Mai, Mirka Ich darf dich nicht lieben (Forbidden Feelings 1)

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© 2019 Piper Verlag GmbH, München
Redaktion: Ulla Mothes
Covergestaltung: Alexa Kim »A&K Buchcover«
Covermotiv: PNGTree

 

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Widmung

Für meine Liebsten! Allen voran für Mama, Papa, Doreen und Dania.

 

Für Mailo. Du bist mein Darcy und versüßt mir jeden Tag. Danke für alles, kleiner Sonnenschein.

 

Und besonders für jeden meiner Leser. Jeder Mensch macht Fehler. Aber auch aus Fehlern kann Gutes werden, wenn man zu sich selbst zurückfindet.

Vorwort der Autorin

Herzlich willkommen in Middletown Connecticut und an der Wesleyan University.

Ich freue mich sehr, dass du zu meinem neuen Buch gegriffen hast. Es entführt dich ins charmante Connecticut, und viele der Orte im Buch, existieren wirklich. Natürlich habe ich versucht, das Setting so authentisch wie möglich zu gestalten, aber der Geschichte zuliebe habe ich mir die Freiheit genommen, die Gegebenheiten an der Universität an meine Vorstellungen anzupassen. Danke, dass du Ich darf dich nicht lieben eine Chance gibst. Dieses Buch ist für mich mehr als nur ein Buch. Diese Geschichte hat mich begleitet, mich gefordert und an meine Grenzen gebracht. Es soll aufrütteln, dazu bringen, Dinge zu hinterfragen, bevor man sich eine Meinung bildet, und natürlich auch unterhalten. Ich wünsche dir viel Freude beim Lesen von Jessys Geschichte.

Alles Liebe,

Mirka Mai

Chat 1

Jessy: Ich bin sicher gelandet!

Freddy: Bist du aufgeregt?

Jessy: Und wie! Heute fängt endlich ein neues Leben an!

Jessy: Muss jetzt los. Ich melde mich.

 

Kapitel 1

Jessy

»Kopf hoch, Jessy! Du schaffst das!«, wiederhole ich ein ums andere Mal und atme tief durch. Die Sommersonne des heißen Julitags brennt auf meiner Haut. Immer wieder wische ich mir Schweißperlen von der Stirn und spreche mir Mut zu. Sonst ist ja niemand da, der das stattdessen für mich übernehmen könnte.

Leider ist es viel einfacher, sich selbst zu sagen, dass man etwas schafft, als dann auch wirklich den Mut zu fassen, etwas zu tun. Und gerade mir fällt das tun gar nicht leicht. Vor allem nicht in meiner aktuellen Situation, in der ich leider wirklich mal darauf angewiesen wäre, dass ich etwas tue. Genauer gesagt: Ich sollte die geschlossene Tür vor mir aufdrücken und reingehen.

Aber genau das macht mir solche Angst, dass ich es seit einer halben Stunde nicht auf die Reihe kriege und lieber hier draußen in der Hitze stehen bleibe. Mein Top klebt an mir wie eine zweite Haut, und unterhalb meiner Achselhöhlen bilden sich Schweißflecken. Trotzdem ist mir das lieber als das Öffnen dieser Tür.

Um das zu verstehen, muss man vermutlich direkt in meiner Haut stecken. Heute ist für mich alles neu. In den letzten vierundzwanzig Stunden hat sich mein bisher so geordnetes Leben um hundertachtzig Grad gewendet.

Gestern habe ich mich von meinem Elternhaus in Malibu verabschiedet. Es war immer mein Zuhause. Erst vor drei Wochen habe ich dort meinen zwanzigsten Geburtstag gefeiert, und jetzt bin ich weg. Ich habe meine Flügel ausgebreitet und mich auf den Weg ins Middlesex County gemacht. Mein Ziel: Middletown, Connecticut. Es hat alles geklappt, ich könnte erleichtert sein, aber stattdessen bin ich unendlich aufgeregt. Ich sehe mich um. Nehme die Umgebung in mich auf. Es sieht so anders aus als zu Hause. Hier werde ich also ab September mein Studium an der Wesleyan University beginnen.

Endlich habe ich meine Vergangenheit hinter mir gelassen und kann in dieser Stadt ganz neu anfangen.

Dass der Plan von meinem neuen Leben bisher nicht ganz aufgeht, ist mir inzwischen allerdings schon klar geworden. Die Nacht habe ich in einem angeranzten Hotel am Flughafen von Connecticut verbracht, weil ich mir erst heute das Zimmer auf dem Campus ansehen kann, für das ich mich beworben habe.

Bevor es so weit ist, will ich allerdings eine Sache in Angriff nehmen, die sich jetzt als Problem herausstellt.

Ich bin nicht mehr der Typ für neu und draufgängerisch. Früher war ich es einmal, aber das ist vorbei. Schüchtern und introvertiert trifft es eher. Genau darauf hatte ich keine Lust mehr, und das ist einer der Gründe, aus denen ich überhaupt hier stehe. Doch immer der Reihe nach. Das Wichtigste ist jetzt erst mal, dass ich diese blöde Tür öffne! Die Geräusche um mich herum dringen nur leise zu mir durch. Die Vögel zwitschern, und in der Ferne höre ich das Hupen von Autos.

»Jetzt hör endlich auf, so ein Angsthase zu sein!«, zische ich mir selbst zu und straffe die Schultern. Poststelle steht in großen Buchstaben auf dem Schild an der Tür des imposanten Gebäudekomplexes. Gerade als ich die Klinke mit verschwitzten Fingern nach unten drücke und tief Luft hole, fliegt die Tür auf und knallt mir ins Gesicht.

Mit einem Aufschrei und einem großen Satz springe ich zurück und spüre im selben Moment, wie ich das Gleichgewicht verliere. Ich taumle, rudere mit den Armen in der Luft herum, und in dem Moment, als ich mich, der Schwerkraft geschuldet, endgültig dem Boden nähere, werde ich gepackt und gegen einen Körper gerissen.

»Was machst du denn für Sachen?«, höre ich eine warme und leicht rauchige Stimme an meinem rechten Ohr.

Mein Herz rast vor Schreck, und darum dauert es ein bisschen, bis ich mich wieder bewegen kann. Zittrig atme ich ein und drehe dann langsam meinen Kopf, um die Person anzusehen, zu der diese Stimme gehört, an deren Körper ich noch immer gedrückt werde und die meinen Beinahe-Unfall verursacht haben muss.

Es ist ein Mann, den ich auf Mitte dreißig schätze. Sein dunkles Haar steht leicht wirr und verstrubbelt vom Kopf ab. Auf den zweiten Blick registriere ich, wie gut er aussieht. Der leichte Dreitagebart lässt ihn ein wenig verwegen aussehen, was einen reizvollen Kontrast zu seinen Augen bildet, die mich mit einer Mischung aus Irritation und Belustigung mustern. So eine Farbkombination habe ich bisher noch nie gesehen. Das Braun überwiegt eindeutig, aber um seine Iris herum zeichnet sich ganz deutlich ein kleiner blauer Stern mit minimalen grünen Einsprengseln ab.

»Geht’s wieder?«, erkundigt er sich freundlich und löst sich ein wenig von mir. Trotzdem umfasst er weiter in einer stützenden Geste meinen Arm, während ich immer noch in diese faszinierenden Augen starre.

