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Inhalt

Vorwort zur 3. Auflage

Vorbemerkung

Krieg als Business

Die »neuen Söldner« – Weltweit im Einsatz

Private Militärfirmen – Die neue Dienstleistungsbranche

Die Auftraggeber – Von »starken Staaten«, Konzernherren und Rebellen

Globale Gewaltmärkte – Militärfirmen in Aktion: Vier Fallstudien

Globalisierung und »neue Kriege«

Geschichte der privaten Kriegswirtschaft – Ein Abriss

Das Ende des Ost-West-Konflikts – Veränderte Rahmenbedingungen für militärische Dienstleistungen

Klientelsystem und Schattenökonomien – Die Entwicklung neuer Bedürfnisse nach Sicherheit

Gefährliche Konsequenzen

Militante Zusammenarbeit – Wirtschaft und private Militärfirmen

Außer Kontrolle Privatisierung der Gewalt in westlichen Ländern

Trügerische Sicherheit – Nationaler Ausverkauf in den »schwachen Staaten«

Hilfsorganisationen – Im militärischen Windschatten

Konfliktbewältigung ohne private Militärfirmen?

Gewaltmarkt oder Gewaltmonopol

Krisenprävention und Friedenssicherung

Schlussbemerkungen

Anhang

Anmerkungen

Weiterführende Literatur

Abkürzungsverzeichnis

Private Militärfirmen im Internet

Personenregister

Firmenregister

Zum Autor

Rolf Uesseler

Krieg als Dienstleistung

Private Militärfirmen zerstören die Demokratie

Ch. Links Verlag

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

1. Auflage, Juni 2012 (entspricht der 3. Druck-Auflage von März 2008)

© Christoph Links Verlag – LinksDruck GmbH, 2006

Schönhauser Allee 36, 10435 Berlin, Tel.: (030) 44 02 32-0

Internet: www.linksverlag.de; mail@linksverlag.de

Umschlaggestaltung: KahaneDesign, Berlin,

unter Verwendung eines Fotos von Patrick Baz/AFP/Getty Images

(Helikopter der Firma Blackwater über Bagdad, April 2004)

Lektorat: Dr. Stephan Lahrem, Berlin

eISBN: 978-3-86284-156-1

Krieg als Business

Die »neuen Söldner« – Weltweit im Einsatz

Das, was ist,

kann nicht wahr sein.

Ernst Bloch

Auf den Kriegsschauplätzen und in den Krisengebieten dieser Welt begegnen dem Chronisten immer weniger Angehörige regulärer Armeen. Dafür nimmt die Zahl der Privatsoldaten rapide zu. Für wen sie kämpfen, wer sie bezahlt, wer sie dorthin geschickt hat, ist selten klar. Ob und wem gegenüber sie verantwortlich sind, weiß niemand so recht zu sagen. Und auch woher sie ihr auf dem neuesten technologischen Stand befindliches Kriegsgerät – Panzer, Kampfhubschrauber, Granaten, Raketen – bezogen haben, will keiner eindeutig beantworten.

Früher nannte man sie Söldner. Heute sind sie Angestellte von Firmen, die Phantasienamen wie Blue Sky, Genric, Logicon oder Pistris tragen und bei denen man nicht vermuten würde, dass sich dahinter private Kriegsfirmen verbergen. Diese Privatsoldaten gehören in der Mehrzahl zu keiner nationalen Streitmacht. Ob es sich bei einem kroatischen, pakistanischen, kolumbianischen, irischen oder ukrainischen Kämpfer um einen Angehörigen einer regulären Armee, einen Söldner, einen Rebellen oder um einen Terroristen handelt, wird man weder an der Kleidung noch am Reisepass feststellen können.

Wo einst Abenteuer und Glück suchende Ex-Soldaten oder ehemalige Fremdenlegionäre sich frei verkauften, um für undurchsichtige Auftraggeber Kriege zu führen, sind heute militärisch gut ausgebildete Angestellte von privaten Militärfirmen zur Stelle. Aber solche Firmen beschäftigen nicht nur Personen, die das soldatische Handwerk verstehen. Smarte Manager sind ebenso gesucht wie gewiefte Waffenhändler, auf Kriegsgerät spezialisierte Ingenieure, Computerfachleute oder Übersetzer, erfahrene Piloten und Leute, die profund etwas von Logistik oder Satellitenübertragung verstehen. Das Image vom Rambo beherrscht die Szene nur noch sehr partiell. Heute dominiert die Jobmentalität. Das Kriegshandwerk und alle mit bewaffneten Konflikten zusammenhängenden Tätigkeiten sind zu normalen Dienstleistungen geworden. Was für den Auftraggeber zählt, sind die professionelle Ausführung und der Erfolg; was den Ausführenden interessiert, ist die Bezahlung. Wie buntscheckig das Spektrum der »neuen Söldner« ist, mögen fünf Beispiele veranschaulichen.

Tod eines Anti-Terror-Spezialisten

Fabrizio Quattrocchi, Jahrgang 68, lebte mit seinen Eltern, einem Bruder und seiner Verlobten in Genua. Den Militärdienst schloss er mit einer Spezialausbildung ab. Nach verschiedenen »Abenteuern« und Jobs trat er mit einigen Freunden in die Ibsa ein, eine Sicherheitsfirma mit Sitz ebenfalls in der ligurischen Hauptstadt. Einer seiner Freunde war Paolo Simeone, der einen ähnlichen Werdegang wie Quattrocchi hatte. Mit 18 trat Simeone in die Spezialeinheit »San Marco« der italienischen Armee ein. Nach Ablauf seiner Dienstzeit verpflichtete er sich für fünf Jahre bei der Fremdenlegion, mit der er unter anderem in Dschibuti und Somalia stationiert war. 1997 traf man ihn in Angola bei einem Minenräumkommando, 1999 im Kosovo und ein Jahr später wieder in Afrika. Als US-Präsident Bush am 1. Mai 2003 den Irak-Krieg für beendet erklärte und die »Wiederaufbauphase« verkündet wurde, hatte Paolo Simeone schon enge Kontakte zu den zivilen und militärischen Dienststellen der USA geknüpft, unter anderem über deren Botschaft in Rom. Fabrizio Quattrocchi hatte sich inzwischen, nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001, zusammen mit einer Gruppe Deutscher, Kanadier und Freiwilliger anderer Nationen in einem Geheimcamp auf den Philippinen im »Kampf gegen den Terror« ausbilden lassen. Bevor Paolo Simeone 2003 in den Irak aufbrach, gründete er noch die DTS Security mit Sitz in Nevada, um eine respektable Firmenadresse für amerikanische Aufträge zu haben. Im November desselben Jahres holte er seinen Freund Fabrizio nach (s. Kasten), dann weitere »Kameraden« wie Salvatore Stefio, Umberto Cupertino und Maurizio Agliana, die ähnliche Lebensläufe aufwiesen.

