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Inhaltsverzeichnis

Vorwort
ERSTER TEIL - Im Russischen Reich
KAPITEL I - 1860–1879 Prägung
KAPITEL II - 1879–1885 Orientierung
KAPITEL III - 1885–1896 Weichenstellungen
ZWEITER TEIL - In Deutschland
KAPITEL IV - 1896–1902 Impulse
KAPITEL V - 1902–1905 Auswege
KAPITEL VI - 1906–1908 Neubeginn
EXKURS I - Wunderwochen Ländliches expressionistisches Symposion Murnau
EXKURS II - Wechselspiele Die Neue Künstler-Vereinigung München und Der Blaue Reiter
KAPITEL VII - 1909–1910 Schnittstellen
KAPITEL VIII - 1910–1914 Gipfelpunkte
DRITTER TEIL - In der Schweiz
KAPITEL IX - 1914–1918 Fallhöhe
KAPITEL X - 1918–1922 Schmerzgrenze
KAPITEL XI - 1922–1929 Lebensfreuden
KAPITEL XII - 1929–1938 Lebensneige
Nachlese
Dank
Anmerkungen
Archive und Fundstellen
Quellen und bibliografische Auswahl
Personenregister
Bildnachweis
Copyright

Dank

EINE GROSSE ZAHL VON MENSCHEN hat zu diesem Buch beigetragen, allen voran Dr. Bernd Fäthke, der mir uneingeschränkt Archivalien zur Verfügung stellte und mit seinem enzyklopädischen Wissen über die Malerin Marianne von Werefkin eine ständige Quelle des Rats und der Anregung war. Darüber hinaus hat er sich, gemeinsam mit Ehrengard Fäthke-Born (ebenso sachkundig wie ihr Mann), den Mühen einer kunsthistorisch kritischen Durchsicht des Manuskriptes unterzogen.

Auch Dr. Brigitte Salmen hat mich von Anfang an ermutigt und mit vielen wichtigen Hilfestellungen, Informationen sowie Anmerkungen dazu beigetragen, mein Werk auf einen sicheren Weg zu bringen.

Des Weiteren war mir Dr. Michaela Röll, über ihre Aufgabe als Agentin hinaus, eine unverzichtbare Projektbegleiterin und Gesprächspartnerin.

Mit Dr. Antje Korsmeier stand mir eine urteilssichere Lektorin zur Seite.

Jiri Ort übersetzte mit großer Geduld und literarisch geschultem, linguistischem Gespür hunderte handschriftliche und gedruckte Seiten vom Russischen ins Deutsche. Ohne sein Mitdenken und seine Sucheingaben unter Verwendung kyrillischer Buchstaben wären mir bedeutende Hinweise im Internet verschlossen geblieben.

Jane und Hans Heck sowie Gerlinde Off transkribierten und übertrugen, nicht minder gewissenhaft und einfühlsam, im Ursprung französisch Geschriebenes.

Von der Letztgenannten, ferner von Anne Friedmann, Hildegard Gobrecht, Jutta Groß und Marianne Jacobs – den Leserinnen der Biografie in Arbeit – kamen viele nützliche Einwände und Vorschläge zu Stil und Darstellung.

Claudia Roßbeck unterstützte mich bei der unerlässlichen Suche nach Tipp- und Flüchtigkeitsfehlern.

Bernd Roßbeck danke ich für alles.

Nachlese

DR. HUGO REMUND AUS ZÜRICH, Arzt in Diensten des Schweizerischen Roten Kreuzes, dort für die Unterstützungszahlungen im Auftrag des Bundes an mittellose russische Emigranten verantwortlich,1 war irgendwann persönlich mit der Baronin in Kontakt gekommen und schließlich zu ihrem Freund avanciert. Er reiste am Tag der Trauerfeierlichkeiten nach Ascona:

»Beerdigung Marianne von Werefkin

8. Februar 1938

Jenseits des Gotthards lag das Tal in der hellen morgendlichen Sonne des kargen beginnenden Frühlings. Auf den Bergen eine weisse, dünne Schneeschicht, fleckenweise hinunterziehend bis zur Talsohle. Auch hier überall weisse Stellen im gelben strohigen Teppich des dürren trockenen Grases. Noch nirgends Laub, aber die kahlen Bäume wie von frischem Saft geschwellt: Kätzchen auf den Zweigen, die Weidenstrünke mit ockergelben Rutenbüschen gekrönt. Die Erde in ihrem tiefen ruhigen Braun, die spärlichen Felder bestellt und ein leichter Dunst über den wartenden Schollen.

