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Uwe Rechberger

Willkommen im Himmel

Was kommt nach dem Tod?

Uwe Rechberger

Willkommen

im Himmel

Was kommt nach dem Tod?

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Bestell-Nr. 395.193

ISBN 978-3-7751-7018-5 (E-Book)

ISBN 978-3-7751-5193-1 (lieferbare Buchausgabe)

Datenkonvertierung E-Book:

Fischer, Knoblauch & Co. Medienproduktionsgesellschaft mbH, 80801 München

© Copyright der deutschen Ausgabe 2010 by SCM Hänssler im SCM-Verlag GmbH & Co. KG · 71088 Holzgerlingen

Internet: www.scm-haenssler.de

E-Mail: info@scm-haenssler.de

Umschlaggestaltung: krausswerbeagentur.de, Herrenberg

Titelbild: istockphoto.com

Bild auf Seite 21:

Rembrandt, Harmensz van Rijn; 1606-1669

»Die Heimkehr des verlorenen Sohnes«, 1668/69

Öl auf Leinwand, 262 x 206 cm

St. Petersburg, Staatliche Ermitage

Foto: akg-images/Andre Held

Bild auf Seite 40:

© Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Othmar Keel, Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament. Am Beispiel der Psalmen, Göttingen 1996, S. 61 Abb. 78.

Satz: typoscript GmbH, Kirchentellinsfurt

Druck und Bindung: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm

Printed in Germany

Die Bibelverse sind folgender Ausgabe entnommen: Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.

Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit, Bd. 5: Apokalypsen, H. Lichtenberger (Hg.), Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 1974/1076/1980/1981/1982/1984/1995/1998/2003.

Meinen Eltern

Horst und Renate Rechberger

Anstelle eines Vorworts …

Liebe Leserin, lieber Leser,

weshalb dieses Buch?

Zunächst gaben zwei äußerliche Anlässe den Anstoß dazu: vor allem der theologische Turm-Treff des AlbrechtBengel-Hauses am 23. Januar 2010 zu eben diesem Thema, daneben aber auch eine Reihe von Anfragen im Lauf der vergangenen Jahre. Diese beiden äußerlichen Gründe für das vorliegende Buch sind natürlich inhaltlich motiviert und damit auch dieses Buch selbst: Das Thema ist dran und es bleibt bis zur Wiederkunft unseres Herrn dran.

Die Heimkehr des Menschen in Gottes Ewigkeit ist nicht nur ein frommer Wunsch, sondern die Mitte unseres christlichen Glaubens, das Zentrum der biblischen Botschaft und das Ziel der Heilsgeschichte Gottes mit uns Menschen.

Doch, wenn alles nur so einfach wäre. Wie kommt man in den Himmel? Warum müssen wir überhaupt sterben? Wie ist das mit dem »Jüngsten Gericht«? Gibt es einen »doppelten Ausgang« dieses Gerichts, also neben dem Himmel auch die Hölle? Oder schenkt Gott einmal eine »Allversöhnung«? Was dürfen wir von der himmlischen Ewigkeit erwarten, außer dass sie zeitlos sein wird? Sehen wir in der Ewigkeit unsere Lieben wieder? Und wo sind unsere Toten jetzt?

Fragen über Fragen, die mit diesem Thema einhergehen und die nach Antworten verlangen. Jeder Mensch, unabhängig von seiner Religionszugehörigkeit, würde gerne durch das Nadelöhr des Todes blicken, um wenigstens etwas von dem zu erspähen, was uns jenseits des Todes erwartet.

Der Blick durch das Nadelöhr des Todes ist uns nicht vergönnt, auch nicht als Christen. Ob er tatsächlich Konsequenzen für unser Leben hätte, sei dahingestellt, nachdem Jesus in seinem Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus (Lukas 16,19-31) sogar der Meinung ist, dass wir uns nicht einmal belehren ließen, wenn jemand von den Toten auferstünde:

»Hören sie Mose und die Propheten nicht, so werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn jemand von den Toten auferstünde.«

Lukas 16,31

Heute haben wir nicht nur Mose und die Propheten, sondern die ganze Heilige Schrift. Sie sollen wir hören. Sie ist es, mit der Gott uns einlädt. Und sie ist es, die Licht ins Dunkel der Welt- und Philosophiegeschichte bringt, und uns in Gottes Heilsgeschichte hineinnimmt.

