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Ulrich W. Hanke

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Die Recherchen in diesem Buch wurden mit äußerster Sorgfalt durchgeführt. Sie sind jedoch nicht als Aufforderung zum Kauf oder Verkauf von Wertpapieren und Vermögensgegenständen zu sehen. Sie sind auch kein Ersatz für eine Anlageberatung. Eine Haftung können Verlag und Autor nicht übernehmen.

Copyright der deutschen Ausgabe 2016:

Gestaltung Cover: Holger Schiffelholz
Gestaltung und Satz: Sabrina Slopek
Herstellung: Daniela Freitag
Lektorat: Claus Rosenkranz

ISBN 978-3-86470-378-2
eISBN 978-3-86470-381-2

Alle Rechte der Verbreitung, auch die des auszugsweisen Nachdrucks,
der fotomechanischen Wiedergabe und der Verwertung durch Datenbanken
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sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

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Postfach 1449 • 95305 Kulmbach

Dieses Buch ist meinen Eltern Dietlind und
Hans-Jürgen sowie meiner Frau Stephanie
gewidmet, die mich immer tatkräftig
unterstützt haben und unterstützen.

Inhalt

Prolog

Einleitung

Ihr Buchautor Ulrich W. Hanke

Kennzahlen kurz erklärt

1. Benjamin Graham: Der Altmeister

Exkurs: Kann es sein, dass sich aktive Geldanlage gar nicht lohnt?

2. Warren Buffett: Der erfolgreichste Investor der Welt

Exkurs: Denken wie Buffett

3. Michael O’Higgins: Der Erfinder der Dividendenstrategie

Exkurs: Weniger Kursschwankungen programmiert

4. Joel Greenblatt: Der Mann mit der magischen Formel

Exkurs: Problematische Zusammensetzung von Aktienindizes

5. John Neff: Der Schnäppchenjäger

Exkurs: Das KGV

6. Peter Lynch: Das Chamäleon

Exkurs: Was Lynch von Fondsmanagern hält und was Sie wissen sollten

7. Ken Fisher: Der Superaktionär

Exkurs: Kens Vater Philip Fisher

8. William O’Neil: Der Stilmischer

Exkurs: Verkaufen will gelernt sein

9. James O’Shaughnessy: Der quantitative Investor

Exkurs: Robert Levy und seine Relative Stärke

10. Martin Zweig: Der Prophet

Exkurs: Klassische Konjunkturindikatoren

11. David Dreman: Der Querdenker

Exkurs: Behavioral Finance

12. Anthony Gallea: Der Herr der Insiderdaten

Exkurs: Was sind eigentlich Insidertransaktionen, auch Directors’ Dealings genannt?

Deutsche Börsenstars

13. Max Otte: Der Königswegweiser

Exkurs: Der Crash kommt

14. Uwe Lang: Der Trendfolger

Exkurs: Zusätzliche Hilfsmittel und wovon Lang nichts hält

15. Susan Levermann: Die Punkteverteilerin

Exkurs: Nachhaltigkeit

Beliebte Kennzahlen und ein Fazit

Epilog

Prolog

Im Jahr 2008, noch vor der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers, schrieb ein Kollege von mir in Zürich eine Titelgeschichte mit der Überschrift „Anlegen mit der Erfolgsformel“. Auf dem Cover der Zeitschrift abgebildet war eine Schiefertafel, auf der mit Kreide einige mathematische Formeln geschrieben standen. Diese hatten natürlich nichts mit der selbst erfundenen „Erfolgsformel“ zu tun und es hagelte allein schon deshalb böse Leserbriefe. Noch unglaublicher war jedoch die Tatsache, dass die Kriterien für die Aktienauswahl in der Titelgeschichte und die Erfolgsformel darin willkürlich zusammengewürfelt, redundant und teilweise sogar unbedeutend waren. Im Gegensatz zu klassischen Anlagestrategien, die im wahrsten Sinne des Wortes System haben, war die vermeintliche Erfolgsformel keinem Backtesting, keinem Vergleich mit historischen Daten, unterzogen worden und hatte auch sonst nichts mit einem systematischen Vorgehen gemeinsam. So kann man natürlich nicht erfolgreich bei der Geldanlage und auch nicht am Kiosk sein.

