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und die Musikpiraten

erzählt von G. H. Stone

nach einer Idee von Robert Arthur

Kosmos

Umschlagillustration von Aiga Rasch (9. Juli 1941 – 24. Dezember 2009)

Umschlaggestaltung von eStudio Calamar, Girona, auf der Grundlage
der Gestaltung von Aiga Rasch

Unser gesamtes lieferbares Programm und viele
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Aktivitäten findest du unter kosmos.de

© 2013, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Mit freundlicher Genehmigung der Universität Michigan

Based on characters by Robert Arthur.

ISBN 978-3-440-14204-2

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Hereingelegt!

Bob Andrews drängte sich zwischen den Schau- und Kauflustigen hindurch, die an diesem Nachmittag in hellen Scharen zum Rummelplatz von Rocky Beach gepilgert waren. Das Schuljahr war wieder einmal gelaufen und Bob hatte jede Menge Freizeit. Aber Langeweile war nicht angesagt!

Im lauen Sommerwind pulsierten harte Rockrhythmen. Das waren die Hula Whoops. Stark, diese Musik – ging einem richtig in die Beine! Kein Wunder, dass die Whoops beim großen Jimmy-Cokker-Rock-’n’-Roll-Wettbewerb die Endrunde am kommenden Samstag geschafft hatten. Heute war die Band für einen Gig auf dem Markt engagiert.

Bob schleppte sich mit einem großen Karton ab. Er wechselte seine Last auf die rechte Seite und bewegte sich dazu im Takt der Musik. Bob war auf dem Weg zum Konzertpavillon, wo er seinen Chef, Sax Sendler, treffen sollte. Die beiden hatten zurzeit alle Hände voll zu tun. Sax leitete die Talentagentur Rock-Plus als Manager für begabte Nachwuchsgruppen wie zum Beispiel die Hula Whoops. Und seine rechte Hand war Bob!

Bob kam an Dutzenden von Verkaufsständen vorüber, an denen es einfach alles gab – von Werkzeugen über Modeschmuck bis zu Spielwaren. Über dem ganzen Gelände hing der Duft von Popcorn. Immer wieder fing Bob unterwegs den Blick eines hübschen Mädchens auf, das ihn anlächelte, und strahlend lächelte er jedes Mal zurück.

»Diese Zähne …«, hörte Bob eine Stimme dicht hinter sich.

»Was bitte?« Bob drehte sich um.

»Der sauer verdiente Lohn für all die Zahnspangen«, flachste Peter Shaw, der seinen Freund nun eingeholt hatte. Wie immer war Bobs magische Anziehungskraft auf nette Mädchen nicht zu übersehen.

»Trag’s mit Fassung, Kumpel. Dein Lächeln ist einfach mörderisch.«

Im T-Shirt der Talking Heads und in weißen Jeans war Bob unter den Jungs wirklich eine Attraktion, obwohl er gar nicht auf Schau machte. Er war groß, blond, blauäugig und sonnengebräunt. Doch seine Hauptwaffe war der Charme, den er ausstrahlte wie ein Ofen die Hitze.

»Das Lächeln für eine Zahnpasta-Reklame.« Peter war nicht zu bremsen. »Das würde sich gut auf so ’ner Riesenplakatwand machen.«

Peter hatte sich einen Walkman an den Gürtel seiner verwaschenen Jeans geklemmt und sein T-Shirt trug das Emblem des Fußballclubs »L. A. Lakers«. Er war athletisch gebaut und überragte Bob noch ein Stück. Seine Kondition war so erstklassig, dass er die vierhundert Meter Sprint vom Parkplatz her mühelos geschafft hatte, ohne dass ihm die Puste ausging. Peter war an diesem Tag ebenso gut drauf wie Bob. In Mathe war er mit knapper Not einer Fünf entronnen – und jetzt lag der Sommer vor ihm.