Am Ostersonntag 2004 wurden alle bis auf Simeone von der »Grünen Phalanx Mohammeds« zwischen Bagdad und Falluja entführt. Der arabische Fernsehsender Al Jazeera veröffentlichte einen Tag nach Ostern ein Video mit den Gefangenen und den Forderungen der Geiselnehmer. Diese verlangten unter anderem den Rückzug der italienischen Truppen aus dem Irak und eine Entschuldigung des Ministerpräsidenten wegen der Entsendung von Söldnern in ihr Land. Die Medien in Italien überschlugen sich, das Parlament debattierte in langen Sondersitzungen, der Staatspräsident ergriff das Wort. Selbst der Papst schaltete sich ein und bat um die Freilassung der vier Gefangenen. Nach Rücksprache mit Präsident Bush und gegen den Willen der linken Opposition entschied sich Regierungschef Berlusconi für die harte Gangart und lehnte jegliche Verhandlung ab.


Anwerbung eines Privatsoldaten

Die Arbeit sieht folgendermaßen aus:

Wir beschützen das Personal einer amerikanischen multinationalen Firma, die sich mit dem Wiederaufbau der Bürokratie im Irak beschäftigt; wir gelten als BG / CP [bodyguard / close protection].

Ausrüstung

Waffen: Jeder ist bewaffnet mit einer Pistole Beretta 92 S oder Glock 17 mit 4 Ladestreifen oder mit SMG HK MP5 A3 mit 6 Ladestreifen. Coms: Motorola 380

Kugelsichere Weste (fakultativ)

Bezahlung

6000 USD pro Monat

Die Bezahlung erfolgt bis zum 10. jedes Monats bar vor Ort.

Du erhältst den genauen Text des Vertrages, sobald deine Abreise festgelegt ist.

Kost, Logis und Reise auf unsere Kosten

Lebens- und Unfallversicherung: müssen derzeit von dir besorgt werden, aber wir sind dabei, eine Versicherung mit einer amerikanischen oder englischen Gesellschaft klar zu machen.

Wir sprechen über andere Verträge für schwierigere Aufgaben, für die du sicherlich eingesetzt werden wirst (Personenschutz für amerikanische und andere Politiker und Manager).

In diesem Fall beträgt die Bezahlung 8000 / 9000 USD, und wir würden in einem Haus untergebracht. […]

WICHTIG: Der Dienst erfordert höchste Diskretion, also müssen Pistole und SMG [Maschinenpistole] unsichtbar bleiben. […]

Leider bietet der Markt hier diese Ausrüstung nicht. Wir bitten dich also, die Ausgaben vorzuschießen; das Waffengeschäft in San Luca oder der Stand in Schanghai können dich beraten; sage ihnen einfach, was wir geschrieben haben. ALL DIESE AUSGABEN BEKOMMST DU NACH VORLAGE DER QUITTUNG ZURÜCKERSTATTET; EBENSO WIE DIE REISEKOSTEN.

Reise

Einfaches Ticket nach Amman, Jordanien.

Wir holen dich in folgendem Hotel ab: Hotel Paradise Suite (kostet nicht mehr als 50 USD für Schlafen und Essen). Gegen 1.00 morgens wird dich ein von uns bestelltes Taxi abholen und zur Grenze bringen, wo dich einer unserer Beauftragten abholen wird, um dich nach Bagdad zu bringen (wir werden dafür sorgen, dass du auf dieser Strecke eine Pistole hast).

Amman – Grenze: 5 Std.

Grenze – Bagdad: circa 6–7 Std.

(Auszug aus einem Brief von Paolo Simeone an Fabrizio Quattrocchi, abgedruckt in zahlreichen italienischen Zeitungen, darunter auch in der Unita vom 14. 4. 2004)


Kaum 24 Stunden später wurde Fabrizio Quattrocchi durch einen gezielten Kopfschuss getötet. Die Hinrichtung wurde auf Video aufgezeichnet, das von Al Jazeera zwar nicht ausgestrahlt wurde, dafür aber im Internet für jeden Interessierten zu finden war. Interessiert war vor allem die Staatsanwaltschaft von Rom – nicht nur wegen des Mordes, sondern auch, weil sie den Verdacht hegte, dass die vier »Söldner« gegen § 288 des italienischen Strafrechts verstoßen hatten. Denn danach hätten die vier gar nicht im Irak sein dürfen, weil es ohne ausdrückliche Genehmigung der Regierung verboten ist, in einem fremden Land für ein fremdes Land zu kämpfen.

Monate später wurden Salvatore Stefio, Umberto Cupertino und Maurizio Agliana nach zähen Verhandlungen doch noch freigelassen. Die Leiche von Quattrocchi, den die »Postfaschisten« in der Regierung sogar zum Märtyrer hochstilisierten, wurde mit einem Staatsakt beigesetzt. Die Untersuchungen der Staatsanwälte verliefen im Sande ungeachtet oder gerade wegen der Tatsache, dass offensichtlich weitaus mehr »italienische Söldner« im Irak tätig waren und sind, ohne offiziell bekannt zu sein. Deutlich wurde nur, dass die italienische Politik nicht im Geringsten daran interessiert war und bis heute ist, den rechtlich dubiosen Status der Privatsoldaten gerichtlich klären zu lassen. In diesem Punkt steht Italien jedoch nicht allein; die meisten Länder (einschließlich Deutschlands) stellen sich bei diesem Problem blind oder taub.

Kriegspilot auf verschiedenen Kontinenten

In den letzten Jahren sind Tausende von »neuen Söldnern« getötet und Zehntausende verwundet worden. Selten erscheinen sie in den Schlagzeilen der Medien, und noch seltener werden ihre Namen bekannt. Selbst die Angehörigen wissen meistens nicht, wo sie sich gerade aufhalten und welchem Auftrag sie nachgehen. Nicht nur aus Sicherheitsgründen wollen die Privatsoldaten anonym bleiben (und legen sich häufig einen oder mehrere Decknamen zu), sondern auch die Auftrag- bzw. Arbeitgeber wünschen das oder verlangen es sogar. Denn wer als Person identifizierbar ist, gibt eine leichte Zielscheibe für Repressalien des jeweiligen Feindes ab und ist häufig für den nächsten Job »verbrannt«.

Von diesen Privatsoldaten, die jederzeit von der Waffe Gebrauch machen, sofern es die Situation erfordert, sind allein im Irak rund 30 000 tätig, darunter viele Deutsche. Damit stellen die »neuen Söldner« nach den Amerikanern die zweitgrößte »Armee« und zahlenmäßig mehr Männer als alle anderen Koalitionstruppen zusammen. Aber sie sind nicht nur im Zweistromland aktiv. In Afghanistan schützen beispielsweise Angestellte der amerikanischen Firma DynCorp den Präsidenten Karsai, andere Firmen bewachen Regierungsgebäude und Infrastrukturen; in Südostasien und Südamerika kämpfen sie auf verschiedenen Schauplätzen gegen Rebellen, Drogenkartelle und Warlords; in afrikanischen Ländern sichern sie Erdöl- und Diamantenfelder. In über 160 Staaten dieser Erde waren sie in den letzten Jahren tätig, und die Nachfrage nach ihren Dienstleistungen nimmt nicht ab.

