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GERHARD FISCHER

DIE UNHALTBARE
PUDELMÜTZE

Fußball-Geschichten
aus dem Norden Europas

VERLAG DIE WERKSTATT

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Satz und Gestaltung: Verlag Die Werkstatt, Göttingen

ISBN 978-3-7307-0025-9

INHALT

EINLEITUNG

FÄRÖER.

DIE UNHALTBARE PUDELMÜTZE

Die Färöer sind ein Fußball-Zwerg zum liebhaben –
auch wenn der Torwart jetzt ohne Kopfbedeckung spielt

„WARUM SEID IHR JETZT SO GUT?“

Als Allan Simonsen Trainer wurde, hatten die Färöer ein
Torverhältnis von 1:50. Das ist viel besser geworden.

NORWEGEN.

WENN DIE ZEIT STILL STEHT

Claus Reitmaier wird in Norwegen zum besten Torwart
der Liga gewählt – mit 41 Jahren

DER KILLER MIT DEM BABYFACE

Sechziger, Norweger, Engländer: Alle lieben Ole Gunnar Solskjær –
nur der FC Bayern nicht

„TAUSEND FLIEGEN ZU JEDEM HEIMSPIEL“

Ole P. Pedersen, Vorsitzender des größten Manchester-United-Fanklubs
in Nordeuropa, über eine moderne Völkerwanderung

DÄNEMARK.

„YOU’LL NEVER SMOKE ALONE“

Die Fußballer der dänischen Hippie- und Hasch-Kolonie Christiania
spielen manchmal auch gegen die Polizei

„LAUF RÜCKWÄRTS, LARS!“

Lars Lunde lag nach einem Unfall im Koma –
die Familie Hoeneß half ihm wieder auf die Beine

GRÖNLAND.

DAS GROSSE SPIEL DER POLAR-BäREN

Grönlands Nationalelf gewinnt nicht oft –
aber einmal hat sie sogar China Angst gemacht

ISLAND.

DIE KOMISCHSTEN KICKER DER WELT

Africa United spielte in Islands dritthöchster Liga –
es wurde eine Komödie daraus

„ES WAR VIEL ASCHE AUF DEM PLATZ“

Ásgeir Sigurvinsson über den Vulkanausbruch, die Finanzkrise, Halbprofis –
und die berühmten Torjubler auf Island

SCHWEDEN.

14 BÄREN UND EIN KNIRPS

Als ein achtjähriger Junge in der schwedischen Nationalelf spielte

„ICH HABE ES NICHT BEREUT“

Der schwedische Fußballer Anton Hysén hat sich getraut –
er hat gesagt, er sei schwul

ALS DER BARON DEN BISON SCHICKTE

Die Schweden Gunnar Gren, Gunnar Nordahl und Nils Liedholm spielten
einst in Italien – als GreNoLi sind sie heute in beiden Ländern unvergessen

MARTA ZAUBERT IN DER FRAUENSTADT

Der steile Aufstieg und tiefe Fall von Umeå IK, Schwedens ehemaligem
Vorzeige-Frauenteam

IBRACADABRA

Zlatan Ibrahimović wurde 2012 zum siebten Mal insgesamt und
zum sechsten Mal in Folge Schwedens Fußballer des Jahres –
und ist dennoch nicht bei allen Schweden beliebt

FINNLAND.

BECKENBAUER AM POLARKREIS

Daniel Bauer hat in der Heimat des Weihnachtsmanns Fußball gespielt

DIE SCHMUTZIGSTE SPORTART DER WELT

Bei der Sumpffußball-WM in Hyrynsalmi werfen sich erwachsene
Menschen in den Matsch

„UNSER TORWART WAR BIS ZUM KINN IM SUMPF“

Die Schlammfreunde Niedersachsen nahmen an der WM in Finnland teil

ZUM AUTOR

FÜR ANISSA

EINLEITUNG

Der schwedische Name für Einwechselspieler heißt „Inhoppare“ (Deutsch: Hineinhüpfer). Als Hansa Rostock in der Bundesliga spielte, hat der Trainer im Herbst 2002 zwei Schweden eingewechselt: Arvidsson und Persson. Auf dem Platz standen bereits die Schweden Jakobsson, Lantz, Wibrån und Prica. Arvidsson und Prica spielten im Sturm, Angreifer heißt in Schweden „Anfallare“. Sechs Ausländer, die aus dem gleichen Land kommen, in einer Bundesligaelf – das gab es noch nie. Und dann waren sie auch noch alle aus Schweden. Kommen die Bundesligalegionäre nicht eher aus Brasilien oder Serbien?

