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Dr. Volker Schmitz ist Geschäftsführer der CapQM GmbH. Er verfügt über langjährige Erfahrung in der Finanzmarktforschung. Mit regelmäßigen Veröffentlichungen im Blog „Involvestment“ auf www.capqm.com engagiert er sich für einen besseren Kapitalmarkt.

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Volker Schmitz

Der Finanzmarkt sind wir

Wie private Anleger die Kontrolle über ihr Geld zurückgewinnen

1 Einleitung

Wer interessiert sich schon für den Finanzmarkt? Eine abstrakte, trockene Materie mit viel Mathematik. Wir haben Besseres zu tun. Aber auch, wenn wir uns nicht für ihn interessieren: der Finanzmarkt interessiert sich für uns. Genau genommen, die Finanzunternehmen, die Vermittler auf dem Finanzmarkt. Sie interessieren sich zwar nicht für uns als Person, aber für unser Geld, unsere Ersparnisse. Unser Desinteresse lassen sie sich teuer bezahlen.

Dem amerikanischen Präsidenten Thomas Jefferson wird der Satz zugeschrieben, der Preis der Freiheit sei ewige Wachsamkeit. Auf dem Finanzmarkt hat unser Mangel an Wachsamkeit dazu geführt, dass wir Rechte an unserem Geld verlieren. Unternehmen und Menschen, die wir nicht kennen, können unser Geld für Zwecke verwenden, die uns schaden, und wir bezahlen sie auch noch dafür. Alles um den Preis des unverbindlichen Versprechens, uns eine gute Rendite zu erwirtschaften. Nachdem wir uns Jahrzehnte nicht richtig um unser Geld gekümmert haben, hat die jüngste Finanzkrise gezeigt, welchen Preis wir wirklich dafür zahlen müssen.

Wie konnte es dazu kommen? Zwar hatte der Finanzmarkt immer eine öffentliche Bedeutung, nur war sie der breiten Öffentlichkeit nie bewusst. Nach der Finanzkrise war sie allen klar. In den vergangenen Jahren hat sich eine Flut von Meinungen, Artikeln, Büchern und öffentlichen Reports über alle Medien verbreitet, die kaum einen Aspekt der Finanzkrise unbearbeitet gelassen hat. Journalisten, die vor kurzem noch die Märkte hatten hochleben lassen, durften nun kritische Artikel schreiben. Banker wurden ein beliebtes Ziel öffentlicher Kritik, insbesondere wegen ihrer Gehaltsexzesse. In hastig einberufenen Gremien saßen ehemalige Banker, Zentralbanker und Aufsichtsbeamte mit gegenwärtigen Bankern, Zentralbankern und Aufsichtsbeamten zusammen. Sie verfassten gründliche Analysen, wie nach ihrer fachkundigen Ansicht zukünftig Banker, Zentralbanker und Aufsichtsbeamte eine solche Krise verhindern könnten – wenn sie denn so wiederkäme.

Warum dann noch ein Buch über den Finanzmarkt? In der bisherigen Diskussion über den Finanzmarkt und seine Reform ist ein Beteiligter völlig unterschätzt worden: der private Anleger. Das mag erstaunlich erscheinen, da sein Schutz schließlich in jeder politischen Diskussion und bei jeder Gesetzesänderung als wichtiges Ziel genannt wird. Faktisch passiert wenig, um seine Position zu stärken. Die Gesetzesänderungen zielen meist darauf ab, den staatlichen Kontrolleuren mehr Rechte gegenüber den Finanzunternehmen einzuräumen. Dass die Finanzunternehmen dank der Kontrolle stabiler werden, soll auch dem privaten Anleger nutzen. Während die Finanzaufsicht mehr Kontrollrechte bekommen hat, muss sich der private Anleger statt mit mehr Rechten mit mehr Informationen zufrieden geben. Dadurch soll er besser in der Lage sein, auf Augenhöhe mit den Finanzunternehmen zu verhandeln. Faktisch kann er nichts verhandeln, sondern nur ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen akzeptieren. Da diese durch die neuen Vorschriften noch ausführlicher geworden sind, verhandelt er nicht auf Augenhöhe, sondern unterschreibt irgendwann blind. Bei den meisten privaten Anlegern ist nach der Finanzkrise nicht das Gefühl entstanden, dass sich ihre Stellung auf dem Finanzmarkt verbessert hat. Sie sehen sich einem politisch-finanziellen Komplex gegenüber, der manchmal für sie, vor allem aber über sie und ihre Köpfe hinweg entscheidet. An diesem Punkt beginnt das Buch.