»Hör schon auf damit«, wehrte sich Bob, »oder ich werd’ es Kelly stecken, dass du dich für andere Mädchen interessierst.«

»Das lässt sie ganz kalt.« Peter strich sich das rötlich braune Haar aus der Stirn. Kelly Madigan war Peters feste Freundin und ganz groß im Jazztanz. Laut Justus Jonas, dem Dritten im Bunde, verstand sie es, den starken Athleten um den kleinen Finger zu wickeln. »Denn wenn du in der Nähe bist, Bob«, erklärte Peter, »ist eines klar: Dann habe ich bei Frauen keine Chance!«

Bob lachte und sie gingen zusammen weiter. Bob sollte von Sax ein Paket Plakate der Hula Whoops übernehmen, mit dem Hinweis auf ihre Beteiligung am großen Preis. Peter kam mit, denn Bob hatte ihm versprochen, ihn mit den Whoops bekannt zu machen, wenn er seinen Freund anschließend nach Hause fahren würde.

»Übrigens, vergiss eines nicht«, warf Peter beiläufig ein. »Wenn wir zurück sind, müssen wir beide hart ran. Nämlich an deinen klapprigen VW-Käfer. Was geht denn bei dem schon wieder nicht?«

»Sehr witzig.«

»Lass mal.« Mit einem Grinsen winkte Peter ab. Bob kam bei Mädchen riesig an, aber als Automechaniker war er eine Niete. Dann nahm Peter den Karton aufs Korn, an dem Bob so schwer zu tragen hatte. »Soll das ein Bauchladen sein? Willst du hier als fliegender Händler mitmischen?«

»Nee, das sind alles kostbare Besitztümer.«

»Ach, du hast heute dein Schließfach im Klassenzimmer ausgeräumt?«

»Die Schule macht bis auf Weiteres dicht. Hast du wohl nicht mitgekriegt?«

»Klar doch. Ich hab den ganzen Krempel weggeschmissen.« Peter besah sich das Sammelsurium genauer. »Hättste besser auch so gemacht.«

In dem Karton befanden sich zerfledderte Hefte, alte Füller und Kugelschreiber, lose Blätter und Zettel, zerfranste Tintenkiller, eine abgewetzte Schildmütze und Bobs Biologie-Projektarbeit aus dem vorletzten Schuljahr – »Der Lebenszyklus der Fruchtfliege«. Das Chaos war mit Bobs Schülerrucksack notdürftig abgedeckt.

»Ich werfe nichts weg, was mich Geld gekostet hat und vielleicht noch mal zu gebrauchen ist«, gab Bob zurück. Da plötzlich fiel sein Blick auf eine Schriftblende über einem Marktstand rechts neben ihm. In großen, von Hand gemalten Buchstaben stand da:

SUPERGÜNSTIGE MUSIKKASSETTEN!

STÜCK 2 DOLLAR! DREIERPACK FÜR 5 DOLLAR!

»Hey, schau dir das an!«, rief Bob.

Peter stöhnte.

»Komm mal mit rüber«, sagte Bob. Es zog ihn mit Macht zu dem Tisch, auf dem der Verkäufer sein Sortiment ausgelegt hatte: hunderte von Kassetten mit Titeln in allen Regenbogenfarben. Bob stellte den Karton vor seinen Füßen ab und machte sich daran, das Angebot zu sichten.

»Ist dir Sax auf einmal nicht mehr wichtig?« Peter staunte. »Na, und dein Wagen? Und überhaupt wartet Justus auf uns!«

»Wir haben massenhaft Zeit. Im Übrigen bastelt Justus seit Tagen an irgendeinem neuen Apparat herum, den er bei Onkel Titus in der letzten Ladung Schrott ausgegraben hat. Der vermisst uns nicht.«

Onkel Titus und Tante Mathilda, bei denen Justus wohnte, betrieben einen florierenden Handel mit Altmaterial und Trödel. Auf dem Schrottplatz der Firma Gebrauchtwaren-Center T. Jonas hatten sich Justus, Bob und Peter vor Jahren ihre Detektei mit bestens ausgestatteter Zentrale eingerichtet. Und auch ihr Geschäft florierte – das namhafteste und obendrein jüngste Detektivteam in Rocky Beach waren nach wie vor »die drei ???«.

