Cover.jpg

OLIVER CHAMA

STUDIENFÜHRER

Juristische Grundlagenfehler

VORWORT

Dieses Buch ersetzt weder die Lektüre guter Lehrbücher noch den Besuch universitärer Lehrveranstaltungen. Es ergänzt jedoch beides und bietet im Rahmen der juristischen Ausbildung von Anfang bis Ende einen Ratgeber für sämtliche Klausuren und Hausarbeiten im Pflichtfachbereich. Nicht nur enthält dieses Buch eine systematisch geordnete Zusammenstellung typischer Fehler in juristischen Klausuren. Dem Leser soll zugleich das Verständnis dafür vermittelt werden, warum etwas falsch ist und wie schwer der jeweilige Fehler wiegt. Dieses Buch kann in jeder Phase der juristischen Ausbildung – vom ersten Semester bis zum Ende des Referendariats – gewinnbringend gelesen werden.

Grundlage dieses Buches ist meine jahrelange Erfahrung als Prüfer und Korrektor an verschiedenen juristischen Fakultäten im Freistaat Bayern. Nachdem ich über 30.000 Klausuren und Hausarbeiten korrigiert und bewertet habe, weiß ich die methodischen und inhaltlichen Probleme, die sich den Bearbeitern1 von juristischen Klausuren stellen, einzuschätzen. Ca. neunzig Prozent aller Fehler in Klausuren und Hausarbeiten wiederholen sich immer und immer wieder. Dieses Buch schließt eine Lücke in der umfassenden juristischen Ausbildungsliteratur, denn es zeigt diese und weitere Fehler auf und kann daher jeder guten Klausurvorbereitung den »letzten Schliff« geben.

Der Leser soll nicht sämtliche Fehler bzw. die entsprechenden korrekten Ausführungen auswendig lernen. Im Laufe seiner juristischen Ausbildung sollte der Leser aber sämtliche Fehlerquellen kennengelernt und so die nötige Sensibilität zur Vermeidung derartiger Fehler gewonnen haben. Aus Fehlern lernt man sehr viel. Entweder muss man dazu diese Fehler in der Klausur selbst machen und damit aus eigener Erfahrung lernen. Oder man lernt das Gleiche mit deutlich weniger Frustpotenzial aus fremder Erfahrung mit diesem Buch.

Da es sich um einen Praxisratgeber handelt, der unmittelbar auf entsprechender Berufserfahrung gründet, wurde bewusst auf einen wissenschaftlichen Fußnotenapparat verzichtet.

Ich danke meiner Frau Alexandra, von der nicht nur die Grundidee für dieses Werk stammt, sondern die mich auch beim Schreiben stets mit inhaltlichen Ideen und konstruktiver Kritik unterstützt und geduldig auf die gemeinsame Freizeit verzichtet hat.

Auch ein Buch über Fehler ist nicht frei von solchen. Für Anregungen und Kritik seitens der Leserschaft, die Sie an chama@juristischegrundlagen.de schicken, bin ich sehr dankbar.

Weitere Beispiele juristischer Grundlagenfehler und misslungener Klausurformulierungen sind auf https://www.facebook.com/JuristischeGrundlagenfehler zu finden.