Es gibt nicht nur eine ewige Bundesligatabelle, bei der die Punkte der Mannschaften summiert werden; es existiert auch eine Rangliste, welche die Einsätze ausländischer Spieler seit 1963 zählt. Schweden liegen auf Rang neun. Erste sind die Brasilianer – vor den Dänen. Mehr als 100 Dänen haben seit 1963 in der Bundesliga gespielt, Ole Bjørnmose, der in den 1960er und 1970er Jahren bei Werder Bremen und dem Hamburger SV kickte, hielt mit 323 Bundesligaspielen lange den Rekord für Legionäre – ehe ihn 2008 der Bosnier (und langjährige HSV-Spieler) Sergej Barbarez ablöste. Und wer erinnert sich nicht an Ebbe Sand, den Schalker? An Morten Olsen, den Kölner?

Die Norweger sandten Charismatiker wie Rune Bratseth oder Jan Åge Fjørtoft nach Süden. Stopper Bratseth, den sie in Bremen „Elch“ nannten, verkörperte das Ruhige, Unerschütterliche eines Nordmannes, Spaßvogel Fjørtoft das Heitere, das man in Norwegen antrifft, aber auch in Dänemark.

Finnen, Isländer, Grönländer oder Färinger spielten bisher eine geringere oder gar keine Rolle in der Bundesliga.

Und die Nationalmannschaften der Nordeuropäer? Schweden wurde 1958 Vize-Weltmeister bei der WM im eigenen Land, im Finale gewann Brasilien – mit dem 17-jährigen Pelé. Im Halbfinale hatten die Schweden die Deutschen besiegt, Sepp Herbergers Mannschaft musste lange mit zehn Mann spielen, denn Erich Juskowiak hatte sich ein Revanchefoul gegen Kurt Hamrin geleistet und war in der 58. Minute vom Feld geflogen. „Da wird Juskowiak vom Platz gestellt!“, rief Reporter Herbert Zimmermann, der schon das WM-Finale 1954 in Bern übertragen hatte. In der Stimme Zimmermanns schwang immer etwas Schicksalhaftes mit. So war es auch dieses Mal.

Schweden gewann 3:1, die fast 50.000 Fans im Nya-Ullevi-Stadion in Göteborg feierten die eigene Mannschaft um die Legenden Gunnar Gren und Nisse Liedholm, die als Profis in Italien Karriere gemacht hatten. Und auf Linksaußen wirbelte ein ganz besonderer Fußballspieler: der pfeilschnelle Lennart „Nacka“ Skoglund, über den die Süddeutsche Zeitung unter der Überschrift „Am Ball genial, unfähig im Leben“ einmal schrieb: „Wie Libuda beherrschte Skoglund sein Leben nur, wenn er Sicherheit in engen Grenzen fand – zwischen den vier Eckfahnen eines Fußballplatzes. Er hat getrunken, und er ist mit 45 Jahren in der Ein-Zimmer-Wohnung seiner Mutter gestorben.“ Vor dem Haus in der Katarina Bangata 42 in Stockholm „steht heute eine Skoglund-Statue, und jedes Jahr am 24. Dezember, wenn Nacka Geburtstag hat, treffen sich dort Hunderte und singen und essen Pfefferkuchen“.

Bei der WM 1994 in den USA wurde Schweden Dritter, es war eine starke Mannschaft mit den Stürmern Dahlin und Brolin, die ähnlich berühmt wurden wie Gren und Liedholm, und mit einem Torwart, der starke Reflexe hatte und einen stechenden Blick: Thomas Ravelli. Es war ein sehr heißer Sommer damals in Schweden, das ganze Land saß vor dem Fernseher, um die WM zu gucken. Henning Mankell hat das in seinem Wallander-Krimi Die falsche Fährte beschrieben. Kommissar Kurt Wallander versteht nichts von Fußball, er interessiert sich auch nicht für die WM, aber er macht beim internen Tippspiel des Polizeipräsidiums mit. Nach dem Spiel Schweden gegen Kamerun zog Kollege Martinsson ein Stück Papier aus der Tasche und sagte zu Wallander: „Wie du weißt, ist Fußball-Weltmeisterschaft . 2:2 gegen Kamerun. Du hattest 5:0 für Kamerun getippt, damit bist du Letzter.“

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Foto: Edgar Wangen

Gedenkstatue von Nacka Skoglund in Stockholm, Katarina Bangata am Nackas-Hörna-Plats.

