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Mami Bestseller
– 35 –

Deine wundervollen Kinder!

Sie sind auch meine?

Carmen Lindenau

Impressum:

Epub-Version © 2019 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74094-980-8

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»Tut mir leid, Hartmut, aber ich kann heute nicht, ich habe den Kindern versprochen, dass wir zur Eröffnung des Weihnachtsmarktes gehen.« Leoni hielt die hintere Tür der Apotheke auf und wartete darauf, dass Hartmut Jäger sich in den Feierabend verabschiedete.

»Schade, ich habe einen Tisch im Ratskeller reserviert, dort ist doch heute Weinprobe.« Der junge Apotheker sah sie überrascht an. Offensichtlich hatte er nicht mit einer Absage gerechnet. Fahrig steckte er den Kamm, mit dem er sein Haar nach hinten gekämmt hatte, in seine Hosentasche.

»Vielleicht nächste Woche?«, schlug Leonie vor, weil sie ihn nicht brüskieren wollte.

»Ich könnte euch auf den Weihnachtsmarkt begleiten. Was hältst du davon?« Er legte seine Hand auf ihre Schulter und sah ihr tief in die Augen.

»Sei mir nicht böse, Hartmut, aber ich habe in den letzten Monaten nur wenig Zeit mit meinen Kindern allein verbracht. Ich muss ihnen hin und wieder meine ungeteilte Aufmerksamkeit schenken. Schließlich habe ich sie aus ihrer vertrauten Umgebung gerissen.«

»Ihr seid bereits ein halbes Jahr hier. Die beiden machen auf mich nicht den Eindruck, als fühlten sie sich noch fremd.«

»Wir verschieben das Essen, Hartmut.«

»Sicher, du bist der Boss«, antwortete er, ohne seinen Blick von ihr zu nehmen.

»Bis morgen, Hartmut.«

»Gut, dann bis morgen.« Er knöpfte seinen Wintermantel zu und stellte den Kragen hoch, bevor das schmiedeeiserne Tor des verschneiten Vorgartens hinter ihm zufiel und er in der Dunkelheit der verwinkelten Gasse verschwand.

Der Schnee, der am Nachmittag gefallen war, dämpfte seine Schritte. Als er gleich darauf in die nächste Gasse abbog und das Licht der Straßenlaterne seinen Schatten an die Stadtmauer warf, war es Leoni, als käme er geradewegs aus dem Nichts.

Er hofft noch immer, dass aus uns ein Paar wird, dachte sie. Vor einem halben Jahr hatte sie die Apotheke von ihrer Großmutter übernommen und auch Hartmuts Vertrag verlängert. Er ist loyal, du wirst gut mit ihm auskommen, hatte ihre Großmutter gesagt.

Seine fachliche Kompetenz hatte sie inzwischen überzeugt; dass sie seine Gefühle für sie nicht erwiderte, machte ihre Zusammenarbeit manchmal ein wenig schwierig. Auch wenn sie zugeben musste, dass sie hin und wieder gern mit dem attraktiven jungen Mann ausging, der sich stets charmant gab und alles tat, um sie in jeder Hinsicht zu unterstützen. Aber es fehlte dieses Knistern, das den Anfang einer Liebe verkündete, und sie glaubte nicht daran, dass es sich noch einstellen würde. Dazu kannte sie Hartmut nun schon zu lange.

Sie lief durch den kleinen Flur mit der dunklen Holztreppe, die nach oben in die Wohnung führte, zurück in die Apotheke. Wie jeden Abend verschloss sie die Schubladen und Vitrinen, in denen die Medikamente aufbewahrt wurden. Sie hatte sich nie vorstellen können, Hamburg, die Stadt, in der sie aufgewachsen war, zu verlassen, um in dieser Kleinstadt am Rande des Frankenwaldes zu leben. Das hatte sie ihrer Großmutter auch mehr als einmal versichert. Als es dann so weit war und Agnes Achner sich zur Ruhe setzen wollte, war die Familie zusammengekommen, und Leoni hatte sich letztendlich doch bereit erklärt, die Nachfolge in der Apotheke anzunehmen. Zunächst war ihr das mittelalterliche Städtchen mit seinen Giebelhäusern wie ein Überbleibsel aus einer vergangenen Zeit erschienen. Auch die Apotheke mit ihren Möbeln aus dunkler Eiche, den weißblauen Keramikschubladen und den nachtblauen Bodenfliesen empfand sie als nicht mehr zeitgemäß.

Inzwischen hatte sie die Achner Apotheke, die schon ihren Urgroßeltern gehörte, richtig liebgewonnen, und sie fühlte sich in der kleinen verträumten Stadt zu Hause. Mit einem zufriedenen Lächeln schaltete sie die Neonbeleuchtung aus und schaute durch das Schaufenster auf den Weihnachtsmarkt.