München im Juli 2015 Oliver Chama

1 Ausschließlich im Sinne der besseren Lesbarkeit wird im Folgenden stets nur die männliche Form gewählt.

TEIL 1

DIE BEARBEITUNG UND KORREKTUR JURISTISCHER KLAUSUREN

1. KAPITEL: DIE ARBEIT MIT DEM SACHVERHALT

Juristische Klausuren sind bis einschließlich zum ersten Staatsexamen in ihrer Aufgabenstellung nahezu immer gleich. Man hat ein Gutachten über einen Sachverhalt zu erstellen. Der Gutachtenauftrag lautet bei Klausuren aus dem Strafrecht immer auf die Untersuchung der Strafbarkeit einer oder mehrerer Personen aus dem gestellten Sachverhalt. Bei Klausuren aus dem Öffentlichen Recht ist zu prüfen, ob der Staat bzw. eine andere Gebietskörperschaft des öffentlichen Rechts rechtmäßig gehandelt haben. Bei Gutachten aus dem Zivilrecht ist schließlich die Frage zu beantworten, ob eine Person gegen eine andere Person einen Anspruch auf eine bestimmte oder vom Gutachter noch zu bestimmende Leistung hat. Das Prinzip ist immer das gleiche, aber die Sachverhalte variieren in Umfang, Komplexität und Thematik sehr stark. Es gibt Sachverhalte, die nur ein einziges juristisches Thema vertieft abprüfen (eher selten), und es gibt Sachverhalte, in denen zahlreiche völlig verschiedene juristische Fragestellungen aufgeworfen werden, die allesamt mehr oder weniger vertieft behandelt werden müssen.

Die erste Schwierigkeit in einer juristischen Klausur besteht darin, den Sachverhalt zu erfassen. Der Sachverhalt enthält oftmals eine Vielzahl von einzelnen Handlungsabläufen, oft auch zahlreiche Kalenderdaten. Der erste Arbeitsschritt, den der Prüfungskandidat zu erbringen hat, ist die Erfassung des Sachverhalts in all seinen Details. Man muss wissen, was wann wie und warum passiert ist, um den Sachverhalt rechtlich vertretbar bewerten zu können. Wird ein Detail übersehen, kann dies dazu führen, dass das aufwendig erarbeitete Ergebnis nicht mehr vertretbar ist.

Die erste notenrelevante Leistung bei der Bearbeitung juristischer Klausuren erbringt der Prüfungskandidat also mit der Erfassung des Sachverhalts. Man mag der Auffassung sein, die Erfassung des Sachverhalts sei lästig und koste viel Zeit. Sich mit dem Sachverhalt »herumzuärgern«, sei doch keine juristische Tätigkeit und man studiere Jura, um das Gesetz verstehen zu lernen. In Wahrheit ist die Erfassung des Sachverhalts eine für Juristen sehr alltägliche Aufgabe. Egal ob man als Rechtsanwalt, Staatsanwalt, Richter oder Notar arbeitet. Man muss tagtäglich Sachverhalte erfassen, bevor man zur »eigentlichen« juristischen Arbeit kommt. In der Praxis kommt erschwerend hinzu, dass nicht immer »fertige« Sachverhalte zu erfassen sind. Sofern man nicht bereits das Berufsziel »Revisionsrichter« erreicht hat, muss oftmals zunächst der Sachverhalt vollständig ermittelt werden. Es ist deshalb enorm wichtig, bereits in der juristischen Ausbildung den Umgang mit komplexen Sachverhalten zu lernen. So erlernt und übt man auch, Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden. Ohne diese Fähigkeit kann man keinen juristischen Beruf vernünftig oder gar erfolgreich ausüben.

Das Erfassen des Sachverhalts »kostet« in Wahrheit keine Zeit. Die für die Erfassung des Sachverhalts aufgewendete Zeit stellt eine Investition in eine gute Note dar. Je gründlicher und intensiver der Sachverhalt erfasst wurde, desto besser wird das Gutachten sein, das der Prüfungskandidat verfasst. Die Sachverhaltserfassung stellt eine eigenständige Prüfungsleistung dar. Allein für sie müsste der Korrektor bis zu neun Punkte geben. Das Problem ist, dass der Korrektor nicht ohne Weiteres sehen kann, wie gut der Klausurkandidat den Sachverhalt erfasst hat, sondern dies anhand des vom Prüfungskandidaten verfassten Gutachtens beurteilen muss. Je mehr Umstände und Details aus dem Sachverhalt sich in der Subsumtion wiederfinden, desto besser wurde der Sachverhalt erfasst und ausgewertet. Die Benotung muss dem Rechnung tragen. Umgekehrt wirkt es sich regelmäßig äußerst negativ auf die Benotung aus, wenn aus dem Gutachten ersichtlich ist, dass eigentlich nur abstrakte Ausführungen zu bestimmten Rechtsfragen vorhanden sind, ohne dass eine hinreichende Sachverhaltsauswertung vorgenommen wurde. Oftmals lesen sich in Klausuren verfasste Gutachten, als hätten ihre Verfasser den Sachverhalt lediglich als Anlass oder als günstige Gelegenheit genommen, bestimmte Rechtsfragen abstrakt zu erörtern, anstatt – entsprechend ihrer Aufgabe – den Sachverhalt zu begutachten. Ein guter Jurist zeichnet sich jedoch nicht dadurch aus, dass er das Recht versteht und insoweit über viel Fachwissen verfügt. Erforderlich ist die Fähigkeit, das Recht mit Verständnis auf einen Lebenssachverhalt anzuwenden. Zu diesem Zweck werden Gesetze geschaffen.

