Für C, F, D und das kleine X.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2015 Jens Klausnitzer

Internet: www.jamax.de

Illustration / Grafik / Foto:

Jens Klausnitzer

Umschlaggestaltung:

Jens Klausnitzer

Herstellung und Verlag:

BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-7392-7441-6

WAS ICH
IN DEN VERGANGENEN
EINHUNDERT JAHREN
WAR.

1915

FRAU

Liebes Tagebuch,

heute war ich die Operette „Die Csárdásfürstin“. Ich wurde im Johann-Strauß-Theater in Wien uraufgeführt. Und nach der Uraufführung reichte ich Champagner und Wiener Würstchen.

Liebes Tagebuch,

heute war ich das oberste Komitee der Olympiaspiele. Ich bin von Paris nach Lausanne umgezogen. Das ist schade, weil ich nun meine Füße nicht mehr entspannt in die Seine halten kann.

Liebes Tagebuch,

heute war ich das Frauenwahlrecht und wurde in Dänemark eingeführt. Hoffentlich ist die Auswahl bei so einer Frauenwahl nicht zu groß. Sonst kann ich mich nämlich nicht entscheiden.

Inhaltsverzeichnis

1915

MANN

Liebes Tagebuch,

heute war ich der Hauptbahnhof Leipzig und wurde vollständig in Betrieb genommen. Weil ich ein Kopfbahnhof bin, kann nur etwas vorn in mich hineinfahren, aber nichts hinten aus mir hinausfahren.

Liebes Tagebuch,

heute war ich der Albert. An der Akademie der Wissenschaften von Preußen habe ich meine allgemeine Relativitätstheorie vorgetragen. Dabei war ich relativ aufgeregt.

Liebes Tagebuch,

heute war ich die Glasflasche der schwarzen Cola. Meine weiblichen Rundungen wurden nach einer berühmten Vase gestaltet und zum Patent angemeldet. Ich fühle mich trotzdem ziemlich platt.

1916

FRAU

Liebes Tagebuch,

heute war ich die Sommerzeituhr in Deutschland. Um 23:00 Uhr wurde ich eine Stunde vorgestellt. Deshalb bin ich morgens nun immer eine Stunde später hell und abends immer eine Stunde später dunkel.

Liebes Tagebuch,

heute war ich die Jungfraueninseln oder Jungferninseln. Die Vereinigten Staaten haben mich für 25 Millionen Dollar von Dänemark gekauft. Leider bekomme ich selbst keinen einzigen Cent Taschengeld.

Liebes Tagebuch,

heute war ich die Transsibirische. Ich bin nun die längste Eisenbahnstrecke der Welt. Mit dem Kopf liege ich in Moskau und mit den Füßen in Wladiwostok. Deshalb habe ich immer kalte Füße.

1916

MANN

Liebes Tagebuch,

heute war ich ein Ranger im Nationalpark. Und nun muss ich aufpassen, dass sich Bären, Wölfe und Tiger nicht an den Vulkanen und Geysiren hier die Pfötchen verbrennen. Und keine Besucher fressen.

Liebes Tagebuch,

heute war ich der Löwe von einer Filmfirma. Ich brülle immer im Vorspann. Und wenn die mich nicht ordentlich füttern, fresse ich immer gleich den ganzen Film und den ganzen Abspann.

Liebes Tagebuch,

heute war ich das Autobahnkreuz in Kleeblattform und wurde in den Vereinigten Staaten erfunden. Ich habe Rampen und Dreiviertelkreisbögen und Ohren und kann mit hoher Geschwindigkeit durchfahren werden.

1917

FRAU

Liebes Tagebuch,

heute war ich die Operette „Drei alte Schachteln“ in einem Theater in Berlin. Den Titel finde ich schon ziemlich frech, schließlich bin ich nur eine einzige alte Schachtel.

Liebes Tagebuch,

heute war ich das Sonnenwunder von Fátima in Portugal. Nach einem Regen trat ich als drehende Sonnenscheibe mit bunten Lichtern vor mehr als dreißigtausend Zuschauern auf. Ich hätte Eintritt verlangen sollen.

Liebes Tagebuch,

heute war ich der Meteorit von Treysa. Ich wurde von einem Förster in einem Wald in Hessen gefunden. Dort lag ich schon fast ein Jahr herum und habe mich mächtig gelangweilt.