Was ich darin sehe, bringt unerklärlicherweise eine Saite in meiner Brust zum Klingen. Ein warmes, fremdes Gefühl breitet sich in mir aus, und ich räuspere mich umständlich, um Zeit zu gewinnen, während ich meine Gedanken sortiere. Dieser Mann in den lässigen Khakis und dem lockeren T-Shirt, aus dem definierte Oberarme hervorblitzen, sorgt dafür, dass mir das Denken schwerfällt. Ich atme einmal tief durch. Die würzige Sommerluft strömt durch meine Nase, und langsam dringt zu mir durch, was er mich als Erstes gefragt hat. Was ich für Sachen mache? Hat nicht er mir gerade beinahe die Türe ins Gesicht geknallt?

Unwillkürlich berühre ich mit einer Hand meine Nase, um zu testen, ob sie erwischt wurde. Sie tut nicht weh, und Blut fühle ich keins, deshalb gehe ich davon aus, dass hier nicht irgendeine Art von Schock den Schmerz unterdrückt, sondern alles in Ordnung ist. Aber nur weil nichts passiert ist, bedeutet das nicht, dass der Typ vor mir keine Schuld hat.

Ich konzentriere mich wieder auf den Mann, der mich inzwischen losgelassen hat und nun einen Abstand einhält, der normal für zwei Menschen ist, die sich nie zuvor begegnet sind.

Die alte Jessy würde jetzt schüchtern den Blick senken, eine Entschuldigung murmeln und dann das Weite suchen. Später würde sie sich dann dafür ohrfeigen, dass sie wieder einmal gekniffen und gleichzeitig auch noch eine interessante Begegnung verpasst hat. Aber ich habe ja bereits erwähnt, dass diese Jessy jetzt der Vergangenheit angehört. Deshalb tue ich etwas, das ich noch nie zuvor getan habe, hole tief Luft und blaffe den Kerl vor mir an, so gut ich kann.

»Ähm, Entschuldigung? Das ist jetzt nicht Ihr Ernst. Sie haben mir gerade beinahe die Nase gebrochen, also sind es ja wohl Sie …«

Mit einem Mal weiß ich nicht mehr weiter. Meine Stimme versagt ganz einfach. Puff und weg. Mit offenem Mund stehe ich meinem vermeintlichen Retter gegenüber, der mich interessiert beobachtet, und plötzlich ist die alte Jessy wieder da.

»Ich … ich meine … es …«

Alex

Mit einer Mischung aus Belustigung und Faszination starre ich auf die junge Frau, die sich sichtlich darum bemüht, ihre Fassung wiederzugewinnen. Ich schätze sie auf Anfang zwanzig und muss zugeben, dass sie sehr niedlich ist. Auch wenn sie so wütend und verlegen aussieht wie jetzt. Bei ihrem Anblick zupft ein Lächeln an meinen Mundwinkeln. Bisher war heute absolut nicht mein Tag. Im Geschäft ist so ziemlich alles schiefgegangen, ich hatte das Gefühl, nur von Idioten umzingelt zu sein, und wollte einfach nur noch raus. Ich habe so viele Überstunden, dass ich es mir leisten kann, und deshalb habe ich beschlossen, einen kurzen Spaziergang zu machen.

Als ich die Tür aufgestoßen habe, kam es zum Zusammenstoß mit der kleinen Kratzbürste, und im nächsten Moment hielt ich sie im Arm. Ihr schmaler Körper an meinem fühlte sich alles andere als unangenehm an und schmiegte sich perfekt an meinen.

Zuerst wirkte sie auf mich zu Tode erschrocken, starrte mich aus ihren großen, meergrünen Augen an, und ich konnte spüren, wie sie sich total verkrampfte. Als mir aufgefallen ist, dass ich sie immer noch festgehalten habe, habe ich sie losgelassen und das Gefühl sofort vermisst.

Jetzt starrt sie mich an, und ich habe mit einem Mal das Gefühl, dass sie ihren ganzen Mut verloren hat. Nervös zwirbelt sie eine der rotblonden Strähnen, die ihr bis knapp über die Schultern fallen, und mustert ihre Schuhspitzen, als gäbe es dort sonst etwas zu sehen. Erst als ich mich vorsichtig räuspere, hebt sie wieder den Kopf.

Eine Welle von Mitleid erfasst mich, als ich Verzweiflung in ihren Augen erkenne. Ich weiß zwar nicht genau warum, aber es ist offensichtlich, wie unangenehm ihr die Situation ist. Ich schätze außerdem, dass ich daran nicht völlig unschuldig bin.

»Es tut mir leid, dass ich nicht aufgepasst habe«, entschuldige ich mich, und ein Ausdruck von Überraschung huscht über ihr schmales Gesicht.

»Kann ich dir vielleicht helfen?«, erkundige ich mich jetzt und beobachte fasziniert, wie sie sich auf die volle Unterlippe beißt und ihre Augenbrauen sich einen Augenblick später grimmig zusammenziehen.

»Ich denke nicht«, sagt sie, und obwohl ihre Stimme einen gewollt schroffen Klang hat, zeigt mir das Zittern darin, dass sie keineswegs so gelassen ist, wie sie wirken möchte.

»Was willst du denn genau?«, erkundige ich mich mit einer unbestimmten Handbewegung in Richtung Poststelle. »Ich schätze mal, dass du da rein willst?«, hake ich nach, und sie verspannt sich noch etwas mehr.

»Einen Job für die Semesterferien.«

Mein Magen macht einen Hüpfer, und ich muss mir mit aller Macht ein Grinsen verkneifen. Ich glaube, mein Spaziergang wird warten müssen. Ich habe hier zu tun. Die Situation beginnt mir immer besser zu gefallen, und der Gedanke, dass ich diese kleine Schönheit wiedersehen werde, gefällt mir noch viel mehr.

»Wenn du da drin einen Job willst, dann bin ich mir sogar ziemlich sicher, dass ich behilflich sein kann«, erkläre ich betont ernst und beobachte, wie ihre Augen noch ein Stück größer werden. Ich bin ziemlich sicher, dass ich genau weiß, was sie in diesem Augenblick denkt: Scheiße.

»Aber … wieso?«, fragt sie, und ihre Stimme klingt gepresst.

»Ich habe noch eine Jobberstelle frei«, sage ich freundlich, und ihre Gesichtsfarbe wechselt prompt zu einem leichten Grünstich.

»Oh«, stößt sie hervor, und ich glaube, sie schwankt ein bisschen.

Jessy

Nein! Nein, nein, nein! Bitte nicht. Ich spüre das Blut in meinen Ohren rauschen und hoffe immer noch, dass ich mich verhört habe. Wenn ich ihn richtig verstanden habe, dann ist er meine Anlaufstelle für den Job? Wenn das stimmt, dann kann ich die Sache sicher vergessen.

Zwar sieht der Mann nicht so aus, als wäre er über mein Verhalten verärgert, aber wenn das mein potenzieller Chef sein sollte, dann war der erste Eindruck, den ich gemacht habe, sicher kein guter. Ich bin noch keine zwölf Stunden in Connecticut, und schon sitze ich mit dem Hintern im ersten Fettnäpfchen.