Viel besser und dazu noch einfacher geht es, indem man sich an die erfolgreichsten Investoren der Welt hält. Diese Börsenstars haben – mit einer Ausnahme – allesamt Bücher geschrieben, in denen sie ihre Vorgehensweisen mehr oder weniger detailliert festgehalten haben. Als Vielleser und früherer Autor des Finanzbuch-Blogs hankes-boersen-bibliothek.de habe ich sie alle gelesen.* Die Rede ist von Benjamin Graham, Peter Lynch oder auch Joel Greenblatt. Einzig und allein Warren Buffett hat kein eigenes Buch verfasst. Dafür informiert das „Orakel von Omaha“ die Aktionäre seiner Investmentholding Berkshire Hathaway einmal im Jahr mit einem Brief über seine Anlagepolitik. Zudem hat Buffetts Ex-Schwiegertochter Mary Buffett mit David Clark, einem Freund der Familie Buffett, wie viele andere Autoren auch über den Anlagestil des erfolgreichsten Investors der Welt geschrieben. „Buffettology“ heißt das beste Buch des Duos – mein Lieblingsbuch.

Warum machen wir es also nicht wie die Chinesen? Kopieren wir doch einfach die Besten der Besten. Wer sich deren Stile erfolgreich angeeignet hat, kann später auch eigene Wege gehen und überflügelt die Börsengurus vielleicht sogar irgendwann einmal – ist also am Ende keine Kopie mehr, sondern ein Original. Wichtig ist dabei die Disziplin, an seiner Strategie festzuhalten, auch wenn sie einmal nicht funktioniert. Nur so stellen Sie, liebe Anlegerinnen und Anleger, sicher, dass Sie noch nach Ihrer Anlagestrategie handeln, wenn sich diese nach einer Verschnaufpause wieder auszahlen sollte.

Ich gebe Ihnen mit diesem Buch konkrete Checklisten an die Hand, mit denen Sie Schritt für Schritt gute Aktien aus der heutigen Masse an Möglichkeiten herausfiltern können. Wenn Sie die Spreu vom Weizen getrennt haben, dann können Sie im nächsten Schritt auch schon die Ernte einfahren, wie die Börsenstars. Nicht jede Strategie eignet sich dabei für jeden Anlegertyp. Suchen Sie sich ein Erfolgsrezept heraus, das zu Ihnen passt. Und wenden Sie dieses nicht statisch an. Ein Set mit Kennzahlen kann Ihnen bei der ersten Auswahl, beim Filtern helfen. Letztendlich müssen Sie in den meisten Fällen dann aber doch noch alles zu einem Unternehmen lesen, in den Geschäftsbericht eintauchen und das Geschäftsmodell bewerten. Das kann Ihnen leider niemand abnehmen. Ohne Fleiß kein Preis. Wer Ihnen dagegen leicht verdientes Geld verspricht, der kann sein Versprechen mit Sicherheit nicht halten.

In meinem digitalen Anlegermagazin boersianer.info verfolge ich zurzeit fünf verschiedene Ansätze, nach denen ich sehr erfolgreiche Musterdepots gebildet habe. Neben einer Fondsauswahl geht es um eine Dividendenstrategie, Value-Investing (substanzorientierte Geldanlage) und Trendfolge sowie ein Portfolio mit Aktien, deren Kurse weniger stark schwanken (also eine geringe Volatilität aufweisen). Auch diese Strategien beruhen auf den Erkenntnissen der ganz Großen wie Warren Buffett oder Michael O’Higgins, dem Erfinder der Dividendenstrategie, oder James O’Shaughnessy, der Technische mit fundamentaler Analyse kombiniert.

Ihr Ulrich W. Hanke
Frankfurt am Main, im Frühjahr 2016

* Siehe auch Hanke, Ulrich W.: Börsenwissen kompakt – Das Beste aus Hankes Börsen-Bibliothek, Bloggingbooks, 2012

Einleitung

Die großen Börsenstars wie Warren Buffett, Peter Lynch oder Ken Fisher stammen allesamt aus den USA oder zumindest wie im Falle des Kanadiers David Dreman aus Nordamerika. Warum ist das eigentlich so?

Vielleicht, weil die USA das Land des Kapitalismus sind. Vielleicht, weil die New Yorker Wall Street die Weltbörse Nummer 1 ist. Vielleicht auch, weil die Amerikaner wie keine andere Nation für ihr Alter selbst vorsorgen und Vorbilder brauchen. Vielleicht doch nur einfach, weil sie die Wirtschaftssprache Englisch beherrschen, es mit rund 320 Millionen so viele US-Amerikaner gibt und sie auch im Sport die meisten Weltstars haben. Bislang ist mir noch keine wissenschaftliche Studie untergekommen, die den Grund dafür untersucht hat.