1917

MANN

Liebes Tagebuch,

heute war ich der erste Gabelstapler. Nun kann ich endlich ganz leicht schwere Lasten heben und stapeln. Kisten, Kästen, Kartons und Frauen.

Liebes Tagebuch,

heute war ich ein Ausschuss für Normen in der deutschen Industrie und später werde ich ein „D“, ein „I“ und ein „N“ in meinem Namen haben. Ich sollte meinen Körperbau gleich mal als Norm für alle männlichen Körper festlegen.

Liebes Tagebuch,

heute war ich der Wladimir Iljitsch. Mit einem versiegelten Zug kehrte ich aus der Schweiz über Deutschland, Schweden und Finnland nach Russland zurück. Ich will jetzt ein Essen und dann eine Oktoberrevolution.

1918

FRAU

Liebes Tagebuch,

heute war ich die „Weiße Dame“ und wurde als Felszeichnung in einer Schlucht in Namibia entdeckt. Einige Forscher behaupten, mir fehlen die weiblichen Formen und ich sei deshalb ein Jäger.

Liebes Tagebuch,

heute war ich die nach dem Geologen Wernadskyj benannte Nationalbibliothek in Kiew. Täglich werden neue Bücher in mich hineingebracht und ich nehme zu. Und die Nachbarn fragen schon, ob ich schwanger bin.

Liebes Tagebuch,

heute war ich die Nationalflagge Finnlands. Mit meinem blauen skandinavischen Kreuz auf meinem weißen Hintergrund stelle ich Seen und Schnee dar. Bestimmt wird mich bald jemand aus dem Fenster hängen.

1918

MANN

Liebes Tagebuch,

heute war ich Bayern und wurde zum Freistaat erklärt. Nun darf ich ganz allein über mich bestimmen. Und muss auch nicht mehr pünktlich zum Essen zu Hause sein oder zeitig ins Bett.

Liebes Tagebuch,

heute war ich der Zwilling Peaks Tunnel in San Francisco. Ich bin einer der längsten Straßenbahntunnel der Welt. Hoffentlich fahren nicht zu viele Straßenbahnen durch mich hindurch, das kitzelt doch immer so.

Liebes Tagebuch,

heute war ich der letzte in Deutschland verliehene Adelstitel. Und bald werde ich König oder Kaiser oder wenigstens eine hübsche Prinzessin sein.

1919

FRAU

Liebes Tagebuch,

heute war ich Stickstoff und wurde künstlich in Sauerstoff umgewandelt. Ich habe keine Ahnung, wozu das gut sein soll, aber ich fühle mich gleich ein bisschen frischer.

Liebes Tagebuch,

heute war ich ein französischer Flieger und bin mit einem französischen Flugzeug in Paris durch den Triumphbogen geflogen. Das war links und rechts ziemlich knapp, aber geblitzt hat mich zum Glück niemand.

Liebes Tagebuch,

heute war ich die Arbeiterwohlfahrt. Nach meiner eigenen Gründung werde ich Nähstuben, Mittagstische und Beratungsstellen gründen. Und nach dem Mittagessen gestalte ich mein Logo und meine Internetseite.

1919

MANN

Liebes Tagebuch,

heute war ich ein schwedisches Knäckebrot. Und nun knäcke und knacke und krache ich in allen Mündern an allen Frühstückstischen. Und weil ich so laut bin, muss kein Mann mehr mit seiner Frau reden.

Liebes Tagebuch,

heute war ich der Achtstundentag in Deutschland. Ich bin nun gesetzlich vorgeschrieben und muss acht Stunden arbeiten und acht Stunden schlafen. Ein Hobby für meine acht Stunden Freizeit habe ich aber noch nicht.

Liebes Tagebuch,

heute war ich das Bauhaus in Weimar. Später werde ich Kunstschule nach Dessau umziehen und noch später nach Berlin. Meine lieben Schüler und meine bösen Lehrer nehme ich aber mit.

1920

FRAU

Liebes Tagebuch,

heute war ich die Festspiele in Salzburg. Von nun an wird der eine oder andere Jedermann hier bei mir zu sehen sein, deshalb sollte ich mir bald ein schickes Kleid und schöne Schuhe kaufen.

Liebes Tagebuch,

heute war ich eine amerikanische Frau in den USA. Nach dem Verfassungszusatz Nummer neunzehn dürfen jetzt auch wir Frauen wählen. Vielleicht wähle ich ja einmal einen Mann. Oder eine Telefonnummer.