Norwegen hat dreimal bei Weltmeisterschaften mitspielen dürfen (1934, 1994 und 1998), aber niemals das Achtelfinale überstanden; bei der einzigen EM-Teilnahme im Jahr 2000 scheiterten die Norweger schon in der Vorrunde. Finnland, Island, die Färöer und Grönland warten noch auf ihre erste Teilnahme an einer großen internationalen Meisterschaft.

Den einzigen Titel einer nordeuropäischen Mannschaft hat Dänemark gewonnen: Die Dänen wurden 1992 in Schweden Europameister – im Finale besiegten sie die Deutschen 2:0. Dänemark, wo erst 1971 Profifußballer im Nationalteam zugelassen wurden, hatte in den 1980er Jahren eine famose Nationalmannschaft. Die Helden hießen Laudrup, Olsen und Elkjær Larsen und der erste hauptamtliche Nationaltrainer kam aus Deutschland: Sepp Piontek. Bei der EM 1984 kamen sie ins Halbfinale, scheiterten erst im Elfmeterschießen an Spanien. 1986, bei der Weltmeisterschaft in Mexiko, blieben sie erneut an Spanien hängen, diesmal im Achtelfinale.

Als sich Dänemark 1990 nicht für die WM und 1992 nicht für die EM qualifizieren konnte, dachte man, die Zeit von „Danish Dynamite“ sei vorbei. Doch 1992 durften sie nachrücken, weil Jugoslawien wegen des Balkankonflikts ausgeschlossen worden war. Die Dänen kamen direkt aus dem Urlaub und hatten noch Pommesreste zwischen den Zähnen, aber sie bezwangen im Finale die Deutschen, „und die Legende war geboren, dass man im Profi-Fußball Spaß haben muss und nicht die richtigen Laktatwerte“, schrieb die Süddeutsche Zeitung. Das Endspiel fand in Göteborg statt. Es war nicht nur der einzige Sieg einer nordeuropäischen Mannschaft bei einem großen Turnier, es war auch bislang die einzige Fußball-EM in einem nordeuropäischen Land. 2008 wollten Dänemark, Schweden, Finnland und Norwegen als Team NORDIC die Europameisterschaft 2008 veranstalten. Vier Länder gemeinsam – so eine Bewerbung gab es noch nie. Doch die Schweiz und Österreich bekamen die EM.

Der Stellenwert des Fußballs in Nordeuropa ist passabel, auch wenn die Schweden vielleicht noch lieber Eishockey gucken, die Norweger Skilanglauf oder die Finnen Skispringen. Vor allem achten die Fußballverbände auf eine gute Ausbildung der Jugendlichen – der Gotha-Cup in Schweden und der Norway Cup in Norwegen gehören zu den weltweit größten Jugendturnieren, was die Anzahl der Teilnehmer betrifft.

In diesem Buch geht es nicht darum, Bundesligaspieler aus Schweden oder Dänemark zu porträtieren; auch nicht darum, die Geschichte der nordeuropäischen Nationalmannschaften zu erzählen; und schon gar nicht darum, die sportlich mittelmäßigen ersten Ligen aus dem hohen Norden vorzustellen. In Finnland etwa kommen im Schnitt nur knapp 2.000 Zuschauer zu den Partien der höchsten Spielklasse. Dort heißt es, keiner wolle Rechts- oder Linksaußen spielen – er könnte von Wölfen angefallen werden.

Es geht vielmehr darum, schöne Geschichten zu erzählen, skurrile und manchmal auch nachdenkliche – vom großen und vom kleinen Fußball aus dem Norden Europas. Die Geschichte vom achtjährigen Fimpen, der – natürlich nur im Film – in der schwedischen Nationalmannschaft spielte, ist schon fast 40 Jahre alt. Aber sie ist spannend und lustig, und der schwedische Torwart Ronnie Hellström lacht heute noch darüber, wie er dem Jungen im Trainingslager Märchen vorlesen musste.

