New York, New York

Simon Wood

Schon wieder zündete ich mir eine Zigarette an. Es ist die dritte in der letzten halben Stunde.

Du machst mich nervös. Auch kippe ich schon den zweiten Drink runter. Zu schnell. Du verwirrst mich. Seit 20 Minuten sitzt du nun hinten in dieser Ecke. Allein wie ich, in einem verrauchten Club in dieser fremden, großen Stadt. New York ist wirklich eine fremde, große Stadt. Warum ich sie mir als Urlaubsort ausgesucht habe, weiß ich schon gar nicht mehr. Ursprünglich dachte ich, New York würde mich reizen. Nicht die Spur. Die Stadt ist viel zu groß, um sie total zu begreifen. Also, was tun? Ich setze mich an die Bar. Dort sitze ich nun seit einer Stunde. Ständig darauf wartend, dass etwas passiert. Bist du hereinkamst. Tja, du kamst allein und sitzt dort immer noch allein. Ich würde dich gerne ansprechen. Traue mich nicht, ich kann es nicht. Warum nicht? Schon zweimal hast du mir schüchtern zugelächelt. Was soll ich sagen? „Hallo, junge Frau. So allein?“

Lächerlich.

„Darf ich Ihnen eine Zigarette anbieten?“

Banal.

„Darf ich Sie vielleicht zu einem Drink einladen?“

Oh nein!

Also, was tue ich? Ich sitze hier und rauche eine Zigarette nach der anderen und ertränke meine Schüch­ternheit im Alkohol. Wahrscheinlich werde ich sie so gründlich ertränken, dass ich morgen nicht mehr weiß, dass du überhaupt existierst. Wie eine Professionelle siehst du nicht aus. Du hast Klasse. Die Kleidung, die du trägst, hat Format. Die dezenten Brillantohrringe passen ausgezeichnet dazu. Das wallende, nussbraune Haar, auf der einen Seite hochgesteckt, glatt hinter das Ohr gekämmt. Auf der anderen Seite hängt es dir über die Schulter und umschließt sie schützend. Wärmend. Wie gerne würde ich diese Haare jetzt streicheln. Gibt es denn keine Möglichkeit, die Schüchternheit zu überwinden und einfach zu dir hinüberzugehen und zu sagen: „Kleines, du gefällst mir. Darf ich mich zu dir setzen?“

Genauso albern. Der gleich blöde Anmachspruch wie die anderen. Aber es entspricht der Wahrheit. Du ge­fällst mir wirklich. Wie gerne würde ich neben dir sitzen. Mich mit dir unterhalten. Entspricht dein Geist deiner Ausstrahlung? Ich denke schon. Du machst einen sehr intelligenten Eindruck. Die nächste Zigarette. Du machst mich nervös. Schon wieder hast du mir zugelächelt. Diesmal nicht mehr so schüchtern. Ob du wohl weißt, was mich beschäftigt? Und wenn du es weißt, gefallen dir die Gedanken, die ich mir über dich mache? Und wenn sie dir gefallen, warum stehst du nicht auf, kommst von deinem Platz zu mir herüber und lädst mich vielleicht zu einem Drink ein?

Träumer! Ja. Ich bin ein Träumer.

Wieso kriege ich es nur nicht auf die Reihe, wirklich aufzustehen und zu dir hinüberzugehen? Ist es die Angst vor einer möglichen Ablehnung? Ja. Das ist es wohl. Es ist gar nicht meine Art, vor einem kleinen Korb zurückzuschrecken. Was habe ich schon zu verlieren? Wenn ich deine strahlenden Augen sehe – sehr viel! Deine Augen halten mich gefangen. Sie sind unbeschreiblich schön.