Der Sachverhalt gibt den Schwierigkeitsgrad der Klausur vor. Ein Sachverhalt, in dem es um Kreditsicherungsrecht geht, ist nicht unbedingt schwieriger zu begutachten als ein Sachverhalt, in dem es um Fragen des Kaufrechts geht. Denn Kreditsicherungsrecht ist abstrakt gesehen nicht schwieriger als Kaufrecht. Der Gesetzgeber hat auch nicht bewusst bestimmte Rechtsmaterien schwieriger gestaltet als andere, um in juristischen Klausuren eine Differenzierung im Schwierigkeitsgrad zu ermöglichen. Eine schwierige Klausur zeichnet sich daher nicht durch ihre Thematik aus, sondern durch die Komplexität des zur Begutachtung gestellten Sachverhalts.

Da die Erfassung des Sachverhalts die erste Prüfungsleistung ist, können hier auch die ersten Fehler passieren. Regelmäßig sind dies die schlimmsten. Wenn etwa der Sachverhalt dem Klausurkandidaten nicht »liegt«, besteht die Gefahr, dass er ihn beim Verfassen des Gutachtens nicht ausreichend beachtet. Im Extremfall kann dann das gesamte Gutachten als »Themaverfehlung« unbrauchbar sein. Wenn etwa in einer Klausur aus dem Öffentlichen Recht nach der Verfassungsmäßigkeit eines bestimmten Gesetzes gefragt wird, im Sachverhalt aber weit und breit nirgendwo die Rede davon ist, dass zur Prüfung dieses Gesetzes eine abstrakte Normenkontrolle beim Bundesverfassungsgericht eingeleitet wurde, so stellt es einen katastrophalen Fehler dar, im Gutachten die Erfolgsaussichten der abstrakten Normenkontrolle zu prüfen. Selbst wenn der Korrektor diese »Zusatzausführungen« nicht negativ in seine Bewertung einfließen lassen sollte, so schadet sich der Prüfungskandidat zumindest dadurch enorm, dass er viel kostbare Zeit auf etwas verwendet, was überhaupt nicht gefragt ist. Im Bestfall sind solche Ausführungen »am Thema vorbei« für die Benotung nichts wert. Die meisten Korrektoren werden darüber hinausgehend aber sogar einen spürbaren Punktabzug vornehmen, weil die erste Prüfungsleistung – die Sachverhaltserfassung – offenbar misslungen ist, wenn etwas geprüft und erörtert wird, was laut Sachverhalt aber gar nicht passiert ist.

Es gibt auch Rechtsfragen, die der Sachverhalt zwar aufwirft, die jedoch durch den Bearbeitervermerk ausdrücklich von der Prüfung ausgenommen werden. Dies kann dadurch geschehen, dass ein bestimmtes Ergebnis zu unterstellen ist (z. B. »Die formelle Verfassungsmäßigkeit ist als gegeben anzusehen.«), oder dadurch, dass bestimmte Rechtsfragen schlicht nicht erörtert werden sollen (z. B. »Eine Strafbarkeit nach § 239a, § 239b StGB ist nicht zu prüfen.«). Auch in einem solchen Fall wird die Qualität eines Gutachtens erheblich gemindert, wenn unter Verstoß gegen die Anweisung im Bearbeitervermerk etwas untersucht wird, was nicht zu untersuchen ist.