Bevor mit der Wiederkunft von Jesus einmal für alle offensichtlich die platonischen Philosophien einer Seelenerlösung zerbrechen, die unterschiedlichsten Reinkarnations- und Seelenwanderungshypothesen an ihr Ende kommen und atheistische Jenseitsverleugnungen mitsamt einer augenscheinlich christlichen Allerlösungsphilosophie eines Besseren belehrt werden, ermutigt uns Gottes Wort zum Glauben an ihn, der allein der Ew’ge heißt, und zum Vertrauen auf seine biblische Offenbarung.

Gottes Wort ruft uns zum Glauben und in die Nachfolge. Wer Gottes Wort dieses Vertrauen entgegenbringt, den hält und trägt es, auch wenn einmal nichts mehr hält und trägt.

Jesus Christus spricht: »Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte werden nicht vergehen.«

Matthäus 24,35; Markus 13,31; Lukas 21,33

Gottes Wort hat Bestand und wer sich an dieses Wort hält, wird von ihm im Leben und im Sterben gehalten.

Deshalb ringt dieses Buch auch um die Bibel.

Spekulationen sollen außen vor bleiben: sowohl theologischer Natur wie auch im Versuch, biblische Endzeitaussagen durch aktuelle weltgeschichtliche Ereignisse zu deuten und damit gar nicht selten auch zu missdeuten. Vielleicht fällt mein Buch deshalb etwas knapper aus als andere Bücher zum selben Thema.

Doch gerade das scheint mir für jede Beschäftigung mit Endzeitfragen wichtig zu sein: dass wir nicht mehr und nichts anderes in die biblischen Texte hineinlesen, als sie aussagen wollen. Auch wenn es generell keine »falschen Fragen« gibt, bleibt es gerade bei diesem heißen Eisen der Endzeit eine entscheidende Herausforderung, die richtigen Fragen zu stellen, angesichts dessen, was uns die Bibel erzählen will und was sie uns auch nicht mitteilt, auch wenn wir meinen, dass sie dies doch müsste. Eines der häufigsten Beispiele ist sicher die Frage nach dem Datum der Wiederkunft von Jesus. Diese Frage weiter zu verfolgen, ist uns ganz ausdrücklich untersagt (Apostelgeschichte 1,7). Andere Fragen sind uns nicht ausdrücklich verboten, sollen uns aber nicht beschäftigen, weil wir sie nur mit unserer irdischen Sicht der Dinge stellen können, um jedoch ihre Antwort zu verstehen schon eine jenseitige Einsicht bräuchten. Ein Beispiel neben vielen anderen ist der ganze Themenkomplex des »Tagesablaufs« in Gottes Ewigkeit. Was tun wir dort rund um die Uhr? Schon die zeitliche Kategorie der beiden Leitworte »Tag« und »Uhr« offenbart die Problematik.

Zum bewussten Verzicht auf Spekulationen jedweder Art, war für mich auch der Gedanke leitend, Sie nicht mit zu vielen Detailfragen überzustrapazieren.

Mein Anliegen ist kein detaillierter Endzeitfahrplan, sondern die große heilsgeschichtliche Linie, die Gott durch unsere Menschheitsgeschichte zieht. Damit verbinde ich den Wunsch, Hoffnung und Vorfreude auf das zu wecken, was Gott jenseits des Todes für uns bereithält.