Da alles Anlagekapital vom privaten Anleger ausgeht, muss unsere Position im Kapitalmarkt gestärkt werden. Auf dieser Idee basiert das Buch. Sein Ziel ist es, die unterschiedlichen Interessen der Akteure auf dem Kapitalmarkt zu verdeutlichen und so uns private Anleger dabei zu unterstützen, unsere eigenen Interessen wahrzunehmen – damit uns unsere Kapitalanlage insgesamt mehr nützt. Das Buch liefert Ansatzpunkte für eigenverantwortliches Handeln, beschreibt, welche Bedingungen dafür notwendig sind und welche Konsequenzen sich daraus ergeben. Gleichzeitig weist es auf rechtliche Hindernisse hin und damit auf den gesellschaftlichen Handlungsbedarf, um unsere Position als Anleger zu verbessern. Im Mittelpunkt des Buchs steht die langfristige Kapitalanlage im Aktienmarkt.

Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, dass Risiko und Rendite nicht die Bestimmungsfaktoren einer Kapitalanlage sind, sondern ihr mehr oder minder zufälliges Ergebnis. Die gängigen Anlagetheorien haben versucht, ein umfassendes wissenschaftliches Denkgebäude auf der Vorausschätzung von Risiken und Renditen aufzubauen. Darauf basiert die alte aktive Kapitalanlage. Anlageberatung, Vermögensverwaltung und Fondsindustrie haben seit über 50 Jahren davon profitiert. Doch das Fundament ist nicht tragfähig. Risiko- und Renditeschätzungen sind zu unsicher, um als alleinige Leitlinie für unsere Anlageentscheidungen nützlich zu sein. Institutionelle und private Anleger wenden sich in Scharen der passiven Anlage zu. Diese leistet preisgünstig eine breite Risikostreuung ohne Renditeprognose. Es ist davon auszugehen, dass die passive Kapitalanlage ihr Wachstum noch einige Zeit fortsetzen wird. Zu vieles spricht für sie: ihre Transparenz, ihre geringen Kosten und die positiven Erfahrungen über immer längere Zeiträume. Sie belegen, dass der durchschnittliche Anleger mit der passiven Kapitalanlage nachweisbar bessere Renditen nach Abzug der Kosten erzielt als mit der alten aktiven Kapitalanlage.

Das Buch betrachtet Kapitalanlage vor allem als gesellschaftliche Tätigkeit. Auch passive Kapitalanlage ist nur eine neue gesellschaftliche Praxis und keine endgültige Wahrheit. Wie jede gesellschaftliche Praxis wird sie gesteuert von Ideologien, gesichert von Normen und unterstützt von Institutionen und Organisationen. Die Frage ist, ob die bestehenden gesellschaftlichen Voraussetzungen zu den Anforderungen der neuen Kapitalanlage passen. Und welche Änderungen nötig sind, damit die Anleger die Vorteile der neuen Anlage besser nutzen können. Jede gesellschaftliche Entwicklung bringt nicht nur Vorteile, sondern wirft auch neue Fragen auf, bringt Probleme und Nachteile. Wie sollen wir mit ihnen umgehen? Welche Änderungen ergeben sich daraus für die Akteure im Finanzmarkt?