»Es tut mir leid«, beginne ich mich reflexartig zu entschuldigen, als er auch schon abwehrend die Hand hebt.

»Alles gut, keine Sorge. Mach dir mal keinen Kopf. Ich bin Alex.«

Er streckt mir seine Hand entgegen, und ich schüttle sie perplex. Warm und kräftig fühlt sie sich an, und ich muss mich konzentrieren, um nicht zu vergessen, dass ich mich ebenfalls vorstellen muss. »Ich bin Jessy.«

»Komm doch mal mit rein«, fordert er mich auf, und ich wundere mich kurz, weil er ja eigentlich auf dem Weg nach draußen war. Mit leicht wackligen Knien folge ich ihm nach drinnen und werde von geschäftigem Treiben empfangen. Überall wird gearbeitet, und es ist überraschend laut. Das Stimmengewirr und die drückende Hitze machen einen wenig einladenden Eindruck, aber trotzdem gefällt es mir, so viele Menschen auf einem Haufen fleißig zu erleben.

»Das hier ist die Poststelle der Firma. Ich bin für diese Abteilung zuständig«, erklärt Alex mir, und bei seinen Worten zucke ich unwillkürlich ein bisschen zusammen.

Ob er mir wohl absichtlich noch mal klarmachen will, dass ich es ziemlich verbockt habe? Verdient hätte ich es meiner Meinung nach auf jeden Fall. Trotzdem kann ich mir das eigentlich gar nicht vorstellen. Alex macht auf mich einen sehr freundlichen und vertrauenerweckenden Eindruck. Ich habe aber gelernt, dass man Menschen nicht einfach so vertrauen darf, und bin verblüfft darüber, dass ich bei Alex so empfinde.

Aber so ist es, und deshalb nicke ich schüchtern und folge ihm in eine Art Büro. Es ist ein kleiner Raum, in dem man sich kaum umdrehen kann. Ich sehe mich neugierig um, während Alex sich hinter einem von Papieren überquellenden Schreibtisch auf einen Bürostuhl fallen lässt und sich mit einer müden Geste über die Augen fährt.

Unsicher bleibe ich im Raum stehen, bis er mit einem Lächeln auf einen Stuhl vor mir deutet, den ich bisher gar nicht wahrgenommen habe.

»Setz dich doch«, fordert er mich lächelnd auf, und mit etwas ungelenken Bewegungen leiste ich seinen Worten Folge.

»Kommst du aus der Gegend?«, fragt Alex und lehnt sich auf seinem Stuhl zurück. Ich schüttle den Kopf und spiele nervös mit meinem Bettelarmband herum.

»Woher kommst du denn?«, hakt er nach, nachdem ich ein Glas Wasser abgelehnt habe, und ich mache mich auf meinem Stuhl ganz klein. Ja, ich weiß es: Solche Fragen gehören dazu, wenn man jemanden einstellen möchte, aber ich will nicht über mich oder meine Vergangenheit reden. Das gehört nicht unbedingt zu den Dingen, die ich in mein neues Leben mitnehmen möchte.

»Kalifornien«, antworte ich deshalb nur vage, und er gibt sich damit zufrieden.

»Ah, ein Meermädchen.«

Ich sage nichts dazu. Der Gedanke an das Meer, ans Wasser, ist mir unerträglich.

»Ich schätze mal, dass du an der Wesleyan studierst?«, fragt er weiter, und ich nicke bestätigend.

»Ich fange zum Wintersemester an.«

Dass ich ein halbes Stipendium habe und den Job brauche, um mich für den Rest über Wasser zu halten, muss ich ihm ja nicht unbedingt erklären. Alex nickt wieder.

Dann sagt er eine ganze Weile nichts mehr, klickt stattdessen mit der Maus herum, die zu dem PC gehören muss, den ich hinter dem Papierstapel erahnen kann, und ich muss mich zusammenreißen, um nicht nervös auf meinem Stuhl hin und her zu rutschen. Zum Glück scheint Alex meine Unruhe zu spüren. Nach einigen weiteren Klicks beginnt ein Drucker neben dem Schreibtisch zu surren, und im nächsten Moment schiebt Alex ein DIN-A4-Blatt zu mir herüber.

Arbeitsvertrag lese ich, und mein Herz beginnt aufgeregt zu rasen. Sollte ich nach diesem Start trotzdem Erfolg haben?

»Du hast Glück«, beginnt er und lächelt mich schon wieder auf diese bestimmte Weise an, die meinen Mund trocken werden lässt. »Wir haben zurzeit noch ein paar Studentenjobs für den Rest der Semesterferien zu vergeben.«

Mein Herz macht einen kleinen Hopser, und ich spüre, wie sich ein Lächeln auf meinem Gesicht ausbreitet.

»Ehrlich?«, quieke ich, und Alex grinst.

»Wenn du willst, dann kannst du ab nächsten Montag hier in der Poststelle anfangen. Fünf Tage die Woche von acht bis siebzehn Uhr?«

Mein Herz schlägt einen kleinen Purzelbaum bei seinen Worten, und ich nicke heftig. Was würden meine Eltern wohl jetzt sagen? Glaub mir, du wirst schneller wieder hier auftauchen, als du gucken kannst. Ohne Daddys Geldbeutel bist du doch aufgeschmissen. Ich unterdrücke ein wenig damenhaftes Schnauben. Tja, so kann man sich irren. Ich habe einen Job. Ha!

»Perfekt.« Ein Lächeln breitet sich auf Alex’ Gesicht aus, und ich kann nicht anders, als zurückzustrahlen.

Ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal so ehrlich gelächelt habe. Es muss sehr lange her sein. Nie hätte ich hier, in dem heißen und stickigen Gebäude der Poststelle den Ort vermutet, an dem ich mein erstes echtes Lächeln seit einer gefühlten Ewigkeit in meinem Gesicht spüren würde.

»Du …«, beginnt Alex, hält dann aber inne und schüttelt den Kopf. »Dann sehen wir uns am Montag?«

Als ich zustimme, deutet er auf das Papier vor mir und drückt mir nach einigem Kramen einen Kugelschreiber in die Hand. Mein Arbeitsvertrag. Befristet vom fünfzehnten Juli bis zum dreißigsten August. Zwei Tage später geht dann auch schon das Semester los. Mit zitternder Hand setze ich meine Unterschrift darunter, und Alex streckt mir seine Hand entgegen. Ich schlage ein.

Als unsere Finger sich berühren, zuckt mit einem Mal eine Art elektrischer Schlag durch meinen Körper, und mir stockt der Atem. Eine Millisekunde später spüre ich, wie mir die Hitze in die Wangen steigt. Als hätte ich mich daran verbrannt, lasse ich seine Hand los und stehe auf. Möglichst unauffällig lasse ich meinen Blick zu seinem Gesicht huschen, während meine innere Stimme ununterbrochen auf mich einredet. Was war das denn, wispert sie mir zu und nistet sich bequem in meinem Gehirn ein. Das ist dein Chef, und du führst dich so auf wie … Ich rufe mich zur Ordnung, und die Stimme verstummt beleidigt. Ja, wie habe ich mich denn benommen? Es ist doch gar nichts passiert. Das war alles nur in meinem Kopf, und Alex hat davon vermutlich nicht mal etwas mitbekommen.