»Suchen etwas?«

Bob blickte in ein Paar schwarzer Augen. Das zugehörige Gesicht war asiatisch, die Nase kurz und schmal, das Kinn wuchtig. Der junge Mann trommelte mit den Fingern auf den Tisch, allerdings nicht zum mitreißenden Beat des Hula-Whoops-Schlagzeugers. Irgendetwas nervte den Burschen, so viel war klar.

»Nein, danke, ich möchte nur mal schauen«, sagte Bob. »Ihre Auswahl ist ja toll.«

»Kaufen drei, fünf Dollar«, warb der Händler mit leicht singendem Tonfall. Doch er leierte seine Worte teilnahmslos herunter, und sein Blick schweifte unruhig über die sich vorbeidrängenden Leute hin, als sei er vor irgendjemandem auf der Hut.

»Mach schon«, mahnte Peter ungeduldig. »Ich will endlich zu den Hula Whoops!«

Bob suchte sich eine Kassette mit Oldies von den Bushwhackers aus, dann noch Reggae-Musik einer Band aus der Karibik und zuletzt Rap-Titel der Watts Wonderfuls.

»Wahnsinn!« Bob gab dem Händler einen Fünfdollarschein.

Blitzschnell steckte der Mann das Geld ein.

»Jetzt aber los!«, drängte Peter. »Da vorn spielt die Musik! Bin schon unterwegs!«

Bob schnappte sich seinen Karton und rannte schleunigst Peter hinterher.

»Also, die Hula Whoops«, meinte Peter, während sie zum Konzertpavillon trabten, »die find ich echt gut!«

»Sag ich ja schon immer«, erwiderte Bob. »Sax meint, die werden beim Jimmy-Cokker-Preis glatt Sieger. Dafür gibt’s zehntausend Dollar Bares, dann sechs Wochen Promotion-Tour, voll gesponsert, und dazu einen Vertrag mit einem Plattenkonzern. Der Vertrag ist das Größte. Damit können sie den Durchbruch in die Charts schaffen.«

»Und wann soll die Sache steigen?«

»In drei Tagen. Samstagabend in L. A.«

Mittlerweile hatten die Jungen das Zentrum des Marktgeländes erreicht: einen kleinen Hügel, gekrönt vom Konzertpavillon. Von hier aus konnte Bob all die Stände überblicken. Tausend waren das bestimmt. Die Leute lachten und alberten herum, aßen Zuckerwatte und genossen den Kaufrausch – und das alles zum melodiösen Hardrock der Hula Whoops.

Auf der Suche nach Sax liefen Bob und Peter zum hinteren Zugang der Bühne. Hier herrschte kein Trubel, und man konnte sich in Ruhe unterhalten. Peter stopfte sein T-Shirt in den Hosenbund. Nein, oben drüber sah es doch lässiger aus, fand er. Er zog es wieder heraus.

»Hallo, Partner!«, rief jemand. Schon tauchte Sax Sendler hinter aufgetürmten Verstärkerboxen auf. Er war etwa vierzig und steckte in seinen altgedienten Klamotten: löchriges Fußballshirt, schwarze Hose, schwarze Schnürstiefel. Das Haar war zum Pferdeschwanz gebunden und wies einige graue Strähnen auf. Bob arbeitete stundenweise bei Sax, als Insider aus der Teenie-Szene, als Allroundkraft und als Feuerwehr. Dieser Job war der beste, den Bob bisher hatte, und er machte ihm riesigen Spaß.

»Was schleppst du denn da mit dir rum?«, wollte Sax von Bob wissen. Der Bursche mit dem zerfurchten Gesicht war früher als Hippie durch die Gegend getrampt und hatte dann als Unternehmer Fuß gefasst. Doch neugierig und auf Draht war er nach wie vor.

»Den Schulkrempel«, sagte Peter.