Der private Anleger ist der kleinste Fisch in der Nahrungskette

Die theoretischen Grundlagen der passiven Kapitalanlage haben in den vergangenen Jahrzehnten zunehmende Anerkennung gefunden, sie wurden sogar mit einem Nobelpreis gewürdigt. Bei den Normen, Institutionen und Organisationen geht der Wandel nur langsam voran. Besonders schwer tun sich viele Finanzunternehmen. Die Vielzahl der Vermittler, Berater und Verwalter im Finanzmarkt sind nach der herrschenden ökonomischen Theorie die Agenten, die Auftragnehmer der privaten Anleger. Der Anleger ist der Prinzipal, in dessen Interesse sie handeln sollen. Der Realität wird diese Theorie kaum gerecht. In der Praxis ist der private Anleger häufig nicht der Prinzipal, sondern der kleinste Fisch in der Nahrungskette der Finanzunternehmen.

Am Anfang dieser Kette steht die Beratung. Sie stellt die Weichen für den Weg unseres Geldes. Vor allem unabhängige Honorarberater empfehlen preisgünstige passive Kapitalanlageprodukte, provisionsorientierte Berater meist die teure alte Kapitalanlage. In manchen Ländern ist daher ein Provisionsverbot bei bestimmten Anlageberatungen zum Schutz der Anleger erlassen worden. Auch ohne Provisionsverbot sollte in jedem Fall die Aufklärung über die Vor- und Nachteile der aktiven und passiven Kapitalanlage verpflichtend bei der Beratung für langfristige Anlagen sein. Wo es sich anbietet, zum Beispiel bei öffentlich geförderten Kapitalanlagen, sollte die passive Kapitalanlage zur Standardoption werden, von der der Anleger durch eigenen Entschluss abweichen kann.

In Zukunft sollten die Berater über die gesellschaftlichen Konsequenzen der Kapitalanlage aufklären. Neben den bekannten Möglichkeiten der sozial verantwortlichen Kapitalanlage rückt hier vor allem die Bedeutung der Kapitalanlage für den gesellschaftlichen Investitionsprozess in den Vordergrund. Kein Anleger kann sicher sein, welche Rendite erzielt wird, aber er sollte wissen, wie und wo sie erwirtschaftet wird. Angesichts der in der Öffentlichkeit allseits beklagten niedrigen Investitionsneigung kann jeder Anleger so mitentscheiden, ob er entweder produktive Investitionen oder nur Spekulation und Konsum fördern will.

Kontrolle über das Kapital zurückgewinnen

Neben vielen Vorteilen zeigt der Vergleich von aktiver und passiver Kapitalanlage auch eine zentrale Schwäche: Die passive Kapitalanlage bietet vor allem bei der Aktienanlage noch weniger Steuerung und Kontrolle des angelegten Geldes als die aktive. Schon die hat das Problem der Steuerung und Kontrolle nicht gut gelöst. Die passive Kapitalanlage hat nicht einmal mehr den Anspruch, es zu lösen. Ihre Steuerung funktioniert über den Index, die Anlage erledigt der Computer. Der Index wiederum folgt der Marktentwicklung. Kontrolle findet nur weitgehend formell statt, soweit gesetzlich erforderlich. Mehr Kontrolle kostet nur Geld und das soll gerade zugunsten der privaten Anleger gespart werden. Im Ergebnis wird die endgültige Verwendung des angelegten Kapitals noch weniger überwacht als bei der aktiven Anlage. In der Praxis bedeutet dies, dass insbesondere die Vorstände der Aktiengesellschaften noch unkontrollierter mit dem Geld der Anleger arbeiten können. Steuerung und Kontrolle der Anlagen werden damit zum zentralen Zukunftsthema der neuen Kapitalanlage. Wenn ihre offenkundigen Vorteile für die Masse der privaten Anleger nicht gefährdet werden sollen, muss dieses Problem gelöst werden.

Der Finanzmarkt kannte bisher die zwei typischen Lösungswege: zum einen die Regulierung über Gesetze und Aufsichtsbehörden, zum anderen das Vertrauen in den Marktmechanismus. Im Ergebnis sind beide nicht besonders gut geeignet, die Rechte des privaten Anlegers zu schützen. Die staatliche Aufsicht führt häufig nur zu Compliance, der formellen Einhaltung von Vorschriften, ohne die Inhalte regeln zu können. Der Markt wird dominiert von den Finanzunternehmen. Ihr bisheriges Verständnis ihrer Rolle im Markt führt zu Rechtsverlusten der privaten Anleger, Interessenkonflikten und Machtzusammenballungen, die weder im Interesse des Einzelnen noch der Gesellschaft liegen.

