigentlichen Ziel angekommen. Aber solange es mir hier gefiel, würde ich bleiben.

Es war an einem sonnigen Tag im Juli. Das Thermometer hatte bereits früh die dreißig Grad-Marke geknackt und ich war gegen Nachmittag gerade auf dem Weg zur Arbeit, den ich jeden Tag zu Fuß erledigte. Ich liebte das Meer und das scheinbar sorgenlose Treiben hier am Hafen und so ließ ich es mir nicht nehmen, jeden Tag vor Arbeitsbeginn dort entlangzuflanieren. Dabei beobachtete ich die großen Fische, die schon darauf warteten, von begeisterten Touristen mit Brot gefüttert zu werden. Aber ich träumte auch davon wie es wäre, einmal ein eigenes Boot zu besitzen, mit dem man jederzeit auf das Meer hinausfahren und die Welt um sich herum vergessen konnte.

Allein der Blick in das blaue Wasser und die sanfte Meeresbrise genügten, dass sich in mir eine tiefe, innere Ruhe ausbreitete, die ich so sehr benötigte, weil ich dadurch alle Sorgen vergessen konnte. Hier im sonnigen Spanien schien das Leben zumeist ein klein wenig einfacher zu sein. Die Menschen gaben nicht so viel auf sich und ihre Habseligkeiten, sondern genossen jeden Tag in vollen Zügen. Zumindest dem Anschein nach.

Wie meistens trug ich auch heute wieder einen Sonnenhut, der für mich einen kleinen, privaten Schattenbereich mimte. Bis zu meiner Schicht in der Tapas-Bar hatte ich noch etwa eine halbe Stunde Zeit. Genug, um noch etwas länger am Hafen entlangzuschlendern. Mein lockeres Oberteil flatterte im Wind und meine Beine durften heute etwas mehr die Sommersonne genießen, da ich nur eine kurze Hotpants trug. Und auch meine langen, mittelblonden Haare tanzten verspielt zu der angenehm warmen Meeresbrise. Die Haarfarbe hatte ich von meiner Großmutter geerbt, die um ihre für italienische Verhältnisse hellen Haare stets beneidet worden war. Alles in allem ein wunderschöner Tag an einem Ort, wo andere Urlaub machten. Wäre da nicht diese kleine Sache namens „Schicksal“ gewesen, die sich vehement in mein Leben einmischte …

 

Kapitel 1

Anna

 

Ich schlenderte vorbei an den kleinen Touristenbooten, die man für viel Geld mieten konnte. Vorbei an den etwas größeren Privatbooten, den beachtlichen Segelschiffen bis hin zum anderen Ende, an dem die wirklich großen Yachten im Hafen lagen. Teure Spielzeuge der Reichen und Schönen tummelten sich hier, eines beeindruckender als das andere. Schwimmende Millioneninvestitionen, auf denen man gut und gerne das Mittelmeer überqueren konnte.

Ich liebte diese Boote und das Gefühl von Freiheit, das sie vermittelten. Natürlich war ich im Grunde absolut frei und ungebunden wie kaum jemand sonst. Trotzdem träumte ich davon, meine Vorstellung vom freien Leben mit jemandem teilen zu dürfen. Und das im besten Fall eben auch auf einer Yacht wie dieser: gigantisch groß und ganz in Silber und Schwarz gehalten baute sie sich windschnittig und über zwei Stockwerke hoch vor mir auf und ich konnte nur ansatzweise erahnen, wie es in ihrem Inneren aussah. Auf der Rückseite konnte ich in ihrem Bauch ein keines Motorboot sowie zwei Jet Skis erkennen. Ein wahrgewordener Traum mit dem Namen „Destiny“.

Ich hatte mir sogar schon meinen Lieblingsort darauf ausgesucht. Ganz vorne in der Nähe der Spitze unterhalb der Kapitänsdecks, von dem aus die Yacht gesteuert werden konnte. Dort befanden sich eine große, einladende Liegefläche für Sonnenanbeter sowie einige Sitzgelegenheiten aus weißem Leder. In meiner Vorstellung würde ich dort in der Sonne liegen und die Seele baumeln lassen. Ein wahrhaft herrlicher Tagtraum.

Wie lange ich so dastand und in meinen Fantasien schwelgte, konnte ich gar nicht sagen, bis mich ein plötzlicher Windstoß wieder in die Realität zurückbeförderte. Unglücklicherweise fuhr dieser direkt unter meinen Sonnenhut, hob ihn von meinem Kopf und wirbelte ihn verspielt durch die Luft.

„Hee, halt. Hiergeblieben!“, rief ich meinem Hut befehlend hinterher, während ich versuchte ihn springenderweise wieder aus der Luft zu fischen. Vergebens. Immer, wenn ich glaubte ihn zu erwischen, wurde er erneut von den Windböen erfasst und, wie mir schien, regelrecht absichtlich wieder in unerreichbare Höhe geschleudert. Ein wirklich belustigendes Schauspiel, zumindest für vorbeigehende Passanten. Immer wieder versuchte ich verzweifelt ihn zu greifen. Es war mein Lieblingshut und ich war daher nicht gewillt, ihn allzu schnell abzuschreiben.

Endlich, und ich war wirklich froh darüber, dass der Wind für einige Augenblicke innehielt, landete mein gutes Stück wieder auf dem Boden. Nur leider nicht am Kai, sondern ausgerechnet an Deck jener silberfarbenen Yacht, die ich eben noch ausführlich bewundert hatte.