2. KAPITEL: BEWERTUNGSKRITERIEN JURISTISCHER KLAUSUREN

Die Bewertung juristischer Klausuren beruht in der Regel auf drei elementaren Kriterien: Inhalt, Aufbau und Stil.

Inhaltlich muss eine Klausur erkennen lassen, dass ihr Verfasser sich mit dem Sachverhalt und den sich daraus ergebenen Rechtsfragen auseinandergesetzt und dabei das Recht mit Verständnis angewendet hat. Eine inhaltlich gelungene Klausur zeichnet sich auch dadurch aus, dass sie nicht nur die bloße Behauptung von Rechtsfolgen enthält, sondern solche Behauptungen auch begründet werden. Dabei steigen die Anforderungen an die Qualität der Begründung mit der Bedeutung der jeweiligen Rechtsfrage für den konkreten Sachverhalt. Je wichtiger, d. h. entscheidender für die Beurteilung des jeweiligen Sachverhalts, eine bestimmte Rechtsfrage ist, desto umfassender und vertiefter muss die argumentative Auseinandersetzung mit dieser Rechtsfrage erfolgen. Umgekehrt zeigt der Bearbeiter mit einer Kurzbegründung bei weniger relevanten Rechtsfragen auch, dass er Wesentliches von Unwesentlichem unterscheiden kann. Eine gelungene Schwerpunktsetzung ist ebenfalls ein wichtiges Kriterium für die inhaltliche Qualität einer Klausur. Wenn zu einer wichtigen Rechtsfrage viel geschrieben wird, kann es sein, dass das Geschriebene zwar inhaltlich nicht überzeugend ist, der Verfasser aber immerhin erkannt hat, dass das Problem so wichtig ist, dass ihm im Gutachten eine entsprechende Bedeutung beizumessen ist. Dies hat der Korrektor bei der Bewertung der Arbeit unbedingt zu berücksichtigen.

Der Aufbau einer Klausur muss zumindest nachvollziehbar sein. Regelmäßig setzt dies einen Aufbau entsprechend der gesetzlichen Systematik voraus. Wichtig ist vor allem, dass sich der Aufbau immer selbst erklärt. Ein Aufbau, der vom Klausurverfasser im Gutachten erklärt wird, dürfte misslungen sein. Das Bewertungskriterium »Aufbau« ist untrennbar mit dem Inhalt der Arbeit verbunden. Die Qualität des Inhalts wird oft durch die Qualität des Aufbaus beeinflusst. Dies zeigt sich insbesondere daran, dass Klausuren häufig inhaltlich richtige Ausführungen enthalten, diese aber im Aufbau völlig falsch verortet werden. Die Verortung an der falschen Stelle kann im Extremfall dazu führen, dass die inhaltlich an sich gelungenen Ausführungen völlig entwertet werden. Der Aufbau kann so gewissermaßen den Inhalt zerstören. Dies dürfte vor allem dann der Fall sein, wenn der falsche Aufbau zeigt, dass der Klausurverfasser den Sinn und die Bedeutung seiner Ausführungen und die zugrunde liegende Gesetzessystematik selbst nicht verstanden hat.