In welcher Form haben die Finanzunternehmen bisher die Interessen der privaten Anleger wahrgenommen? In den vergangenen Jahrzehnten weitgehend durch das Unterstützen der Shareholdervalue-Philosophie. Die Vorstände der Aktiengesellschaften konnten mit Billigung und Unterstützung der Finanzindustrie und zum gemeinsamen Nutzen die Aktienkurse steigern, indem sie Wertschöpfungsanteile von den Beschäftigten zu den Aktionären verteilt, produktive Investitionsquoten gesenkt und vermehrt unproduktive Finanzgeschäfte getätigt haben. So sind bei geringem wirtschaftlichem Wachstum riesige Kursgewinne entstanden. Verminderte Steuern und Niedrigzinsen gaben den Kursen einen zusätzlichen Schub. Auf Dauer bleibt diese Entwicklung nicht ohne gesellschaftliche Konsequenzen. Ohne wirtschaftliches Wachstum lassen sich hohe Aktienrenditen nur durch weitere Umverteilung aufrechterhalten. Diese Umverteilung von den Beschäftigten zu den Aktionären ist nur noch zu Lasten der breiten Mittelschicht möglich. Das wird zu immer stärkeren sozialen Spannungen führen. Die Vorstände der Aktiengesellschaften, die eigentlich das wirtschaftliche Wachstum durch produktive Investitionen fördern sollen, werden so zu Agenten der Erosion der Mittelschicht ohne gesellschaftlichen Auftrag und Kontrolle.

Da der Staat und die Finanzunternehmen die Kontrolle nicht übernehmen können oder wollen, plädiert das Buch für eine stärkere Beteiligung der privaten Anleger an der Kontrolle ihres Kapitals. Nur wir kennen unsere Interessen, besser als jedes zwischengeschaltete Finanzunternehmen. Letztendlich sind wir die wirtschaftlichen Eigentümer des angelegten Kapitals. Daher sollten wir auch mehr Rechte bekommen, um unsere Kapitalanlagen kontrollieren zu können. Überall dort, wo Finanzunternehmen uns keine Rendite garantieren, sondern sie nur auf unser Risiko zu uns durchleiten, sollten sie auch die Rechte an uns weiterleiten. Insbesondere bei der Corporate Governance, der Kontrolle der Aktiengesellschaften, muss die Rolle der privaten Anleger gestärkt werden. In einem demokratischen Kapitalmarkt sollten die Kontrollrechte den Bürgern zustehen, die an diesem Markt teilnehmen. Die Entwicklung der Rechte der privaten Anleger hat bisher nicht mit der zunehmenden Bedeutung der Kapitalanlagen für unsere demokratischen Gesellschaften Schritt gehalten.

Letztendlich geht alles private Kapital vom Sparer aus. Dieser Sparer ist kein eindimensionales Gier- und Angstwesen, wie die alte aktive Investmenttheorie unterstellt hat. Er ist als Arbeitnehmer, Selbstständiger, Staatsbürger, Elternteil, Konsument und Steuerzahler vielfältig mit seinem gesellschaftlichen und natürlichen Umfeld vernetzt. Tatsächlich ignorieren die Angebote der Finanzunternehmen jedoch weitgehend seine Multidimensionalität. Für sein Finanzkapital bekommt er, in immer neuen Produktverpackungen, fast regelmäßig das Gleiche angeboten: den eindimensionalen globalen finanziellen Utilitarismus. Ob er damit übereinstimmt oder nicht, oder vielleicht auch nur weitgehend, aber nicht vollständig – er kann es kaum beeinflussen. Sein Humankapital, seine Arbeitskraft, setzt er als Beschäftigter auch meist utilitaristisch ein, aber der Nutzen ist nicht zwangsläufig nur finanziell definiert. Die Arbeitsinhalte stehen im Vordergrund und menschliche und soziale Mindeststandards setzen den Rahmen, wo immer er sie durchsetzen kann. Zukünftig sollte es nicht darum gehen, den Utilitarismus als Leitbild des Finanzmarkts abzuschaffen, sondern den Nutzen breiter zu definieren, indem die privaten Anleger ihre Vorstellungen durch ihre Beteiligung an der Steuerung und Kontrolle ihrer Kapitalanlagen einbringen können.

