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Kapitel 1
Helden und Schurken

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Bevor man einen Angriff startet, sollte man seinen Feind genau analysieren. Denn nur wer dessen Schwächen und Vorlieben kennt, der kann ihn auch bezwingen.

Ihre Tochter hat einen Lehrer, der in jeder kleinen Pause zum Rauchen auf den Hof rennt? Herrlich! Damit verletzt er jeden Tag seine Aufsichtspflicht. Woran Sie ihn, wenn die Versetzung mal wieder auf der Kippe steht, auch gern erinnern können …

Sind Sie Lehrer und haben ein Kind in der Klasse, dessen Mutter es immer zu spät aus dem Hort abholt, obwohl sie weiß, dass um fünf nach vier Ihr letzter Bus nach Hause fährt? Perfekt! Bei der nächsten Weihnachts- oder Osterfeier können Sie Madame daran erinnern, wo man die Kinder nach der offiziellen Schließzeit eigentlich abgibt … im Kinderheim nämlich.

Das sind nur zwei der typischen Charaktere, mit denen man auf dem Schlachtfeld Elternabend zusammentrifft, denn da gibt es noch Frau Öko, Herrn Neunmalklug, die verweichlichte Frau Nett, den überengagierten Referendar und, und, und …

RABENMUTTER

»Ist dir eigentlich schon aufgefallen, wie Paul den Füller hält?«, rief mir meine Schwägerin aus der Küche zu.

Ich war im Bad und wickelte meine Tochter. Jedenfalls versuchte ich das. Sie strampelte so wild, dass man den Eindruck bekam, sie hätte sechs Beine. Mindestens. Als ich endlich fertig war, wurde mir mit einem Schlag klar, wo der Ausdruck »schiefgewickelt« herkam.

»Wie bitte?«, keuchte ich atemlos, schnappte mir das sechsbeinige Strampeltier und ging in die Küche zurück.

»Na, den Füller.« Sie saß neben Paul am Küchentisch und zeigte auf die Hand meines Sohnes. »Er hält ihn total falsch.«

Paul warf mir einen flehenden Blick zu. Ich sah seine füllerhaltende Hand an und dann das Heft, in das er seine Hausaufgabe schrieb. Im ersten Moment fand ich eigentlich, dass das alles ganz gut aussah. Okay, ein Sternchen für Schönschrift bekäme er vielleicht nicht, aber leserlich sahen die drei Zeilen, die er geschrieben hatte, schon aus.

»Ich würde sowieso viel lieber mit Kugelschreiber schreiben«, maulte Paul.

Meine Schwägerin schüttelte energisch den Kopf. »In der Grundschule wird mit Füller geschrieben. Punkt. Das kündige ich immer gleich beim ersten Elternabend der ersten Klassen an. Eure Lehrer doch auch, oder?« Bei der Frage wandte sie ihren Blick von Paul zu mir.

Meine Schwägerin ist Grundschullehrerin. Zum Glück nicht an Pauls Schule. Ich hatte keine Ahnung, wie das dort mit dem Füller gehandhabt wurde. Der erste Elternabend war ja immerhin schon vier Jahre her.

»Bestimmt«, sagte ich vorsichtshalber.

Mein Sohn schlug sein Heft zu und wollte aufstehen, als meine Schwägerin ihn am Arm festhielt.

»Halt. Du hast einen Fehler gemacht. Wie schreibt man ›Anorakkapuze?‹«

Paul klappte sein Heft wieder auf. »So wohl nicht«, murmelte er.

Entschlossen strich sie das Wort durch, drückte meinem Sohn den Füller in die Hand und bog ihm die Finger zurecht.

»Da gehören zwei K hin. Anorak endet mit einem K und Kapuze fängt mit einem an.«

Während Paul das Wort korrigierte, sah mich meine Schwägerin vorwurfsvoll an. »Machst du denn keine Hausaufgaben mit ihm?«

»Ähem«, stammelte ich, »eigentlich nicht. Nur wenn er mich darum bittet. Also, wenn er etwas nicht versteht, oder so«, fügte ich etwas lahm hinzu.

»Als Lehrerin rate ich meinen Eltern immer wieder, ihre Kinder bei den Hausaufgaben zu begleiten. Eine ordentliche Unterstützung …«

Glücklicherweise krabbelte meine Tochter genau in diesem Moment gegen das Tischbein und fing an zu heulen. Meine Schwägerin verstummte. Paul schmiss den Füller in sein Mäppchen und verzog sich mit erleichterter Miene in sein Zimmer.

Als meine Tochter mit dem Weinen aufgehört hatte, führte meine Schwägerin ihren belehrenden Vortrag augenblicklich fort: »Erst beim letzten Elternabend musste ich meine Eltern zum wiederholten Male daran erinnern, dass …«

Diesmal rettete mich das Telefon.

»Hallo«, tönte eine hohe Stimme aus dem Apparat, »hier spricht Hannah. Ist Paul da? Ich wollte fragen, was wir heute aufhaben. Ich bin nämlich krank«, schniefte sie zur Erklärung dazu.

»Paul«, rief ich die Treppe hoch, »Telefon!«

»Ich bin auf Klo«, brüllte er die Treppe herunter.

»Paul kann gerade nicht«, sagte ich in den Hörer, »ich gucke mal, ob ich sein Hausaufgabenheft finde.«

Pauls Ranzen stand noch am Tisch. Darin fand ich alles Mögliche: Kaugummipapier, ein halbes Käsebrötchen, zerbröckelte Radiergummiteile, ein Stück Lineal, Hefte, ein Pfund Anspitzspäne und ein Buch. Aber kein Hausaufgabenheft.