Meine Gefühle sieht man mir nur selten an. In den letzten Jahren habe ich mehr als einmal den Spitznamen Eiskönigin verpasst bekommen. Beim Gedanken an die Person, die diesen Spitznamen in die Welt gesetzt hat, bildet sich ein fester kleiner Knoten in meinem Magen, und ich kämpfe gegen die Bilder, die in meiner Erinnerung aufsteigen. Erleichtert atme ich auf, als Alex’ Räuspern mich wieder in die Realität zurückholt.

Ein Blick in seine Augen zeigt mir, dass er mich besorgt mustert, und ich bin fast sicher, dass er sich fragt, ob es wirklich eine gute Idee war, mich anzustellen.

»Danke, dass du mir einen Job gibst«, sage ich ehrlich und gehe ganz automatisch zum Du über.

»Ich freue mich darauf, mit dir zu arbeiten«, sagt er, und der Klang seiner Stimme sendet einen Schauer durch meinen Körper. Was ist das nur? Was geschieht mit mir? Schnell verabschiede ich mich von ihm und verlasse die Poststelle.

Draußen atme ich erst einmal tief durch. Was ist da gerade bitte passiert? Ich habe jetzt eine Arbeit. Nun muss es nur noch klappen mit meinem WG-Zimmer im Studentenwohnheim der Uni. Als ich mich an der Uni beworben habe, hat man mir gleich mitgeteilt, dass es selbst mit einem halben Stipendium eher unwahrscheinlich wäre, ein Zimmer in einem der Wohnheime zu bekommen. Ich war viel zu spät dran.

Vor vier Tagen kam dann der erlösende Anruf. Es gibt doch noch einen freien Platz. Statt vorübergehend in einem stinkigen Motel zu wohnen, kann ich in einer halben Stunde das Zimmer besichtigen. Gut, so bleibt mir ein bisschen Zeit, um mir etwas zu essen zu besorgen und mich zu beruhigen.

Kapitel 2

Jessy

Als ich pünktlich um sechzehn Uhr auf dem Campus ankomme, dreht sich alles in meinem Kopf. Ich habe tatsächlich einen Job gefunden, und wenn es jetzt noch mit dem Zimmer klappt, dann wäre eigentlich alles ideal! Ich könnte in der Zeit, die ich arbeiten werde, genug Geld für das Semester zusammensparen und müsste mir keine Gedanken mehr darüber machen, bei meinen Eltern zu Kreuze zu kriechen. Ich weiß zwar, dass meine Mutter mir weiterhin Geld überweisen wird, um das Zimmer zu bezahlen, aber der Gedanke an mein eigenes Geld treibt mich voran.

Ich habe selbst entschieden, nicht mehr vom Geld meiner Eltern abhängig sein zu wollen. Ja, mein Konto ist durch die letzten Jahre gut gefüllt, aber dieses Geld möchte ich nur im äußersten Notfall antasten. Wenn ich ganz ehrlich zu mir bin, dann glaube ich aber auch nicht, dass mein Dad mich weiter unterstützt hätte, nachdem wir nicht gerade im Guten auseinandergegangen sind.

Eigentlich sollte ich jetzt überglücklich sein, weil ich es schaffen werde, mich selbst zu finanzieren. Allerdings bin ich nach dem ersten Aufeinandertreffen mit Alex, meinem neuen Chef, und unserem Gespräch immer noch ziemlich verwirrt. Ich halte es für ein Wunder, dass er mich eingestellt hat, obwohl ich mich wie der letzte Tollpatsch angestellt habe.

Tief durchatmend lasse ich meinen Blick über das Campusgelände schweifen. Er liegt wie leer gefegt vor mir, was in der vorlesungsfreien Zeit normal ist.

Der Campus ist riesig, unübersichtlich und umwerfend schön. Obwohl ich im Internet stundenlang die verschiedenen Häuser angeschaut habe, fühle ich mich völlig überfordert, als ich über das Gelände laufe und mit weit aufgerissenen Augen nach rechts und links sehe. Große Bäume säumen die Ränder der breiten Wege. Ich entdecke einen riesigen Springbrunnen vor einem großen roten Backsteinbau, eindeutig das Usdan University Center, und viele wunderschöne und historisch aussehende Gebäude gruppieren sich in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen um den verlassenen Bau. Es wirkt beinahe wie eine eigene kleine Stadt.

Es ist eine Besonderheit an der Wesleyan University, dass die Studentenwohnheime nicht während der Semesterferien schließen, sondern bewohnt und besichtigt werden können. Laut der Broschüre besteht der Nicolson Complex, in dem das Zimmer liegt, das ich besichtigen darf, aus verschiedenen Apartments mit unterschiedlich vielen Bewohnern. Hier sind die Studenten des ersten Jahres und der Upper Class untergebracht.

Als ich meinen Eltern von dem Plan erzählt habe, nach Connecticut zu gehen, hat meine Mutter nur unter der Bedingung zugestimmt, dass ich mich auf eines dieser Zimmer bewerbe. Noch lieber wäre ihr allerdings eine Unterbringung in den Fauver-Apartments gewesen. Dort sind ausschließlich Studenten aus der Upper Class untergebracht, aber da gab es keine Chance. Es ist schon überraschend, dass überhaupt ein Zimmer unter Upper-Class-Studenten frei geworden ist, und ich bin erleichtert. Meine Mutter hätte es sonst fertiggebracht, den ganzen Campus aufzumischen, wenn sie ihren Willen nicht bekommen hätte.

Die Plätze in den Wohnheimen sind begehrt, und ich hatte sie sogar schon im Verdacht, ihre Finger bei diesem Zufall im Spiel gehabt zu haben, aber so richtig glaube ich das nicht. Tief in Gedanken versunken bin ich an meinem Ziel angekommen und sehe mich jetzt einem gigantischen Gebäudekomplex gegenüber, an dessen Vorderseite sich weiße Balkone von den hellroten Mauern abheben. Hier soll ich die nächsten Jahre wohnen? Die Vorstellung scheint absurd.

»Kann ich dir helfen, oder stehst du zum Spaß hier?«, erklingt in diesem Moment eine Stimme hinter mir, und ich zucke erschrocken zusammen. Schnell drehe ich mich um und sehe mich einer jungen Frau gegenüber, die ungefähr in meinem Alter sein muss und mich mit einer Mischung aus Interesse und freundlicher Skepsis beäugt. Sie ist etwa einen Kopf kleiner als ich, hat ein ebenmäßiges Gesicht mit einer geraden Nase und den schönsten Augen, die ich je gesehen habe. Sie sind schwarz und erinnern mich gleichzeitig an funkelnde Diamanten. Ihre Haare sind ebenfalls schwarz und fallen in weichen Locken bis zu ihrem Kinn.

»Äh, na ja, also ich brauche ein Zimmer«, stammle ich und verabscheue mich wieder einmal für meine unendliche Schüchternheit, die mich dazu zwingt, dem direkten Blick ihrer klaren dunklen Augen auszuweichen. Es kommt mir vor, als würde sie mich durchleuchten.

»Das habe ich mir fast gedacht.« Ihre Stimme klingt freundlich, und ich sehe auf. Sie mustert mich interessiert. »Und du willst jetzt eins besichtigen?«, erkundigt sie sich dann, und ich nicke.