Ich beschränke mich in diesem Buch auf die meiner Meinung nach zwölf wichtigsten und erfolgreichsten Börsenstars aus Übersee und stelle Ihnen sozusagen als Extra-Bonbon noch drei deutsche Börsengurus vor, die sich sicher das eine oder andere bei den US-Stars abgeschaut haben. Alle Börsenstars investieren mehr oder weniger international und ihre Konzepte sind natürlich weltweit anwendbar. Sie brauchen also keine Angst zu haben, in diesem Buch ginge es nur um den US-Finanzmarkt und US-Aktien. Eine Einschränkung gibt es aber tatsächlich, und zwar eine äußerst sinnvolle: die Anlageklassen. Es dreht sich hier alles um Aktien, denn Aktien sind die erfolgreichste Anlageklasse der Welt und bislang auch aller Zeiten. Und daran wird sich mit größter Wahrscheinlichkeit auch nichts ändern.

Um Ihnen die Orientierung zu erleichtern, habe ich die Erfolgsrezepte aller Börsenstars nach verschiedenen Kategorien eingestuft. So können Sie noch leichter die Methode finden, die am besten zu Ihnen passt. Denn Sie sollten nur eine Strategie verfolgen, mit der Sie sich identifizieren können.

Meine Kategorisierung: Für wen eignet sich eine Strategie?

Image Anlegertyp: Anfänger/Fortgeschrittene/Profis sowie risikoarm/risikobewusst/risikoreich

Image Anlageart: substanzorientiert/wachstumsorientiert sowie antizyklisch/trendfolgend und qualitativ/quantitativ

Image Anlagehorizont: mittelfristig/langfristig/sehr langfristig sowie 6 bis 18/18 bis 36/36 bis 60 Monate

Image Aufwand: gering/mittel/hoch sowie 1 bis 2/2 bis 4/6 bis 8 Stunden pro Woche

Es handelt sich insbesondere beim Aufwand natürlich um reine Schätzwerte. Ein kurzfristiger Anlagehorizont fehlt übrigens ganz bewusst. Auf den nächsten Seiten folgen noch einige Zeilen zu meiner Person und zu den wichtigsten Kennzahlen, die Sie kennen sollten, um die Erfolgsrezepte anwenden zu können.

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Es gebührt sich, nicht zuletzt der Höflichkeit wegen, dass ich mich Ihnen kurz vorstelle. Ich heiße Ulrich W. Hanke und habe für Sie in diesem Buch meine Lieblingsrezepte für die erfolgreiche Geldanlage zusammengetragen, inklusive aller Zutaten, Portionsangaben und Garzeiten sowie Porträts der Spitzenköche, um im Bild zu bleiben. Im Laufe der Recherche zu diesem Buch bin ich immer wieder darauf gestoßen, dass sich die Börsenstars in ihren Bücher eingangs vorstellen oder zumindest lehrreiche Anekdoten aus ihrem Leben erzählen. Das hat mir nicht nur gut gefallen, es hat mir auch geholfen. Denn um eine Anlagestrategie wirklich zu verinnerlichen, muss man den Strategen dahinter, die Person, die sie aufgestellt hat, verstehen. Ich stelle in diesem Buch zwar die Erfolgsrezepte anderer vor, aber immer aus meiner Sicht, durch meine sprichwörtliche persönliche Brille, nach meiner Interpretation. Deshalb, so hoffe ich, kann ich Ihnen mit den folgenden Zeilen einen kurzen Eindruck vermitteln, wer ich bin, was ich bisher erlebt habe, wie ich ticke und wie meine Brille gefärbt ist.