»Und Musik, die ich schon lange suche«, ergänzte Bob. »Die Aufnahmen hab ich hier gekriegt.« Er gab Sax die drei Kassetten.

»So werden auch mal unsere Whoops groß rauskommen«, meinte Sax zuversichtlich. Anerkennend sah er sich die Kassetten an.

Plötzlich streckte Bob den Kopf vor. »Nein – das gibt’s nicht!«, rief er.

»Was denn?« fragte Peter.

»Da ist ein Druckfehler im Namen!«

»Tatsächlich?« Na, da stand doch »Bushwackers«. Peter fand daran nichts auszusetzen.

»Ja, das zweite h fehlt!« Bob war ganz außer sich.

»Hey – haben die in der Produktion keinen, der auf so was achtgibt?« Nun war es auch Peter aufgefallen.

»Dürfte nicht vorkommen«, fand Sax. »Renommierte Musikverlage passen da schon auf, damit sich keine Druckfehler einschleichen.«

Da nahmen sie sich die drei Kassetten gründlich vor. Na so was – die Titelfarben leuchteten nicht in gewohnter Brillanz, und der Drucktext wirkte verschmuddelt. Auf der einen Kassette sah der Text verdächtig nach einem miserabel kopierten PC-Ausdruck aus. Die beiden anderen Titelmotive entpuppten sich bei näherem Hinsehen als Farbkopien des Originalbilds. Bei der MC der »Bushwhackers« konnte man glatt meinen, ein Stümper hätte das Cover abgekupfert und sich im Namen verschrieben – und dann das Ganze durch einen billigen Farbkopierer gejagt.

»Dann wollen wir uns doch mal den Sound anhören.« Mit skeptischer Miene löste Peter den Walkman von seinem Gürtel.

Er legte eine Kassette ein, drückte die Wiedergabetaste, hörte kurz rein und gab dann den Kopfhörer an die anderen weiter. Das dumpfe Rauschen im Hintergrund konnte einem Zahnschmerzen machen. Peter testete die nächste Kassette. Die hörte sich an, als würde die Aufnahme zu langsam abgespielt – Musik war das nicht, nur Wummern und Gejaule. Und auf der dritten MC war vom Rap nicht ein Wort zu verstehen.

Bob war außer sich. »Die haben mich hereingelegt!«

Eine Schlägerei

»Piraten!«, ging es Bob auf.

»Schon möglich, Junge«, bestätigte Sax. »Auf solchen Billigmärkten macht sich das Gesindel ganz schön breit.«

»Kann mir das einer mal näher erklären?« Peter blickte noch nicht ganz durch.

»Piraterie auf dem Musikmarkt«, erklärte Bob. »Die Burschen machen bei Gigs illegale Mitschnitte oder sie überspielen ganz unverschämt Originalbänder einer CD oder MC. Und dann verhökern sie diese Raubkopien als normale Handelsware. Hören sich aber meistens schauderhaft an. Richtig fies ist das!«

»Und was willst du jetzt machen?«, fragte Sax.

Bob sah erst zu Sax, dann zu Peter hin. Er reckte das Kinn empor. »Die müssen mein Geld wieder rausrücken!«

»Hey, Mann«, warf Peter ein. »Du wolltest mich doch mit den Hula Whoops zusammenbringen!«

»Bis die Pause machen, sind wir längst zurück. Kommt!«

Bob lud sich seinen Karton auf und zog entschlossen wieder los. Peter und Sax folgten ihm.

»Dann nehmen wir den miesen Vogel mal auseinander«, tönte Sax angriffslustig. Eine solche Herausforderung machte ihm immer Spaß.

»Da ist der Stand mit den Kassetten«, sagte Bob.

»Hoppla!«, rief Peter. »Die sind jetzt zu zweit!«

Auch der zweite Mann war Asiat, jedoch größer und kräftiger als der andere. Seine Kinnpartie war ebenso bullig und seine Züge waren hart und grob. Eine verblasste Narbe zog sich vom linken Auge zum Ohr hin und ließ das Gesicht hässlich und gemein wirken. Na, vielleicht war der Typ tatsächlich hässlich und gemein, schoss es Bob beim Näherkommen durch den Kopf.