Und Sepp Piontek lacht darüber, wie er als Trainer der grönländischen Nationalmannschaft bezahlt wurde: mit seltenen Lebensmitteln und Robbenjagden. 2001 fand übrigens ein außergewöhnliches Fußballspiel zwischen Grönland und Tibet statt. Auf Island spielte 2005 eine Mannschaft afrikanischer Einwanderer in der dritten Liga mit, der ehemalige Bundesliga-Keeper Claus Reitmaier wurde im selben Jahr zum besten Torwart in Norwegen gewählt – als 41-Jähriger. Warum ist Ole Gunnar Solskjær in Norwegen und England ein Held, und warum fliegen Woche für Woche tausend Skandinavier nach England, um Spiele der Premier League zu sehen?

In einem Moor im Nordosten Finnlands, in Hyrynsalmi, treffen sich jeden Sommer 30.000 Menschen – die einen spielen den Weltmeister im Schlammfußball aus, die anderen gucken dabei zu. Auf den Färöern leben Zehntausende Schafe und ein paar Holzhändler und Eisverkäufer, die Fußball spielen – und gegen Österreich gewinnen oder Berti Vogts mit seiner schottischen Mannschaft ärgern. In Schweden hat sich der schwule Fußballer Anton Hysén geoutet, und in Dänemark gibt es ein Fußballspiel, das einzigartig ist auf dieser Welt: Kicker aus der Hippie-Kolonie Christiania spielen gegen eine Betriebsmannschaft der Polizei. Normalerweise sind die Beamten damit beschäftigt, den Haschisch-Handel in Christiania zu überwachen. Aber zweimal im Jahr – im Hin- und Rückspiel – wird in einer richtigen Liga gegeneinander gekickt. Da kommt es dann schon mal vor, dass Christiania-Fans am Spielfeldrand einen ganz tiefen Zug von ihrem Joint nehmen – und den Rauch ins Ohr des Polizisten pusten, wenn der einen Einwurf macht.

Gerhard Fischer

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FÄRÖER.

DIE UNHALTBARE PUDELMÜTZE

Die Färöer sind ein Fußball-Zwerg zum Liebhaben – auch wenn der Torwart jetzt ohne Kopfbedeckung spielt

Es bläst ein starker Sturm auf den Färöern im Nordatlantik. Und beim Spiel zwischen B86 Toftir und B36 Tórshavn gibt es Strafstoß. Der Schütze legt den Ball auf den Elfmeterpunkt – aber der Wind weht ihn weg. Weit weg. Nächster Versuch: Wieder hoppelt die Kugel auf und davon. Da wird es dem Schiedsrichter zu bunt – er beendet das Spiel. Ein andermal weht der Wind so stark, dass der Schiedsrichter den Spielern empfiehlt, sich flach auf den Boden zu legen – damit sie nicht weggeweht werden. Das ist kein Witz und keine Übertreibung: Auf den Färöern ist der Wind manchmal so stark, dass er Autos von der Straße fegt.

Färöer heißt übersetzt „Schafinseln“. Auf den 18 „Schafinseln“ leben knapp 49.000 Menschen und über 80.000 Schafe, daher der Name; 17 Inseln sind permanent bewohnt. Schottlands Küste liegt gut 300 Kilometer entfernt, nach Norwegen sind es 500 Kilometer. Die Einwohner sprechen Färingisch und Dänisch. Rund ein Drittel der Menschen lebt in der Hauptstadt Tórshavn. Die Färöer gehören wie Grönland zu Dänemark, seit 1948 besitzen die Inseln aber eine weitgehende Autonomie.

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Torwart Jens Martin Knudsen Von Den Färöern während eines länderspiels gegen Belgien im Mai 1993.

Foto: dpa/picture-alliance

Ohne Fußball würde die Welt bis heute nicht wissen, dass es die Färöer überhaupt gibt. „Für die werbewirksamste Aktion stellte sich 1990 die Nationalmannschaft Österreichs zur Verfügung“, schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung einmal. Die Färöer gewannen in einem EM-Qualifikationsspiel gegen Österreich 1:0 – und plötzlich wusste fast jeder, was und wo die Färöer sind. Die Medien hatten weltweit davon berichtet, dass eine Gruppe Walfänger, Lehrer, Schafhirten, Eisverkäufer und Fischer eine Profimannschaft besiegt hatte. Und der Torwart – der Torwart hatte eine Zipfelmütze getragen. Das machte die Schmach für die Österreicher noch größer: Sie hatten gegen eine Mannschaft verloren, deren Keeper eine Pudelmütze trug.