Weiter unten die besonnten Rebterrassen, die breit dahinziehenden klaren Wasser des Flüsschens Tessin, seine Ufer mit den zarten Silhouetten der Erlen in der Niederung und schließlich die strahlende Pracht des hellblauen, von leuchtenden Bergen umrandeten Sees.

Wundersame Stimmung eines solchen Februarmorgens in diesem unerhörten Sonnenglanz, gedämpft durch den feinen Dunst der atmenden Erde.

Sie lag aufgebahrt im oberen Korridor der Casa Perucchi, in dem breiten gefliesten Atrium, das sonst verstellt war durch die Stapel ihrer Bilder. Mitten im Gang stand der Sarg. Symbolisch, weil sie dieses Leben so ganz als einen Durchgang betrachtete. Sie lag im Sarg, das Gesicht von einer wächsernen gelblichen Magerkeit, … so unsagbar fern sah sie aus, in sich gekehrt, ein Häuflein Mensch in all’ seiner Schwäche und all’ seiner Größe zugleich – die Augen geschlossen, ohne jede Pose, ohne jedes Herausstellen eines Scheinens. So wie sie gelebt hat, stand sie im Tode zu sich selbst: Man las aus diesem Gesicht das Abgeschlossene, Vollendete.

Der Sarg war von Blumen bedeckt. Unten zu ihren Füssen unser Gebinde aus roten Nelken. Eine Menge von Kränzen und Sträussen, von Blumenstöcken, der Korridor voll davon. Zu Häupten und beiden Seiten der Toten brannten drei Kerzen auf grossen Kandelabern, am Fussende stand ein Tisch mit weissem Tuch, darauf ein grosses silbernes Kreuz mit sieben kleinen Kerzenleuchtern, mit der Bibel und anderen religiösen Gerätschaften. An der Wand neben dem Sarg hatte man drei Bilder des heiligen Franziskus aufgehängt. Bei der Treppe hatten Perucchis einen grossen grauen Teppich vom oberen Stock nach unten gebracht, der den Gang gewissermassen abschloss und dem Altartisch Rückwand bot. So war ein feierlicher Raum geschaffen für alle, die sich zum letzten Geleit versammelten. …

Um 2 Uhr erschien der Pope [Iwan Kurakin], ein grossgewachsener alter Mann mit scharfgeschnittenen Zügen, weissem Haar, buschigem Schnurrbart und weissem Backenbart. Er war eine eindrucksvolle Erscheinung. Er trug eine Art Tiara aus violettem Sammet, ein silbernes Obergewand und einen schwarzen Rock.

Man stand dichtgedrängt, immer neue Menschen kamen hinzu, Kränze und Blumen bringend. Eine bunte, vielschichtige Gesellschaft, von einfachen Männern und Frauen bis zu den Honoratioren von Ascona: Künstler mit Schlapphut und Pullover, ein Chauffeur mit Lederjacke, viele Leute im gewöhnlichen Straßenanzug, aber alle voll Wehmut und tief ergriffen. Den meisten Anwesenden gab der Pope eine Kerze in die Hand und begann eine unerhört eindringliche, wunderbare Zwiesprache mit der Toten in Form eines Gebets, das er teils auf russisch, teils auf italienisch und französisch mit weicher sonorer Stimme vorsang. Die lateinartigen, getragenen Responsionen wurden von den beiden Nichten, sowie einem jungen Russen, den sie aus Mailand mitgebracht hatten, a capella gesungen, mit wunderbar klingenden Stimmen in dem alten russischen Kirchenton. … Dreimal kniete alles nieder. Dann nahmen die nächsten Angehörigen, ihr Bruder, ihre Nichten, von Marianne von Werefkin Abschied, drückten ihr die Hand, neigten sich zu ihr, schliesslich setzte ihr der Pope ein pergamentenes Stirnband mit den heiligen Symbolen und Inschriften auf, segnete sie nochmals und schloss den Sarg, auf dessen Deckel ein orthodoxes Kreuz und die Buchstaben M.W. in Holz schlicht aufgesetzt waren.… Nun wurden die Kerzen der Leidtragenden gelöscht, die Anwesenden nahmen die Kränze, Sträusse, Blumenstöcke, um sie mitzutragen auf den Friedhof. Der Gang leerte sich, und als die Männer den Sarg mit einer ganz italienischen Sorgfalt, als ob sie ein Kind trügen, auf den Schultern die Treppe hinunterbrachten, unter dem Chorgesang und durch das Spalier der Trauernden, strömte die Sonne durch die grossen Fenster und die Haustür …