»Ja, Zimmer B72«, antworte ich, nachdem ich kurz in meinem Gedächtnis gekramt habe. Jetzt lächelt sie mich an. Dabei entdecke ich ein niedliches Grübchen in ihrer Wange.

»Du bist ein echter Glückspilz. Es ist das schönste Zimmer im Nicolson. Es ist eins der Zweierzimmer, und deine Mitbewohnerin wäre dann ich. Hi, ich bin Georgiana Chapman, einundzwanzig und im zweiten Semester. Ach ja, wage es nicht, mich jemals mit diesem Namen anzusprechen. Alle nennen mich nur Georgie. Es ist aber auch wirklich ungerecht, dass Eltern ungefragt den Namen ihrer Kinder bestimmen dürfen, oder? Na ja egal. Ich freue mich wirklich sehr, dass ich hier bin, um dich zu begrüßen.«

Mit einem Mal hält sie in ihrem Redeschwall inne, und ein Hauch Röte steigt in ihre hellen Wangen.

»Sorry, jetzt habe ich dich ja total zugequatscht! Das passiert mir immer wieder. Sag mir einfach, wenn ich die Klappe halten soll, okay?«

Sie sieht mich ehrlich und offen an, und ich nicke völlig überrumpelt. Ich kann sie noch nicht wirklich einschätzen, aber eins weiß ich sicher. Den Mut, ihr zu sagen, sie solle die Klappe halten, werde ich niemals haben. Nie im Leben.

»Wie heißt du eigentlich?«, unterbricht sie in diesem Moment meine Gedanken und greift wie selbstverständlich nach meinem Arm.

»Jessica Fouler«, erwidere ich, und meine Stimme klingt dabei so leise, dass ich mich beim nächsten Satz bemühe, ein wenig lauter zu sprechen. »Aber alle nennen mich nur Jessy.«

»Hi, Jessy.«

Georgie hat mich inzwischen hinter sich her in den Hausflur gezogen und schiebt mich zu einer Glastür, auf der Zimmeraufsicht steht. Ich bin zu perplex, um mich von selbst zu bewegen, und fühle mich wie eine Marionette, die allein durch dieses energiesprühende Wesen gesteuert wird.

»Jetzt lächle nett«, befiehlt Georgie mir, klopft im nächsten Moment energisch an die Tür, wartet gar nicht erst eine Antwort ab, sondern drückt gleich die Klinke hinunter und schiebt mich ins Zimmer.

Der kleine Raum, in dem ein miefiger Geruch herumwabert, ist eine Mischung aus Büro und Wohnzimmer, und hinter einem kleinen, völlig überladenen Schreibtisch sitzt eine Frau, die mich sofort an eine Hausmutter in einem Internatsroman erinnert. Sie ist rundlich, hat rosa Wangen und einen grauen, dicken Dutt am Hinterkopf. Dazu passend trägt sie ein geblümtes Kleid, das ihre Rundungen umhüllt. Ihr mütterliches Aussehen steht aber im krassen Gegensatz zum harten Blick ihrer grauen Augen, die mich von oben bis unten mustern. Eine Gänsehaut überläuft mich.

»Was wollt ihr?« Auch ihre Stimme passt überhaupt nicht zu ihrem Aussehen. Hart, ja beinahe unfreundlich klingt sie.

»Entschuldigung«, will ich sagen, aber unter dem stählernen Blick der Frau scheint meine Sprachfähigkeit verloren gegangen zu sein. An meiner Stelle ergreift Georgie das Wort und lächelt die Frau charmant an.

»Nan, das ist Jessica Fouler. Sie ist wegen des freien Platzes in meinem Zimmer hier. Du hast den Besichtigungstermin sicher schon auf dem Schirm gehabt. Mach dir keine Mühe, ich zeige es ihr.«

Die Falten auf der Stirn der Frau glätten sich und weichen einem wohlwollenden Ausdruck. Sie nickt.

»Wenn sie es haben will, dann bring sie einfach zum Unterschreiben her, klar?«

»Glasklar«, antwortet Georgie und schiebt mich im selben Atemzug wieder aus dem Zimmer.

Als wir auf dem Flur stehen, habe ich mit einem Mal das Gefühl, wieder freier atmen zu können.

»Guten Tag. Ich wollte eigentlich Guten Tag sagen«, platze ich heraus, und Georgie lacht herzlich.

»Nan kann einem schon mal Angst machen. Aber eigentlich ist sie okay. Sie pocht auf das Einhalten der Regeln, hilft dir aber bei jedem Problem. Nie würde sie eines ihrer Schäfchen im Stich lassen. Ihr ist es sowieso am liebsten, wenn sie die Besichtigungen nicht übernehmen muss.«

Dann mustert sie mich aufmerksam von Kopf bis Fuß.

»Bist du eigentlich immer so schweigsam, oder liegt es einfach nur daran, dass ich so viel plappere?«

Ich spüre, wie mir die Hitze in den Kopf steigt.

»Tut mir leid. Ich …« Ab hier weiß ich nicht weiter, aber das scheint Georgie nicht zu stören. Sie lächelt mich herzlich an, und in meinem Innern wird es warm.

»Mach dir keinen Kopf. So ein erster Tag kann einen schon umhauen. Ich zeige dir jetzt erst mal unser kleines Reich.«

Mit diesen Worten geht sie los, und ich folge ihr durch die engen Flure des Wohnheims. Wenn die Zimmer auch so aussehen, dann weiß ich nicht, ob ich hier wirklich glücklich werde. Vor allem verstehe ich dann nicht, warum es jedes Jahr wieder so viele Bewerber gibt. Es ist das komplette Gegenteil von meinem großen und luxuriösen Zuhause, und auch wenn ich nicht viel von Prunk und Pomp halte: Zimmer, die wie diese Flure aussehen, wären auch für meinen Geschmack eine Herausforderung.

Die Wände der Flure sind in einem schmutzigen Grauton gestrichen und wirken irgendwie nackt. Keine Bilder oder sonstiger Schmuck sind zu sehen. Den Fußboden bedeckt grüne Auslegware, und es wirkt einfach nur düster.

Schließlich bleibt Georgie vor einer Tür stehen, auf der B72 steht. »Et voila«, sagt sie und reißt die Türe schwungvoll auf. »Ich bitte einzutreten.«

Zögernd trete ich durch die Tür und sehe mich um. Dann werden meine Augen groß. Ich kann gar nicht genau sagen, was ich mir unter einer Wohnung in einem Wohnheim vorgestellt hatte, aber das sicher nicht. Ich befinde mich in einem hellen Wohnzimmer. Eine Sitzecke, ein Bücherregal, ein Fernseher und ein paar Topfpflanzen sind zu sehen. Rechts neben der Tür befindet sich ein Garderobenständer, und an den Wänden hängen ein paar so hübsche Aquarelle, dass ich sofort beschließe, sie mir nachher näher anzusehen. Mein Blick huscht weiter durch den Raum. Über Eck zu dem Garderobenständer ist eine Tür, und auf der linken Seite des Raumes liegen ebenfalls zwei Türen.

»Wow!«, bringe ich staunend hervor. »Ist das schön!«

»Ja, nicht wahr?« Mit einem eindeutigen Ausdruck von Besitzerstolz tritt Georgie einen Schritt nach vorn und deutet mit einer ausladenden Handbewegung durch den Raum.