Der Stil der Klausur muss den Anforderungen an ein juristisches Gutachten entsprechen. Der Gutachtenstil zeichnet sich dadurch aus, dass zunächst eine Hypothese aufgestellt wird. Dann wird festgelegt, an welchen Kriterien sich die Richtigkeit dieser Hypothese messen lassen muss (Gesetz oder Definition). Anschließend erfolgt die Subsumtion. Diese ist der gehaltvollste Teil der Prüfung, denn hier wird der Sachverhalt anhand des oben genannten Kriteriums überprüft und festgestellt, ob er das Kriterium erfüllt oder nicht. Abschließend erfolgt die Konklusion, also die Feststellung, ob die Subsumtion im Ergebnis zur Verifizierung der Hypothese geführt hat oder nicht. Nicht bei allen Aspekten des Falles ist eine derartige Prüfung im Gutachtenstil geboten. Bei weniger problematischen Aspekten ist eine Prüfung im Urteilsstil angezeigt. Hierbei wird zuerst das Ergebnis behauptet. Dann wird dieses Ergebnis begründet, indem gezeigt wird, dass der Sachverhalt sich unter das Gesetz bzw. eine Definition subsumieren lässt. Irrelevante oder völlig unproblematische Aspekte sind im sogenannten »Feststellungsstil« lediglich kurz begründet festzustellen. Unbedingt zu vermeiden ist stets der sogenannte »Märchenstil«. Dieser zeichnet sich dadurch aus, dass lediglich der Sachverhalt nacherzählt wird und zwischendurch Gesetzeszitate oder einzelne rechtliche Wertungen einfließen. An manchen juristischen Fakultäten wird von den Studierenden in den ersten Semestern erwartet, dass sie immer und ohne Ausnahme ihre gesamte Klausur im Gutachtenstil schreiben. Auch völlig unproblematische Aspekte sollen demnach gutachtlich geprüft werden. Diese Praxis ist jedoch äußerst bedenklich, denn so erlernt der Studierende gleich zu Beginn seiner Ausbildung etwas als richtig, das ihm spätestens nach der Zwischenprüfung von den Korrektoren als falsch angelastet werden wird, nämlich die blinde Anwendung des Gutachtenstils auch bei unproblematischen Aspekten. Ein solches Vorgehen zeugt nicht davon, dass der Verfasser Wesentliches von Unwesentlichem unterschieden kann, denn diese Fähigkeit zeigt sich vor allem daran, dass man sich bei unproblematischen Aspekten kurz fasst. Der Gutachtenstil lässt aber ein Sich-kurz-Fassen kaum zu. Daher ist auch Studierenden in den ersten Semestern dringend zu raten, so früh wie möglich zu lernen, zwischen Gutachten- und Urteilsstil zu wechseln und diese Fähigkeit auch in den Klausuren anzuwenden.

3. KAPITEL: WAS IST EIN FEHLER UND WAS NUR NICHT VERTRETBAR?

Als Korrektor sieht man sich immer wieder mit Klausurausführungen konfrontiert, die nicht dem entsprechen, was man selbst aufgrund der »Musterlösung« und der eigenen juristischen Ausbildung und Erfahrung für richtig hält. Dann stellt sich die Frage, ob ein echter Fehler vorliegt oder ob es sich »nur« um Ausführungen handelt, die nicht vertretbar sind. Ein Fehler wiegt regelmäßig schwerer als eine Behauptung, die lediglich nicht vertretbar ist. Um diese beiden Kategorien zu unterscheiden, muss zunächst zwischen gesetzesbezogenen Ausführungen und sachverhaltsbezogenen Ausführungen unterschieden werden.

Sachverhaltsbezogene Ausführungen sind solche, die sich im Gutachten auf der Subsumtionsebene finden. Wenn geprüft wird, ob eine Sache fremd im Sinne von § 242 StGB ist, muss hierzu die entsprechende Sachverhaltsinformation über die Eigentumslage (bspw. »das Buch des A«) herangezogen werden. Wenn insoweit eine Information subsumiert wird, die so im Sachverhalt gar nicht gegeben wird (»das Buch des B«), liegt ein Fehler bei der Sachverhaltsanwendung vor. Solche Fehler wiegen regelmäßig schwer, weil der Prüfer als Grundvoraussetzung für das Gelingen einer Klausur von deren Bearbeitern verlangen darf, dass diese den Sachverhalt richtig lesen und nichts subsumieren, was (so) im Sachverhalt nicht steht. Nur sehr selten sind Sachverhalte vom Aufgabensteller so schlecht konzipiert, dass dem Klausurbearbeiter ein Interpretationsspielraum bleibt, innerhalb dessen er dann den Sachverhalt nach seinem Ermessen strecken und stauchen kann, um entsprechendes Subsumtionsmaterial zu gewinnen. Nur insoweit kann es zu der Frage kommen, ob eine entsprechende Sachverhaltsdeutung vertretbar ist oder nicht. Bei gut gestellten (»klaren«) Sachverhalten stellt sich diese Frage nicht.