Die beiden Piraten mit ihrem Transporter hatten es unverkennbar eilig. Hektisch packten sie den Laderaum des blauen Dodge voll, der hinter dem Verkaufsstand geparkt war.

Bob, Peter und Sax blieben vor dem breiten Auslagentisch stehen. Die Kassetten waren größtenteils schon abgeräumt. Bob sah sich nach rechts und links um. Die anderen Händler dachten noch lange nicht ans Zusammenpacken.

»Diese Kassetten nehmen Sie bitte zurück«, meldete Bob sich höflich. »Und ich möchte mein Geld wieder. Die Aufnahmen sind eindeutig Fälschungen.« Er streckte die drei Kassetten über den Tisch. »Das macht fünf Dollar.«

Die beiden Männer schufteten wie im Akkord und die Kunden an ihrem Stand waren ihnen offenbar völlig schnuppe. In Windeseile stapelte der Kleinere Kassetten in eine Schachtel. Der Große mit der Narbe verstaute sie im Wagen, zerrte eine leere Schachtel heraus, lief zum Stand zurück und packte nun selbst auch Kassetten ein. Beide unterhielten sich halblaut in einer Sprache, die Bob absolut fremd war. Dabei ließen sie unablässig und verstohlen ihre Blicke über das Menschengewimmel schweifen.

»Hört mal, Leute«, versuchte Bob es nochmals mit erhobener Stimme. Krampfhaft hielt er seinen Karton umklammert. »Das ist heiße Ware, und miserabel dazu. Ich will jetzt meine fünf Dollar zurück. Aber bald!«

Keiner der beiden reagierte. Bob schien für sie Luft zu sein.

»Bleiben wir sachlich und machen wir’s kurz.« Nun sprach Sax, der Geschäftsmann. »Die Kassetten hier sind Raubkopien. Der Junge will sein Geld wieder. Und ihr wollt euch doch nicht mit den Bullen anlegen. Also los, rückt den Zaster raus, in eurem eigenen Interesse.«

Der Größere mit der Narbe hob den Kopf. Seine flinken Hände hielten kurz inne und er zischelte ein paar unverständliche Worte. Mit wutverzerrtem Gesicht riss er Bob die drei Kassetten aus der Hand.

»Hey, was soll das?« Bob wollte sich nicht einfach überrumpeln lassen, aber da drohte ihm der Karton zu entgleiten.

Und dann war es zu spät – schon hatte der Kerl Bobs Kassetten in seine Schachtel geknallt und packte anderes Zeug obendrauf.

Peter war vor Empörung kaum mehr zu halten. Ihm reichte es. Die Muskeln an seinem Hals strafften sich, als er seine Wut zu bezähmen suchte. Er beugte sich über den Tisch, packte jeden der beiden Gauner bei einem Arm und hielt sie fest.

»Mein … Freund … will … sein … Geld … wieder«, stieß Peter zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Her damit!«

Die zwei Typen sahen mit einem Mal alt aus. Vor Angst wurden sie richtig grün im Gesicht.

Nun war Peter doch überrascht. Für eine Sekunde lockerte er den Schraubstockgriff.

Genau diese Sekunde nutzten die beiden aus. Sie rissen sich los, grapschten die letzten Kassetten, warfen sie in die Schachteln und flüchteten damit zu ihrem Transporter.

Peter flankte über den Verkaufstisch und setzte ihnen nach. Bob und Sax zwängten sich rechts und links am Tisch vorbei und sausten hinterher.

Da ertönte von hinten Gebrüll, und schwere Schritte kamen schnell näher.

In Panik wuchteten die beiden Piraten ihre Schachteln in den Laderaum des Dodge. Der mit der Narbe sah sich noch verstört um und sprintete dann vor zum Fahrersitz. Der Kleinere knallte hinten die Schiebetür zu.

Gerade als Peter bei dem Wagen ankam, hechteten zwei andere Kerle über den Verkaufstisch – auch sie machten Jagd auf die Piraten.