Ebenso unterschiedlich wie ihre Aufgabenfelder sind die Männer (und auch immer mehr Frauen), die als »neue Söldner« in der Welt arbeiten. Wladimir P. zum Beispiel, Jahrgang 62, ist Ukrainer und ein erfahrener Pilot. Er kann alles fliegen, was sich in der Luft hält – von zweimotorigen Cessnas über Hubschrauber, Militärtransporter bis hin zum Jagdbomber und zum Kampfjet. Bis zur Auflösung der Sowjetunion war er Berufssoldat in der Roten Armee. Danach traf ihn die Arbeitslosigkeit. Über Freunde bekam er sein erstes Engagement: im Krieg zwischen Eritrea und Äthiopien. Sein Leben, glaubt Wladimir, verdankt er wahrscheinlich einer schnellen Einsicht. Schon bald hätten er und seine Pilotenkollegen erkannt, dass auch in den gegnerischen Militärflugzeugen »alte Kameraden« aus der ehemaligen Sowjetarmee saßen. Von diesem Zeitpunkt an hätten sie es vermieden, aufeinanderzutreffen und sich gegenseitig anzugreifen: Ein Luftkrieg fand bis zum Ende ihres Vertrages in dieser Gegend Afrikas nicht mehr statt.

Der nächste Auftrag von Wladimir P. bestand darin, Transportmaschinen von verschiedenen Flughäfen Westeuropas nach Mali und Burkina Faso in Westafrika zu fliegen. Aus Zeitungsberichten erfuhr er später, dass es sich wohl um Waffenlieferungen gehandelt habe; Waffen, die für die Bürgerkriege in Sierra Leone und Liberia bestimmt gewesen seien. Wladimir vermutet, dass die russische Mafia die Deals eingefädelt hat, da die Verträge mit Burkina Faso in Moskau unterzeichnet worden seien. Doch Genaueres will er nicht wissen oder preisgeben. Die meiste Zeit in den letzten zehn Jahren hat er in Afrika verbracht. Inzwischen arbeitet er für eine private amerikanische Militärfirma, die ihren Sitz an der Westküste der USA hat. Ihr Spezialgebiet: Luftaufklärung. Seine Arbeit besteht in Spionagetätigkeit bzw. im Sammeln von Informationen über Bewegungen oppositioneller Gruppen im nördlichen Südamerika. Die Überwachungsdaten sind Teil eines Sicherheitsschirms, der über die dort tätigen transnationalen Erdölkonzerne aufgespannt ist und von verschiedenen westlichen Ländern finanziell unterstützt wird.

Der Mann, der die privaten Militärfirmen erfand

Der Erfinder der Bezeichnung »private Militärfirma« und einer der ersten großen Unternehmer in dieser neuen Wachstumsbranche ist der Brite Tim Spicer. In seiner Autobiographie An Unorthodox Soldier. Peace and War and the Sandline Affair schildert er zunächst seine Erfahrungen als einfacher Soldat in den Reihen der »Scots Guards«, seine Ausbildung in den britischen Spezialeinheiten SAS und an der berühmten Militärakademie Sandhurst. Als Offizier wurde er in den Bürgerkrieg in Nordirland, nach Zypern, zur Rheinarmee in Deutschland, auf die Falklandinseln vor Argentinien und später in den Balkan-Krieg nach Bosnien geschickt. Hoch dekoriert verließ er die Armee Seiner Majestät, um 1995 mit 43 Jahren in die Londoner Investmentfirma Foreign and Colonial als Marketingdirektor für den Nahen Osten einzusteigen. In den folgenden zwölf Monaten jettete er zwischen den Staaten der arabischen Halbinsel und der britischen Hauptstadt hin und her und knüpfte dabei viele Beziehungen. Rund ein Jahr später gründete er seine erste Firma für militärische Dienstleistungen, die Sandline International.

Eine der ersten Operationen, mit denen Spicer und seine Sandline bekannt wurden, ist die »Affäre Papua-Neuguinea«. Der nördlich von Australien gelegene Inselstaat erlangte 1975 seine Unabhängigkeit. 1989 entbrannte auf der Insel Bougainville, auf der es große Kupferminen gibt, die in englischer und australischer Hand sind, ein blutiger Kampf zwischen der Unabhängigkeitsbewegung Bra und den Regierungstruppen. Der neunjährige Krieg kostete Tausende von Menschen das Leben. 1997 engagierte die Regierung Sandline, um die Rebellen zu besiegen, und unterzeichnete einen Dreimonatsvertrag über 36 Millionen Dollar. Dafür sollte die private Militärfirma Söldnereinheiten und Waffen zur Verfügung stellen, Spezialtruppen des regulären Heeres ausbilden und sie sowohl militärisch als auch nachrichtentechnisch unterstützen. Der damalige Regierungschef Julius Chan erklärte, es gebe keine Alternative, als den »privaten Militärsektor« zu Hilfe zu rufen. Die Operation begann im Februar 1997. Aber als der Vertrag durch Indiskretion bekannt wurde, intervenierte Australien, das starke ökonomische Interessen im Inselstaat hat. Auch die Armee von Papua-Neuguinea war gegen die Unterstützung von Sandline. Es kam zum Militärputsch, und die 48 Söldner (Engländer, Südafrikaner und Äthiopier) wurden verhaftet, ihre Waffen – darunter vier Kampfhubschrauber aus Weißrussland – beschlagnahmt. Dann, nur einen Monat nach ihrer Ankunft, wurden sie auf politischen Druck hin ausgewiesen. Tim Spicer ging vor Gericht und bekam Recht: Die neue Regierung von Papua-Neuguinea musste Sandline die noch ausstehenden 18 Millionen Dollar zahlen, da der Vertrag als »regelkonform« angesehen wurde.

Die Affäre wirbelte international enorm viel Staub auf. Plötzlich war von einem neuen Söldnertum die Rede, das noch »staatlich gefördert« werde, da – wie Spicer in seiner Autobiographie darlegt – die englische Regierung von der »Operation Bougainville« informiert worden sei. 1998 erschütterte erneut ein politischer Skandal Großbritannien, der den englischen Außenminister Robin Cook fast zum Rücktritt zwang. Auslöser waren wieder Tim Spicer und seine Sandline, die trotz eines Waffenembargos der Vereinten Nationen 30 Tonnen Schusswaffen bulgarischer Herkunft mit einer Boing 727 Cargo nach Sierra Leone geschafft hatten, um einen Regierungsumsturz zugunsten von Ex-Präsident Ahmed Kabbah herbeizuführen, der in England im Exil lebte. Spicer wurde angeklagt, erklärte sich für unschuldig und wies darauf hin, dass er seine Regierung nicht nur informiert habe, sondern dass es deren erklärte Absicht gewesen sei, Kabbah wieder an die Macht zu bringen.1

Die Skandale ruinierten Spicer nicht, sondern machten ihn berühmt. Er gründete weitere Firmen, darunter Trident Maritime. Bekannt wurde sie, weil 2001 der Versicherungsgigant Lloyds die Regierung von Sri Lanka gegen Schäden bei ein- oder auslaufenden Handelsschiffen wegen der gestiegenen Bürgerkriegsrisiken nur dann weiterhin versichern wollte, wenn diese sich der Dienste von Trident bediente. Nach dreitägigen Verhandlungen akzeptierte Sri Lankas Regierung angesichts der eskalierenden Kämpfe mit der tamilischen Guerilla und einem drohenden Versorgungskollaps die »Erpressung«. Spicers Firma wurde engagiert, und Trident sicherte und kontrollierte die Warenströme zu und von der Insel im Indischen Ozean, die bald wieder zum sicheren Urlaubsparadies erklärt wurde. Inzwischen sitzt Spicer auch der von ihm ins Leben gerufenen Aegis Defence Services vor, einem der bedeutendsten Unternehmen in der privaten militärischen Dienstleistungsbranche. Im Irak beispielsweise weist Aegis mit 293 Millionen Dollar eines der höchsten Auftragsvolumen überhaupt auf.