»Es tut mir leid, Hannah, ich …«

Paul stürmte in die Küche und riss mir den Hörer aus der Hand.

»Hi«, sagte er und lauschte. Im nächsten Moment schoss es wie eine Pistole aus seinem Mund: »Mathe, Seite 24, Aufgaben 1a und b. C nur, wenn du Lust hast. Deutsch, Seite 54, Nummer 2. Und für nächste Woche noch Bio. Seite 43 bis 46 lesen.«

Er legte auf und verschwand.

»Ich muss auch los«, kündigte meine Schwägerin an, umarmte mich, rümpfte die Nase über Pauls Schulranzen und verschwand ebenfalls.

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Ich stand am Küchentisch und starrte auf Pauls Deutschheft. Dann schlug ich es auf und blätterte darin. Sollte ich mich vielleicht doch öfter mit ihm hinsetzen? Unschlüssig zuckte ich mit den Schultern und legte das Heft weg. Meine Schwägerin hatte den Samen des schlechten Gewissens gesät. Hatte ich bei den Elternabenden nicht richtig zugehört? Was hatte denn Pauls Lehrer zu diesen Themen gesagt? Und wann war ich eigentlich das letzte Mal bei einer Elternversammlung gewesen?

Mit diesen Gedanken im Kopf machte ich mich auf den Weg zum Einkaufen. Und wie das manchmal so ist im Leben, sollte das Thema an diesem Tag damit noch lange nicht abgehakt sein. Im Supermarkt traf ich nämlich Hannahs Mutter.

Nach ein paar freundlichen Worten zur Begrüßung sagte sie: »Wie läuft es eigentlich bei Paul in Mathe?«

»Mathe? Ganz gut, glaube ich.«

»Kommt denn Paul mit der neuen Lehrerin zurecht?«, wollte sie wissen.

Neue Lehrerin? Was für eine neue Lehrerin?

»Frau Simon, die Vertretungslehrerin für die Meyer«, fügte Hannahs Mutter zum Glück sofort hinzu.

Ich nickte und tat so, als wüsste ich, wovon sie redete.

»Ach so, natürlich. Ich denke schon, dass er mit ihr klarkommt. Er hat nichts Negatives berichtet.« Eigentlich hatte Paul gar nichts berichtet. Er hatte die Lehrerin noch nie erwähnt.

»Meine Hannah meint, die Simon sei uralt und ein richtiger Drachen und würde ständig herumschreien«, regte Hannahs Mutter sich auf. »Dabei sollte die Meyer doch nur vier Wochen fehlen. Und nicht vier Monate! So lange kann man doch gar nicht brauchen, um sich von so einer OP zu erholen, oder?«

»I-ich weiß auch nicht«, stotterte ich. Was für eine OP denn eigentlich? Und warum erzählte mir mein Sohn verdammt noch mal nichts davon? Oder fragte ich ihn vielleicht zu wenig?

Hannahs Mutter redete sich derweil in Rage. Während wir zwischen Nudeln und Brotaufstrichen anderen Leuten im Weg standen, klagte sie lauthals: »Erinnerst du dich denn nicht? Beim Elternabend hat Herr Schmidt doch ausdrücklich betont, dass Frau Meyer nicht länger fehlen würde als einen Monat, denn schließlich sind ständige Lehrerwechsel nicht gut.«

Ich nickte. Das konnte man wohl sagen. Hannahs Mutter hatte rote Flecken im Gesicht und einen ganz verzerrten Mund. Sie sah wirklich nicht gut aus. Ich schüttelte mitfühlend meinen Kopf. Sie blickte mich erwartungsvoll an.

»Ich war leider nicht da beim letzten Elternabend«, sagte ich leise. Ich konnte nicht länger so tun, als wüsste ich, wovon sie sprach.

»Oh«, hauchte sie und guckte mich mit großen Augen an.

»Ja«, murmelte ich und zeigte auf mein Kind, das erstaunlich lieb und geduldig im Einkaufswagen saß und ein Brötchen zerkrümelte. »Meine Tochter war krank und mein Mann musste so lange arbeiten und …«

Hannahs Mutter musterte mich mit zusammengekniffenen Augen und erwiderte mit spitzer Stimme: »Kann ja schon mal vorkommen, dass etwas dazwischenkommt …«

Ich seufzte innerlich. Das klang so anklagend.

»Wir sollten mal Leons Papa vorschicken«, sagte sie nach einer kurzen, aber peinlichen Stille.

Okay, das verstand ich jetzt wieder nicht. Also lächelte ich verschwörerisch. Vielleicht lächelte ich auch nur dämlich, denn sie fügte hinzu: »Leons Papa ist doch unser Elternvertreter. Der könnte doch mal mit dem Direktor reden. Aber eigentlich ist der genau wie sein Sohn. Leons Papa, meine ich, nicht der Direktor. Wenn du weißt, was ich meine.« Sie wackelte mit ihren Augenbrauen und säuselte leise: »Dumm wie Brot. Aber ich habe den sowieso nicht gewählt. Du etwa?«

»Ich war doch nicht beim Elternabend«, erinnerte ich sie.

»Die Wahl fand am vorletzten Elternabend statt«, erwiderte Hannahs Mutter. Jetzt nahm ihre Stimme diesen Tonfall an, den manche Menschen benutzen, wenn sie mit Babys reden.