Beteiligung der Anleger stärkt die Marktwirtschaft

Private Anleger müssen unterstützt werden an der Corporate Governance teilzunehmen. Sicherstellen ließe sich dies durch entsprechende Vorschriften. Eine solche Regelung stärkt die Rechte der tatsächlichen wirtschaftlichen Eigentümer, der weltweiten Sparer. Sie entspricht den Regeln des Markts, da sich alle Anleger als wirtschaftlich Beteiligte engagieren können. Gleichzeitig verringert sie die Gefahr eines inhaltlichen Kontrollvakuums bei der Beaufsichtigung der Aktiengesellschaften. Ebenso verhindert sie das Risiko zukünftiger wirtschaftlicher Machtzusammenballungen durch die Konzentration von Aktionärsrechten bei wenigen großen Finanzunternehmen. Auch damit fördert die Regelung den Markt. Markt soll nicht nur Effizienz ermöglichen, sondern auch Freiheit und Vielfalt. Hunderte Millionen von privaten Anlegern weltweit haben vielfältige Interessen und Vorstellungen. So entsteht ein Markt der Meinungen, der die wirtschaftlichen Interessen der Gesellschaft besser repräsentiert als eine eindimensionale ökonomische Theorie. Um soziale Konflikte durch die weitere wirtschaftliche Entwicklung zu vermeiden, ist ein breiter gesellschaftlicher Konsens unabdingbar. Wir können diesen nicht einer kleinen Gruppe von Vorständen und Finanzmanagern überlassen, die vor allem an ihre nächste Bonuszahlung denken. Die privaten Anleger an der Corporate Governance zu beteiligen kann eine demokratische Marktwirtschaft nur stärken.

2 Es ist unser Geld

Der Finanzmarkt bestimmt unser Leben. [1] Täglich überfluten uns meist dramatische Nachrichten über den Finanzmarkt: Bankenkrisen, Währungsschwankungen, Staatsbankrott. Wir sind den Ereignissen ausgeliefert, können nichts ändern, nur reagieren. Meist wissen wir noch nicht einmal wie. Hilflos sehen wir uns einem Mechanismus ausgeliefert, der völlig unserer Kontrolle entzogen ist. Das öffentliche Bild des Finanzmarkts bestimmen nicht wir, sondern Zentralbanken, internationale Bankkonzerne und weltweit agierende Fondsgesellschaften.

Dieses öffentliche Bild steht in einem seltsamen Kontrast zu den wirtschaftlichen Eigentumsverhältnissen an dem Geld, das auf dem Finanzmarkt bewegt wird. Denn dieses Geld gehört uns, den Bürgern, Sparern und Anlegern weltweit. Und es ist eine gigantische Summe. Rund 164 Billionen US-Dollar beträgt das private Geldvermögen der Weltbevölkerung. [2] Es gehört nicht etwa nur den Superreichen. Ungefähr 17 Millionen Haushalte besitzen mehr als 1 Million US-Dollar Geldvermögen. [3] Die Millionärshaushalte verfügen über rund 68 Billionen der erwähnten 164 Billionen US-Dollar. [4] Der Rest des Geldes, rund 96 Billionen US-Dollar, gehört Milliarden Bürgerinnen und Bürgern weltweit. Unser Geld stellt den größten Teil des Kapitals dar, das an den internationalen Finanzmärkten angelegt wird.