In einer halben Stunde würde er eröffnen. Die aus Holz gezimmerten Buden waren mit Lichterketten geschmückt, die den Schnee auf ihren Dächern zum Glitzern brachten. Es gab ein historisches Kinderkarussell, eine Schlittschuhbahn, und rechts und links der Rathaustreppe stand ein mit roten und goldenen Kugeln geschmückter Tannenbaum, sodass es aussah, als wachte das Rathaus über den Weihnachtsmarkt und seine Besucher.

In den letzten Jahren waren die Großeltern zu Weihnachten in Hamburg gewesen. Sie hatte beinahe vergessen, wie schön es hier zu dieser Jahreszeit war. Sie verspürte einen Stich in der Magengrube, als sie an ihren letzten Besuch auf diesem Markt dachte. Einen Tag danach war sie in die Alpen gefahren, um eine Freundin zu besuchen, und schon an ihrem ersten Abend dort war sie Magnus begegnet. Das war sechs Jahre her.

»Alles in Ordnung?«

»Ja, Großmama, alles gut«, sagte sie, als Agnes Achner plötzlich neben ihr stand.

»Was machst du dann allein im Dunklen?« Die schlanke kleine Frau mit dem kurzgeschnittenen silbergrauen Haar betrachtete das Gesicht ihrer Enkelin, das sich im Schaufenster spiegelte. Hohe Wangenknochen, dunkle Mandelaugen und ein schöner voller Mund.

»Ich sehe mir den Markt an«, sagte Leoni.

»Irgendetwas hast du, Kind, das spüre ich.«

»Hartmut hat nicht vor, so schnell aufzugeben.«

»Er hat sich nun einmal in dich verliebt.«

»Aber ich mich nicht in ihn. Ich frage mich, warum er überhaupt bei uns ausharrt. Er hätte sich längst selbstständig machen können.«

»Das wird er auch irgendwann tun, sobald er eine Apotheke in guter Lage mit einem guten Kundenstamm übernehmen kann.«

»Niemand hindert ihn daran, eine neue Apotheke zu eröffnen.«

»Ich finde es sehr vernünftig, dass er auf eine Übernahme wartet. Es gibt schon genug Konkurrenz.«

»Vielleicht hat er gehofft, dass du ihm die Achner Apotheke übergibst.«

»Was er auch immer gedacht hat, die Apotheke gehört nun dir.«

»Marlies erzählt mir ständig, wie sehr ihr Bruder sich für unsere Apotheke eingesetzt hat. Ich denke, er ist schon enttäuscht, dass es so ausgegangen ist.«

»Ich habe ihm nie etwas versprochen. Marlies’ Gerede kannst du getrost vergessen. Sie glaubt, dass sie als Psychologin immer am besten weiß, was andere empfinden und was für sie gut ist. Erst recht, wenn es um ihren Bruder geht.«

»Dass die beiden zusammen in einem Haus wohnen, stelle ich mir unter diesen Voraussetzungen nicht ganz leicht vor.«

»Es ist ihr Elternhaus, sie wollen es beide nicht aufgeben. Interessant wird es werden, wenn irgendwann eine Frau bei Hartmut einzieht, die sich nicht von Marlies herumkommandieren lässt.«

»Diese Frau braucht starke Nerven.«

»Unbedingt«, entgegnete Agnes lachend.

»Was ist, Großmama?«, fragte Leoni, als Agnes sie plötzlich mit einem prüfenden Blick anschaute. »Denkst du daran, dass wir auch in einem Haus wohnen?«

»Kind, es ist wundervoll, dass wieder so viel Leben um mich herum ist. Mir ist nur gerade klar geworden, dass wir zwar über Hartmut und Marlies reden, dass du aber mit deinen Gedanken ganz weit fort bist.«

»Wie kommst du darauf?«

»Deine Augen haben geleuchtet.«

»Das ist das Licht, das von draußen hereinfällt.«

»Nein, es war ein inneres Leuchten, Leoni. Du hast an den Vater deiner Kinder gedacht, nicht wahr?«

»Vielleicht.« Leoni hatte niemandem wirklich etwas von Magnus erzählt. Die Zeit mit ihm war etwas Kostbares, das nur ihr gehören sollte. Der junge Fotograf, mit dem sie ein paar wundervolle Wochen verbracht hatte, befand sich damals am Anfang einer Weltreise. Sie ging nicht davon aus, ihn wieder zu sehen. Als sich herausstellte, dass sie von ihm schwanger war, war es für sie das Geschenk einer großen Liebe.

Den Zwillingen hatte sie das Gleiche erzählt wie ihren Eltern, Großeltern und Freunden, dass er von einer weiten Reise nicht mehr zurückgekehrt sei. Irgendwie war das auch ganz dicht an der Wahrheit.

»Verzeih, Leoni, ich weiß, dass du nicht über ihn sprechen willst«, sagte Agnes leise.

»Ich sehe immer noch dieses Bild vor mir, als wir uns das erste Mal begegneten, diesen Moment, als wir uns ansahen. Ich möchte diesen Augenblick bewahren.«

»Du willst nicht, dass jemand mit klugen Worten und wohlmeinenden Ratschlägen die Magie zerstört, die du noch immer empfindest.«

»Großmama, du verblüffst mich.«

»Auch ich war einmal jung, ich hatte allerdings das Glück, dass ich meine Liebe festhalten konnte.«

»Großvater?«

»Ja, Kind, dein Großvater. Ich vermisse ihn so sehr«, seufzte Agnes.