Mit Recht werden Sie also genügend Dinge finden, die an dieser Stelle hätten diskutiert oder zumindest erwähnt werden können. Vielleicht würde mancher von Ihnen auch noch zurückhaltender sein. So will ich es nicht ausschließen, dass mir an der einen oder anderen Stelle die Feder immer noch zu leicht von der Hand gegangen ist. Wie dem auch sei: In jedem Fall werden Fragen bleiben. Daran erinnert uns schon der Apostel Paulus:

»Unser Wissen ist Stückwerk und unser prophetisches Reden ist Stückwerk. Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören.«

1. Korinther 13,9f

Danke, wenn Sie mir beides nachsehen: wenn ich Ihnen zu weit gegangen bin oder Sie mit biblischem Recht etwas vermissen. Vielleicht findet manches Ungesagte seinen Weg in eine Neuauflage, wenn ich einmal an Alter und Weisheit zugenommen habe.

»Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und dachte wie ein Kind und war klug wie ein Kind; als ich aber ein Mann wurde, tat ich ab, was kindlich war. Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.«

1. Korinther 13,11f

Wenn es einmal so weit ist, braucht es auch keine Neuauflage mehr, weil unser Heiland Jesus Christus wiedergekommen ist und sein Heilswerk vollendet hat: Willkommen im Himmel.

… ein herzliches Dankeschön

Ein herzliches Dankeschön für vielfältige Unterstützung schulde ich meinen Kollegen und dem ganzen Mitarbeiterteam im Albrecht-Bengel-Haus unter unserem neuen Rektor Dr. Rolf Sons und unserem Vorsitzenden Pfr. Jochen Hägele. Ein besonderer Dank gilt dabei Damaris Vetter. Schon seit vielen Jahren ist sie für mich nicht nur eine hervorragende und wertvolle Korrekturleserin, sondern zuallererst überhaupt eine Leserin. Wer weiß, manche meiner Seminararbeiten im Studium hat sie vielleicht gründlicher zur Kenntnis genommen als der Seminarleiter selbst.

Dank schulde ich dem Verlag SCM Hänssler, allen voran dessen Lektorin Uta Müller, die bis zum Schluss zuversichtlich war, dass es mit diesem Buch noch etwas wird.

Danken möchte ich Dr. h. c. Siegfried Kettling. Sein fundiertes und zugleich zutiefst durchlittenes Buch »Du gibst mich nicht dem Tode preis«1 wurde schon vor Jahren für mich zum Anstoß, mich intensiver mit dem Thema zu beschäftigen. Sein Buch hat auch dieses Buch geprägt.

Danke an das Referententeam des CVJM-Landesverbandes, deren Anfrage für ein Seminar zum Thema den Stein einst ins Rollen gebracht hat.

Danke an den früheren Sielminger Kollegen Tobias Leiser für seinen Hinweis auf die Annonce des Bestattungsinstitutes im 1. Kapitel.

Danke an Oberkirchenrat Werner Baur und Seminardirektor Dr. Volker Gäckle für ihre freundlichen Worte auf der Buchrückseite.

Schließlich möchte ich meiner Frau Ulrike danken – für ihre Ermutigung zu diesem Buch und vor allem für ihre Liebe, mit der sie Gottes Ewigkeit in das Herz unserer Kinder hineinmalt.

Der abschließende Dank gilt meinen Eltern, Horst und Renate Rechberger, die uns von Kindesbeinen an Gott lieb gemacht haben. Zum Dank für die von ihnen mitbekommene geistliche Prägung sei ihnen dieses Buch gewidmet.