Liebes Tagebuch,

heute war ich die Jeanne d’Arc und die Johanna von Orléans und die Jungfrau von Orléans. Also ich war sie nicht wirklich, ich war sie nur bei der Heiligsprechung durch den Papst. Aber die war wirklich toll.

1920

MANN

Liebes Tagebuch,

heute war ich ein Casino in der Schweiz. Eine Volksinitiative hat mich verboten. Was mache ich nun mit meinen ganzen Chips? Genau, die esse ich einfach abends vor dem Fernseher.

Liebes Tagebuch,

heute war ich der Orro mit dem „Z“, der spanische Fuchs. Ich durfte in dem Spielfilm über mein Zeichen mitspielen und an meiner schwarzen Maske und an meinem Umhang herumspielen. Bestimmt werde ich jetzt berühmt.

Liebes Tagebuch,

heute war ich der Panamakanal. Und ich wurde heute offiziell für den Schiffsverkehr freigegeben. Seltsam, ich hatte immer das Gefühl, dass schon seit Jahren Schiffe auf mir herumfahren. So kann man sich täuschen.

1921

FRAU

Liebes Tagebuch,

heute war ich die Julia in der Operette „Der Vetter aus Dingsda“ in Berlin. Ich wusste gar nicht, dass ich einen Vetter habe, aber vielleicht besuche ich den einmal in Dingsda.

Liebes Tagebuch,

heute war ich das Gemälde mit dem abziehenden Gewitter in der Herbstlandschaft von dem Rembrandt. Ich wurde aus einer Bank gestohlen und liege nun in einem alten Kartoffelsack in einer Scheune und zittere.

Liebes Tagebuch,

heute war ich die Margaret. Ich gewann einen Schönheitswettbewerb in Atlantic Stadt und wurde zur ersten Miss von Amerika erklärt. Meinen Badeanzug werde ich nie wieder ausziehen.

1921

MANN

Liebes Tagebuch,

heute war ich der elektrische Lötkolben. Ich kann lieb sein und löten, ich kann aber auch böse sein und mich aus Versehen durch einen Tisch, eine Unterhose und ein Ohr brennen.

Liebes Tagebuch,

heute war ich der Chemiker Fritz. Bei einem Experiment in meinem Hobbykeller entdeckte ich den Aggregatzustand „Plasma“. Hoffentlich finde ich den morgen wieder.

Liebes Tagebuch,

heute war ich der Schauspieler Rudolph in dem Film mit dem Scheich. In dem Stummfilm fühle ich mich wie zu Hause bei meiner Frau. Da darf ich auch nicht sprechen.

1922

FRAU

Liebes Tagebuch,

heute war ich die Stadt Wien. Ab sofort bin ich ein selbstständiges Bundesland. Nachher besuche ich die anderen Bundesländer, damit ich nicht so allein bin und ein bisschen reden kann.

Liebes Tagebuch,

heute war ich das Lied der Deutschen und wurde zur Nationalhymne erklärt. Die werde ich wohl noch ein paar Jahre bleiben. Bis bei so einer Castingshow mein Nachfolger gefunden wird.

Liebes Tagebuch,

heute war ich die Senatorin Rebecca in den USA. Mit siebenundachtzig Jahren war ich die älteste Senatorin, mit einem Tag Amtszeit die kürzeste und als Frau die erste weibliche. Ob ich auch die schönste war?

1922

MANN

Liebes Tagebuch,

heute war ich Tutanchamun. So ein britischer Archäologe hat mein Grab im Tal der Könige gefunden. Dabei hatte ich mich doch so gut versteckt. Hoffentlich muss ich jetzt nicht umziehen.

Liebes Tagebuch,

heute war ich ein Standmixer. Ich drehe und drehe und drehe und gleich drehe ich durch und hebe ab. Könnte mal jemand meinen Deckel auf mich legen? Sonst spucke ich weiter Kakao.

Liebes Tagebuch,

heute war ich ein Wasserski und wurde zusammen mit einem anderen Wasserski erfunden. Jetzt müssen wir abwarten, bis die Leute mit der Pistenraupe auf dem Meer die Loipen gespurt haben.

1923

FRAU

Liebes Tagebuch,

heute war ich die marokkanische Hafenstadt Tanger. Ich bin nun eine internationale Zone und ich bin zollfrei. Deshalb müssen auch Herkules und der Sohn von Poseidon keinen Zoll zahlen, wenn sie mich besuchen.

Liebes Tagebuch,