»Ich vermisse ihn auch«, sagte Leoni und legte den Arm um ihre Großmutter. »Lass uns nach oben gehen. Die Kinder warten sicher schon auf mich.

»Fritz erzählt ihnen gerade eine Geschichte. Du weißt, wie sehr sie seine Detektivgeschichten lieben.«

»Die beiden sind mächtig stolz darauf, dass der Freund ihrer Uroma ein richtiger Polizeikommissar ist.«

»Er ist seit zehn Jahren in Pension, und wir sind nur alte Schulfreunde.«

»Für einen alten Schulfreund besucht er dich aber in letzter Zeit recht oft.«

»Seit Rosas Tod fühlt er sich ein bisschen einsam. Sie waren 45 Jahre verheiratet, genauso lange wie dein Großvater und ich. Aber vielleicht hält Fritz uns auch nur die Treue, weil wir die einzigen sind, die eine Creme mit extra viel Avocado für seine trockene Haut herstellen, die erste Creme, die keine Allergie bei ihm auslöst.«

»Großmama, das ist sicher nicht der Grund«, antwortete Leoni lachend.

»Nein?«

»Nein«, wiederholte sie, als Agnes nun auch laut auflachte. »Komm, sehen wir nach, was unsere drei Detektive machen.«

Die drei Detektive saßen im Wintergarten, der sich an die Wohnküche anschloss. Fritz Lohmann, ein freundlicher älterer Herr mit schlohweißem Haar und dunkler Hornbrille, hatte es sich in einem der beiden Ohrensessel gemütlich gemacht. Da bis auf eine Stehlampe kein Licht brannte, hatte man einen herrlichen Blick auf den beleuchteten Weihnachtsmarkt.

Auf der Lehne links von Fritz saß Emilie, die den Freund ihrer Uroma mit ihren großen braunen Augen gebannt anschaute. Das Mädchen trug ein rotes Samtkleidchen und weiße Strumpfhosen, das dunkle Haar war zu zwei dicken Zöpfen geflochten, die von zwei roten Schleifen gehalten wurden.

Emil saß auf der rechten Lehne des Sessels und schaute Fritz ebenso gebannt an wie seine Schwester. Seine dunklen Locken kringelten sich über den Kragen des weißen Strickpullovers, den er zu einer grünen Jeans trug. Emil hatte die gleichen braunen Augen wie Emilie, musste aber im Gegensatz zu ihr eine Brille tragen. Die runden Gläser mit dem leuchtendblauen Rahmen hatte er sich selbst ausgesucht. »Wer hat die Lebkuchen von Frau Lustig gestohlen?«, wollte Emil von Fritz wissen.

»Kleine Tatzen im Schnee vor dem Fenster?«

»Die Katze, die im Garten war, als Frau Lustig das Fenster aufgemacht hat«, sagte Emilie und strahlte über das ganze Gesicht.

»Ja, sie kann auf das Fensterbrett springen«, stimmte Emil seiner Schwester zu.

»Fall gelöst?«, fragte Leoni.

»Mami!«, riefen die Zwillinge und stürmten auf ihre Mutter zu.

»Gehen wir jetzt zum Weihnachtsmarkt?«, fragte Emil.

»Sobald ihr eure Mäntel angezogen habt, können wir los.«

»Wir sind gleich fertig.« Emilie sauste gefolgt von ihrem Bruder in die Diele.

»Du verdirbst dir noch die Augen, Fritz«, sagte Agnes und schaltete die Deckenbeleuchtung in Wintergarten und Küche an.

Sofort wurde es in der Küche mit ihren Möbeln aus heller Buche und dem türkisfarbenem Korkboden strahlend hell.

»Meine Augen sind noch ganz passabel, sie sehen alles, was sie sehen möchten.« Fritz schaute über den Rand seiner Lesebrille und betrachtete Agnes mit einem liebevollen Blick.

»Soso, tun sie das«, antwortete Agnes lächelnd.

»Fertig!«, riefen Emil und Emilie. Sie standen in ihren dunkelblauen Lodenmäntelchen und den weißen Schneestiefeln in der Tür.

»Wollt ihr mitkommen?«, fragte Leoni und schaute ihre Großmutter und Fritz an.

»Wir werden uns den Markt ein anderes Mal ansehen, heute ist dort ein bisschen zu viel Trubel. Wir machen uns eine gute Tasse Tee und beobachten das Treiben vom Wintergarten aus.«

»Ein Schuss Rum im Tee gegen die Kälte, die den alten Knochen doch sehr zu schaffen macht, das wäre schön«, sagte Fritz.

»Gerade alles noch ganz passabel und jetzt alte Knochen?«

»Wir lassen euch dann mal allein.« Leoni schlüpfte in ihre Stiefel und nahm den weißen langen Mantel mit der Kapuze von der Garderobe.

*