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Hilfe. Da war ich anscheinend auch nicht gewesen. Oder hatte ich das einfach nur vergessen? Mit einem Mal fiel es mir ein: Die Geburt meiner Tochter war damals dazwischengekommen. Aber das traute ich mich jetzt nicht mehr zu sagen. So langsam wuchs nämlich das frisch gesäte schlechte Gewissen zu einer riesigen Rankenpflanze an. Eine Rabenmutter bist du, schalt ich mich still. Ich musste mich unbedingt mehr um das Schulleben meines Sohnes kümmern. Augenblicklich! Und sei es nur, um die Supermarktgespräche mit anderen Eltern zu meistern. Ich straffte meine Schultern. Wann war eigentlich der nächste Elternabend?

»Ich habe jetzt einen Termin mit Herrn Schmidt zum Elterngespräch gemacht«, quasselte Hannahs Mutter weiter.

Ich nickte strahlend. Gute Idee. Herrn Schmidt kannte ich. Den hatte ich schon mal gesehen. Das war Pauls Klassenlehrer. »Ja, das mache ich auch«, posaunte ich fröhlich.

Das war doch ein Anfang.

 

Ich war jetzt eine andere Mutter. Eine enthusiastische Grundschulmutter. Beim Mittagessen am nächsten Tag fragte ich Paul: »Und? Wie wars in der Schule?«

»Wie immer«, nuschelte er mit dem Mund voller Nudeln.

»Habt ihr Hausaufgaben auf?«

»Ja.«

Die Worte meiner Schwägerin hingen mir immer noch in den Ohren. »Ich kann dir gern helfen, wenn du magst.«

Paul schüttelte seinen Kopf.

»Was ist denn jetzt mit dieser Füllersache? Gibt es da ein Problem?«

»Nö.«

»Wie ist eigentlich diese neue Mathevertretungslehrerin? Kommst du klar?«

Paul nickte. »Klar.«

»Kannst du auch Mehr-Wort-Sätze sprechen?«

»Manchmal.«

»Wo ist eigentlich dein Hausaufgabenheft?«

Schulterzucken.

Paul war wirklich keine große Hilfe, wenn es darum ging, mich intensiver, unterstützender und mütterlicher in sein Schulleben einzubringen. Ich setzte mich an den Computer und öffnete die Homepage von Pauls Schule. Sicherlich standen dort die Termine. Mein Wunsch, einen Elternabend zu besuchen, wurde nämlich von Minute zu Minute größer. Ich stöberte stundenlang auf der Homepage herum und kannte am Ende alle Daten der Schulfeste und Sportveranstaltungen, lernte die Namen aller Lehrer auswendig, wusste plötzlich, dass es einen Förderverein gab und studierte Tausende Fotos mit Tausenden Kindern. Allerdings fand ich keine Termine für Elternabende oder -sprechtage. Daher studierte ich Pauls Stundenplan. Perfekt. Am nächsten Tag hatte Paul die letzte Stunde bei Herrn Schmidt. Da würde ich einfach mal vorbeischauen, ein Wort mit seinem Klassenlehrer wechseln und einen Termin für das Elterngespräch machen.

Zufrieden ging ich zu Bett. Ich war endlich die engagierte Mutter eines Grundschulkindes. Eigentlich fehlte nur noch ein Elternabend zu meinem Glück. Das war mein letzter Gedanke vor dem Einschlafen.

Als ich am nächsten Tag das Schulgebäude betrat, wucherte das schlechte Gewissen erneut. In welchem Raum befand sich eigentlich Pauls Klassenzimmer? Bestimmt waren sie mit dem neuen Schuljahr umgezogen. Ratlos stand ich in der Vorhalle. Glücklicherweise kam gerade eine Schülerin aus der Toilette und konnte mir den Weg zur 4c weisen.

Es klingelte schon und die ersten Kinder kamen aus der Tür, also betrat ich den Klassenraum. Paul sah mich zuerst erschrocken und dann verschämt an, blieb kurz neben mir stehen, um sich dann mit einem kurzen »Hallo« an mir vorbeizuschlängeln.

Mit sicherem Schritt ging ich auf den Lehrer zu. »Guten Tag, Herr Schmidt«, sagte ich und reichte ihm die Hand.

»Guten Tag, Frau …?«

»Frau Müller«, half ich ihm auf die Sprünge, »Pauls Mutter.«

»Ach, natürlich«, rief Herr Schmidt. »Kann ich Ihnen helfen?«

»Ja, ich wollte einmal fragen, ob wir einen Termin für ein Elterngespräch machen können.«

»Haben Sie denn konkrete Fragen? Ich kann Ihnen nämlich gleich versichern, dass ich von meiner Seite zufrieden mit Paul bin.«

Stolz nickte ich dem Klassenlehrer zu. »Ja, nein«, entgegnete ich. »Konkret vielleicht nicht. Eigentlich wollte ich Sie auch nur fragen, ob Ihnen das mit dem Füller schon aufgefallen ist. Er hält ihn nämlich nicht korrekt«, wiederholte ich die Worte meiner Schwägerin, »und schreibt leider auch nicht so ordentlich …«

Herr Schmidt winkte ab. »Der Paul hat mich schon darauf angesprochen. Ich habe ihm heute einmal genau auf die Finger geschaut«, erwiderte Herr Schmidt lachend, »und finde, sein Schriftbild ist ganz in Ordnung. Ich mache mir da keine Sorgen. Haben Sie sonst noch ein Anliegen?«

Noch ein bisschen stolzer auf meinen Sohn fuhr ich fort: »Na ja, ich wollte einfach einmal hören, ob alles läuft. Wissen Sie, ich war ja leider auch nicht beim letzten Elternabend dabei« - eigentlich die letzten zwei, aber das wollte ich jetzt nicht noch betonen - »und deswegen möchte ich …«

»Wir können gern einen Termin machen«, unterbrach mich Herr Schmidt. »Aber, wie gesagt, Paul ist ein guter Schüler.«

Ich nickte und bedankte mich. »Dann komme ich einfach zum nächsten Elternabend. Ganz bestimmt.« Ich war fest entschlossen.