Ein Waffenhändler der besonderen Art

Auch im neuen privaten Kriegsuniversum nehmen Waffenhändler eine wichtige Stellung ein. Ohne ihre Tätigkeit könnten Kriege kaum geführt werden. Die Rüstungsindustrie wurde im Westen schon frühzeitig privatisiert, unterlag aber nach dem Zweiten Weltkrieg ebenso wie der Handel strengen staatlichen Kontrollen. Das ist auf dem Papier weiterhin so geblieben. Doch die »Privatisierung des Krieges« hat im Bereich des Waffenhandels faktisch zu einem grundlegenden Wandel geführt. Bis zu zwei Drittel der für die unzähligen Konflikte dieser Welt benötigten leichten Waffen, auf deren Konto rund 90 Prozent der Toten gehen, werden heute an offiziellen staatlichen Kontrollen vorbei von privaten Waffenhändlern vertrieben. Zwar gab es während des Kalten Krieges ebenfalls illegale Waffenhändler, doch waren sie in der Mehrzahl – wie der armenische Adnan Kashoggi oder der deutsche Ernst Werner Glatt – inoffiziell tätig, da sie mit Wissen bzw. Billigung der Geheimdienste und für deren nationale Interessen arbeiteten. Was beispielsweise die USA nicht offiziell im- oder exportieren konnten, wickelten sie (neben anderen Personen) vornehmlich über Glatt und Kashoggi ab.2

Heute sind staatliche Stellen nur noch selten darüber informiert, wo und wie private Militärfirmen und Privatsoldaten ihre Bedürfnisse nach Schnellfeuergewehren, Maschinenpistolen oder Granaten decken. Der globalisierte Markt dafür ist riesig und das Angebot ebenso. Wie in einem virtuellen Supermarkt kann man nach Qualität, Marke und Preis das gewünschte Produkt auswählen und erstehen. Für ausreichend Nachschub sorgen inoffizielle, halb- und illegale Netzwerke, die nicht selten Verbindungen zur Organisierten Kriminalität bzw. zu den diversen Mafias haben. Und selbst der Bezahlmodus hat sich geändert. Wie UN-Organisationen in verschiedenen Studien feststellten, werden Waffen heute zunehmend in Naturalien bezahlt: mit Drogen wie Opium oder Kokain, mit Tropenhölzern wie Palisander oder Teak, mit Bodenschätzen wie Bauxit oder Kupfer oder mit Rohdiamanten.

Eine der Personen, die in den Netzwerken des Waffenvertriebs eine bedeutende Rolle spielt und gleichzeitig einen vollkommen neuen Söldnertypus darstellt, ist Leonid Minin, ein israelischer Industrieller, 1948 im sowjetischen Odessa geboren. In der Nacht zum 5. August 2000 wurde er im Mailänder Vorort Cinisello Balsamo verhaftet. Die örtliche Polizei hatte einen Tipp erhalten, dass in Zimmer 341 des Hotels Europa eine »rauschende Kokainparty« stattfinde. Auf dem Revier konnten die Ordnungshüter wenig mit diesem weltmännisch auftretenden und anscheinend steinreichen Mann anfangen. Aus seinem Besitz hatten sie über 30 000 Dollar in verschiedenen Währungen, 58 Gramm Kokain höchster Qualität, einen Aktenkoffer mit unzähligen Dokumenten und geschliffene Diamanten im Wert von einer halben Million Dollar sichergestellt. Auf Nachfrage gab Minin an, das Kokain sei für seinen persönlichen Gebrauch bestimmt, er schnupfe 30 bis 40 Gramm pro Tag und gebe für diese Leidenschaft rund 1500 Dollar täglich aus, was er sich als wohlhabender Mann schließlich leisten könne. Die Diamanten habe er kürzlich mit dem Geld erworben, das er aus dem Verkauf einiger Anteile seiner Firma auf Mauritius erzielt habe. Als Industrieller besitze er verschiedene Firmen unter anderem in Gibraltar, Bolivien, China und Liberia. Er sei gerade aus Sofia gekommen, wo er einen größeren Handel mit liberianischen Tropenhölzern abgeschlossen habe. Obwohl die Beamten sich über die Auskünfte des vor ihnen sitzenden Industriellen befriedigt zeigten, wollten sie ihn doch nicht gleich gegen Kaution auf freien Fuß setzen – zu gravierend erschien ihnen der illegale Drogenbesitz. Der Name Leonid Minin aber sagte ihnen nichts. Sie behielten den unbekannten Mann für den Rest der Nacht ein und leiteten die Anzeige wegen Kokainmissbrauchs an die vorgesetzten Stellen weiter.

Auch der zuständige Staatsanwalt konnte am nächsten Tag mit dem Namen Minin nicht viel anfangen. Erst als die Akte die Polizeizentrale in Rom erreichte, machte sich dort Verblüffung breit, dass ihnen durch Zufall einer der meistgesuchten Männer ins Netz gegangen war. Hier wusste man sehr wohl, wer Leonid Minin alias Wulf Breslav, alias Igor Osols, alias Leonid Bluvshtein, der Mann mit einem israelischen, russischen, bolivianischen, griechischen und deutschen Pass war; den die Schweiz und das Fürstentum Monaco zur Persona non grata erklärt hatten; über den lange Dossiers der französischen und belgischen Sicherheitsbehörden vorlagen. Der italienische Servizio Centrale Operativo hatte selbst einen umfangreichen Bericht über Minin verfasst. Mehr als zwölf Monate hatte eine äußerst komplexe Untersuchung über die italienischen Grenzen hinweg gedauert, um Minin als Kopf einer kriminellen Vereinigung mit engen Verbindungen zur russischen Mafia auszumachen, die in den illegalen Ölhandel, ins Geldwäschegeschäft, aber auch in den internationalen Drogenhandel involviert war. Ausgangspunkt waren nicht ganz durchsichtige Transaktionen der römischen Firma Galaxy Energy mit Ölprodukten gewesen. Eigentümer des Unternehmens: Leonid Minin.