Schlicht und gross bewegte sich der Zug über die Piazza, ein nicht endenwollendes Geleit. …

Auf dem Friedhof war die Feier wiederum ergreifend in ihrer Schlichtheit. Der Pope sprach, die Emigranten hätten jeder für sich ihr Teil der Gnade erfahren dürfen, aber Marianne mehr als alle anderen. Man könne ihre Werke verstehen oder nicht verstehen, als Mensch sei sie ehrlich, wahr und tapfer gewesen in ihrer grossen Überzeugung.

Dann kollerten Erde und Blumen auf den in die Gruft herabgesenkten Sarg. – Etwas verspätet, zugleich befangen und gerührt, schwang sich der Maler Helbig auf den von der ausgehobenen Erde gebildeten Hügel und sprach im Namen der Asconeser Künstler und der schweizerischen Maler ein kurzes Wort der Anerkennung und Würdigung für die Hingeschiedene und einen letzten Gruss an die Künstlerin. …

Nach der Beerdigung traf man sich noch in den von ihr verlassenen Räumen im Hause Perucchi, unverändert in der lässigen Unordnung, die man von Werefkin gewohnt war.

Eine kleine Gesellschaft – Peter von Werefkin, Maria und Anastasia von Werefkin, Walter Helbig, Albert Kohler, Ernst Frick, Maria Marc, Diego Hagmann, der Pope und ich – die sich Begebenheiten aus dem Leben der geliebten Verewigten erzählte, auch dabei lachte und lustig war. Es gab zum Teil russische Gerichte und man trank herrlichen tessinischen Wein, es war eine ungezwungene Stimmung, als wäre Marianne noch dabei, wie immer ein naturhaftes Zusammenrücken zu einer grossen Familie. Es wurde späte Nacht, bis wir endlich aufbrachen.«2

 

AM 17. FEBRUAR 1938 ERSCHIEN im Eco di Locarno ein Nachruf des Schriftstellers Luigi Menapace:

»Schwerlich lässt sich sagen, wie lebhaft und tief die Zuneigung war, die wir für die Baronessa hegten, aber eines ist gewiss: dass nur wenige menschliche Wesen es verstanden, um sich herum derart spontane und dauerhafte Bindungen entstehen zu lassen. Man mochte meinen, sie habe wirklich etwas Magisches in sich gehabt, das weniger auf die Sprache der Menschen zielte als vielmehr auf die Ursprache aller Dinge der Welt, mit denen sie kommunizierte. … Ihre Liebenswürdigkeit und Fröhlichkeit waren sprichwörtlich. Ihre Konversation war reich, vielseitig, beweglich, leidenschaftlich, farbig, geistvoll …«3

Im Wesentlichen deckt sich der Tenor dieses Nekrologs mit dem Tenor aller anderen, die landauf, landab gedruckt wurden.

 

DIE SCHLICHTE BEGRÄBNISSTÄTTE Marianne von Werefkins in Ascona befindet sich links vom Friedhofsportal, am Fuße der Friedhofsterrassen. Der obere Querbalken des Grabkreuzes trägt die Inschrift CHRISTOS WOSKRES (Christ ist auferstanden) – der russische Ostergruß. In die kleine Metalltafel des unteren, schrägen Querbalkens ist ihr Name eingraviert. Nicht jedoch ihre Lebensdaten.