Wir sind der Finanzmarkt

Wir alle haben dieses gewaltige Kapital über Generationen angespart. Aber wir können es praktisch nicht allein investieren, wenn wir kein Haus bauen wollen oder kein eigenes Unternehmen besitzen. Um es anzulegen, benötigen wir die Hilfe der Finanzindustrie. Banken, Börsen, Versicherungen, Investmentgesellschaften, Pensionsfonds und Anlageberater – alle unterstützen uns bei der Anlage unseres Geldes. Ohne die Unterstützung eines Finanzunternehmens ist kaum noch eine Kapitalanlage denkbar. Der freundliche Finanzberater im seriösen Anzug öffnet unserem Geld die Tür zu den internationalen Finanzmärkten. Unsere bescheidenen Einzahlungen werden gemeinsam mit dem Geld anderer Kunden weitergereicht. Es geht an Unternehmen und Staaten, an Investmentfonds oder andere institutionelle Investoren. So formen sich gewaltige Finanzströme, die weltweit Investitionen ermöglichen, Aktienkurse in die Höhe treiben oder Währungen unter Druck bringen.

Ist unser Geld erst einmal Teil dieser Finanzströme, entzieht es sich weitgehend unserer Kontrolle. Die, die am Ende mit unserem Geld arbeiten, kennen uns nicht. Sie haben nie einen Vertrag mit uns geschlossen. Dabei ist es unser Geld, das ihnen von den Banken, Versicherungen und Fondsgesellschaften zur Verfügung gestellt wird. Die Märkte, die sich als anonyme Macht der Kontrolle der Politik immer mehr entzogen haben, arbeiten mit unseren Ersparnissen. Die weltweite Finanzkrise hat uns auf beeindruckende und bedrückende Weise vor Augen geführt, wie vernetzt die internationale Finanzwelt mittlerweile ist. Unser Geld spielt dabei, häufig ohne dass wir es wissen, die wichtigste Rolle. Wenn wir in der Presse von Hedgefonds auf den Niederländischen Antillen lesen, die mit ihren Spekulationen auf steigende Ölpreise setzen, denken wir spontan an millionenschwere Spekulanten, die versuchen, auf leichte und schnelle Art ihr Vermögen zu vermehren. Aber es könnte unsere eigene Altersvorsorge sein, die die Benzinpreise an der Zapfsäule hochtreibt. Wenn ein Private Equity-Fonds ein Unternehmen kauft und danach Arbeitsplätze abbaut, könnte dies mit Geld durchgeführt werden, das unsere Lebensversicherungsgesellschaft dem Fonds zur Verfügung gestellt hat. Wenn Zentralbanken und Politiker sich gegen spekulative Kräfte stemmen, die ganze Währungen und Länder in den Ruin treiben könnten, könnte es unser Geld sein, mit dem auf die Zahlungsunfähigkeit der Staaten gewettet wird.

Die Konsequenz: Wir sind der Finanzmarkt. Er betrifft uns alle. Die meisten von uns sind als Sparer, Versicherte oder Kapitalanleger direkt und indirekt in diesem Markt aktiv. Das Geld der großen institutionellen Anleger ist meistens unser Geld. So wie sie im Großen von den Bewegungen an den Finanzmärkten betroffen sind, sind wir es im Kleinen. Was am Finanzmarkt passiert, schlägt auf unseren kleinen Anteil durch. Letztendlich sind wir die Eigentümer, die überall beteiligt sind. Fast alles, was am Finanzmarkt passiert, hat in irgendeiner Form Auswirkungen auf uns selbst, unsere Familien und unsere Umwelt.

Wir kümmern uns nicht genug um unser Geld

Obwohl der Finanzmarkt für unser tägliches Leben und unsere Zukunft so wichtig ist, stehen wir ihm meist hilflos und passiv gegenüber. Das steht in völligem Kontrast zu unserer sonstigen Beteiligung am Wirtschaftsleben. Denn die besteht, vereinfacht gesagt, aus Geldverdienen, Geld ausgeben und Geld sparen. Einkommen, Konsum und Ersparnis sind die zentralen Bestimmungsfaktoren einer Volkswirtschaft.