Doch die vielen Dokumente im Aktenkoffer, den die Polizisten in Cinisello Balsamo sichergestellt hatten, konnte man selbst in der Zentrale in Rom nicht dechiffrieren. Dem Staatsanwalt gegenüber erklärte Minin, der im Gefängnis auf seinen Prozess wegen Drogenvergehens wartete, dass es sich bei den Briefen, Faxen und Verträgen mit Liberia, bei den Waffenkatalogen und Kostenvoranschlägen, bei den von der Elfenbeinküste ausgestellten »enduser«-Zertifikaten für Waffenlieferungen, bei den Preislisten für Waffen, Munition und sonstige Kriegsgüter, bei den Papieren über Lieferbedingungen von mehreren Schiffsladungen Tropenhölzer etc. zum größten Teil um Fotokopien aus allgemein zugänglichen Magazinen handele; ein Teil hätte ein Freund bei ihm im Hotelzimmer liegen gelassen. »Poco credibile«, wenig glaubwürdig, war der lapidare Kommentar des Staatsanwalts. Wegen Drogenvergehens wurde Minin zu zwei Jahren Haft verurteilt. Währenddessen versuchte die italienische Polizei mit internationaler Hilfe, die Dokumente zu verstehen und das Puzzle zusammenzusetzen. Was sich nach monatelanger Arbeit als Bild abzeichnete, war ein Horrorgemälde.

Ohne hier auf die komplexen Einzelaktionen und vielfältigen Überkreuzverbindungen eingehen zu können, ergab sich bei den Untersuchungen Folgendes.3 Für die grausamsten Bürgerkriege und blutigsten ethnischen Konflikte Ende der 90er Jahre in Liberia und Sierra Leone lieferte Leonid Minin die Waffen zumindest für eine Seite (die Firma Sandline von Tim Spicer belieferte in Sierra Leone die andere Seite). Minins Hauptverbündeter war der damalige Diktator Liberias, Charles Taylor, der wiederum mit dem Führer der Revolutionary United Front (RUF) und Vizepräsidenten Sierra Leones, Foday Sankoh, politisch eng liiert war. Die UNO hatte ebenso wie die OAU (Organisation für afrikanische Einheit) ein Waffenembargo über die beiden Länder verhängt, um die Kriegsparteien an den Verhandlungstisch zu zwingen. Taylor und Sankoh hatten zwar kein Geld, um die teuren Waffen zu bezahlen, dafür aber Zugriff auf die Naturschätze ihrer Länder. Die RUF kontrollierte die Diamantenfelder in Sierra Leone, Liberia besaß im Überfluss kostbare Tropenhölzer, auf die vor allem die Holz- und Möbelindustrie in Frankreich, Deutschland und Italien erpicht war. Minin erhielt für seine Dienste Schürfrechte für Diamanten und Holzkonzessionen. In Liberia gründete er die Firma ETTE (Exotic Tropical Timber Enterprises), die zum größten Exporteur des Landes aufstieg. Die Hölzer wurden nach Marseille und Nizza, nach Genua und Ravenna verschifft. Die Diamanten gingen über Israel nach Amsterdam. Außerdem florierten seine Geschäfte mit der »Neftemafija«, der Ölmafia von Odessa, und auch der Kokainhandel über seine Firma in Bolivien.

Mit den Erlösen (selbst nach Abzug von Provisionen und Gewinnen in mehrstelliger Millionenhöhe) aus dem Verkauf von Diamanten, Holz, Öl und Kokain bezahlte er unter anderem über die Schweiz und Zypern die enormen Waffeneinkäufe für die westafrikanischen Länder. Die Rüstungsgüter bezog er vor allem aus den ehemaligen Ostblockstaaten, wie beispielsweise aus der Ukraine von der staatlichen Firma Ukrspetseksport oder aus Bulgarien, in dessen Hauptstadt Sofia er vorzugsweise seine Geschäfte abwickelte. Da Sierra Leone und Liberia vom UN-Waffenembargo – außerdem gab es noch ein Embargo für die sogenannten Blutdiamanten und die Tropenhölzer – betroffen waren, konnten die Waffen nicht direkt an die Empfänger geliefert werden. Minin traf durch Vermittlung verschiedener politischer Stellen gegen entsprechende Provisionen bzw. Schmiergelder Abmachungen mit Regierungsmitgliedern der Nachbarstaaten Burkina Faso und Elfenbeinküste. Über eine Firma in Gibraltar wickelte Minin zusammen mit dem Verteidigungsminister Burkina Fasos die Waffenlieferungen in dessen Hauptstadt Ouagadougou ab, die von dort sofort an Bord von Transportflugzeugen in die Kriegsgebiete weitergeleitet wurden. In Moskau wurden die Verträge mit der Elfenbeinküste abgeschlossen; deren Botschaft in der russischen Hauptstadt war vom damaligen Regierungschef Robert Guei direkt angewiesen worden, die Waffenkäufe zu tätigen. Von Abidjan wurden die erhaltenen Rüstungsgüter nach Monrovia transportiert.

Während die Bürgerkriege auf dem afrikanischen Kontinent unausgesetzt tobten und Minin in einem italienischen Gefängnis saß, liefen seine Geschäfte weiter. Versuche der italienischen Staatsanwaltschaft, ihn unter anderem wegen illegalen Waffenhandels und Bruchs verschiedener Embargobestimmungen der UNO verurteilen zu lassen, schlugen trotz der erdrückenden Beweislast fehl. Da diese Straftaten nicht in ihren Zuständigkeitsbereich fielen, ordnete der Kassationshof, Italiens oberstes Zivilgericht, am 17. September 2002 die Entlassung Leonid Minins aus der Haft an. Der »israelische Industrielle« war wieder ein freier Mann. Gegen diese Art der Geschäfte im neuen Söldneruniversum gab (und gibt) es keine juristische Handhabe.

Als Soldat unterwegs in humanitärer Mission

Auch Zlatan M. ist ein »neuer Söldner« – aber einen krasseren Gegensatz zu Leonid Minin kann es kaum geben. Er ist eine der ungewöhnlichsten Personen im neuen Business der privaten Militärdienstleistungen und lebt in einem komfortablen, aber keineswegs luxuriösen Haus an der dalmatinischen Küste. Die kleine Villa, in die er sich zwischen seinen Einsätzen zurückzieht, ist vollgestopft mit Elektronik. Seine Aufträge bekommt oder holt er sich über speziell abgesicherte Adressen im Internet; seine für die Arbeit nützlichen umfangreichen Detailkenntnisse bezieht er weitgehend ebenfalls aus dem Netz.