»Ich würde mich freuen«, verabschiedete er sich höflich.

Schon fühlte ich mich viel besser. Ich hatte mit dem Klassenlehrer meines Sohnes gesprochen. Beim nächsten Elternabend würde ich dabei sein. Schließlich wusste ich jetzt sogar schon, in welchem Raum er stattfinden würde. Jawohl! Komme, was wolle!

»Und übrigens«, rief mir Herr Schmidt noch hinterher, »wenn wirklich einmal irgendwas ist, dann garantiere ich Ihnen, dass ich Ihnen eine Notiz in Pauls Hausaufgabenheft schreibe.«

Na, das kann er ja mal versuchen.

Lehrer-Typologie

Jeder, der schon einmal auf einem Elternabend war, weiß, dass man dort auf ganz unterschiedliche Lehrer-Typen trifft, für die man jeweils eine individuelle Handhabung benötigt, um das Beste für sein Kind herauszuholen. Damit Sie dabei keine Anfängerfehler begehen, haben wir die wichtigsten Typen für Sie zusammengestellt und analysiert. Ein Muss für jeden, der sich ordentlich auf seinen ersten Elternabend vorbereiten will.

1. Frau Nett

Bevor sie mit ihrer Ansprache beginnt, müssen alle Unterlagen penibel geordnet, die Stifte nach der Äquatorialen ausgerichtet und die Kaffeetasse dem Magnetfeld der Erde entsprechend positioniert werden. Allen Anwesenden ist völlig unklar, was sie mit den diversen Papierstapeln am heutigen Abend vorhat, und mysteriöserweise stellt sich am Ende ihres Vortrags auch heraus, dass sie nichts davon verwendet hat.

Frau Nett steht einige Minuten lächelnd vor der Tafel und bedenkt jeden einzelnen Anwesenden mit einem liebevollen Blick.

»Gleich zu Anfang muss ich Ihnen etwas gestehen, liebe Eltern«, beginnt sie. »Ich unterrichte Ihre Kinder unheimlich gern. Wir verstehen uns sooo gut, eine derart liebe Klasse hatte ich selten.«

Das überrascht Sie nicht. Von Ihrem Kind wissen Sie, dass die Klasse Frau Nett gern in ein 45-Minuten-Gespräch verwickelt, um sie davon abzulenken, dass sie in dieser Stunde eigentlich einen angekündigten Überraschungstest schreiben wollte.

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Wenn man Pech hat, trifft man auf diesen Lehrertypus, kurz bevor er oder sie wegen Burn-out-Syndrom zusammenbricht. Die bemitleidenswerte Lehrerin sitzt dann am Elternabend als Häufchen Elend auf ihrem Stuhl, murmelt unverständliches Zeug vor sich hin, fegt schließlich die ganzen Papierstapel effektvoll vom Tisch und rennt weinend aus dem Klassenzimmer. Wirklich kein schöner Anblick, vor allen Dingen, da man sich als Erzeuger der Verantwortlichen unangenehm mitschuldig an dem katastrophalen Geisteszustand der Lehrerin fühlt.

Die männliche Ausgabe, Herr Nett, mutiert nach mehreren erfolglosen Burn-out-Kuraufenthalten gern auch zum Alkoholiker und wird des Öfteren abends in der Innenstadt sturzbesoffen auf einem alten Damenfahrrad gesichtet.

2. Frau Feierabend

Schon am Ende der Ferien weiß Frau Feierabend exakt die Anzahl der Arbeitstage, die sie bis zu den nächsten Ferien absolvieren muss. Genau wie die Schüler sitzt sie in der Schule nur ihre Stunden ab und lebt für die Zeit nach dem Ertönen der Schulglocke. Somit empfindet Frau Feierabend Elternabende, durch die sie genötigt wird, zusätzliche Zeit im Schulgebäude zu verbringen, als eine bodenlose Unverschämtheit.

»Wenn es keine Fragen mehr gibt, werde ich mich nun empfehlen und heimgehen«, beendet Frau Feierabend ihre erfreulich kurze Ansprache. »Sie waren für heute Abend meine letzte Station!« Plötzlich lächelt sie so glücklich, als habe sie gerade im Lotto gewonnen. Überraschend behände springt sie auf und schnappt sich ihre Tasche, in den Augen ein fröhliches Funkeln. Keine Spur mehr von der Frau, die noch vor wenigen Minuten mit gebeugten Schultern und missmutiger Miene hereinkam. In einem Tempo, das jeden professionellen Sprinter vor Neid erblassen ließe, saust sie durch den Klassenraum und hat schon an der Tür ihren Autoschlüssel in der Hand. Zurück bleibt nur eine Wolke ihres viel zu dick aufgetragenen Parfüms oder seines Eau de Toilette, denn natürlich gibt es von diesem Typus ebenfalls eine männliche Ausgabe.