Der vordere war ein blonder Mann mit auffällig großen Füßen, buschigen Augenbrauen und frechem, kaltschnäuzigem Gesichtsausdruck. Er stieß erst Sax, dann Peter grob zur Seite.

Der zweite war auch Asiat wie die beiden Piraten. Das schmale Gesicht war verkniffen und die dunklen Augen funkelten vor Zorn. Der Blonde zerrte den kleineren der Piraten vom Heck des Transporters weg und schlug ihm brutal ins Gesicht, sodass er zu Boden ging. Mit ein paar Sätzen war der Mann vorn beim Fahrersitz. Er packte den Piraten mit dem Narbengesicht an der Kehle und zerrte ihn vom Sitz. Schwungvoll landeten beide vor der Wagentür auf dem Boden. Der andere Pirat hatte sich mittlerweile hochgerappelt. Doch nun verpasste ihm der asiatische Begleiter des Angreifers den nächsten Faustschlag und brüllte ihn wütend an in einer Sprache, die Bob nach wie vor nicht einordnen konnte. Der kleine Ganove schwieg verstockt. Er duckte sich und wand sich und versuchte zu entwischen.

Peter, Bob und Sax sahen einander verdutzt an.

»Und was soll das Ganze?«, meinte Sax.

»Null Ahnung«, sagte Peter.

»Unglaublich«, musste Bob zugeben. »Wenn Justus hier wäre, würde er die Sache glatt zu einem neuen Fall für die drei Fragezeichen erklären.«

Immer noch prügelten die vier Männer knurrend und stöhnend aufeinander ein – die beiden betrügerischen Markthändler gegen das Paar der Angreifer. Peter juckte es, dazwischenzugehen. Doch auf welche Seite sollte er sich schlagen?

»Sax …« fing Peter an.

»Lass mal, du.« Sax verschränkte die Arme. »Momentan blick ich da nicht durch.«

Ringsum sammelten sich Neugierige. Für die beiden Piraten sah es schlecht aus. Da plötzlich brach der Größere aus, in einem kopflosen Fluchtversuch. In vollem Lauf drehte er den Kopf nach dem Blonden um, der ihm hinterherjagte.

Bob sah den stämmigen Kerl blindlings heranschießen und wollte sich durch einen Sprung zur Seite retten. Doch zu spät – der Pirat prallte hart gegen den Jungen, taumelte zurück und stolperte gehetzt wieder in Richtung Auto, den Verfolger dicht hinter sich.

Bob schlug der Länge nach hin. Sein Karton sauste schräg zu Boden und schlitterte schwungvoll noch weiter, bis kurz vor den nächsten Marktstand. Sein Kopf krachte gegen etwas Hartes. Es tat irrsinnig weh. Bob sah flimmernde Sterne, dann wurde ihm schwarz vor den Augen.

Die Hula Whoops kommen

»Bob! Hey, Bob!«

Benommen hob Bob den Kopf. Er sah Peter und Sax an seiner Seite hingekauert und … gleich daneben … einen Kerl, der sich seinen Karton voller Schulsachen schnappen wollte! Es war der kleinere Pirat. Und der Bursche … der hob ja ab! Mitsamt dem Karton schwebte er einen halben Meter über dem Boden!

Das war doch irre. Bob versuchte aufzustehen. Aber seine Arme und Beine wogen Zentner. Je zehn Zentner. Er schloss die Augen.

»Bob!« Peter beugte sich zu ihm herunter und rief ihn immer wieder an.

»Hey, Junge!«, stieß Sax hervor. »Ist dir was passiert?«

Bob lag platt auf der Erde. Neben seinem Kopf stand ein stählerner Werkzeugkasten aus dem Sortiment des Eisenwarenhändlers von nebenan.

Bob stöhnte laut und versuchte sich erneut hochzurappeln. Peter hielt ihn zurück.