»Die Wesleyan ist nicht umsonst so eine begehrte Universität. Das hier ist das Wohnzimmer. In dem Regal da haben wir Platz für Bücher und Filme. Unten sind momentan noch meine Marvel Comics. Gegessen wird normalerweise immer in der Mensa, aber da hinten im Schrank haben wir eine kleine Kochplatte, und da drüben steht ein Wasserkocher für Tee, Wärmflaschen und so«, erklärt sie mir und deutet dabei mit dem Finger auf alles, was sie gerade benennt. Meine Augen bleiben an der riesigen Comicsammlung hängen, und ich beschließe, mich einmal richtig darin zu vergraben. Ich habe in den letzten Wochen die Iron-Man-Filme gesehen und bin seitdem ein großer Fan.

Meine Augen huschen weiter zu einer Staffelei, die am Fenster steht.

»Sag bloß, diese Aquarelle sind von dir«, bemerke ich staunend, und Georgie nickt. Auf ihren Wangen breitet sich eine zarte Röte aus.

»Ja, aber so besonders sind sie nicht«, wiegelt sie schnell ab und zeigt auf den Bildschirm, der dem Sofa gegenüber auf einem Fernsehschrank steht.

»Was das Fernsehprogramm angeht, werden wir uns bestimmt einig. Außer du willst den Bachelor sehen. Dann findest du die Tür direkt hinter dir.«

Schnell schüttle ich den Kopf, bin aber in Gedanken noch bei ihrem offensichtlichen Talent. Meine Reaktion stellt sie offenbar trotzdem zufrieden, denn sie nickt beifällig.

»Sehr schön.« Mit diesen Worten öffnet sie die rechte Tür und tritt dann einen Schritt zur Seite, damit ich in den Raum schauen kann. »Das hier ist das Bad.«

Das Bad ist ebenfalls hell, freundlich und modern. Es ist in einem lichten Grünton gekachelt, hat eine Dusche, eine Toilette, ein Waschbecken und sogar eine kleine Waschmaschine. Als sie meinen fragenden Blick sieht, klärt Georgie mich auf.

»Waschen können wir hier. Zum Trocknen müssen wir die Wäsche allerdings nach unten in den Keller bringen. Das hier ist übrigens das mit Abstand hübscheste Apartment im Wohnheim. Du hast richtig Glück, dass Lacy kurzfristig doch noch einen Platz für ihr Auslandssemester bekommen hat und abgehauen ist. Sie ist meine beste Freundin und war meine Mitbewohnerin. Deshalb haben sie dich auch kontaktiert. Sonst wäre vermutlich gar keine Wohnung freigeworden. Jetzt will ich dir aber das Zimmer zeigen, komm.«

Das mit dieser Lacy bringt mich zum Lächeln. Vermutlich hat meine Mutter ihr das Auslandssemester spendiert. Gemeinsam verlassen wir das Bad, und Georgie deutet auf die hintere der beiden Türen auf der linken Seite.

»Geh ruhig rein.«

Ich öffne die Tür und sehe mich in dem kleinen Zimmer um. Im Gegensatz zum Rest des Apartments wirkt dieser Raum alles andere als heimelig. Das Zimmer ist leer bis auf ein großes Bett und einen Kleiderschrank. Immerhin bleibt noch genug Platz, um es gemütlich herzurichten.

»Es sieht gerade natürlich noch nicht so toll aus«, erklärt Georgie entschuldigend und mustert mich aufmerksam. »Aber ich bin sicher, dass du es dir hier hübschmachen kannst.«

»Klar!«, beeile ich mich zu sagen und sehe sie dankbar an. Es ist doch immer so, dass ein kahler Raum nicht anziehend wirkt. Das Apartment ist aber wirklich großartig.

»Ich würde das Zimmer sehr gern nehmen und hätte nie damit gerechnet, dass eine Wohnung in einem Wohnheim so hübsch ist«, sage ich ehrlich, und Georgies Lächeln wird noch etwas breiter.

»Das freut mich!« Sie klingt aufrichtig. »Dann werden wir also wirklich Mitbewohnerinnen! Komm, wir gehen zu Nan und holen alles, was du brauchst. Quatschen können wir ja später noch.«

Der zweite Weg durch die Flure ist für mich deutlich leichter. Ich lasse meine Augen schweifen, und Georgie erklärt mir, dass es hier getrennte Flure für Studenten und Studentinnen gibt.

»Es gibt auch Wohnbereiche für Studenten mit denselben Interessen.« Sie grinst und schüttelt leicht den Kopf. »Aber bitte lass dich nicht von irgendeinem Verbindungstypen einfangen, okay?« Sie runzelt kurz die Stirn. »Wobei, die haben meistens ihre eigenen Gebäude. Mich hat mal so ein riesiger, pickliger Kerl von Alpha Delta Irgendwie angequatscht und in seine Villa eingeladen. Ich habe natürlich Nein gesagt.«

Bei ihrer bildhaften Erzählung kann ich ein Lachen nicht unterdrücken. Es gluckst geradezu aus mir heraus.

»He, das war total ernst«, empört sie sich und schüttelt den Kopf. »Kerle sind sowieso reine Zeitverschwendung. Aber die Themen-Wohnbereiche sind trotzdem noch mal was anderes als die Verbindungen. Merkwürdig, aber auch wieder nicht ganz so merkwürdig, wenn du verstehst, was ich meine.«

Inzwischen sind wir wieder an dem Kabuff angekommen, in dem uns die grummelig aussehende Nan bereits erwartet.

»Du nimmst das Zimmer?«, fragt sie mich, und ich nicke beklommen. Diese Frau ist mir unheimlich.

Nachdem ich den Vertrag unterschrieben habe, machen wir uns wieder auf den Weg aufs Zimmer. In der einen Hand habe ich den Schlüssel zum Apartment, unter dem anderen Arm klemmt ein Stapel Bettwäsche, und in meinem Kopf hallt die scharfe Stimme von Nan wider, die mir die erstaunlich strengen Hausregeln erklärt hat.

»Du bist abends um spätestens dreiundzwanzig Uhr zu Hause. Danach wird abgesperrt, und du musst schauen, wo du übernachtest. Männerbesuch im Zimmer ist verboten. Es ist mir egal, dass ihr reiche Kids seid. Hier bin ich trotz allem für euch verantwortlich. In deinen normalen Wohnbereich darfst du aber selbstverständlich Gäste einladen. Ordentlich mit der Einrichtung umgehen …«

In meinem Kopf schwirrt es, und ich bin erleichtert, als ich wieder mit Georgie in der Wohnung bin und wir uns gemeinsam auf das weiche Sofa fallen lassen. All das Neue um mich herum strengt mich sehr an, und ich spüre schon jetzt, wie meine Glieder schwer werden.

»Also, Jessy.« Georgie sieht mich von der Seite an. »Ich habe dich in der ganzen Zeit kaum mehr als zehn Sätze sagen hören. Ich habe dich pausenlos vollgequatscht. Jetzt will ich aber ein bisschen was über dich wissen. Woher kommst du denn?«

Schon wieder diese Frage. Ein schmerzhaftes Ziehen durchfährt mich und bündelt sich in der Magengegend zu einem brennenden Knoten. Ich will einfach nicht darüber reden, und deshalb fällt meine Antwort genauso aus wie bei Alex vorhin.