3. Herr Feldwebel

Konsequent, wie es sich für einen Sportlehrer gehört, erscheint er sogar zum Elternabend in seiner üblichen Arbeitskleidung: Jogginghose und T-Shirt. Allein sein Anblick lässt uns Eltern zusammenzucken und unwillkürlich an jene qualvollen Sportstunden zurückdenken, in denen wir am Reck, an den Ringen oder am Barren hingen und vom Lehrer angebrüllt wurden: »Mein Gott, das kann doch nicht alles sein! Da habe ich ja schon Faultiere gesehen, die beweglicher waren als du!«

Neben Sport unterrichtet Herr Feldwebel oft noch Biologie, was in seinen Augen jedoch ein völlig überbewertetes Nebenfach ist. Sein Unterricht läuft meist so ab, dass er den Fernseher in den Biosaal schiebt und die Klasse auffordert, bei der folgenden ZDFinfo-DVD zum Thema Fotosynthese gut aufzupassen, während er noch eine Runde auf dem Sportplatz dreht. Dies hat für alle Seiten nur Vorteile, da die DVD in der Tat informativer und pädagogisch wertvoller ist als der geplante Unterricht.

4. Herr Hawking

Dieser Lehrertypus liebt sein Fach von ganzem Herzen und kommt oft in den Bereichen Fremdsprachen oder Naturwissenschaften vor. Lehrer dieses Typus sind Koryphäen auf ihrem Gebiet oder glauben es zumindest voller Inbrunst. Der Physik- und Chemielehrer Herr Hawking erscheint zum Elternabend in einem weißen Kittel, was den Eindruck erweckt, dass er bis eben noch im Schullabor an der Herstellung eines Betäubungsgases gearbeitet hat, das im Blut der Schüler selbst von einem Kriminallabor nicht mehr nachzuweisen wäre. Denn diese Lehrer lieben zwar ihr Fachgebiet, das Unterrichten aber nicht. Schüler sind für sie wie lästige Fliegen, die sie von ihrer eigentlichen Forschung und Passion abhalten. Den Kindern etwas zu erklären, das für sie selbst so selbstverständlich wie das kleine Einmaleins ist, halten sie für völlig unnötig und schon in der ersten Stunde bei Herrn Hawking haben die Schüler das Gefühl, in einer Vorlesung für fortgeschrittene Physik gelandet zu sein. Auch Einwände der Eltern, den Unterricht etwas basisorientierter und einfacher zu gestalten, perlen von diesem Lehrer ab wie Regentropfen von einem Lotusblatt.

Bleibt nur zu hoffen, dass er in seinem Privatleben seine Leidenschaft nicht ebenso exzessiv auslebt wie Walter White aus der Fernsehserie Breaking Bad.

5. Frau Öko

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Frau Öko kommt mit ihrem selbstgestrickten Pulli, Secondhandrock und einem seligen Lächeln recht harmlos daher, aber sobald es um das Thema Umwelt geht, gibt es für sie kein Halten mehr. Frau Öko ist auf einem Missionierungstrip der ganz besonderen Art: Sie setzt sich für Tier- und Umwelt ein, egal ob es um das deutsche Waldsterben, die Vermeidung von Tetra-Paks (»Wenn Sie Ihrem Kind eine WWF-Trinkflasche mitgeben, bekommt es bei mir in Biologie automatisch eine Eins!«) oder um die stark bedrohten einheimischen Silberfischchen geht. Eltern werden von ihr mit wütendem Blick gefragt, weshalb die letzte Entschuldigung eigentlich nicht auf Umweltpapier geschrieben war oder ob die Jacke, die da über dem Stuhl hängt, eigentlich aus echtem Leder sei. Wenn Sie nicht einen halbstündigen Vortrag von Frau Öko provozieren wollen, meiden Sie unbedingt die Themen Fair-Trade-Kaffee, Massentierhaltung und Mülltrennung! Gewarnt seien abschließend noch die Frauen: Wenn Sie mit einem Kleidungsstück aus echtem Pelz zum Elternabend erscheinen, sind Sie – wie das Tier um Ihre Schultern – so gut wie tot.

6. Herr Oberstudienrat

Er baut sich mit gestrafften Schultern und bohrendem Blick vor den Eltern auf. Mit jeder Pore seines Körpers verströmt er Autorität und Strenge. Dieser Lehrertypus denkt nicht im Traum daran, auf Ihre hochsensiblen Kinder einzugehen, und er hat auch gewiss nicht vor, bei deren Eltern Geduld walten zu lassen. Immerhin sind das diejenigen, die den grenzdebilen Sauhaufen, den er jeden Tag unterrichten muss, in die Welt gesetzt haben. Ihre beschämende Unfähigkeit in Sachen Erziehung tritt allein schon darin zutage, dass Sie kläglich daran gescheitert sind, Ihren Kindern gute deutsche Tugenden wie Disziplin, Ehrgeiz und Respekt zu vermitteln.