Im Mittelpunkt unseres Interesses steht das Geldverdienen. Wir sind fast täglich damit beschäftigt. Für die meisten von uns ist es mit Arbeit verbunden. Wir machen Karriere innerhalb unseres Unternehmens, wechseln unseren Job oder machen uns selbstständig. Wir versuchen unser Einkommen zu verbessern, unsere Arbeitsbedingungen und unsere Arbeitsinhalte. Dazu organisieren wir uns in Gewerkschaften, Berufsverbänden oder Arbeitgebervereinigungen. Unsere berufliche Tätigkeit verschafft uns nicht nur ein Einkommen, sondern auch einen sozialen Status. Die meisten von uns engagieren sich für ihren beruflichen Erfolg, bilden sich fort oder qualifizieren sich für ihre Tätigkeit weiter.

Das Geld, das wir mit so viel Einsatz verdienen, geben wir weitgehend wieder aus. Dabei handeln wir meist planvoll. Vor größeren Anschaffungen informieren wir uns und vergleichen. Wenn wir uns informiert haben, kaufen wir selbst. Wir treten persönlich als Käufer am Markt auf und beauftragen nicht eine Firma, die unsere Einkäufe für uns erledigt. Obwohl wir das bei manchen Routinekäufen aus Zeitgründen vielleicht ganz praktisch fänden. Bei allen wichtigen Geldausgaben wollen wir selbst prüfen, selbst verhandeln, selbst entscheiden und das Kauferlebnis genießen. Viele Konsumentscheidungen dienen dazu, uns und unserer Umwelt unsere soziale Stellung zu zeigen.

In puncto Ersparnis verhalten wir uns völlig anders. Viele Menschen zeigen wenig Interesse daran, sich um ihre Ersparnisse zu kümmern. Während sie engagiert arbeiten und Geld ausgeben, sich informieren und kontrollieren, was in ihrem Umfeld passiert, reicht es dafür bei der Ersparnis meist nicht. Das Thema Geldanlage erscheint zu komplex: Man muss rechnen, sehr langfristig planen und aufpassen, dass man nichts falsch macht.

Im Gegensatz zu anderen Anschaffungen ist das Kauferlebnis meist unangenehm. Es bietet keine sinnliche oder menschliche Befriedigung, ein konkreter kurzfristiger Nutzen ist nicht spürbar. Sozialen Status kann man mit Finanzprodukten in der Regel nicht zeigen, es sei denn, man ist sehr reich und erwähnt nebenbei im Gespräch, in welchen Hedgefonds man investiert hat oder von welcher Privatbank das Vermögen verwaltet wird. Meist ist die Entscheidung für eine Finanzanlage einfach nur mit einer gewissen Erleichterung darüber verbunden, dass wir ein meist lange aufgeschobenes Problem gelöst haben. Je länger die Anlageentscheidung zurück liegt, desto mehr gerät sie in Vergessenheit. Wir werden erst wieder schmerzhaft an sie erinnert, wenn wir das Geld dringend benötigen, beispielsweise um unsere Rente aufzubessern und die erhoffte Rendite nicht erzielt ist.

Und so verhalten wir uns bei der Ersparnis völlig anders als bei unseren anderen Konsumentscheidungen: Weil wir uns durch die komplexen Informationen überfordert fühlen, vertrauen wir bei der Kaufentscheidung häufig auf Dritte, überlassen anderen die laufende Kontrolle und halten es nicht für notwendig uns für unser Kapital zu engagieren.