»Meine Familie lebt in Kalifornien.«

Georgies Augen werden groß wie Suppenteller. »Das ist ja heiß! Dann hattest du das Meer ja quasi direkt vor der Nase!« Sie runzelt die Stirn, und in ihren Augen blitzt Erkenntnis auf. »Warte mal, Fouler? Bist du eine der Stipendiatinnen? Ich glaube ich habe deinen Namen auf der Liste gesehen.«

Ich nicke, und Hitze schießt mir in die Wangen. Ob sie mich jetzt für eine Streberin hält? Trotz dieser Sorge bin ich erleichtert. Normalerweise ist die Reaktion auf meinen Nachnamen nämlich eine andere. Fouler? Wie DIE Foulers? Aber Georgie scheint es eher cool zu finden, dass ich ein Stipendium bekommen habe. »Wahnsinn.« Sie strahlt mich an, und ich habe das Gefühl, dass sie mir eine Freundin sein möchte. »Und was willst du studieren?«, fragt sie weiter.

»Kreatives Schreiben«, erwidere ich leise und sehe sie dabei nicht an. Zu oft hat mir die Reaktion auf diese Worte ein Augenrollen oder Unglauben eingebracht. »Außerdem schnuppere ich noch in die Verlagsarbeit mit dem Schwerpunkt beim Lektorat.«

Das ist doch kein ordentliches Studium für ein Mädchen aus gutem Haus, höre ich Dads Stimme dumpf in meinen Ohren. Such dir lieber was Ordentliches, womit du Karriere machen kannst!

Mein Herz krampft sich zusammen bei der Erinnerung an diese Worte, die er mir als Letztes mit auf den Weg gegeben hat.

»Du, Georgie«, sage ich leise und kratze meinen ganzen Mut zusammen. »Würde es dir etwas ausmachen, wenn ich jetzt meine Koffer hole und mich dann ein bisschen zurückziehe?«

Einen Moment lang ist es still, und meine neue Mitbewohnerin mustert mich aufmerksam. Es wirkt, als könnte sie hinter meine Fassade sehen. Als wüsste sie, dass mir gerade alles zu viel wird und ich zusammenzubrechen drohe. Dann huscht ein Lächeln über ihr Gesicht.

»Ich glaube, ich mag dich, Jessy! Du bist geheimnisvoll und du verbirgst etwas. Aber ja, ich mag dich, und wir werden sicher gute Freundinnen werden.«

Überrascht sehe ich sie an. Also hatte ich recht. Anscheinend bröckelt meine Eisköniginnenfassade in Georgies Gegenwart. Sie scheint eine gute Menschenkenntnis zu haben, und der Gedanke, in ihr eine Freundin zu finden, gefällt mir.

»Das wäre schön«, sage ich und lächele zurück.

»Vor allem, weil Lacy mich einfach wegen dieses Cheerleader-Stipendiums hat hängenlassen«, knurrt Georgie noch, und ich frage mich, was zwischen ihr und Lacy vorgefallen ist.

Als ich meine Koffer in mein Zimmer geschleppt habe und allein bin, atme ich erst einmal tief durch und werfe einen Blick auf meine Armbanduhr. Es ist erst sieben, und trotzdem fühle ich mich schon jetzt bettreif und wie erschlagen. Hunger habe ich keinen. Ich werde heute sicher früh schlafen gehen.

Jetzt habe ich endlich die Möglichkeit, mich allein in meinem neuen Zuhause umzusehen. Das hier wird mein persönliches kleines Reich. Bevor ich nächsten Montag mit der Arbeit anfange, werde ich die Zeit nutzen, um den Raum in ein gemütliches kleines Paradies zu verwandeln. Zufrieden lasse ich mich auf das Bett sinken, blicke auf die weiße Wand vor mir und stelle mir vor, wie viel schöner es mit einem Wandtattoo wirken würde. Ein steriler Geruch steigt von der unbezogenen Matratze in meine Nase, und nur wenige Sekunden später schüttelt mich ein explosionsartiges Niesen.

Schniefend stehe ich auf und suche in meiner Handtasche nach einem Taschentuch. Als ich eins gefunden habe, schnäuze ich mich erleichtert und schnuppere noch einmal. Diese Matratze wurde eindeutig vor Kurzem gereinigt. Wie viele Menschen wohl schon darauf geschlafen haben? Ich schüttle diesen unangenehmen Gedanken ab und beginne damit, das Bett zu beziehen. Die Bettwäsche wird den Geruch zumindest notdürftig bedecken. Außerdem sieht das Zimmer dann sicher schon besser aus.

Lächelnd beginne ich, in Gedanken den Raum zu gestalten, aber meine Augenlider werden schwer. Wieder fällt mir auf, wie anders hier alles ist.

Anders als zu Hause liegt hier kein salziger Meeresduft in der Luft, und obwohl es warm ist, läuft hier niemand im Bikini rum.

Aber dann beiße ich mir auf die Unterlippe. Ich bin so undankbar. Ein fester Job und eine neue Freundin. Ich habe keinen Grund, mich zu beschweren. Mein neues Leben fängt gut an.

Kapitel 3

Jessy

Als ich am nächsten Morgen aufwache, dauert es einen Augenblick, bis ich mich so weit orientiert habe, dass mir bewusst wird, wo ich bin. Gestern Abend war ich so kaputt, dass ich nur schnell die geliehene Bettwäsche aufgezogen und mich dann wie einen Stein ins Bett fallen lassen habe.

Heute Morgen bin ich dafür aber wieder relativ fit, und der Schlaf hat mir gutgetan. Ein Blick auf mein Handy zeigt mir, dass ich fünf verpasste Anrufe habe und sieben ungelesene Nachrichten.

Ein Anruf ist von meiner Freundin Freddy, und ihre Nachricht ist auch die erste, die ich öffne.

Heyooo, Maus! Wie läuft das neue Leben? Malibu vermisst dich. Aber ich muss jetzt gleich los zum Strand. Bist du schon zum Provinzei geworden? LY Freddy Schmunzelnd beschließe ich, dass ich sie nachher definitiv anrufen werde. Unser Abschied war mehr als tränenreich, und mit einem Mal wird mir klar, dass ich meine Freundin schon vermisse. Wir kennen uns seit dem Kindergarten, und auch wenn wir uns in den letzten Jahren etwas auseinandergelebt haben, wird sie doch immer meine beste Freundin sein. Ein Gefühl gemischt aus Sehnsucht und Heimweh macht sich in meinem Innern breit, und ich schlucke. Jetzt schon? Dabei war ich so froh, als ich Malibu und den damit verbundenen Lebensstil endlich hinter mir lassen konnte.

Drei Anrufe sind von meiner Mutter, die mir keine Nachricht hinterlassen hat. Sie nutzt Messengerdienste aus Prinzip nicht, von wegen Datenklau und so. Als ob unsere Familie nicht ohnehin schon ein offenes Buch für die Welt wäre. Nach außen wirken wir sicher perfekt. Ich grummele ein bisschen vor mich hin. Als mein Blick aber auf den letzten Anruf fällt, unterdrücke ich mit Mühe einen Würgereflex.