»Ent… Entschuldigung«, melden Sie sich trotzdem mit zittriger Stimme zu Wort. Eingeschüchtert blicken Sie auf den Lehrer, Angstschweiß auf der Stirn. »Meine Tochter hat erzählt, Sie bewerfen die Schüler im Unterricht mit Kreide. Stimmt das?«

»Nur wenn es nötig ist«, entgegnet er kaltherzig. Er schmeißt ein Kreidestück in Richtung der Tratschtantenfraktion und brüllt: »Ruhe dahinten!«

Sofort ist es mucksmäuschenstill im Klassenzimmer. Einige junge Eltern, bei denen die Schulzeit noch nicht so lange zurückliegt, ziehen reflexartig die Köpfe ein, fixieren panisch einen Punkt auf ihrem Tisch und beten im Stillen, dass sie heute nicht nach vorne gerufen und abgefragt werden.

»Na bitte«, sagt Herr Oberstudienrat zufrieden. »Geht doch!«

Er weiß: Zu seiner Zeit wurde das Gymnasium noch von wahrhaft intelligenten Eliteschülern besucht, während man heutzutage dort auch sprechende Zimmerpflanzen hinschicken kann.

7. Herr Tschakka

Diese Referendare und jungen Lehrer stechen am Elternabend aufgrund ihrer ehrlichen Freude und Begeisterung deutlich aus der Masse der Eltern und Lehrer hervor. Sie scheinen die Einzigen zu sein, die Elternabende gern besuchen, wahrscheinlich, weil sie die Gelegenheit nutzen wollen, Kontakt zu den Eltern ihrer Schäfchen herzustellen und sie – Tschakka! – genauso zu motivieren wie die Kinder. Herr Tschakka will etwas bewegen, den Schülern auf unterhaltsame Weise etwas beibringen, eine neue Ära des Unterrichtens einläuten. Mit einem Stich im Herzen erkennt man an diesem Lehrertypus, wie schön Schulbildung eigentlich sein könnte. Bedauerlicherweise wissen alle im Raum, dass dies nur eine vorübergehende Phase ist und Herr Tschakka schon bald zu einem lebenden Zombie mutieren wird, genau wie alle anderen Lehrer.

Unweigerlich fragt man sich, was für grauenvolle Wesen Kinder sein müssen, dass sie es in kürzester Zeit fertigbringen, diesen motivierten Junglehrer in ein trauriges Wrack ohne Hoffnung und Begeisterung zu verwandeln. Es ist jedoch auch vorstellbar, dass Elternabende nicht ganz unschuldig an dem Mutationsprozess sind.

Eltern-Typologie

Nicht nur die Eltern lernen verschiedene Lehrer-Typen kennen, auch die Lehrer treffen in ihrem Arbeitsleben auf unterschiedlichste Kategorien von Eltern. Diese Typen stehen in ihrer Vielfalt den Lehrern in nichts nach.

1. Die Vorstadteltern

Diese Form der Eltern stellt die normalste Art dar. Der Vater ist meist mittlerer Angestellter in einem Unternehmen oder im öffentlichen Dienst tätig. Er geht einer »geordneten« Tätigkeit nach und trägt im Beruf Verantwortung, aber nicht übermäßig viel. Am Wochenende wird der Rasen gepflegt, in den Ferien fliegt die Familie in den Pauschalurlaub.

Pünktlich auf die Minute kommt der Vater täglich nach Hause, wo die Frau bereits fleißig gekocht hat. Die Kinder sehen ihn beim gemeinsamen abendlichen Essen, wo üblicherweise die Auswertung seines Tages stattfindet. Zum Glück für die Kinder sind Schulfragen eher selten. Er überlässt die Erziehung im Wesentlichen seiner Frau.

Die Frau geht in ihrer Rolle als Mutter und Ehefrau auf.

Sie definiert sich über den Status ihres Mannes. »Mein Mann sagt«, geht ihr häufig über die Lippen.

Mit einer Leichtigkeit meistert sie den Haushalt, kreiert nebenbei wunderbar duftende Kuchen und trifft sich mit Freundinnen, um Tipps und Tricks zur Fleckenbekämpfung der Wäsche zu besprechen. Das Bügeleisen glüht, jede Socke wird gebügelt. Sie betreut die Kinder bei den Hausaufgaben, bringt den Sohn zum Fußball, die Tochter zum Ballett. Der Alltag ist hervorragend organisiert, ihre eigenen Interessen stellt sie zurück. Stets hält die Mutter den Kontakt zur Schule, steht als Hilfskraft für den Kuchenbasar und bei Klassenfahrten als Begleitung jederzeit bereit.

Zum Elternabend gehen die Eltern gemeinsam. Der Lehrer wird mit jener Autorität behandelt, die sie selbst als Kinder erlebten.

In der Lehrerschaft sind derartige Eltern sehr beliebt, denn sie fallen nicht durch unangenehmes Verhalten auf, beklagen sich nie und sind nicht aufmüpfig.

2. Helikopter-Eltern

Beide Elternteile gehen einem gehobenen Beruf nach, in dem sie eine hohe Verantwortung tragen. Sie sind es gewohnt, ihren Untergebenen zu überwachen, was sie zu Hause bei ihren Kindern auch nicht lassen können. Was die Entwicklung ihrer Sprösslinge betrifft, haben sie klare Ziele. Es versteht sich, dass sie von ihren Kindern eine ähnliche erfolgreiche Laufbahn wie ihre eigene erwarten. Die beste Schule ist für ihre Kinder gerade gut genug, wobei die Kriterien für GUT äußerst anspruchsvoll sind. Ihre Kinder sind Überflieger.