Wenn ich ehrlich bin, kann ich Ihnen gar nicht genau erklären, wie mein Interesse an den Finanzmärkten geweckt wurde. Seinen Anteil daran hat sicherlich mein Vater, der bei der Dresdner Bank im EDV-Bereich arbeitete. Die Beraterbank mit dem grünen Band der Sympathie, so hieß damals ein Werbeslogan, ist mittlerweile ja bekanntlich in der Commerzbank aufgegangen. Ich erinnere mich daran, dass ich als Kleinkind im Rechenzentrum im silbernen Jürgen-Ponto-Turm einmal einen Ausdruck holen durfte, den ich zuvor am Terminal meines Vaters in Auftrag gegeben hatte. Einen Weihnachtsbaum aus verschiedenen Reihen mit dem Buchstaben X, von einem Nadeldrucker auf Endlospapier gedruckt. Das war vor der Zeit von Personal Computern, dem Internet oder gar dem Smartphone, als es noch riesige Computer und Telefone mit Wählscheiben gab. Sehr pflichtbewusst brachte ich auch mein erspartes Kleingeld, oft fast mein ganzes Taschengeld zur Frankfurter Sparkasse von 1822, um es dort selbst in Rollen zu wickeln und auf meinem Sparbuch gutschreiben zu lassen. Ich war schon als Kind ein sparsamer Mensch und freute mich über Zinsen.

Mitte 1988 wurde der deutsche Leitindex DAX geboren. Mein vier Jahre älterer Bruder verschlang wenig später wissbegierig die ersten TV-Sendungen vom Börsenparkett und die ersten Anlegermagazine in Deutschland. Er landete später ebenfalls in der Finanzbranche, als Steuerexperte im Immobiliensektor. Meine Mutter, die mich 1977 in Frankfurt zur Welt brachte, las und liest noch heute die FAZ, deren Finanzmarktteil ich immer in die Hand bekam. Ich studierte ab 1996 – da warb der Schauspieler Manfred Krug gerade für die T-Aktie – Betriebswirtschaftslehre an der FH Frankfurt zwar in der Bankenmetropole am Main, war aber zunächst nicht mit dem Finanzvirus infiziert. Meine Studienschwerpunkte waren Personalwesen und Marketing, bevor ich mich entschied, Personalwesen durch Finanzdienstleistungen zu ersetzen. Dadurch verlor ich sogar ein Semester. Damals dachte ich jedoch, ich sollte meinen Schwerpunkt lieber dort setzen, wo es später am meisten Geld zu verdienen gibt. Ich begann mich für die Finanzmärkte zu interessieren und investierte kleine Beträge meines Ersparten an der Börse. Ordergebühren bekam ich zurückerstattet, weil mein Konto über meinen Vater lief, der als Angestellter bei der Dresdner Bank Sonderkonditionen erhielt. Der Neue Markt und die Dotcom-Firmen boomten. Ich verlor später glücklicherweise nur wenig meines Ersparten. 1999 arbeitete ich dann im Rahmen meines Studiums ein halbes Jahr lang für die genossenschaftliche Fondsgesellschaft Union Investment in einer überaus interessanten Abteilung, dem Asset Management Development.

Mein geschätzter Mentor, der Abteilungsleiter Nicolás Ebhardt, schickte mir zur Vorbereitung das Buch „Wertpapiermanagement: Professionelle Wertpapieranalyse und Portfoliostrukturierung“ von Manfred Steiner und Christoph Bruns. Letzterer leitete seinerzeit das Aktienfondsmanagement bei Union Investment. Im Gegensatz zu anderen Fondsmanagern aus dem Rentenbereich behandelte Bruns mich als Praktikant nicht wie einen ebensolchen, herablassend, sondern wie einen ebenbürtigen Festangestellten auf Augenhöhe. Ich erinnere mich, dass er jeden auf dem Gang – auch mich – mit Namen begrüßte und dem Geschäftsführer im Aufzug auf die Schnelle eine Einschätzung zum DAX gab, wenn er danach fragte. Meine Abteilung war erst im Entstehen begriffen. Sie sollte zwischen Kunden und Fondsmanagement geschaltet werden. Man ging davon aus, dass das Geschäft von Union Investment stark wachsen würde, was es dann später auch tat, und die Fondsmanager sollten nicht ständig mit Fragen der Kundschaft konfrontiert werden. Mein Projekt hieß Anlageausschusssitzungen und an dessen Ende hatte ich für eine neue Kollegin alle nötigen Voraussetzungen für deren Job geschaffen. Mir verhalf das Praktikum wiederum zu Einblicken in sämtliche Bereiche – eine Win-win-Situation für alle Beteiligten und ein Glücksfall für mich.

Damals hatte ich noch nicht so sehr verinnerlicht, dass viele Fondsmanager, die nicht besser als der Gesamtmarkt abschneiden, ihr Gehalt eigentlich gar nicht wert sind.