Dieser Torwart hieß Jens Martin Knudsen. Knudsen, das klingt niedlich, wie Knut, der Eisbär, oder wie knuddeln. Die Färinger waren ein Fußball-Zwerg zum Liebhaben. Zunächst dachte man, Knudsen habe die Mütze nur deshalb getragen, weil es eben saukalt gewesen ist an diesem Septembertag im Jahr 1990 – das Spiel fand in Landskrona in Schweden statt, weil die Färöer keinen Rasenplatz besaßen, der den FIFA-Regeln entsprach. Tatsächlich aber hatte die Mütze eine andere Geschichte: Als Jens Knudsen 14 war, hatte er sich den Kopf ganz heftig angehauen, vermutlich an einem Stein, Bäume wachsen auf den Färöer eher selten. Weil der Junge weiter Fußball spielen wollte, riet man ihm, einen Helm zu tragen. Das wollte Knudsen nicht, und seine besorgte Mutter sagte daraufhin: „Dann trag doch wenigstens eine Mütze.“

Das tat er, und er trug sie weiter, als es längst nicht mehr notwendig war, weil der Kopf wieder in Ordnung war. Sie wurde sein Markenzeichen und ein Symbol für die aufmüpfigen und liebenswerten Wikinger aus dem Nordatlantik. Die Mutter verkaufTe später viele Knudsen-Pudelmützen an viele Knudsen-Fans.

Sie waren nicht wirklich besser gewesen, damals in Landskrona. Aber die Profis Polster, Herzog und Pacult vergaben ihre Chancen, und Jens Martin Knudsen, damals Gabelstaplerfahrer in einer Fischfabrik in Runavík, hielt seinen Kasten sauber. Nach einer Stunde wagten sich die Färinger auch mal in die Hälfte der Österreicher, und Torkil Nielsen schoss das 1:0. Schade für Nielsen, dass er keine Mütze trug – an ihn erinnert sich keiner mehr außerhalb von den Färöern und Österreich, an Knudsen schon. Die Färinger retteten die Führung über die Zeit, und als das Spiel „vorbei war, da wurde es in der Hauptstadt Tórshavn nur zögerlich laut“, schrieb der Tagesspiegel. „Erst lange nach Spielschluss liefen die Menschen auf die Straßen. Es wurden immer mehr, viel mehr, sie umarmten sich und feierten die Nacht hindurch. Sie hatten es wirklich begriffen. Ein Holzhändler namens Torkil Nielsen aus Sandavágur, der zwei Tage zuvor zum ersten Mal Vater geworden war, hatte die Färöer mit seinem Tor auf die Weltkarte geschossen.“

Und die Österreicher? Die, die damals dabei waren, werden die Niederlage nicht mehr los. Trainer war Josef Hickersberger, der in Österreich Pepi gerufen wird. Hickersberger hatte eine schöne Karriere als Spieler hinter sich, er war Profi bei Fortuna Düsseldorf und Mitglied jener österreichischen Mannschaft, die Deutschland 1978 in Córdoba besiegte. Hickersberger wird stets mit beiden Ereignissen in Verbindung gebracht – oder er tut es gleich selbst. Vor der EM 2008, die in Österreich und der Schweiz stattfand, wurde er von der seriösen Zeitung Standard interviewt; er war zu dieser Zeit wieder Nationaltrainer Österreichs.

„Ich bin kein Statistiker, ich bin Fußballtrainer“, sagte er da. „Die außergewöhnlichen Ergebnisse merke ich mir: Dass Österreich in Córdoba 3:2 gewonnen hat, und dass der Josef Hickersberger gegen die Färöer-Inseln 0:1 verloren hat auch.“

Standard: „Das Thema wollte ich gar nicht anschneiden.“

Hickersberger: „Tun Sie nur, aus solchen Niederlagen lernt man am meisten. Demut vor allem, und das ist das Wichtigste. Du kannst im Fußball selbst gegen Schafhirten, Angler, Fischer verlieren.“

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6 Juni 2007: Blick in das 7.000 Zuschauer fassende Svangaskarð-Stadion in Toftir, wo sich die Nationalmannschaften der Färöer und schottlands (0:2) im EM-Qualifikationsspiel gegenüberstehen.