Aus diesem Grund wird auch für eine gut strukturierte Freizeitgestaltung gesorgt. Zum Leidwesen ihrer Kinder kontrollieren die Eltern nicht nur ihre schulischen Aktivitäten, sie mischen sich überall ein. Eine Drei in der Mathearbeit ist für sie genauso schlimm, wie beim sonntäglichen Fußballspiel auf der Auswechselbank zu sitzen. Eins ist für sie klar: Der Trainer wie auch der Lehrer in der Schule würdigen die überragenden Talente ihrer Kinder nicht ausreichend. Aus ihrer Sicht sind die Kinder eine Kreuzung aus einem Spitzensportler und Albert Einstein.

Für den Lehrer ist es besonders unangenehm, dass sie einen intensiven Kontakt zum Direktor pflegen.

Beim Elternabend fallen sie höchstens durch ständiges Nörgeln auf, bei Schulveranstaltungen glänzen sie durch Abwesenheit.

3. Die Althippies

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Vater und Mutter haben sich in einem Ashram in Goa kennengelernt. Sie pflegen einen alternativen Lebensstil. Durch ihre meist sporadische Arbeit gehören sie eher nicht zu den gut betuchten Bürgern unseres Landes.

Ihre Kinder erziehen sie frühzeitig zur Selbstständigkeit.

Beim Frühstück werden die Kinder nicht von ihren Eltern genervt, denn diese schlafen noch. Den Schulweg kennen die Kinder früh genug. Das Essen stammt mit Sicherheit aus dem Bioladen.

Da die Eltern sämtliche Autoritäten, Lehrer inklusive, ablehnen, fallen sie auf Elternabenden nicht auf, denn sie erscheinen dort nie.

4. Die Alleinerziehende

Diese Einzelkämpferin ist eine ausgesprochene Löwenmutter. Von dem Vater hat sie sich schon früh getrennt. Sie managt ihr Leben mit Bravour und bringt Beruf, Haushalt und Kindererziehung unter einen Hut, was häufig nicht sehr einfach ist.

Daher konzentriert sie sich auf die relevanten Themen des Lebens. Auf Elternversammlungen ist sie diejenige, die die wichtigen Fragen stellt. Manchmal schafft sie es sogar, den Lehrer auf Schulveranstaltungen zu unterstützen. Wird ihr Kind allerdings ihrer Meinung nach ungerecht behandelt, kommt ihr Charakter als Übermutter voll zur Geltung.

5. Die Chantal-Eltern

Den Großteil ihres Alltags verbringen sie vor dem Fernseher, ihre Kinder kennen alle Sendungen nach 22 Uhr.

Der Schultag interessiert sie genauso wenig wie der Besuch einer Bibliothek oder eines klassischen Konzertes. Von der Schule erwarten diese Eltern, dass sie ihnen die schwierige Erziehungsarbeit abnimmt.

Die Kinder finden wenig Unterstützung, da das Wissen aus dem Privatfernsehen selten abgefragt wird.

Den Elternabend betrachten sie als überflüssig. Zeitlich fällt er ohnehin auf die Hauptsendezeiten der spannendsten Shows.

8. Die Lehrer-Eltern

»Lehrerskinder, Pfarrers Vieh gelingen selten oder nie …!«

Diese Eltern verfügen natürlich über eine fundierte Ausbildung auf pädagogischem Gebiet. Probleme machen in ihren Augen immer nur fremde Kinder, nie die eigenen. Je nach Typ zeigen sie auf Elternabenden Verständnis für ihre Kollegen oder stellen schlimmstenfalls eine besondere Gefahr für die Schule ihrer eigenen Kinder dar. Der größte Albtraum, den Schulkinder erleben können, ist es, an der gleichen Schule zu lernen, an der ihre Eltern arbeiten. Diese armen Kinder sind doppelt gestraft. Einerseits werden sie von den Mitschülern gemobbt, anderseits erfahren die Eltern von ihren Kollegen jede noch so kleine Entgleisung, die ihnen als Schülern unterläuft. Diese Kinder sind einfach nur zu bedauern.

Auf Elternabenden halten sich die Lehrer-Eltern zurück, da sie mit ihren Kollegen bereits alle Fragen im Tagesgeschäft besprochen haben.

Kapitel 2
Sondierung des Schlachtfeldes

Bevor man zum Kampf aufbricht, sollte man sich den Schauplatz natürlich genauestens ansehen. Wie ist das Klima, die Örtlichkeiten und gibt es dort ordentliches WLAN, damit man als Mutter oder Vater am Elternabend nicht vor Langeweile stirbt?

Auch als Lehrer sollte man für den Kampftag gewappnet sein und zumindest eine Escape-Strategie im Hinterkopf haben. Ein Rat an alle unerfahrenen Lehrer: Stellen Sie den telefonischen Weckdienst für eine bestimmte Uhrzeit ein. Zur Not können Sie so immer noch behaupten, dass Ihre Schwipp-Schwägerin just in diesem Moment einen Autounfall hatte oder Ihre Schwester in den Wehen liegt.

Für manch einen stellt jedoch schon das Erreichen des Schlachtfeldes ein Problem dar. Und auch für Erwachsene, die noch keinen Nachwuchs haben, kann ein Elternabend eine einschneidende Erfahrung sein.

Papa ante portas

»Hast du mir überhaupt zugehört?«

Mit einem Anflug von Verwirrung sah ich von meinem Smartphone auf. Mein Blick wanderte von den bunten Bildchen zu dem strengen Gesichtsausdruck meiner Frau. Und der war nur allzu deutlich. Jede falsche Antwort konnte ins Verderben führen.