 

DER MALER ALO ALTRIPP ERINNERTE folgende Begegnung: »1938 bin ich einmal zu Jawlensky gekommen. Er war ganz in sich gekehrt, abwesend und still. Nach einiger Zeit fragte ich: ›Ist Ihnen nicht gut, oder haben Sie Probleme? Soll ich wieder gehen?‹. Er antwortete: ›Oh, nein, nein. Bleiben Sie, bleiben Sie.‹ Nach einer Pause sagte er sichtlich betroffen: ›Ich habe die Nachricht, dass Werefkin gestorben ist!«4

Im Juni des Jahres wurde Lisa Kümmel von Alexej Jawlensky gebeten, für ihn einen Brief an den Freund Jan Verkade alias Pater Willibrord zu schreiben. Fast am Ende angekommen, diktierte er den Satz: »Vielleicht haben Sie gehört, daß im Februar Baronin Werefkin gestorben ist. Es war ein harter Schlag für mich. Ja, ja, einmal gemachte Fehler muß man früher oder später büßen. Und wie hart oft.«5 Jawlensky konnte nicht mehr malen, war vollständig gelähmt und bis an sein Lebensende ans Bett gefesselt. Er starb am 15. März 1941 in Wiesbaden.

 

MARIA MARC ÜBERLEBTE FRANZ MARC um nahezu vierzig Jahre. Ihr Todestag ist der 25. Januar 1955. Bis ein Schlaganfall und eine Gehirnblutung sie spürbar einschränkten, war ihr, zurückgekehrt nach Ried bei Benediktbeuern, die Pflege ihrer eigenen Begabung, des Webens, fast so wichtig gewesen, wie die Verwaltung und Nutzbarmachung des künstlerischen Erbes, sprich die Arbeit am Ruhm, ihres Mannes.6

 

GABRIELE MÜNTERS LEBEN ENDETE am 19. Mai 1962 in Murnau. Ihre Wiederentdeckung als Künstlerin begann 1949 mit der Gedächtnis-Ausstellung Der Blaue Reiter in München. Von da an konnte sie es sich leisten, hinsichtlich der Präsentation ihrer Werke Bedingungen zu stellen. Sie brauche etwa achtzig laufende Meter Hängefläche, schrieb sie beispielsweise der Hamburger Kunsthalle vor. 1957 bekam die Stadt München von ihr (mit der Gabriele Münter-Stiftung) einen großen Bestand an Gemälden, Aquarellen, Zeichnungen, Hinterglasbildern, Skizzenbüchern und druckgrafischen Blättern von Wassily Kandinsky aus der Zeit bis 1914 geschenkt. In eine zweite Stiftung (die 1962 begründete Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung) floss eine Vielzahl ihrer eigenen Werke sowie von verschiedenen Künstlerfreunden ein. 1958 hatte Münter den Gefährten ihres Alters verloren. Mit dreiundachtzig bescheinigte sie sich »hemmungslose Produktivität«7 – und starb, mit dem Leben ausgesöhnt, zwei Jahre später.

 

WASSILY KANDINSKY STARB am 13. Dezember 1944 in Neuilly-sur-Seine an den Folgen einer Arteriosklerose. In Frankreich hatte er sich der Gruppe Abstraction-Création angeschlossen; es war zu Begegnungen mit Robert und Sonja Delaunay, Fernand Léger, Joan Miró, Piet Mondrian und vielen anderen progressiven Künstlern gekommen. An etlichen größeren Ausstellungen beteiligt, schuf er in seinen elf letzten Künstlerjahren neben Aquarellen und Skizzen etwa 150 Ölgemälde. Das letzte unter Kandinskys großen abstrakten Werken, Composition X, entstand im Jahre 1939.

 

MARIANNE VON WEREFKINS SANTO verließ das zerstörte Berlin in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs. Ernst Alfred Ayes Wohnung in einem Seitenflügel des Schlosses Charlottenburg war im Bombenhagel untergegangen. Mitte Mai 1945 erreichte er mit letzter Kraft den Diekhof, ein Gutshaus nordöstlich von Güstrow in Mecklenburg. Eine Frau namens Rosa Harnisch erbarmte sich seiner: »Er ging von Tür zu Tür, fragte immer vergebens, denn jeder hatte mit sich selbst zu tun und hatte Angst, den kommenden Winter zu verhungern. So kam er zu mir und bat so flehentlich, ich solle ihn aufnehmen. Ich gab ihm ein Zimmer. Sein Zustand wurde 1946 so schlimm, dass er seine Glieder nicht mehr bewegen konnte. Dieser gute, liebe Mensch hat ein trauriges Ende gehabt. Am 13. Januar 1947 kam die Flüchtlingskommission. Aye musste den Raum für eine Familie räumen. Er selbst kam ins Krankenhaus, auf offenem Wagen mit Stroh wurde er hingefahren. Am 16. ist er dort verstorben und beerdigt ohne Sarg …«8