Foto: dpa/picture-alliance

Standard: „Natürlich. Natürlich.“

Hickersberger: „Aber wir haben bei der EM bessere Chancen als die Färöer.“ (Die spielten gar nicht mit; Anm. des Autors).

Die Österreicher blamierten sich 18 Jahre nach dem legendären 0:1 noch einmal gegen die Färöer. Der EM-Gastgeber von 2008 kam in der Qualifikation zur WM 2010 in Tórshavn nicht über ein 1:1 hinaus. Wieder war Österreich überlegen, und wieder gelang den Färingern die Führung: Bogi Lokin traf in der 47. Minute. Doch diesmal reichte es wenigstens zu einem Unentschieden. Martin Stranzl schoss das Tor für die Gäste – jener Stranzl, der später Verteidiger bei Borussia Mönchengladbach wurde. Und auch RB Salzburg hat auf den Färöern schon verloren. Ein Qualifikationsspiel zur Champions League endete im Juli 2010 1:0 für den Gastgeber HB Tórshavn. Zwar qualifizierte sich Salzburg aufgrund eines 5:0-Hinspielsiegs für die nächste Runde, aber diese Inselgruppe scheint österreichischen Mannschaften einfach nicht zu liegen …

Normalerweise werden Länderspiele in Österreich live im Fernsehen gezeigt. Doch diesmal fiel die Übertragung aus, Reporter Thomas König kommentierte 90 Minuten lang zu einem Standbild des Stadions. In der offiziellen Begründung hieß es, es könnten keine bewegten Bilder gezeigt werden, weil „ein Teil der technischen Ausrüstung nicht angeliefert worden“ sei. So so.

Das Spiel fand in der Hauptstadt Tórshavn statt, in einem Stadion, das dem Reglement der FIFA entsprach. Außerdem gibt es noch einen Rasenplatz in Toftir. Nach dem historischen 1:0-Sieg gegen Österreich im schwedischen Landskrona stand für die Färinger fest: Es musste ein eigener Rasenplatz angelegt werden – einer, der den Regeln des Weltverbands FIFA entspricht. Sie lösten das Problem mit einer Ladung Dynamit.

Angeblich war es eine Gruppe junger Fans um den Fischer Niclas Davidsen, die sich nach dem Erfolg in Landskrona einig waren: Solche Siege muss man künftig zu Hause feiern. Ein Nationalstadion musste her. Auf den Färöern gab es einige Kunstrasenplätze, aber keinen Naturrasen. Der Fischer Davidsen und seine Kumpel fingen an zu bauen, hoch über Toftir, etwa eine Stunde mit dem Auto von Tórshavn entfernt. Sie sprengten einen halben Berg weg, 200.000 Tonnen Gestein seien in die Luft gejagt worden, schrieb Peter Linden in einem Beitrag der Süddeutschen Zeitung. Und dann legten sie den Rasen an. Nun hatten sie auf den Färöern einen Rasenplatz, wenn auch einen so kleinen, dass er gerade so den Richtlinien der FIFA entspricht. Eine Tribüne wird vom Felsen überragt. Auf ihm grasen oft die Schafe. Ein schönes Bild.

Mittlerweile gibt es mehr als 20 Kunstrasenplätze und zwei Rasenplätze, jenen in Toftir und jenen in der Hauptstadt Tórshavn. Es gibt 22 Klubs auf den Färöern und etwa 5.500 registrierte Fußballspieler. Eine solche Quote von mehr als zehn Prozent der Gesamtbevölkerung ist weltweit einmalig. „Die Bevölkerung ist verrückt nach Fußball“, sagte der ehemalige Nationaltrainer Henrik Larsen, ein Däne. „Aber hier gibt es ja auch kaum etwas anderes. Zwei Kinos, aber viele Kunstrasenplätze.“

Wer die Inseln abfährt, „die kaum eine natürliche Ebene besitzen und wo oft kaum ein Haus zum Wohnen Platz hat, der gewinnt rasch den Eindruck, dass die Färöer überall ein bis zwei Tore aufstellen, wo sich auch nur der Hauch einer geraden Fläche andeutet“, schrieb die Frankfurter Allgemeine. Im malerischen Tjørnuvík haben sie ein Feld diagonal zwischen die Dorfschule und zwei weitere Häuser gequetscht. In Søldarfjørður neigt sich der Platz etwa 30 Grad zum Meer hin.