Mein Professor Karl-Heinz Schlotthauer war lange Zeit als Geschäftsführer von Helaba Trust tätig, bevor er in den Staatsdienst wechselte. Er riet mir dazu, meinen Weg im Finanzbereich fortzusetzen. Ich schrieb meine Diplomarbeit also zu dem Thema „Geschäftsplanung am Beispiel eines Vermögensberaters“.* So konnte ich mein Wunschthema (Businesspläne) mit dem Wunschthema meines Professors verbinden. Mir war allerdings schon zu jener Zeit bewusst, dass ich im Anschluss nicht sofort Vermögensberater hätte werden können. Wer hätte sein Geld schon einem jungen Mann im Alter von 24 Jahren ohne nennenswerte Berufserfahrung anvertraut. Also schlug ich nach meinem Abschluss zum Diplom-Betriebswirt einen anderen Weg ein.

Eher durch Zufall kam ich zur Finanzzeitschrift Die Telebörse, die den Namen der bekannten TV-Sendung trug. Dort arbeitete ich als Aushilfe in der Dokumentation und Schlussredaktion. Und dort erlebte ich auch das erste Mal den Niedergang der Medien live mit. Als ich eines Tages im Juli 2002 zu meiner üblichen Anfangszeit am Mittag vor der Tür stand, ließ mich niemand hinein (als Aushilfe hatte ich keine Zugangskarte). Später verkündete der Chefredakteur Roland Tichy, der sichtlich mit den Tränen zu kämpfen hatte, dass das Anlegermagazin eingestellt wird – und zwar schon mit der nächsten Ausgabe. Von da an sicherten sich die Kollegen aus der Redaktion ihre Kontaktdaten und telefonierten auf der Suche nach einem neuen Job herum oder schauten einfach nur Fernsehen. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 waren Fernsehmonitore in den Redaktionsräumen die Regel. Wirklich gearbeitet hat niemand mehr, wer wollte es den Kollegen verdenken. Ich betrachtete aber leider nicht das große Ganze, sonst hätte ich die Probleme der Medienbranche vielleicht schon seinerzeit erkannt, sondern ich wollte nun unbedingt Finanzjournalist werden. Denn im Gegensatz zur Arbeitsatmosphäre bei einer Fondsgesellschaft, wie ich sie kennengelernt hatte, ging es in einer Zeitschriftenredaktion viel kollegialer zu (dachte ich zumindest zu jener Zeit). Der blaue Nadelstreifenanzug war ebenso keine Pflicht wie eine frische Rasur. Und ich trage gerne einen Dreitagebart …

Sowohl Roland Tichy sollte ich später nochmals begegnen als auch erneut das Aus einer Zeitung hautnah erleben. Ich arbeitete als freiberuflicher, in der Regel schlecht bezahlter Journalist für zahlreiche Medien, absolvierte unbezahlte Praktika etwa bei Focus Money in München – immer mit dem Drang, möglichst schnell das aufzuholen, was andere vielleicht dadurch schon erreicht hatten, dass sie in jungen Jahren für ihre Schülerzeitung schrieben. Es war dieser Drang, der mich vermutlich schnell zu einem sehr guten Schreiber machte. Da ich aber sehr selbstkritisch bin, war mir das lange nicht klar. Ich zog für meinen Traum vom Journalismus vom Main in die strukturschwächste Gegend von Mecklenburg-Vorpommern und ging danach in die Schweiz nach Zürich. Dort arbeitete ich für das Anlegermagazin stocks von Axel Springer und übernahm unter anderem den Bereich Rohstoffe und Minen-Aktien – völliges Neuland für mich. Ich war mir aber bewusst, dass Leser der Zeitschrift ihr hart verdientes und gespartes Geld – womöglich ausschließlich – aufgrund meiner Berichte investieren würden. Also sah ich mich in der Pflicht, mich möglichst schnell in das Thema einzuarbeiten und gute Ratschläge zu geben. In der Regel las ich nach Dienstschluss um 19 Uhr noch vier Stunden lang auf dem heimischen Sofa Bücher in englischer Sprache zum Thema Commodities oder Geschäftsberichte, aber auch allgemeine Finanzliteratur. Meine Anlageempfehlungen entwickelten sich sehr gut. Ich schrieb fast jede zweite Titelgeschichte und fuhr sinnbildlich auf vollen Touren mit 200 Stundenkilometern.