Bei gesetzesbezogenen Ausführungen liegt ein Fehler dann vor, wenn Ausführungen nicht mit dem Gesetz vereinbar sind. Die Frage der Vereinbarkeit ist im Einzelfall anhand des Wortlauts, der Systematik, der Entstehungsgeschichte und des Telos des Gesetzes zu beantworten. Wenn beispielsweise ein Klausurbearbeiter behauptet, der Zugang der Willenserklärung beim Minderjährigen nach § 130 Abs. 1 BGB bewirke die Wirksamkeit der Willenserklärung, liegt er falsch. Nach § 131 Abs. 2 BGB erfordert nämlich die Wirksamkeit der Willenserklärung gegenüber einem Minderjährigen den Zugang bei seinem gesetzlichen Vertreter. Hier wurde also das Gesetz verkannt. Die erstgenannte Behauptung ist mit dem Gesetz (§ 131 Abs. 2 BGB) nicht vereinbar und daher falsch.

Anders verhält es sich bspw. mit der Behauptung, Bundespräsident könne man höchstens für zehn Jahre sein. Nach Art. 54 Abs. 2 S. 2 GG ist eine »anschließende« Wiederwahl nach der fünfjährigen Amtszeit nur einmal zulässig. Es spricht vom Wortlaut des Gesetzes her also nichts dagegen, dass jemand als Bundespräsident zehn Jahre im Amt ist, sodann ein anderer Kandidat das Amt übernimmt und schon nach dessen Rücktritt kurze Zeit später der vorherige Kandidat seine insgesamt dritte Amtszeit antritt. Dennoch liegt hier kein Fehler vor, wenn man behauptet, es könne höchstens zwei Amtsperioden mit demselben Amtswalter geben. Denn mit der Feststellung, der Wortlaut des Gesetzes lasse eine dritte Amtszeit des identischen Bundespräsidenten zu, ist es nicht getan. Im Hinblick auf die schlechten Erfahrungen mit dem Reichspräsidenten Hindenburg in der Weimarer Republik kann durchaus angenommen werden, Telos, Systematik und Entstehungsgeschichte des Art. 54 Abs. 2 GG gebieten eine möglichst geringe Machtkontinuität. Dem Wörtchen »anschließende« könne daher keine überragende Bedeutung zukommen. So kann durchaus vertretbar behauptet werden, nach zehn Jahren Amtszeit sei für denselben Kandidaten keine weitere Amtszeit mehr möglich. Dies kann jedenfalls anhand des Gesetzes begründet werden. Wenn die Begründung hierfür argumentativ gestützt und folgerichtig ist, ist diese Auffassung daher durchaus vertretbar. Wenn allerdings schon die Begründung das Gesetz verkennt oder fehlerhaft anwendet, ist diese Begründung falsch und das damit gefundene Ergebnis so nicht vertretbar.

Wer etwa behauptet, eine Strafbarkeit bei Schuldunfähigkeit sei kategorisch ausgeschlossen und die Rechtsfigur der alic (actio libera in causa) sei komplett abzulehnen, bewegt sich zwar gegen die herrschende Meinung, dennoch kann diese Behauptung ohne Weiteres mit dem verfassungsrechtlich fundierten Grundsatz nulla poena sine lege vertretbar begründet werden. Wer dasselbe mit dem Erlaubnistatbestandsirrtum versucht, wird größere Probleme haben. Dessen kategorische Ablehnung in der Klausur folgerichtig zu begründen, dürfte so aufwendig sein, dass es kaum gelingen wird. Dennoch läge kein »echter« Fehler vor, da die Ablehnung des Erlaubnistatbestandsirrtums in Ermangelung einer entsprechenden gesetzlichen Regelung nicht gegen das Gesetz verstoßen dürfte.