Oder der Fußballplatz in Eiði, einem 650-Seelen-Dort an der Nordspitze der Insel Eysturoy: Dort spielt der Erstligist EB/Streymur, und der Platz liegt direkt neben dem Atlantik. „Bei Sturm spritzt die Gischt des Meeres auf die Tribünen“, so der Tagesspiegel. Einmal holte sich die See in einem Spiel drei Bälle. „Sturmböen trugen sie nach Eckstößen auf und davon, krönten damit Wellenkämme“, schrieb der Focus. „Niemand wusste später zu sagen, wohin sie trieben. Vielleicht geradewegs ins Packeis des Nordpols? Vielleicht gen Island? Weit, weit nach Nordwest?“ Und im Stadion von Gøta, „gleich neben einem Hafen, riechen die Fans den Gestank des Diesels von den Schiffen. Und sie riechen den Fisch.“

Den Färinger, der noch nie mit Meeresgetier zu tun hatte – egal, ob Frau oder Mann, egal, ob in der Fabrik, auf dem Kutter, dem Hochseedampfer oder in der Bank –, den gebe es nicht. „Zuletzt holte sich das Meer Knut Vestertún“, schrieb der Focus, „ihm schenkte Gott Beidfüßigkeit, das Auge für den freien Mann und die Intelligenz eines Spielmachers. Aber mitten in der Saison sagte er seiner Fußballerkarriere ade – er ging als Kapitän des Klubs EB/Streymur in Eiði von Bord und heuerte als Seemann an. Es ist noch, wie es immer war, und wie der Färinger sagt: ‚Der Fisch ist mächtiger als die Frauen und der Fußball.‘“ Man kann auch sagen: Die Natur ist mächtiger. Sie ist eben allgegenwärtig auf diesen 18 Inseln im Nordatlantik mit ihrer langen Geschichte.

„Natürlich gibt es ein paar Schlaumeier, die behaupten, alles hätte mit Risin und Kellingin angefangen“, schrieb die Münchner Abendzeitung einmal. „Dem Riesen und seinem Trollweib lagen die Färöer zu dicht an Norwegen. Nachts zog und zog das gewaltige Pärchen die 18 Eilande Richtung Island – bis die Sonne aufging. Da gab es ein zischendes Geräusch, und Risin und Kellingin erstarrten zu Stein: Fabelwesen vertragen nun mal kein Sonnenlicht, weshalb die beiden heute und für immer als zwei turmhohe, verwitterte Monolithen westlich der Färöer in der Gischt stehen. Dumm gelaufen.“

So kann es gewesen sein, muss aber nicht. Als gesichert gilt, dass die Färöer seit dem neunten Jahrhundert von Westnorwegen aus besiedelt wurden. Das Parlament Løgting gibt es seit etwa 900, es ist die älteste Volksvertretung Europas; bis etwa 1400 hieß es Althing. Im Jahr 999 wurde das Christentum eingeführt, angeblich vom Wikingerhäuptling Sigmundur Brestisson. Als 1380 ein dänischer König gleichzeitig König von Norwegen wurde, kamen auch die Färöer unter dänische Herrschaft.

Als Dänemark 1940 von den Deutschen besetzt worden war, übernahmen die Briten die Kontrolle über die Färöer und ermutigten die Insulaner, ihre eigene Flagge zu hissen. Langwierige Verhandlungen mit Kopenhagen folgten, 1948 einigten sich die Färinger schließlich mit den Dänen auf den Status einer „selbstverwaltenden Gemeinschaft innerhalb des Königreiches Dänemark“. Nur in außenpolitischen und militärischen Angelegenheiten haben sie nichts zu sagen. Hauptwirtschaftszweig ist der Fischfang: Er macht mehr als 90 Prozent des Exports aus.

Der Golfstrom sorgt auf den Färöern für ein mildes, aber sehr feuchtes Klima. Ein paar Wolken hängen hier immer fest, wenn auch selten überall gleichzeitig, irgendwo bricht meistens auch die Sonne durch. „Vier Jahreszeiten in einer Stunde“, verspricht eine färöische Redensart. Sie ist keine Übertreibung. Meistens aber ist das Wetter schlecht. Es regnet. Es schneit. Oder es regnet und schneit gleichzeitig. Wenn man die Schafe und den Regen sieht, denkt man: Gebt ihnen Schirme. Oder wenigstens Hüte. Aber dann sagen die Einheimischen: Die Schafe haben über die Jahrhunderte ein Fell bekommen, durch das kein Wasser dringt. Davon profitieren auch die Menschen. Viele haben hier riesige Jacken aus Schafsfell, und wenn man nicht aufpasst, spricht man ein Schaf an, weil man denkt, das sei ein Mensch, der eine Schaf-Jacke trägt. Das ist natürlich übertrieben.