Dann wechselte ich zwei Wochen vor der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers aus persönlichen Gründen von Zürich nach Düsseldorf zur WirtschaftsWoche (Wiwo) – auf der einen Seite ein geniales Timing, da ein späterer Wechsel wohl ausgeschlossen gewesen wäre, auf der anderen Seite kein gutes Timing. Des guten Namens der renommierten Zeitschrift wegen ließ ich mich nämlich darauf ein, im Nachrichtenressort und nicht im Finanzressort eine Stelle anzutreten. Ich wurde auf 30 Stundenkilometer heruntergebremst. Die Finanzkrise verhagelte daraufhin meinen Plan, schnell intern das Ressort zu wechseln. Entlassungen im Verlag folgten. Zertifikaten, denen ich schon vorher skeptisch gegenüberstand, waren nicht mehr salonfähig. Das beherrschende Thema war die Subprime-, Finanz-, Euro-, Schulden- und Wirtschaftskrise. Immerhin, ich erhielt einen Journalistenpreis für eine Titelgeschichte, die ich noch in Zürich geschrieben hatte.

Privat beschäftigte ich mich nun mit Finanzgeschichte und historischen Wertpapieren. Irgendwann bloggte ich dann neben dem Tagesgeschäft mit exklusiven Nachrichten bei der Wiwo noch zu den Finanzmärkten und Finanzbüchern („Hankes Börsen-Bibliothek“). Viele davon hatte ich bereits in der Schweiz gelesen. In der Regel war dies eine Freizeitbeschäftigung außerhalb der normalen Arbeitszeiten. Nach nur wenigen Blogbeiträgen überflügelte ich bereits Chefredakteur Roland Tichy mit Klicks und Leserzahlen. Irgendwann bot man mir daraufhin doch eine Stelle im Finanzressort an, da hatte ich mich aber schon bei Gruner + Jahr (G+J) beworben und eine Zusage als Redakteur für Capital, Börse Online und Financial Times Deutschland (FTD) erhalten und angenommen. Dummerweise beschloss G+J nur 33 Arbeitstage nach meinem Antritt, diesmal in Frankfurt, alle 400 Mitarbeiter zu entlassen und die FTD einzustellen. Einen Einstellungsstopp kannte man wohl bei G+J nicht und so blieb mir dieses zweite hautnahe Erlebnis einer Medienpleite nicht erspart. Nach einer kurzen Findungsphase machte ich mich daraufhin schließlich mit meinem eigenen Anlegermagazin boersianer.info selbstständig. Darin verspreche ich keine exorbitanten Renditen, empfehle keine Hebelprodukte oder fragwürdige Nebenwerte, deren Kurse leicht zu manipulieren sind. Es geht mir um seriöse, konservative, ehrliche und vor allem erfolgreiche Geldanlage – darin sehe ich den Nutzen für den Leser, der immer im Mittelpunkt stehen sollte. Umsetzen kann man dies meiner Meinung nach am besten mit einer Aktienstrategie, einem Erfolgsrezept, wie es die Börsenstars verwenden.

Die nötige Disziplin, die man braucht, um (s)ein Ziel sowohl im Journalismus als auch bei der Geldanlage zu erreichen, verdanke ich wohl dem Leistungssport. Ich war mehrfacher Hessenmeister im Rudern, trainierte zu meiner Spitzenzeit elf Mal in der Woche. Später machte ich noch einen Ausflug in die Leichtathletik und versuchte mich in 200- und 400-Meter-Sprints. Die Stadionrunde schaffte ich in meinem zweiten Sportlerleben immerhin in 52 Sekunden. Wie sagten schon die Römer: „Mens sana in corpore sano“ (sinngemäß: „In jedem gesunden Körper steckt auch ein gesunder Geist“). Heute lasse ich es etwas ruhiger angehen und wenn es die Zeit erlaubt, verbessere ich meine Technik beim Bowlingspielen oder gehe mit dem Hund spazieren.

* Leicht abgewandelt auch als CD-ROM, siehe Hanke, Ulrich W.: Geschäftsplanung am Beispiel eines Vermögensberaters, Tectum Verlag, 2001

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Die Erfolgsrezepte in diesem Buch basieren auf Kennzahlen. Ohne das Studium dieser Zahlen geht es leider nicht. Vorab stelle ich Ihnen deshalb die gängigsten und wichtigsten Kennzahlen vor. Fortgeschrittene und Profis können diesen Abschnitt natürlich überspringen, wenn sie beispielsweise wissen, was KGV oder PEG bedeutet und welche Werte dabei auf eine Unterbewertung hindeuten.