Wenn die Begründung argumentativ gestützt ist und folgerichtig das Ergebnis herleitet, darf der Prüfer das Ergebnis keinesfalls als falsch ansehen, selbst wenn die »Musterlösung«, er selbst, das BVerfG und Professor XY es anders sehen als der Klausurbearbeiter.

Die Grenzen zwischen einem Fehler und dem Nichtvertretbaren sind freilich fließend. Je besser die Begründung einer rechtlichen Behauptung ist, desto geringer die Gefahr, dass der Prüfer von einem Fehler ausgehen kann.

4. KAPITEL: BEURTEILUNGSSPIELRAUM UND ERMESSEN DES PRÜFERS

Der Prüfer bzw. Korrektor hat einen Beurteilungsspielraum dahingehend, was er als falsch oder richtig, als vertretbar bzw. nicht vertretbar ansieht. Jedoch wird dieser Beurteilungsspielraum eingeschränkt. Soweit bspw. Korrekturanweisungen oder die »Musterlösung« des Aufgabenstellers anordnen, dass bestimmte Ausführungen nicht als falsch gewertet werden dürfen, so wird dadurch der Beurteilungsspielraum des Korrektors zumindest faktisch beschränkt.

Es liegt außerdem im Ermessen des Prüfers bzw. Korrektors, wie schwer bestimmte Fehler oder unvertretbare Ausführungen bei der Notengebung wiegen und welche Note er insgesamt unter Berücksichtigung aller Vorzüge und Defizite der Bearbeitung für angemessen hält. Insoweit ist er völlig frei und eine darauf bezogene Remonstration kann nur bei Ermessensfehlern Erfolg haben.

Zusammenfassend hat der Prüfer also einen Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Frage, was falsch oder richtig bzw. vertretbar oder nicht vertretbar ist. Wenn ein Prüfungskandidat gegen die Korrektur remonstrieren will, sollte er sich auf diesen Bereich konzentrieren. Bei der Gewichtung der Mängel und Vorzüge der Klausur hat der Prüfer ein Ermessen, dessen Ausübung im Wege der Remonstration nur auf Ermessensfehler hin überprüft werden kann. Entsprechende Remonstrationen haben so gut wie nie Aussicht auf Erfolg.

TEIL 2

GRUNDLAGENFEH­LER UND SONSTIGE MÄNGEL IN JURISTISCHEN KLAUSUREN

5. KAPITEL: HINWEISE

Im Folgenden werden die häufigsten Fehler (jeweils in Kursivdruck) aus den einzelnen Rechtsgebieten aufgelistet und erklärt. Die Sortierung orientiert sich im Zivilecht und im Strafrecht nach der Reihenfolge der betroffenen Vorschriften im Gesetz. Im Zivilrecht wurden jedoch Fehler aus den sogenannten »Nebengebieten« im Anschluss an den »Kernbereich« eingeordnet. Im Öffentlichen Recht wird zwischen Verwaltungsrecht und Staatsrecht differenziert. Innerhalb dieser beiden Blöcke werden die Fehler im Wesentlichen so aufgeführt, wie sie in der Klausur im Aufbau auftreten können. Dabei wird von einer Klausur ausgegangen, bei der die Zulässigkeit und Begründetheit eines Rechtsbehelfs zu prüfen ist.