Mit herzlichen Grüßen
Ihr

1.  Wohin geht die Reise?

König Heinrich VIII. von England liegt im Sterben. Als ihm klar geworden ist, was geschieht, lässt er seinen Hofnarren zu sich rufen und erklärt ihm: »Du, wir müssen Abschied nehmen.« Der Hofnarr fragt unter seiner Narrenkappe zurück: »Ja, wohin geht denn die Reise, Herr?« – »Das weiß ich gar nicht so genau«, antwortet der König. – »Aber du hast einen Führer dabei?«, erkundigt sich der Gerufene. Da seufzt der König und erwidert traurig: »Ich kenne keinen.« »Mh, na ja, dann wenigstens Reiseproviant und Geld?« – »Nein, das habe ich auch nicht«, bekennt der Befragte. Der Hofnarr versteht die Welt nicht mehr. Ungläubig kann er nur seine Narrenkappe abnehmen und staunend ausrufen: »Oh, König, mein ganzes Leben habe ich mir gewünscht, einen größeren Narren als mich kennenzulernen. Heute ist er mir begegnet: Du unternimmst eine Reise und kennst den Weg nicht. Das Einzige, was du weißt, ist, dass du nicht mehr zurückkommst, und trotzdem nimmst du weder etwas zu essen noch deinen Geldbeutel mit. Du weißt nicht, wo du bleibst, und einen Führer, der dich sicher ans Ziel bringt, hast du auch nicht. Hier, nimm die Narrenkappe, du bist der Größere von uns beiden.«

Was den Hofnarr so irritiert, weil er es für selbstverständlich gehalten hätte, bringt die Annonce eines Bestattungsinstitutes auf den Punkt:

»Wenn Sie nicht für ihre Bestattung Vorsorge treffen …, wer dann?«

Keine Sorge, Bestattungsvorsorge im ganz wörtlichen Sinn ist nicht unser Thema. Für unsere Bestattung ist gesorgt, ob wir wollen oder nicht. Kein Weg führt an der Grube vorbei.

Spannend wird es, sollte die Reise weitergehen. Als Christen glauben wir an einen Gott, der sich nichts sehnlicher wünscht, als uns einmal zu begrüßen: »Willkommen im Himmel!« Diesen Gott malt uns Jesus in seinem berühmten Gleichnis vom barmherzigen Vater und seinen beiden Söhnen vor Augen. Ihm gehört deshalb das erste Kapitel. Dann aber brennen viele Detailfragen: Warum müssen wir Menschen überhaupt sterben? Wie kommt man in den Himmel? Kennen wir den Weg dorthin? Haben wir den nötigen Proviant dabei? Wissen wir, was unterwegs auf uns zukommt? Wie ist das mit dem Tod und mit dem »Jüngsten Gericht«? Gibt es einen »doppelten Ausgang« dieses Gerichtes, also neben dem Himmel auch die Hölle? Oder schenkt Gott einmal eine »Allversöhnung«? Was dürfen wir von der himmlischen Ewigkeit erwarten, außer dass sie zeitlos sein wird? Sehen wir in der Ewigkeit unsere Lieben wieder? Und wo sind unsere Toten jetzt?

Fragen über Fragen. Vorsorge tut not. Eine Vorsorge, die sich informiert und eine Vorsorge, die Entscheidungen trifft, solange Zeit dazu ist.

»Willkommen im Himmel« – machen wir uns auf den Weg.