»Lass das lieber«, riet Sax. »Wart noch ab, bis du wieder ganz da bist.«

»Prügeln die sich immer noch?«, wollte Bob wissen. Er öffnete die Augen und betastete die Beule an seinem Schädel. »Auuuaa!« Sonst war er gewiss nicht auf den Kopf gefallen – und nun musste ihm ausgerechnet das passieren.

»Schau doch rüber«, sagte Sax.

Langsam drehte Bob den Kopf. »Ja, jetzt seh ich wieder klar«, sagte er erleichtert. Es flimmerte ihm nicht mehr vor den Augen und niemand schwebte mehr über dem Boden. Deutlich sah er all die Zuschauer, die sich um den Kampfplatz geschart hatten. Von dort waren noch immer dumpfe Schläge und wütendes Knurren zu hören.

Gerade schnappte sich der Pirat mit der Narbe einen schweren Schraubenschlüssel aus dem Laderaum des Transporters. Den rammte er dem Blonden in die Magengrube.

Der Kerl stöhnte vor Schmerz auf und krümmte sich vornüber. Der Pirat setzte blitzschnell noch einen Kinnhaken nach, sauste los zum Fahrersitz und klemmte sich hinters Lenkrad. Schon sprang der Motor an.

Das gab dem anderen Piraten Auftrieb. Er landete bei seinem asiatischen Rivalen einen letzten kräftigen Fußtritt und konnte sich dann losreißen. Er wieselte zur Beifahrertür und hechtete auf den Sitz. Ruckartig fuhr der Wagen an und eine dicke Staubwolke wirbelte auf.

In verzweifelter Wut machte der überrumpelte Gegner noch einen Satz nach vorn und hätte ums Haar den Türgriff am Heck zu fassen bekommen. Doch seine Finger rutschten ab. Er wurde zurückgeschleudert und sank in die Knie.

Mühsam kam der Blonde wieder auf die Füße zu stehen. Aus und vorbei – weder er noch sein Komplize konnten den blauen Transporter aufhalten. In blinder Wut trat er mit dem Fuß gegen einen Verkaufstisch. Der Fahrer des Wagens steuerte eine Lücke im Kreis der Zuschauer an und brauste davon.

Der Blonde riss seinen Begleiter an der Schulter zu sich her und zischte ihm etwas ins Ohr. Der Kleinere wand sich angstvoll und schüttelte den Kopf. Wieder fauchte ihn der Blonde an, stieß ihn dann brutal zur Seite und tauchte in der Menge unter.

Der Asiat sah ihm hilflos und entsetzt nach. Dann verdrückte er sich in entgegengesetzter Richtung.

»Meine fünf Dollar sind flöten«, stellte Bob fest.

»Wow!«, machte Peter. »Um was ging’s denn nun?«

»Ist dir nicht auch was aufgefallen, als ich die Kassetten kaufte?«, fragte ihn Bob. »Dieser Bursche, der Händler, war doch ständig am Lauern. Der hatte Muffe vor irgendwas – oder irgendwem.«

»Meinst du, der wusste, dass die beiden anderen auch auf dem Markt waren?«, fragte Peter.

»Mindestens hatte er das zu befürchten, denke ich. Vielleicht tauchte deshalb der zweite Pirat erst später auf – der hielt zunächst mal unterm Volk Umschau.«

Peter nickte bedächtig. »Leuchtet mir ein.«

Bob befingerte vorsichtig die Beule an seinem Hinterkopf. Nun wollte er aber endgültig wieder auf die Beine kommen. Sax und Peter halfen ihm dabei.

»Schön langsam, du versäumst nichts mehr«, meinte Peter trocken.

»Jedenfalls ist heute nicht noch mal ’ne Schlägerei für mich drin«, sagte Bob. »Ich bin doch später mit Jana verabredet.«

Peter grinste. Er war heilfroh, dass sein Freund wieder Flagge zeigte. »Vergiss deinen Kram nicht«, sagte er noch. Er trat zu dem Karton, hob ihn vom Boden auf und hielt ihn Bob hin.

Bob nickte. »Alles klar.«