„Verdammte Scheiße!“, rutschte es mir ungezügelt heraus, als ich realisierte, was soeben geschehen war. Vielleicht ist der Yachtbesitzer ja an Bord und würde mir meinen Hut gleich wiedergeben? Hmmm … sieht leider nicht so aus. Ich könnte warten. Oder soll ich einfach schnell hinaufhuschen und ihn holen? Ich entschied mich kurzerhand für die zweite Variante, da ich auch keinen Boatsitter oder Cleaning Service für diese Yacht in der Nähe entdecken konnte. Schließlich befand sich der Einstieg nur wenige Zentimeter und leicht zugänglich vom Gehsteig entfernt, was mein Vorhaben erheblich erleichterte. Allerdings, sollte man mich erwischen, kam dies einem Hausfriedensbruch gleich. Was also tun?

Noch ehe ich weiter darüber nachdenken konnte, hatten meine Beine das Kommando übernommen und sich waghalsig auf wackligen Untergrund begeben. Vorsichtig schlich ich über den blank polierten Holzeinstieg hinauf auf das silberne Ungetüm. Leider hatte der Wind meinen Hut nach oben auf die erste Etage getragen, wodurch ich mich, wohl oder übel, aber auf jeden Fall mit heftig schlagendem Herzen über die Außentreppe dort hinaufbegeben musste.

Immer wieder sah ich mich nach hinten um in der Annahme, sogleich in meiner Dreistigkeit ertappt zu werden. Doch es geschah … nichts. Niemand nahm Notiz von mir. Also huschte ich, so schnell ich konnte, die Stufen hinauf zum Zwischendeck, bis ich meinen Hut endlich in greifbarer Nähe sehen konnte. Jetzt nur noch schnell die wenigen Meter hinübereilen und schon konnte ich ungesehen wieder verschwinden.

Gerade, als ich endlich nach dem Sonnenhut greifen konnte und ein kurzes Freudentänzchen auf dem Mitteldeck vollführte hörte ich etwas, was mich bis in Mark und Bein erschaudern ließ. Mit einem gewaltigen Getöse schien der Motor des Ungetüms unter mir anzuspringen. Wie jetzt? Bin ich etwa doch nicht alleine auf dem Boot?, schoss es mir siedend heiß durch den Kopf. Und was noch viel schlimmer war, würde es etwa in Kürze ablegen? Das war ja eine tolle Idee mit dem Freudentänzchen. Ehrlich, Anna. Ist ja nicht so, als wärst du in Eile.

Schnell versuchte ich, mich aus meiner Schockstarre zu reißen, damit ich endlich zurück auf das Festland gelangen konnte. Doch die Yacht hatte innerhalb weniger Augenblicke bereits Fahrt aufgenommen und war im Begriff, aus dem Hafen hinauszuschippern. Moment mal! Was passiert hier?! Wer auch immer die Yacht steuerte, er legte ein ordentliches Tempo vor, und das, obwohl wir uns immer noch im Hafen befanden. Leider hatte ich dadurch große Schwierigkeiten, mich auf den Beinen zu halten, geschweige denn, mich auf dem Boot fortzubewegen. Das kann doch alles nicht wahr sein! Was blieb mir also anderes übrig, als mit lauten Rufen auf mich aufmerksam zu machen. Auch wenn das bedeutete, dass ich mir vermutlich gerade reichlich Ärger einhandelte.

„Hallo? Haaallllloooo!!! Hört mich niemand? Sie müssen umdrehen, wenn Sie keine blinde Passagierin mitnehmen wollen …“ Doch vergebens. Ich rief, schrie, stampfte auf. Aber niemand schien meine Anwesenheit zu bemerken. Kein Wunder bei dem Fahrtwind, dachte ich genervt, während wir uns immer weiter vom Steg entfernten und schließlich hinaus auf das offene Meer düsten. Gab es denn nicht so etwas wie eine Küstenwache? Ich konnte mir nämlich nicht vorstellen, dass es erlaubt war, derart schnell hier herumzurasen.

Nachdem ich eine gefühlte Ewigkeit versucht hatte, auf mich aufmerksam zu machen, sackte ich resignierend auf dem Mitteldeck zu Boden und hielt mich dabei an einem Geländer fest. Mein Chef wird das alles ganz und gar nicht lustig finden, denn mittlerweile werde ich in jedem Fall kolossal zu spät kommen. Das wars dann wohl mit dem Kellnerinnenjob. Zumindest in der Tapas-Bar, dachte ich missmutig. Denn ich konnte mir nicht vorstellen, dass irgendjemand mir diese wahnwitzige Geschichte von meinem Hut und der Yacht abkaufen würde. Würde ich ja auch nicht, wenn sie mir jemand erzählte. Allerdings fände ich die ganze Situation dann wesentlich witziger, würde sie nicht mich betreffen.

Erst, als ich die Küste nur noch als kleinen Strich in der Ferne sehen konnte, verlangsamte der Kapitän, oder wer auch immer, schließlich seine Fahrt und wir schipperten in etwas gemächlicherem Tempo weiter hinaus auf das Mittelmeer. Das war meine Chance. Endlich konnte ich hinaufgehen zur Kapitänskabine und darum bitten, mich wieder in den Hafen zurückzufahren. Der Tag kann nur besser werden, ging es mir noch durch den Kopf, ehe ich mich meinem paradoxen Schicksal auf der Yacht namens „Destiny“ fügte und über eine weitere Treppe zum obersten Deck hinaufstapfte.