Eine alte Kaufmannsregel besagt: Im Einkauf liegt der Gewinn. Kaufen Sie also ein Schnäppchen, machen Sie beim Verkauf sicherlich Gewinn. Darum ist es so wichtig, zu erkennen, wann eine Aktie teuer und wann günstig ist. Der Aktienkurs allein verrät dies leider nicht, sondern Kennzahlen, die den Kurs ins Verhältnis zu anderen Größen setzen.

Warum ist das so? Stellen Sie sich zwei Unternehmen A und B vor. Unternehmen A gibt in unserem Beispiel zwei Aktien heraus. Wer diese beiden Aktien besitzt, dem gehört das ganze Unternehmen A. Unternehmen B gibt 100 Aktien heraus. Eine Aktie bei B verbrieft also ein Prozent von B, während es bei einer A-Aktie 50 Prozent von A sind. Notieren nun sowohl die A- als auch die B-Aktie bei einem Kurs von 100 Euro, wäre Unternehmen A an der Börse mit 200 Euro bewertet und Unternehmen B mit 10.000 Euro. Obwohl also beide Aktien 100 Euro an der Börse kosten, ihr Kurs bei 100 Euro notiert, ist ihr Wert ein völlig anderer. Erfahrene Anleger wissen dies natürlich, müssen es sich aber auch immer wieder vor Augen führen. Denn selbst langjährige Börsianer fallen manchmal auf Kurskosmetik herein. Führt ein Unternehmen beispielsweise einen Aktiensplit durch, dann will es damit den Aktienkurs für eine einzelne Aktie günstiger aussehen lassen. Bei einem Aktiensplit werden aus einer Aktie beispielsweise einfach fünf oder zehn Aktien, die gesamte Aktienanzahl erhöht sich und der Aktienkurs wird entsprechend prozentual verringert.

Die Bewertung einer Aktie im Verhältnis zu einer anderen Größe wie beispielsweise dem Gewinn des Unternehmens können Anleger entweder mit dem Gesamtmarkt, dem Sektor beziehungsweise der Branche oder der Bewertungshistorie der Aktie vergleichen. Zur ersten Orientierung stelle ich Ihnen nun ein paar Formeln sowie allgemeingültige Werte vor, die für ein Investment sprechen können.

Die gängigste Kennzahl in der Finanzanalyse ist zweifelsohne das Kurs-Gewinn-Verhältnis, kurz KGV oder im englischen Price-Earnings-Ratio (PER, PE oder P/E). Dividieren Sie den Aktienkurs durch den Gewinn je Aktie, erhalten Sie das aktuelle KGV. Sie können auch den Börsenwert, die Marktkapitalisierung (Aktienkurs multipliziert mit der Aktienanzahl), durch den Jahresgewinn des Unternehmens teilen.

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Als guter Wert gilt generell ein KGV von unter 10. Oft werden auch die zukünftigen Gewinne von Analysten geschätzt und als Maßstab herangezogen. Das erkennen Sie in der Regel daran, dass dem KGV ein kleines „e“ für „erwartet“ folgt. Das KGVe, wie die Kennzahl KGV überhaupt, ist mit Vorsicht zu genießen. Zum einen verwenden sehr viele Anleger das KGV, was es deutlich unattraktiver macht, wenn man nach Schnäppchen sucht. Zum anderen ist der Gewinn bilanztechnisch leicht zu manipulieren. Wer sich auf geschätzte Zahlen verlässt, sollte überprüfen, woher diese stammen. In der Regel sind es Sell-Side-Analysten, die Schätzungen abgeben, die der Allgemeinheit zur Verfügung stehen. Diese können sich in einem Interessenkonflikt befinden, weil sie Analysen zu Aktien schreiben, die ihr Arbeitgeber auf der anderen Seite verkaufen will. Zur Berechnung ziehen Börsianer den Gewinn je Aktie (Earnings per Share, EPS) heran. Sowohl KGV als auch EPS und andere Kennzahlen finden Sie in der Regel bei Börsenportalen oder in Zeitschriften und Zeitungen angegeben und müssen sie nicht selbst errechnen.