Wenn man ihn sieht, glaubt man nicht, dass er erst 1978 in Bosnien geboren wurde. Eher vermittelt er den Eindruck eines Endvierzigers, der viel gesehen, erfahren und durchgemacht hat. Auf seine Nationalität angesprochen, besteht er darauf, Jugoslawe zu sein, obwohl es diesen Staat schon seit geraumer Zeit nicht mehr gibt. Seine Eltern, Großeltern, Onkel und Tanten seien Mazedonier, Kroaten, Serben, Slowenen, Herzegowiner, Bosnier und Kosowaren mit drei verschiedenen Religionen, und deshalb sei er ein geborener »Jugoslawe«. Im Umgang mit anderen Menschen ist Zlatan M. eher zurückhaltend und ruhig; selbst beim ausgelassenen Zusammensein mit Freunden ist er wortkarg. Zwei Dinge jedoch bringen ihn aus der Ruhe und lassen ihn nervös werden: Das eine sind Feuerwerksgeräusche, die an Bomben erinnern, und das andere sind in irgendeiner Weise mit Amerika verbundene Vokabeln. Dann spannen sich seine Gesichtszüge und Muskeln an, und man sieht, welche Willensanstrengung er aufbringen muss, um sich zu beherrschen. Beide Symptome sind die Nachwirkungen eines Traumas, das er als Jugendlicher erlitt, als er die Bombenangriffe der Amerikaner auf Belgrad im sogenannten Balkan-Krieg miterlebte. Trotz psychiatrischer Behandlung hat er sich von den traumatischen Erlebnissen dieses Krieges nie ganz erholen können. Dennoch meldete er sich später zum Militär: als »Schocktherapie für einen Pazifisten«, wie er sagt.

Als Reserveoffizier quittierte er den Dienst und heuerte bei verschiedenen italienischen Sicherheitsfirmen an. Seine Aufgabe bestand in der Bewachung von Golfplätzen im Winter und von Campingplätzen im Sommer. Dann erreichte ihn ein Auftrag, auf den er in seiner freien Zeit hingearbeitet und den er gesucht hatte: die Begleitung einer humanitären Organisation in ein Konfliktgebiet im Zentrum Afrikas. Hier glaubte er, der von Warlords, Rebellen, Milizen und Söldnern geschundenen und gemarterten Zivilbevölkerung helfen und gegen den Krieg, gegen jeden Krieg kämpfen zu können. Was er dabei erlebt hat und stockend erzählt, ist das, was man sich unter der Hölle vorstellt: schlimmste Mordorgien; das Abschlachten von Kranken in Hospitälern; Dörfer, übersät von Leichen alter Männer, junger Frauen und Babys mit zertrümmerten Schädeln, aufgeschlitzten Bäuchen und durchgeschnittenen Kehlen; Flüchtlinge mit abgeschlagenen Händen und Füßen, mit abgetrennten Ohren und Nasen. Die humanitären Helfer, die unter Einsatz ihres Lebens in den ständig wechselnden Kampfzonen arbeiteten und die er gegen die marodierenden »Völkermörder« zu schützen hatte, waren – so sagt er – terrorisiert und verzweifelt.

Wie viele Einsätze er in den verschiedenen Ländern Zentralafrikas hinter sich hat, weiß er nicht; er hat sie nicht gezählt. Aber er weiß viel über die Hintergründe dieser Kriege, denen inzwischen mehr als vier Millionen Menschen zum Opfer gefallen sind, und über die Ursachen, die er mit Hilfe seiner Freunde in den Nichtregierungsorganisationen akribisch recherchiert. Natürlich, sagt er, gehe es auch um Weideflächen und Ackerland, um Wasser und Macht, um Stammesehre und ethnische Konflikte. Das lasse sich von den Medien einleuchtend verkaufen, sei aber oberflächlich und erkläre wenig. Wie überall bei den bewaffneten Konflikten auf diesem Globus gehe es jedoch um noch viel mehr als um Wasser und »ethnische Säuberungen«. Die reichen Länder, die im UN-Sicherheitsrat zuschauten, wie sich die Schwarzen gegenseitig massakrieren, seien vor allem an dem interessiert, was unter dem Land liegt, um das sich die Stämme streiten: an den Unmengen von Erdöl, Gold und Diamanten, an den reichhaltigen Kobaltvorkommen, an den großen Reserven hochwertigen Kupfers, an Silber, Mangan, Zink, Wolfram, Cadmium, Uran, Schwefel, Beryllium oder Coltan. Deshalb, so Zlatan, schickten sie in ein Gebiet von der Größe Westeuropas knapp 6000 Blauhelme, während sie zur »Demokratisierung« des Irak rund 200 000 entsendeten. Eines von vielen Beispielen sei der internationale, teilweise illegale Handel mit Coltan (Columbit/Tantalit), der zum größten Teil über den Auslandsgeheimdienst Ruandas in Kigali laufe. Dieses Doppelmetall ist aufgrund seiner extremen Hitzebeständigkeit gegenwärtig einer der begehrtesten Rohstoffe in der westlichen Welt. Es wird in der Atomindustrie ebenso gebraucht wie bei der Härtung von Weltraumkapseln, Düsenjets oder Raketen; aber vor allem benötigt es die Konsumgüterindustrie. Ohne Coltan gäbe es keine Handys, Videokameras, Computerchips oder Playstations der letzten Generation. Nach seinen langjährigen Erfahrungen im Herzen Afrikas sind die dortigen blutigen Auseinandersetzungen für Zlatan nur vordergründig »Stammeskriege«; eigentlich würden dort Stellvertreterkriege um die politische Hegemonie in dieser Region ausgefochten, bei denen, so seine Einschätzung, »alle Großen dieser Welt mitmischen«; letztendlich handele es sich um eine Verteilungsschlacht der transnationalen Konzerne um die ökonomischen Ressourcen dieser Länder.

Einen Widerspruch zwischen seinem Beruf als Privatsoldat und seiner pazifistischen Einstellung sieht er nicht. Wer helfe denn der Zivilbevölkerung, die am meisten unter den bewaffneten Konflikten zu leiden hat, wenn nicht beispielsweise Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen, das Rote Kreuz, die Welthungerhilfe oder die Kinderhilfswerke, und wer schütze diese Helfer vor den Übergriffen der Kriegsfürsten, Stammesmilizen oder marodierenden Soldatesken? Wenn die internationale Staatengemeinschaft diesen Schutz nicht übernehmen könne oder wolle, müssten es eben Privatsoldaten wie er tun. Das ist seine feste Überzeugung. Aus dieser Perspektive gesehen, stellt Zlatan M. ein personifiziertes Dilemma heutiger globalisierter Konflikte und des neuen Söldnertums dar.

Private Militärfirmen – Die neue Dienstleistungsbranche

Es gibt Leute, die glauben, alles wäre vernünftig,

was man mit einem ernsthaften Gesicht tut.