Jeder Fehler hat eingangs einen, zwei oder drei Sterne erhalten. Ein Stern bedeutet, dass es sich um einen erheblichen, d. h. sich in der Bewertung regelmäßig auswirkenden, jedoch nicht um einen gravierenden Mangel handelt. Zwei Sterne erhält ein Fehler, der als gravierend den Wert der Klausurbearbeitung deutlich mindert. Ein Fehler erhält drei Sterne, wenn es sich um einen echten Grundlagenfehler handelt, also um einen solchen, bei dem nur ausnahmsweise noch von einer ausreichenden Leistung ausgegangen werden kann. Diese Gewichtung beruht nicht allein auf dem Ermessen des Autors, sondern auch auf Erfahrungswerten hinsichtlich der Arbeitsweise anderer Korrekturassistenten und Prüfer. Letztlich handelt es sich aber notwendigerweise um eine subjektiv determinierte Bewertung.

Empfohlen wird, die Fehler durchzulesen und zunächst selbständig zu überlegen, was genau an den wiedergegebenen Ausführungen falsch ist. Erst im Anschluss sollte die entsprechende Erklärung gelesen werden.

Die sich an die einzelnen Abschnitte anschließenden Testfragen und Fälle dienen der Verständniskontrolle und Ergänzung für häufig auftretende Klausurfragen.

6. KAPITEL: ALLGEMEINE STILISTISCHE FEHLER

Fehler Nr. 1*

»Möglicherweise könnte A gegen B einen Anspruch auf Kaufpreiszahlung haben.«

Derartige Doppelhypothesen (»möglicherweise könnte«) sind zu vermeiden. Richtig schreibt man »Möglicherweise hat A gegen B einen Anspruch ...« oder »A könnte gegen B einen Anspruch auf ... haben«.

Fehler Nr. 2*

»Problematisch könnte aber sein, dass ...«

Entweder etwas ist problematisch und damit erörterungsbedürftig. Oder etwas ist unproblematisch und damit nicht erörterungsbedürftig. Es kann nicht sein, dass man im juristischen Gutachten erst prüfen und erörtern muss, ob etwas überhaupt problematisch ist, und bejahendenfalls dann das Problem als solches erörtert.

Fehler Nr. 3**

»Daher ist der Anspruch wohl gegeben.«

Mit einem derartigen Satz verweigert der Prüfungskandidat die ihm obliegende Arbeit. Eine Klausuraufgabe im Jurastudium besteht in der Regel darin, Rechtsfragen gutachtlich zu klären. Am Schluss muss zwingend ein klares Ergebnis stehen. Jede Relativierung dieser Klarheit durch Unsicherheitsfloskeln wie »wohl«, »scheinbar« etc. sind unbedingt zu vermeiden.

Fehler Nr. 4**

»Außerdem müsste ein Schuldverhältnis vorliegen. Dies ist hier der Fall.«

Wenn etwas so offensichtlich ist, dass man es mit einem schroffen »Dies ist hier der Fall« abtun kann, welchen Sinn soll dann der vorangegangene Obersatz haben? Der Obersatz suggeriert, dass im Folgenden etwas geprüft wird. Im Folgenden wird aber nichts geprüft, es wird nur etwas festgestellt, was anscheinend so offensichtlich ist, dass es nicht einmal begründet werden muss. Bei völlig unproblematischen Aspekten ist diese Mischung aus Gutachten- und Feststellungsstil unangebracht. Daher ist sofort im Feststellungsstil zu formulieren: »Ein Schuldverhältnis liegt vor.« In Klausuren ist jedoch fast nichts so unproblematisch, dass man es nicht begründen muss. Ratsam ist daher immer eine zumindest kurze Begründung für jede rechtlich relevante Behauptung.

Fehler Nr. 5*

»Fraglich ist, ob das Buch eine Sache ist ... Fraglich ist, ob das Buch eine bewegliche Sache ist ... Fraglich ist, ob das Buch für A fremd ist ...«

Es gibt eigentlich keine Klausur, bei der wirklich alles fraglich ist. Es gibt aber Gutachten, die alles als fraglich bezeichnen. Wenn tatsächlich doch alles fraglich sein sollte, so wäre es im Sinne der sprachlichen Abwechslung und damit auch im Hinblick auf die sprachliche Überzeugungskraft geboten, hin und wieder eine andere Wendung zur Formulierung der Hypothesen zu wählen.