Das Gleichnis vom barmherzigen Vater und seinen beiden Söhnen

»Und Jesus sprach: Ein Mensch hatte zwei Söhne. Und der jüngere von ihnen sprach zu dem Vater: Gib mir, Vater, das Erbteil, das mir zusteht. Und er teilte Hab und Gut unter sie. Und nicht lange danach sammelte der jüngere Sohn alles zusammen und zog in ein fernes Land; und dort brachte er sein Erbteil durch mit Prassen. Als er nun all das Seine verbraucht hatte, kam eine große Hungersnot über jenes Land, und er fing an zu darben und ging hin und hängte sich an einen Bürger jenes Landes; der schickte ihn auf seinen Acker, die Säue zu hüten. Und er begehrte, seinen Bauch zu füllen mit den Schoten, die die Säue fraßen; und niemand gab sie ihm. Da ging er in sich und sprach: Wie viele Tagelöhner hat mein Vater, die Brot in Fülle haben, und ich verderbe hier im Hunger! Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir. Ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße; mache mich zu einem deiner Tagelöhner! Und er machte sich auf und kam zu seinem Vater. Als er aber noch weit entfernt war, sah ihn sein Vater, und es jammerte ihn; er lief und fiel ihm um den Hals und küsste ihn. Der Sohn aber sprach zu ihm: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße. Aber der Vater sprach zu seinen Knechten: Bringt schnell das beste Gewand her und zieht es ihm an und gebt ihm einen Ring an seine Hand und Schuhe an seine Füße und bringt das gemästete Kalb und schlachtet’s; lasst uns essen und fröhlich sein! Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden. Und sie fingen an, fröhlich zu sein. Aber der ältere Sohn war auf dem Feld. Und als er nahe zum Hause kam, hörte er Singen und Tanzen und rief zu sich einen der Knechte und fragte, was das wäre. Der aber sagte ihm: Dein Bruder ist gekommen, und dein Vater hat das gemästete Kalb geschlachtet, weil er ihn gesund wiederhat. Da wurde er zornig und wollte nicht hineingehen. Da ging sein Vater heraus und bat ihn. Er antwortete aber und sprach zu seinem Vater: Siehe, so viele Jahre diene ich dir und habe dein Gebot noch nie übertreten, und du hast mir nie einen Bock gegeben, dass ich mit meinen Freunden fröhlich gewesen wäre. Nun aber, da dieser dein Sohn gekommen ist, der dein Hab und Gut mit Huren verprasst hat, hast du ihm das gemästete Kalb geschlachtet. Er aber sprach zu ihm: Mein Sohn, du bist allezeit bei mir, und alles, was mein ist, das ist dein. Du solltest aber fröhlich und guten Mutes sein; denn dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und ist wiedergefunden.«

Lukas 15,11-32

Rembrandt, Harmensz van Rijn;

»Die Heimkehr des verlorenen Sohnes«, 1668/69

2.  Willkommen daheim

Sie fahren mit dem Auto. Geschwindigkeit konstant. Rechts von Ihnen geht es fast senkrecht den Abhang hinunter. Links von Ihnen bemerken Sie plötzlich ein riesiges Feuerwehrauto. Obwohl Sie aufs Gaspedal treten, hält es locker mit Ihnen mit. Doch beim Blick nach vorne wird es Ihnen erst so richtig angst und bange: Ein Schwein, das eindeutig größer ist als Ihr Auto, galoppiert vor Ihrer Motorhaube und Sie haben keine Chance vorbeizukommen. Als Sie in den Rückspiegel schielen, zucken Sie zusammen: Dröhnend verfolgt Sie auf Bodenhöhe ein Polizeihubschrauber. Alle drei, das Schwein, das Feuerwehrauto und der Hubschrauber haben Sie in die Zange genommen.

Was unternehmen Sie, um dieser Situation noch einmal zu entkommen und Ihr Leben zu retten?

Die einzige Chance: Runter vom Kinderkarussell und nie wieder irgendwohin, wo Sie nicht hingehören.

Eindeutig gehörte er dort nicht hin. Trotzdem meinte er, dabei sein zu müssen – der »verlorene Sohn«, von dem uns Jesus erzählt. Zuerst hat er das bunte Treiben ja auch genossen, den Jahrmarkt dieser Welt. Endlich frei. Ausleben, wonach er sich immer schon gesehnt hat. Tatsächlich ging es bei ihm auch rund, vermutlich nicht so unschuldig wie auf einem Kinderkarussell. Bis zu jenem Tag, an dem er nicht mehr mithalten konnte. Ob der Polizeihubschrauber ihn verfolgt hat, vielleicht weil er seine Rechnungen nicht mehr zu bezahlen vermochte? Wir wissen es nicht. Was wir wissen ist, dass ihm als einzige Perspektive nach vorne nur die Schweine geblieben sind. Ein Kreislauf, aus dem es kein Entrinnen zu geben schien. Ein Kreislauf, bei dem es einem nicht nur peinlich, sondern wirklich schlecht werden musste.