Oder es ist neblig. Oder stürmisch. Als die Fußball-Nationalelf der Färöer 1998 gegen Tschechien spielte, mussten zwei Radio-Reporter eingesetzt werden – je einer pro Spielhälfte, weil der Nebel so dicht war, dass man nur fünfzig Meter weit sehen konnte. Oder diese Geschichte: Erst einmal hat eine färingische Fußballmannschaft die zweite Runde im Europacup erreicht. Das Team aus der Hauptstadt Tórshavn kam kampflos weiter: Der Gegner aus Estland reiste zwar an, aber das Flugzeug konnte nicht landen. Die Sicht war schlecht, und der Regen fiel wie ein riesiger Wasserfall auf die 18 Inseln im Nordatlantik. Die Esten kehrten um.

Überhaupt: dieser Flughafen. Der Österreicher Martin Harnik, der mal zu einem Länderspiel auf den Färöern war, sagte über den Flughafen: „Da ist man zehn Meter über dem Wasser, kann schon in die Häuser schauen, aber keine Landebahn. Ich habe keine Flugangst, aber das sprengt den Rahmen.“ Der Flughafen liegt ungünstig zwischen Bergen und Wasser. Experten sagen, dass eine Landebahn 2.000 bis 3.000 Meter lang sein muss. Jene auf den Färöern misst nur 1.800 Meter. Wer nicht bremsen kann, fällt ins Wasser. Überall ist Wasser. Keine Stelle auf den Färöern ist mehr als fünf Kilometer vom Meer entfernt. Außerdem beeinträchtigen die Berge das Flugleitsystem und die Radargeräte. 1996 ist ein Militärflugzeug gegen einen Berg geknallt. Und einmal ist ein Flieger versehentlich auf der Nachbarinsel gelandet, wo es keinen Flughafen gab – acht Menschen starben. Piloten von Linienmaschinen, denen es gelingt, auf der Flugpiste der Insel Vagar eine halbwegs rumpelfreie Landung hinzulegen, werden auch von einheimischen Passagieren mit lang anhaltendem Applaus bedacht. Die Landebahn wird nicht länger, wenn sich der Nebel über ihr lichtet.

Einmal ist auch Berti Vogts auf die Färöer geflogen, im Jahr 2003 war es, als er Trainer Schottlands gewesen ist. Die Färöer und Schottland trafen sich in Toftir zum EM-Qualifikationsspiel, 115 Journalisten wollten das Spiel sehen, sie ahnten, dass es eine Überraschung geben könnte. Vogts stand tatsächlich vor einer Blamage, nach zwölf Minuten führten die Färinger durch zwei Tore des Lehrers John Petersen 2:0, aber mit Ach und Krach und Toren von Lambert und Ferguson glichen die Schotten aus – und zweimal war Tormann Jens Martin Knudsen ohne Abwehrchance.

Knudsen spielte ohne Mütze. Der frühere Gladbacher Allan Simonsen, der die Färöer zwischen 1994 und 2002 trainierte, hatte ihm die Kopfbedeckung ausgeredet. Ein Torwart mit Pudelmütze – da würde das ganze Team nicht ernst genommen, meinte Simonsen. Er fand also, eine Pudelmütze sei für einen seriösen Torwart unhaltbar.

Das 2:2 war glücklich für die Schotten. „Ich bin enttäuscht“, sagte Henrik Larsen, der Trainer der Färöer. Larsen war mal dänischer Nationalspieler. 1992 wurde er Europameister, mit einem Sieg gegen die favorisierte deutsche Mannschaft, die von Vogts trainiert wurde. Diesmal waren die Färinger die Dänen und die Schotten die Deutschen – die einen waren flink und kreativ, die anderen waren es nicht. Sie hatten größere Chancen als die Schotten, die in der ersten Halbzeit „so unbeweglich wirkten, als hätten sie zum Mittagessen Eisenstangen verspeist“, schrieb die Süddeutsche Zeitung.