»Äh, natürlich, Schatz.« Um ihr Misstrauen zu entkräften, setzte ich ein strahlendes Siegerlächeln auf. »Elternabend, zwanzig Uhr, kein Problem.« Ob sie bemerkte, dass ich das nur geraten hatte?

Die Sekunden dehnten sich bis zur Unendlichkeit. Dann kam die Erlösung. »Ja, zwanzig Uhr. Du weißt doch, wo die Schule ist?«

Jetzt durfte ich mir nur nichts anmerken lassen. Ein Zögern, ein falscher Blick konnte alles zum Einsturz bringen. »Klar weiß ich, wo die Schule ist …« Ich wagte ein überhebliches Lachen.

Nichts gegen meine Frau, sie ist die Liebe meines Lebens. Manchmal aber ist sie etwas übervorsichtig. Warum sollte ich nicht wissen, wo meine Kinder zur Schule gehen?

Ich notierte mir im Geiste, den Weg nachher zu googeln. Die Mail, die gerade ankam, ließ diesen guten Vorsatz jedoch im Nirwana verschwinden.

Erst später, ich saß bereits in meinem Auto und fuhr fröhlich winkend vom Hof, kamen mir Zweifel. Oder eher dunkle Ahnungen, die sich wie Gewitterwolken am Horizont breitmachten.

Welche Schule? Und welches Kind war es noch gleich?

Das Lächeln gefror mir im Gesicht, während ich fieberhaft darüber nachdachte.

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Annalena. Klar, es musste Annalena sein. Lisa hatte ihren Elternsprechtag ja schon letzte Woche gehabt. Meine Frau war dort gewesen. Glaubte ich zumindest. Erleichtert schaltete ich in den dritten Gang, als mir eine weitere Frage durch den Kopf schoss.

Wo ging unsere Anni eigentlich zur Schule?

Kurz spielte ich mit dem Gedanken, meine Frau anzurufen. Bestimmt saß sie bereits neben dem Telefon und wartete nur darauf, dass ich mich meldete. Einfacher wäre es schon, meinte der kleine Verräter in mir.

Ich machte ihn sofort mundtot. Ich bin ein Mann. Aber so was von. Typen wie ich haben den Eiffelturm gebaut. Die Allianz-Arena. Und die Pyramiden. Männer wie ich haben früher Mammuts gejagt, nur mit Speeren bewaffnet!

Dass als Nächstes die Couch vor meinem inneren Auge erschien, auf der ich mit einem frischen Bierchen in der einen und der Fernbedienung in der anderen Hand saß, konnte ich mir gerade nicht erklären. Ich nahm es mal so hin.

Allein schon, weil ich gerade die Ampelkreuzung erreichte, die das Ende unserer Siedlung markierte.

Mist, es war grün. Bei rot hätte ich wenigstens noch ein bisschen nachdenken können, aber so? Immer ist es grün, wenn man es überhaupt nicht gebrauchen kann. Angestrengt sah ich auf die Straße. Links oder rechts? Zumindest nicht geradeaus, da gings zum Fußballplatz. Dieser Gedanke versetzte mir einen kleinen Stich. Waren meine Jungs nicht heute dort Fußball spielen? Hinter mir tauchten Scheinwerfer auf. Zeit, eine Entscheidung zu treffen.

Spontan fuhr ich nach rechts.

Musste ich ja, denn da war schließlich Lisas Grundschule. Ich sah das Gebäude direkt vor mir, mit seinem ausgewaschenen beigefarbenen Putz. Ein schicker Flachdachbau aus den Siebzigern. Ein Heimspiel.

Nicht mehr als acht Klassenzimmer, die Gesichter waren ebenfalls immer dieselben. Würde fast wie ein Klassentreffen werden, nur mit Eltern. Zufrieden steuerte ich meinen Wagen weiter in Richtung Grundschule. War ja auch kein Problem, Lisa ging seit drei Jahren dahin. Und Annalena war auch schon dorthin gegangen.

Annalena!

Ich stieg in die Eisen. Das Auto gehorchte nur widerwillig. Mit deutlich längerem Hupen als notwendig überholte mich der Wagen, der in den letzten Minuten hinter mir hergefahren war. Idiot!

Während ich mich über diesen Rüpel und andere verkehrsgefährdende Autofahrer im Allgemeinen aufregte, wendete ich den Wagen und fuhr in Richtung Gymnasium.

Wieso musste dieses Gymnasium denn eigentlich in der entgegengesetzten Richtung liegen? Konnte man nicht einfach alle Schulen auf denselben Haufen packen? Logistisch wäre das doch viel einfacher. Und überhaupt, dann würden alle Busse in dieselbe Richtung fahren, oder nicht? Man stelle sich nur die enorme Einsparung von CO2-Ausstoß vor!

Berauscht von meiner eigenen Genialität fuhr ich meinem Ziel entgegen. Bis mir ein Blick auf die Uhr die Sache madig machte.

19:40 Uhr.

Das hätte jetzt wirklich nicht sein müssen. Der Mammutjäger in mir legte seinen Speer, auf den er sich die ganze Zeit zufrieden gestützt hatte, zur Seite und begann sich am Kopf zu kratzen.

Zwanzig Minuten. Das konnte eng werden. Ich malte mir dennoch aus, wie ich vor diesem hässlichen Betongebäude ankäme, meinen Wagen direkt vor der Treppe parkte und nonchalant ins Klassenzimmer träte. Tatatataa, ich bin da. Wir können anfangen.