Finanzunternehmen nutzen unsere Schwäche

Genau an dieser Schwäche setzen die meisten Finanzunternehmen an. Sie bieten uns einen Ausweg aus unserer Entscheidungsschwäche. Damit erfüllen sie eine wichtige wirtschaftliche Aufgabe: Sie verwandeln unsere Ersparnisse in Investitionen. Nicht ausgegebenes Geld, zunächst nur eine Restgröße, kann so einer sinnvollen gesellschaftlichen Nutzung zugeführt werden. Sowie es nicht im Sparstrumpf oder unter der Matratze aufbewahrt wird, sondern auf irgendein Konto wandert, fließt es in den Finanzmarkt. Volkswirte setzen in ihren Rechnungen daher auch die Gesamtersparnis in der Wirtschaft mit der Summe an Investitionen gleich. Ersparnis und Investition sind wie die zwei Seiten einer Münze. Wir müssen uns immer darüber im Klaren sein, dass unsere Ersparnisse irgendwo im Wirtschaftssystem verwendet werden. Da wir dafür eine Rendite erhalten möchten, geht es nicht anders. Nur wenn jemand mit unserem Geld arbeiten kann, ist er bereit, dafür einen Zins oder eine Gewinnbeteiligung zu bezahlen.

Die Investition unserer Ersparnisse ist der Teil der wirtschaftlichen Tätigkeit, um die wir uns meist nicht mehr selber kümmern. Dabei ist das, was mit unseren Ersparnissen passiert, von entscheidender Bedeutung für unser weiteres Wohlergehen. Es bestimmt unseren zukünftigen wirtschaftlichen Wohlstand und den unserer Kinder. Es beeinflusst die Aufteilung der Erträge zwischen Arbeitnehmern und Investoren und schafft die Voraussetzungen für die zukünftige Vermögensverteilung. Investitionen entscheiden, ob und wo neue Arbeitsplätze entstehen. Auch die Höhe und Sicherheit unserer Altersversorgung hängt von den Investitionen ab. Wem das zu abstrakt erscheint, der muss nur einmal Bilder von Detroit, dem Silicon Valley, dem Ruhrgebiet oder Shanghai vor 50 Jahren mit denen von heute vergleichen. Aufstieg und Fall durch Investitionen und fehlende Investitionen lassen sich an der Größe und dem Erscheinungsbild dieser Städte und Regionen ablesen. Im Grunde kann man sagen: Was wir heute verdienen, bestimmt unseren Konsum und unsere Ersparnisse. Was wir zukünftig verdienen und ausgeben können, hängt von der klugen Verwendung der Ersparnisse ab. Angesichts dieser ungeheuren Wichtigkeit ist es erstaunlich, wie wenig Aufmerksamkeit wir auf unsere Ersparnisse verwenden. In anderen Bereichen sehen wir genauer hin.

Über einige unserer Konsumausgaben können wir nicht selbst entscheiden. So holt sich der Staat jedes Jahr einen Teil unseres Einkommens in Form von Steuern und gibt das Geld für uns aus. Was er damit macht, unterliegt in demokratischen Gesellschaften der permanenten öffentlichen Kontrolle. Es wird laufend in der Presse diskutiert. Die Rechnungshöfe versuchen, die korrekte Verwendung zu überprüfen, und die von uns gewählten Abgeordneten stimmen über die Verwendung des Geldes ab. Wir entscheiden in öffentlichen Wahlen unter anderem darüber, ob die Regierung unser Geld in unserem Sinne gut verwendet hat.

Mit unseren Ersparnissen sind wir nachlässiger. Wir verzichten weitgehend auf die Rechte von Mitbestimmung und Kontrolle, die uns in einer Demokratie selbstverständlich erscheinen. Trotz der immensen gesellschaftlichen Bedeutung der Investitionen kümmern wir uns kaum um sie. Alles was uns bei der Investition unserer Ersparnisse interessiert, sind Rendite und Risiko. Dabei ist beides nicht wirklich vorhersehbar. Viel wichtiger ist, was mit unseren Ersparnissen gemacht wird. Wenn wir uns für diesen Prozess interessieren und engagieren, ergibt sich der Rest von selbst. Rendite und Risiko können wir nicht beeinflussen. Sie sind Begleiterscheinung und Resultat des Investitionsprozesses. Bestimmen können wir, was mit unserem Geld passiert und seine Verwendung können wir kontrollieren. Für unser zukünftiges Wohlergehen ist das viel wichtiger als weiten Teilen der Finanzindustrie dabei zuzusehen, wie sie mit unserem Geld eine teure Lotterie um die höchste Rendite veranstalten.