Soll ich dich zum Tanzen auffordern? Der Pianist gibt sich wirklich Mühe, gute Mu­sik zu spielen. Und außerdem tanzen auch noch andere Paare. Wir würden nicht auffallen. Und dich um einen Tanz zu bitten ist unverbindlich, heißt nicht gleich – ich möchte mit dir schlafen! – Obwohl ich das möchte. Ja, das möchte ich. Ich würde jetzt gerne in deinen Armen versinken. Aber vielleicht doch zuerst fragen, ob du mit mir tanzen möchtest. Ich würde neben dir stehen, mich zu dir he­rab­beugen und dich auf Englisch fragen, ob du Lust hättest, mit mir das Tanzbein zu schwingen. Du würdest mich anschauen. Deine weichen Lippen würden strahlen. Du würdest lächeln. Und mit diesem Lächeln würdest du mir sagen: „Gerne möchte ich mit Ihnen tanzen. Sehr gerne sogar.“

Ich würde dir den Arm anbieten, du würdest dich einhaken und wir gingen hinüber zur Tanzfläche. Beim schwungvollen Rhythmus eines Foxtrotts würden wir uns näher kommen. Ich würde deinen Namen erfahren. Deinen Duft in mich aufnehmen. Endlich hören, wie deine Stimme klingt. Der Pianist würde ein langsameres Lied spielen. Ein Lied, das mir die Möglichkeit gä­be, dich ein wenig an mich zu ziehen. Du würdest dieser Bewegung entgegenkommen. Dich noch dichter an mich schmiegen, so dass ich deine vollendeten Rundun­gen hautnah an meinem Körper spüren würde. Deine festen Schenkel würden den zarten Druck der meinigen auffordernd erwidern. Sie zu noch größerer Forschheit anspornen. Und deine glänzenden Augen würden mir die Erfüllung meiner kühnsten Träume versprechen.

Wenn das alles so reibungslos ginge, warum stehe ich dann nicht auf und fordere dich wirklich zum Tan­zen auf? Wahrscheinlich, weil mich mein eigener Traum nicht enttäuschen wird. Was aber, wenn du in der Rea­lität sämtliche Erwartungen übertriffst?

„Sei kein Frosch!“, sage ich zu mir selbst und versuche, meinen Körper vom Barhocker zu lösen. Entweder habe ich in der letzten halben Stunde vier Zentner zugenommen, oder jemand hat den Sitz mit Alleskleber eingeschmiert. Ich kann einfach nicht aufstehen. Irgend­etwas hält mich fest.

Ist es die Angst? Angereichert mit einem herzhaften Spritzer Nervosität? Meine Kehle fühlt sich auf einmal so trocken, so zugeschnürt an. Viel­leicht hilft ein weiterer Schluck Malt Whisky. Nein. Das Einzige, was in diesem Fall wirklich hilft, ist eine gehörige Portion Selbstüberwindung. Einmal tief einatmen. So wie es die Matadore zu Beginn ihres Kampfes mit dem Stier tun. Ganz langsam ausatmen. Das beruhigt die Nerven und senkt den Blutdruck. Die linke Augenbraue gehoben. Das wirkt interessant. Die Lippen zu einem lässigen Lächeln verzogen. Das ist cool.

Ich werde ruhiger. Nippe noch einmal an meinem Glas und blicke bewundernd in den Spiegel zu meiner linken. Ich bin jetzt ganz Macho. Ich bin ein Sieger. Ich werde gewinnen. Die Hand auf meiner rechten Schulter lässt mich zusammenfahren. Nichts mehr mit Macho. Von wegen Sieger. Alles weg. Ich bin einfach nur tierisch erschrocken. So sehr war ich in den letzten drei Mi­nuten mit mir selbst beschäftigt.

„Hätten Sie etwas dagegen, ein Tänzchen mit mir zu wagen?“

Die Stimme spricht Deutsch zu mir. Ich werfe meinen Kopf herum und sehe dabei wohl äußerst dämlich aus. Keine dreißig Zentimeter von mir entfernt steht sie. Sie, der die Gedanken der vergangenen Minuten gegolten haben. Diese atemberaubende Schönheit mit dem wal­lenden, nussbraunen Haar.

Ehe ich mich versehe, wiege ich mich schon in leichten Schritten mit ihr zur hingebungsvollen Melodie ei­nes alten Klassikers.