Sein Vater hatte es kommen sehen und ihn trotzdem ziehen lassen. Aber nicht nur das: Er hat ihm diese Fahrt und den ganzen Trubel auch noch bezahlt. Das beherrschen Kinder: so lange zu betteln, bis sie ihren Willen haben. Schließlich gibt der Vater seinem Drängen nach und lässt ihm wider besseres Wissen seinen Willen. Doch was gäbe der Sohn jetzt darum, auf den Vater gehört zu haben! Was gäbe er darum, wenn er rückgängig machen könnte, was er in seinem Egoismus durchgezogen hat. Könnte er doch nur einfach absteigen und in die Arme des Vaters springen. Was hätte er nicht alles dafür in Kauf genommen, um von dem Ort, an den er nicht hingehörte, wegzukommen und zu seinem Vater und zu seiner Familie heimkehren zu dürfen.

Und dann steigt er aus. Aus dem fahrenden Karussell. Mut hat es ihn gekostet, Energie für den ersten und entscheidenden Schritt und manche Wunden wohl auch. Auf dem Heimweg legt er sich die Worte zurecht, mit denen er seinem Vater unter die Augen treten will. Offen will er bekennen, dass er sich selbst am wichtigsten war. Ehrlich will er seinem Vater eingestehen, sich versündigt zu haben. Dann geschieht das Unglaubliche.

»Als er aber noch weit entfernt war, sah ihn sein Vater, und es jammerte ihn; er lief und fiel ihm um den Hals und küsste ihn.«

Lukas 15,20

Noch ehe der Sohn auch nur ein Wort über die Lippen bringen kann, bricht aus seinem Vater jene über eine so lange Zeit angestaute Sehnsucht nach seinem geliebten Sohn heraus. Mit unendlicher Liebe überschüttet der Vater sein Kind, in einem Augenblick für eine Ewigkeit. In den Armen des Vaters öffnet sich für den Heimkehrer der Himmel.

Was für eine Würde, die uns Jesus im »Gleichnis vom verlorenen Sohn«, oder vielleicht besser im »Gleichnis vom barmherzigen Vater«, zuspricht: Sie dürfen heimkehren. Sie sind willkommen. Willkommen im Himmel. Willkommen im Vaterhaus Gottes.

»Liebe, weil« oder »Liebe, obwohl«

Egal, welche Ereignisse ich gerne ungeschehen machen würde; zweitrangig, für welche Peinlichkeiten ich in Grund und Boden versinken könnte, und unabhängig davon, wie groß meine Schuld vor Gott ist: Ich darf in die offenen Arme Gottes heimkehren. Hier öffnet sich der Himmel. Hier ist Vergebung. Hier ist Gnade und hier ist Liebe; nicht nur eine Liebe »weil«, sondern eine Liebe »obwohl«: Obwohl der Sohn sein Erbe lange vor dem Tod des Vaters eingefordert hat und dieser damit für ihn gestorben war. Obwohl er fern vom Vater sich selbst der Nächste war. Obwohl er alles, was ihm der Vater mitgegeben hat, verprasste.

Solch eine »Liebe, obwohl« widerstrebt dem Wesen dieser Welt. Die Einladung zu den Schweinen ist das Höchste der Gefühle. Zu mehr »Liebe, obwohl« der verlorene Sohn nichts mehr zu bieten hatte, waren die »Bürger jenes Landes« nicht in der Lage. Rasch war ihre »Liebe, weil« abgekühlt, nachdem es kein »weil« mehr gab, kein »weil du so viel Geld hast«, kein »weil du so schön bist«, kein »weil man es mit dir zu etwas bringt«, kein »weil …«.

Wir Menschen »lieben, weil«. Gott dagegen »liebt uns auch, obwohl«. Obwohl wir seine Liebe ignoriert und ausgeschlagen haben. Obwohl wir seine guten Gaben, die er in uns hineingelegt hat, alle mitgenommen haben und ihn für tot erklärten. Obwohl wir von ihm weggelaufen sind und obwohl wir so viel Schmutz und Unreinheit auf uns geladen haben. Obwohl …

Der himmlische Vater läuft uns mit seinen offenen Armen einer »Liebe, obwohl« entgegen. Diese »Liebe, obwohl« ist der Schlüssel zum Himmel.