Großer Beliebtheit erfreut sich derzeit ebenso die Dividendenrendite. Aufgrund der niedrigen Zinsen bei Anleihen wird die Dividende, die Gewinnausschüttung eines Unternehmens, bereits als „der neue Zins“ bezeichnet. Die Dividendenrendite errechnet sich, indem Sie die Dividende je Aktie durch den Aktienkurs teilen und mit 100 Prozent multiplizieren.

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Bei vier bis fünf Prozent spricht man von einer hohen Dividendenrendite. Lassen Sie sich nicht von extrem hohen Werten blenden. Diese haben oft einmalig auftretende Ursachen. Wichtig ist vielmehr, wie nachhaltig die Dividendenzahlung ist. Interessant kann auch das jährliche Wachstum der Gewinnausschüttung sein.

Sehr aussagekräftig sind ebenso die Eigenkapitalquote und die Eigenkapitalrendite. Diese müssen aber immer im Verbund betrachtet werden. Die Eigenkapitalquote gibt an, wie hoch die eigenen Mittel im Vergleich zum Fremdkapital, zu geliehenem Geld, sind. Berechnet wird sie, indem Sie das Eigenkapital durch das Gesamtkapital teilen und mit 100 Prozent multiplizieren.

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Als Richtwert seien hier 30 Prozent genannt. Die Eigenkapitalrendite, auch Return on Equity (ROE), setzt den Gewinn (oft den Vorsteuergewinn, EBIT, für Earnings Before Interest and Taxes) ins Verhältnis zum Eigenkapital. Der Gewinn geteilt durch das Eigenkapital multipliziert mit 100 Prozent sollte mindestens 15 Prozent betragen.

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Ist die Eigenkapitalquote sehr gering, verliert die Eigenkapitalrendite allerdings ihre Aussagekraft, da das Eigenkapital im Nenner steht!

Es gibt bekannte Unternehmen, Markenhersteller, Marktführer und Monopolinhaber, die anhand des KGV teuer erscheinen. Für diese ist das dynamische KGV, auch Price/Earnings to Growth-Ratio (PEG), womöglich ein besserer Maßstab. Es errechnet sich aus der Division von KGV und geschätztem künftigem Gewinnwachstum. Werte, die kleiner als 1 sind, gelten als gut.

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Wer nun meiner Argumentation folgt und vom KGV nichts hält, der betrachtet lieber das Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV, Price/Book, P/B), das Kurs-Umsatz-Verhältnis (KUV, Price/Sales, P/S) und das Kurs-Cashflow-Verhältnis (KCV, Price/Cashflow, P/CF). Dabei vergleichen wir jeweils die Marktkapitalisierung mit dem Buchwert, Umsatz und Cashflow (den liquiden Mitteln) des Unternehmens oder den Aktienkurs mit dem Buchwert, dem Umsatz und dem Cashflow je Aktie. Gute Werte beim KBV liegen unter 2. Unter 1 ist das Unternehmen an der Börse weniger wert als seine in der Bilanz ausgewiesenen eigenen Mittel (Werte für Gebäude, Grundstücke und anderes). Das hat dann seine Gründe – und ist nicht immer ein Kaufsignal. Ein gutes KUV liegt unter 1,5 und ein attraktives KCV unter 10.

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Das Current Ratio (Liquidität dritten Grades) ist eine weitere gern betrachtete Kennzahl. Es setzt das Umlaufvermögen mit den kurzfristigen Verbindlichkeiten ins Verhältnis und sollte größer als 2 oder mindestens 1,2 sein.

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Abseits von Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung sowie Kapitalflussrechnung gibt es eine ganze Reihe von Kennzahlen, die sich allein auf den Aktienkurs konzentrieren. Die Volatilität ist eine solche Kennzahl, sie gibt die Schwankungsbreite eines Aktienkurses an. Die Relative Stärke nach Robert Levy (RSL) ist ein weiterer Indikator. Er misst das Momentum, den Trend einer Aktie. James O’Shaughnessy (siehe Kapitel 9) und Uwe Lang (siehe Kapitel 14) – mit leichter Abwandlung – verwenden die Kennzahl.

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Sämtliche Finanzkennzahlen aufzuführen würde den Rahmen dieses Buches sprengen, im Folgenden finden Sie jedoch eine hilfreiche Liste der wichtigsten Kennziffern. Damit sind Sie gut gerüstet.