Mein Traum wird wahr. Ihr Busen an meinem Brust­korb. Der Druck ihrer Schenkel, die noch fester sind, als ich es mir vorgestellt habe. Nach einer Stunde Tanzen, einer Stunde, in der die erotische Spannung zwischen ihr und mir fast greifbar geworden ist, schlage ich vor, ein wenig an die frische Luft zu gehen und im Park zu spazieren. Zugegebenermaßen eine eindeutige Einla­dung. Mein Gefühl jedoch sagt mir, dass sie nicht zu forsch ist, denn ihre Bewegungen und Berührungen sprechen Bände.

„Ach, weißt du“, antwortete sie, „ich habe keine Lust, hinaus in die Kälte zu laufen.“

Meine Mundwinkel sacken nach unten. Soll es das gewesen sein?

Sie fährt fort: „Stattdessen könnten wir es uns doch auf meinem Hotelzimmer hier im 14. Stock gemütlich machen. Was hältst du davon?“

Ohne meine Antwort abzuwarten, nimmt sie meine Hand und führt mich zum Lift. Schon als sich die messingbeschlagenen Türen des Fahrstuhls hinter uns schließen, liegt sie in meinen Armen und verzaubert mich mit einem langen, leidenschaftlichen Kuss. Sie ist heißhungrig, regelrecht gierig.

Kaum im Zimmer angelangt, hat sie mich auch schon von meinem Sakko, meinem Hemd und von meinen Schuhen befreit. Fast schmerzen ihre Bisse in meine Arme und in meine Brust. Hier oben scheint sie alle Konventionen abgelegt zu haben. Wie eine Ausge­hun­gerte fällt sie über mich her. Kaum, dass ich dazu komme, sie zu entkleiden. Der Anblick ihres nackten, vollkommenen Körpers macht auch mich rasend. Ich weiß gar nicht, wo ich zuerst anfangen soll. Bei ihrem Hals, ihren großen runden Brüsten, ihrem Bauch? Ich überlege nicht länger. Falle einfach über sie her. So wie sie über mich. Unbeherrschte, fast grobe Liebkosungen entlocken ihrer hübschen Kehle anspornende, spitze Schreie.

Schon stürzen wir auf das Bett. Ihre Schenkel sind bereits weit geöffnet. Ohne jedes Vorspiel dringe ich in ihre feuchte, warme Tiefe ein, halte für eine Sekunde still. Genieße das Gefühl.

Erst das fordernde, gierige Zucken ihres Unterleibs lässt mich einen harten, festen Ritt auf ihr beginnen. Einen Ritt, bei dem ich nicht spüre, dass sie mir in wilder Lust die Schultern zerkratzt. Nicht höre, wie die Sprungfedern der Matratze auf ihre Belastbarkeit überprüft werden. Nicht mehr unterscheiden kann zwischen ihren Schreien und meinem Stöhnen.

Ihre schweißfeuchten Schenkel umklammern mein Becken immer fester. Ihre Brüste wippen im harten Rhythmus meiner unnachgiebigen Stöße. Leidenschaft­lich will ich sie küssen. Treffe ihren Mund nicht. So sehr wirft sie den Kopf im Taumel der Lust hin und her.

Nach kurzen Minuten stockt ihr Atem. Die Schreie versiegen. Nur für einen kurzen Augenblick. Einen Au­genblick, in dem sich jede Faser ihrer Muskulatur an­spannt. Dann entströmt ein lang gezogener, erlöster Seufzer ihrer Kehle. Gleichzeitig verströme auch ich mich in ihr. Langsam lasse ich mich auf ihren nassen Körper sinken. Spüre die immer noch hart aufgerichteten Brustwarzen an meiner Haut. Für wenige Sekunden scheine ich das Bewusstsein zu verlieren.

Als ich wieder aufwache, ist sie verschwunden. War es alles nur ein geiler Traum? Nein! Ich ziehe mich an und tauche unter im Dunkel der fremden Stadt …