Georg Christoph Lichtenberg

Andy Melville ist 24 Jahre alt. Der ehemalige britische Soldat ist heute Chef der englischen privaten Militärfirma Erinys im Irak, die dort unter anderem vom amerikanischen Verteidigungsministerium einen Auftrag über 50 Millionen Dollar erhalten hat, um Pioniereinheiten und technische Truppen zu schützen. In einem Interview mit dem amerikanischen Fernsehsender PBS erklärte Melville am 21. April 2005: »Was wir tun, ist geheim. Wir wollen nicht, dass andere […] erfahren, wer unsere Kunden sind, wo wir tätig sind und wie wir tätig sind.« Ähnlich äußerte sich Jason McIntosh, der Sprecher von Science Applications International Corporation (SAIC), einer privaten Militärfirma aus dem kalifornischen San Diego: »Wir hüten uns, über Dinge zu reden, von denen unsere Kunden nicht wollen, dass wir darüber sprechen. Das ist gute Geschäftspolitik.«

Sanho Tree vom Washingtoner Institute for Policy Studies erklärte 2004: »Einer der frustrierenden Punkte bei der Recherche über private Militärunternehmen ist folgender: Sie erfüllen staatliche Funktionen, bekommen Geld der US-amerikanischen Steuerzahler, sie fliegen Flugzeuge, die der US-Regierung gehören, sie nutzen die US-Luftwaffenbasen – sie tun alles, was sie tun, im Namen des amerikanischen Volkes, aber wenn man Informationen von ihnen möchte, dann sagen sie: ›Oh nein, wir sind ein privates Unternehmen, wir müssen nicht mit Ihnen reden.‹ […] Es ist unmöglich, Antworten zu bekommen.«1

Diese drei Aussagen lassen bereits die Schwierigkeit erahnen, die sich ergeben, wenn man versucht herauszufinden, für welche Dienstleistungen genau die einzelnen privaten Militärfirmen angeheuert werden. Neben der Geheimniskrämerei der Beteiligten ist das Hauptproblem rechtlicher Natur. Denn da es sich um Privatverträge im juristischen Sinn handelt, ist eine Einsicht für Dritte nicht möglich, selbst nicht für Parlamentarier. So hat die Bush-Regierung auf Anfragen von amerikanischen Abgeordneten keine vollständige Liste herausgegeben, weder was die Anzahl der von ihr beauftragten privaten Militärfirmen beispielsweise im Irak betrifft, noch welche Aufträge sie im Einzelnen mit welchen Inhalten vergeben hat. Da sie bei Verträgen, die unter einem Volumen von 50 Millionen Dollar liegen, zur Offenlegung gegenüber dem Parlament nicht verpflichtet ist, ist offiziell nur das bekannt geworden, was über dieser Summe liegt. Das betrifft lediglich einen Bruchteil der Aufträge, zumal es üblich ist, sie zu splitten, das heißt, in viele Unteraufträge zu teilen, um das rechenschaftspflichtige Auftragsvolumen nicht zu erreichen.

Auch ein Rückgriff auf die Selbstdarstellungen der privaten Militärfirmen im Internet gibt keine Details preis. Besucht man ihre aufwendig gestylten Websites, findet man meist sehr allgemeine Begriffe wie »Personen- und Sachschutz«, »Risikoanalyse«, »Krisenmanagement«, »Ausbildung und Training«, »Strategische Planung« oder »Flugdienste«. Allenfalls die jeweiligen Bilder, die meist schwerbewaffnete Männer in Aktion zeigen, weisen darauf hin, dass es sich nicht um alltägliche Dienstleistungen handelt, die dort angeboten werden. Andere Firmen sind so spezialisiert, dass sich ein Laie kaum etwas unter dem jeweiligen Angebot vorstellen kann. So wirbt das Unternehmen SAIC zum Beispiel mit Ausdrücken wie »Kampfmanagement«, »Elektronischer Kampf«, »Informationskriegsführung«, »Systemen zur Missionsplanung« etc.

Allgemein kann man sagen, dass die privaten Militärfirmen alles an Dienstleistungen inklusive dazugehöriger Ausrüstung anbieten, was in Bezug auf die äußere Sicherheit normalerweise als Aufgabe den nationalen Streitkräften, dem militärischen Abschirmdienst und dem Auslandsgeheimdienst obliegt und im Bereich der inneren Sicherheit von Polizei, Zoll, Grenzschutz und Inlandsgeheimdienst geleistet wird. Ihr Angebot haben die Militärdienstleister im Wesentlichen auf vier Bereiche konzentriert: Sicherheit, Ausbildung, Intelligence und Logistik.

Die breite Palette der Dienstleistungsangebote

Der Bereich Sicherheit ist sehr weit gefächert. Er umfasst Personen-, Objekt-, Anlagen- und Institutionenschutz. Bei gefährdeten Politikern, Unternehmern, VIPs etwa untersuchen die privaten Militärfirmen das Umfeld, erarbeiten Sicherheitskonzepte und spezifische Risikoanalysen, stellen speziell ausgebildete Personenschützer zur Verfügung. Für die Luftfahrt bieten sie Schutz für die Flugpassagiere und das Flugpersonal in Form von Air-Marshals an, beraten die Fluggesellschaften bei der Vermeidung von Risiken, analysieren die Gefährdungspotentiale in Bezug auf terroristische Anschläge oder Sabotageakte. Im Bereich des nationalen wie internationalen Güterverkehrs erstellen sie Schutzkonzeptionen gegen Unterschlagung oder Raub. Gegen das Hijacking von Schiffen oder Schiffsfrachten offerieren sie Spezialisten. Sie über- und bewachen Landtransporte jeglicher Art. Sie bieten Sicherheitspersonal und -konzepte für staatliche Gebäude und Privatunternehmen an. Schutz vor Entführungen und Geiselbefreiung, Bekämpfung von Organisierter Kriminalität, Geldwäsche oder Menschenhandel gehören ebenso zu ihren Dienstleistungsangeboten wie die Abwehr von Unterwanderung durch »feindlich gesinnte« Personen oder Gruppen, die Bewachung von Botschaften im Ausland und die Absicherung von Elektrizitätswerken oder Erdölraffinerien.

Oft handelt es sich um ganze Dienstleistungspakete. So bietet etwa die amerikanische Firma Trojan auf ihrer Website für »alle Krisensituationen zu Land, in der Luft und zur See Sicherheit und bewaffneten Schutz« an. Für den Bereich »maritime Sicherheit« sieht ihre Bedrohungsanalyse folgendermaßen aus: »Die internationalen Trends sind alarmierend. Heute sind auf See operierende Terroristen besser ausgerüstet als traditionelle Piraten, die Messer, Schwert, Revolver oder Pistole benutzten. Heutige Gruppen benutzen Maschinengewehre, rückstoßfreie Panzerfäuste, Radar und Hochgeschwindigkeitsboote.« Gegen diese Bedrohung offeriert Trojan unter anderem: Sicherheitsberatung, Schutz vor Piraten, Terrorismusbekämpfung zur See, Operationen gegen Schmuggel, Unterwasser-Suchteams, Strategien zur Drogenbekämpfung, bewaffnete Schiffseskorten, maritimes Sicherheitstraining für die Besatzung.

Der Bereich Ausbildung und Training umfasst ebenfalls eine Fülle von Tätigkeiten, die sowohl die Grundausbildung und die vielfältigen spezialisierten Weiterbildungen für die Polizei und das Heer im eigenen Land einschließen als auch Dienstleistungen für ausländische Staaten. Was zum Beispiel in Deutschland normalerweise Soldaten bei der Bundeswehr oder Polizisten in Polizeischulen und auf Polizeirevieren lernen, wird von den Militärfirmen privat angeboten. Das reicht vom Umgang mit Pistolen und Maschinengewehren über die Beherrschung von Panzern bis zum Pilotentraining. Insbesondere die Ausbildung an neuen Waffen und neu entwickelten Waffensystemen nimmt einen breiten Raum im Dienstleistungsangebot der privaten Militärfirmen ein – ob es sich nun um elektronisch vernetzte Bodenwaffen oder um computergestützte Luftraketen handelt. Im militärischen Bereich decken sie die Ausbildungsprogramme der Sondereinheiten von Heer, Marine und Luftwaffe ab (für die USA etwa sind dies die »Green Berets«, »Seals«, »Delta Forces«), im »zivilen« Bereich die Schulung von Schutz- zu Sicherheitskräften.