Meine Knie werden weich. Es ist eine Nachricht von Brandon, meinem Zum-Glück-Ex. Er war der Liebling meines Vaters, und eigentlich hätte das schon als Grund gereicht, ihn abzusägen. Aber dafür musste er bei mir leider viel mehr tun, bis ich den Mut hatte, ihn zu verlassen. Kann er mein Nein nicht akzeptieren? Warum lässt er mich nicht endlich in Ruhe?

Schnell drücke ich auf Löschen und entferne gleichzeitig die dazugehörenden Nachrichten. Nein! Auf keinen Fall. Ich bin frei!

Tief durchatmend schnappe ich mir meinen Kulturbeutel und verlasse barfuß mein Zimmer.

»Guten Morgen, Sonnenschein!«, ertönt eine fröhliche Stimme hinter mir, und ich fahre überrascht herum. Georgie macht in einer kurzen Sporthose und einem Tank-Top auf einer Matte vor dem Fernseher einen Hampelmann. Ihre Haare wippen im Takt, und sie sieht dabei so fröhlich aus, dass ich meine negativen Gefühle von eben beinahe vergesse und sogar ein wenig lächeln muss.

»Morgen!«, murmle ich und verziehe mich schnell ins Bad, wo ich mir nach meiner Morgenroutine schnell Hotpants und ein zu großes Schlabber-T-Shirt mit dem Gesicht von Robert Downey junior darauf überziehe. Als ich wieder nach draußen komme, hat meine Mitbewohnerin wohl ihr morgendliches Fitnessprogramm beendet und liegt, alle viere von sich gestreckt, auf der Matte. Auf ihrer Stirn glänzen kleine Schweißperlen. Sofort wandern meine Gedanken zurück zu der Zeit, in der ich jeden Morgen im Fitnessstudio verbracht habe.

»Machst. Du. Morgens. Sport?«, japst Georgie, und ich schüttle den Kopf. Nein. Das tue ich nicht. Nicht mehr.

»Solltest. Du«, keucht sie und deutet mit einer Hand zum Fernseher. »Hilft echt. Also gegen miese Gedanken.«

Langsam scheint sie wieder zu Atem zu kommen, und ich verstecke mein Kichern schnell hinter meiner Hand.

»Ich denk mal drüber nach«, verspreche ich, weiß aber genau, dass es nie so weit kommen wird. Ich mache keinen Sport mehr. Das ist etwas, das ganz weit hinter mir liegt. Den Körper so in Form halten, dass er den Malibu Standards entspricht. Diät machen, damit du dich nicht am nächsten Tag als Bauch-Pleite in der nächsten Klatschzeitung findest. Bah, ich habe es so satt.

Es ist nicht so, dass ich nicht gern Sport gemacht hätte. Eigentlich habe ich es sogar geliebt, aber in den letzten zwei Jahren hat er in meinem Leben keine Rolle mehr gespielt. Nicht mehr seit … Meine Gedanken mischen sich mit Erinnerungen. Wasser rauscht in meinen Ohren, Lautsprecher schrillen …

Ich schüttle den Gedanken ab und konzentriere mich stattdessen auf Georgie. Ich beobachte, wie sich ihr Atem langsam wieder normalisiert.

»Eigentlich wollte ich dich ja fragen, ob du Lust hast, heute mit mir Möbel und Kram für mein Zimmer kaufen zu gehen«, erkundige ich mich und spüre gleichzeitig die altbekannte Angst vor Zurückweisung in mir aufsteigen. Meine Erfahrungen mit Menschen haben mich in den letzten zwei Jahren eine gewisse Zurückhaltung gelehrt.

»Coole Idee. Da bin ich dabei«, verscheucht Georgie meine Sorge, und ich seufze leise auf vor Erleichterung. »Es gibt gar nicht weit von hier so einen niedlichen Secondhand-Shop«, erklärt sie und deutet unbestimmt mit dem Zeigefinger in die entsprechende Richtung. »Oder willst du alles neu kaufen?«

Mit einem Gedanken an mein Bankkonto schüttle ich energisch den Kopf. Ich bin zwar alles andere als pleite, aber sparen hat noch niemandem geschadet. Außerdem bin ich, was Möbel angeht, ein großer Fan vom Used-Look und von Zero Waste.

»Gebraucht klingt super«, antworte ich deshalb, und sie nickt.

»Ja, die haben immer ziemlich hübsches Zeug. Also, wie wäre es, wenn du jetzt erst mal frühstückst, ich unter die Dusche springe und wir dann losziehen? Mach dir keinen Kopf wegen Mensa und so. In den Ferien ist das Essen da eher semilecker, und dann esse ich meistens hier. Da im Schrank findest du alles, was du brauchst.«

Sie wirbelt auf dem Absatz herum und verschwindet im Badezimmer. Wie schon gestern haut mich die Welle ihrer Energie auch jetzt beinahe um.

Weil mein Magen mich mit einem energischen Knurren daran erinnert, dass ich seit gestern Mittag nichts gegessen habe, gehe ich zum Schrank und öffne ihn.

Gestern ist er mir gar nicht aufgefallen. Auch den Minikühlschrank, der daneben auf einer Art Hocker steht, nehme ich erst heute bewusst wahr. Im Schrank finde ich Besteck, allen möglichen Fertiggericht-Schnickschnack und eine Packung Cornflakes. Ich nehme eine Schüssel aus dem Schank, gebe Flakes hinein und gieße etwas von der Milch darüber, die ich im Kühlschrank finde. Meine Mutter wäre sicher entsetzt von diesem ungesunden Frühstück ohne Obst und die dazugehörigen Vitamine.

Jahrelang hat meine Mutter mich darauf getrimmt, mich gesund zu ernähren, und tatsächlich vermisse ich jetzt meine morgendliche Obstportion. Wenn ich heute einkaufen gehe, werde ich Obst besorgen.

Ich lasse mich mit meinen Cornflakes auf das Sofa fallen und beginne zu essen. Im Bad rauscht das Wasser der Dusche, und ich pruste los, als die ersten lauten und schiefen Töne von Somewhere over the Rainbow an mein Ohr dringen.

Ich kichere so sehr, dass ich mich an meinen Cornflakes verschlucke und heftig husten muss. Tränen schießen mir in die Augen, und ich ringe um Atem, als mit einem Mal die Tür zu unserem Apartment auffliegt und jemand ins Zimmer stürzt.

Mit zwei kurzen Schritten ist die Person bei mir und haut mir so heftig auf den Rücken, dass ich ein schmerzvolles Quieken nicht unterdrücken kann. Diese brutale Methode wirkt allerdings, denn mit einem Mal sind meine Atemwege wieder frei und ich sauge möglichst viel Luft auf einmal in meine Lunge.

Keuchend stelle ich die beinahe leere Schale auf den Wohnzimmertisch und fahre mir mit dem Handrücken über die Augen. Dann werfe ich einen Blick auf meinen Retter, der sich gerade wie selbstverständlich neben mich auf das Sofa plumpsen lässt und mich freundlich von der Seite anlächelt. »Geht’s wieder?«, erkundigt er sich. Es ist ein junger Mann, der mich optisch sofort an einen dieser typischen Highschool-Sunnyboys erinnert.