Über Bitten und Verstehen

Dann stammelt der Sohn, was er sich auf dem Weg zurechtgelegt hat:

»Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir. Ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße; mache mich zu einem deiner Tagelöhner.«

Lukas 15,18f

Er redet nicht um den heißen Brei herum. Nichts wird beschönigt. Ja, ich habe gesündigt. Ich bin es nicht mehr wert, dein Sohn genannt zu werden.

Während jener noch zerknirscht sein Bekenntnis stammelt, gibt es vom Vater einen Kurs in Sachen Gebetserhörung: Jeder Mensch wünscht sich ja, dass Gott seine Gebete wörtlich erhört. Wenn wir beten, dann natürlich verbunden mit der Hoffnung, dass Gott unser Gebet auch wahr macht. Gott soll uns beim Wort nehmen und uns geben, was wir von ihm erbitten. Im Falle unseres Kandidaten hieße das: »Stimmt, du hast gesündigt. Stimmt, du bist es nicht mehr wert, mein Sohn zu heißen. Aber ich erhöre dich trotzdem: Du darfst Tagelöhner sein.« Das wäre solch eine wörtliche Gebetserhörung gewesen, wie wir sie immer erwarten.

»Aber der Vater sprach zu seinen Knechten: Bringt schnell das beste Gewand her und zieht es ihm an und gebt ihm einen Ring an seine Hand und Schuhe an seine Füße und bringt das gemästete Kalb und schlachtet’s; lasst uns essen und fröhlich sein! Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden. Und sie fingen an, fröhlich zu sein.«

Lukas 15,22-24

So erhört unser himmlischer Vater Gebet. Gottes Liebe ist größer als meine Worte und gnädiger, als ich es jemals erwarten könnte.

Ein Vater, der gemästete Kälber schlachtet

Während die große Familie im Vaterhaus Gottes den Heimkehrer festlich willkommen heißt, führt uns Jesus nach draußen, vor die Tür des Hauses. Gerade vom Feld zurückgekehrt, wundert sich dort der ältere Sohn über den unerwarteten Trubel. Rasch verwandelt sich seine Verwunderung in Zorn, als er hört, was den Vater und die anderen Familienmitglieder feiern lässt:

»Siehe, so viele Jahre diene ich dir und habe dein Gebot noch nie übertreten, und du hast mir nie einen Bock gegeben, dass ich mit meinen Freunden fröhlich gewesen wäre. Nun aber, da dieser dein Sohn gekommen ist, der dein Hab und Gut mit Huren verprasst hat, hast du ihm das gemästete Kalb geschlachtet.«

Lukas 15,29f

Kennen Sie dieses Gefühl, am liebsten alles stehen und liegen lassen zu wollen, auszubrechen aus dem engen Korsett des Alltags und das Weite zu suchen? Klammheimlich, ohne dass es jemand mitbekommt, leicht verschämt und doch nicht zu überhören, keimt die Sehnsucht immer wieder auf: endlich Anerkennung bekommen, Wertschätzung finden, Geborgenheit spüren, selbst entscheiden können, anstatt immer nur bestimmt zu werden. Abenteuer erleben, eine Eroberung machen, ungezähmte Freiheit in sich aufsaugen.

Nicht nur vonseiten der Psychologie, sondern auch auf dem christlichen Markt der Möglichkeiten wird solch eine gelebte Freiheit propagiert. Weder unverständlich noch zu Unrecht. Trotzdem beschleicht mich gelegentlich die Angst, ob eine so verstandene Berufung zur Freiheit nicht am Ende noch mehr verlorene Söhne oder verlorene Töchter hervorbringt.

Willkommen im Himmel. Du musst nicht erst weglaufen, um von deinem himmlischen Vater ein gemästetes Kalb geschlachtet zu bekommen:

»Mein Sohn, meine Tochter, du bist allezeit bei mir, und alles, was mein ist, das ist dein.«

Lukas 15,31