Vor allem für die Spezialausbildungen unterhalten die Militärdienstleister ihre eigenen Trainingscenter und Ausbildungscamps. Die amerikanische Firma International Charter Incorporated (ICI) beispielsweise betreibt im Nordosten des US-Bundesstaats Oregon ein solches Trainingszentrum, wo unter anderem »unkonventionelle Kriegsführungsoperationen« oder »Fallschirmspringertraining in unwegsamem Gelände« gelehrt und eingeübt werden.2 Die französische Secopex bildet Personal speziell zur Bewachung und Sicherung von Erdölfördergebieten und -anlagen aus. Dazu unterhält sie in Weißrussland ein 16 000 Hektar großes Trainingsgelände mit Ölturm, Flugzeugen, Unterkünften, Transportfahrzeugen und spielt theoretisch wie praktisch 1500 Krisen- und Notsituationen durch. Einige Firmen simulieren Gefahrensituationen bei bewaffneten Hinterhalten und Überfällen von Fahrzeugkolonnen durch Guerillas oder Rebellen, andere haben sich auf die unterschiedlichsten Nahkampftechniken für den Anti-Terror-Kampf spezialisiert. Eine weitere Domäne der privaten Militärfirmen ist die Unterweisung in neuesten Kriegsführungstechniken mit Hilfe von Simulatoren. Die im kalifornischen San Diego beheimatete Cubic, bekannt für ihre »Kampfsimulationszentren«, in denen Soldaten unter realistischen Bedingungen Schlachten üben können, hat ein solches Zentrum auf dem Truppenübungsplatz in Hohenfels bei Nürnberg eingerichtet.3

Die meisten privaten Militärfirmen, die Ausbildung und Beratung anbieten, verhalten sich bei der Abwicklung ihrer Aufträge – ob in Usbekistan oder Peru, in Sri Lanka oder Nigeria – im Allgemeinen »neutral«. Das heißt, sie halten sich aus dem aktuellen Kriegsgeschehen heraus und fungieren nur als »graue Eminenz« im Hintergrund. Manche kontrollieren aber nicht nur aus der Ferne, sondern auch am Ort der Kampfhandlungen, ob und wie »ihre Schützlinge« die unter ihrer Anleitung erlernten Fähigkeiten einsetzen.4 Anders als die Söldner alten Typs schießen die Privatsoldaten für gewöhnlich nicht mehr selbst, sondern lassen schießen. Dies wird ihnen durch die elektronische Vernetzung erleichtert, die inzwischen so weit vorangetrieben ist, dass die »neuen Söldner« auf dem Computerschirm das »automatisierte Schlachtfeld« vor sich haben und fernab des eigentlichen Kriegsgeschehens in Echtzeit über die Kampfhandlungen informiert sind. Auf diese Weise können sie in die Kämpfe eingreifen, eventuelle Kurskorrekturen vornehmen und sie als Befehle an die Front weiterleiten.

Parallel zu den staatlichen Militärakademien und -hochschulen haben die Militärfirmen Privatuniversitäten geschaffen, in denen sie Führungspersonal für den militärischen wie zivilen Sicherheitsbereich ausbilden. In Deutschland etwa werden von der Dukes School, einer privaten Hochschule in Freiburg, in Verbindung mit der EUBSA, einer deutschen Tochterfirma der Paladin Risk, Studiengänge für »Schutzoffiziere« (Professional Protection Officer, PPO) und »Risiko-Manager« angeboten. Die praktische Ausbildung findet in Trainingscamps statt, die sich in England, Israel, den USA und Frankreich befinden.

Ein weiterer Schwerpunkt im Dienstleistungsangebot von privaten Militärfirmen ist der Bereich Intelligence, der Informations- und Spionagetätigkeiten umfasst. Infolge der elektronischen Revolution haben sich Techniken in der Informationsbeschaffung und -analyse entwickelt, die häufig nur von diesen Firmen beherrscht und angeboten werden.5 Nach inoffiziellen Berechnungen geht inzwischen die Hälfte des 40-Milliarden-Dollar-Budgets für die verschiedenen US-amerikanischen Geheimdienste an private Militärfirmen.6 Dies betrifft einmal den gesamten Sektor des Abfangens und Anzapfens von Signalen, die auf elektromagnetischer Basis beruhen – seien sie terrestrisch oder satellitar. Dazu gehören der mobile und stationäre Telefonverkehr, die Übermittlungen per Funk, Radar und Radio sowie mittels Laser oder sichtbarem Licht (Lichtsignale). Darin eingeschlossen ist der Internet- und E-Mail-Verkehr. Das betrifft zum anderen den gesamten Sektor des Auffangens von »bildlichen« Daten und Informationen, seien sie fotografischer, elektronischer, infraroter oder ultravioletter Natur, wie sie von Land oder See, vom Luft- oder Weltraum aus gewonnen und weitergeleitet werden. Die Verarbeitung dieser Daten zu Nachrichten und die Analyse dieser Informationen für geheimdienstliche Bedürfnisse machen einen großen Teil im Dienstleistungsangebot der Militärfirmen aus. Sie offerieren aber auch personengestützte Informationsbeschaffung durch verdeckte Ermittler. Diese Angebote beziehen sich sowohl auf den militärischen als auch auf den zivilen Bereich, das heißt, die Firmen bieten ihr Wissen staatlichen wie privaten Stellen gleichermaßen an. Beispielsweise preist die britische Firma AKE Limited auf ihren Internetseiten eine umfängliche »Echtzeit-Risikoberatung« im Intelligence-Bereich an. Das Paket umfasst unter anderem: persönliche oder fernmündliche »Auf-Abruf-Beratung« durch Intelligence-Analysten, PML(Probably Minimal Lost)-Studien über mögliche Verluste durch Krieg oder Terror, Szenarienplanung durch Geheimdienstanalysten und Sicherheitsrisikospezialisten sowie auf den Kunden zugeschnittene Risikomodelle für Strategieplanung.

Dies bedeutet, dass der Kunde einen privaten Geheimdienst für seine Bedürfnisse mieten kann, der ihm 24 Stunden zur Verfügung steht, ihn betreut, bewacht, beschützt, seine Gefahren und Risiken analysiert, Gegenstrategien entwickelt etc. Dass solche Intelligence-Angebote von Fachleuten geschätzt werden, zeigt das Beispiel der amerikanischen Bundespolizei FBI. Sie ließ sich von der privaten Militärfirma DynCorp das neue Computernetzwerk Trilogy aufbauen.7