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Dr. Laurin
– Staffel 13 –

E-Book 121-130

Patricia Vandenberg

Impressum:

Epub-Version © 2019 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74094-966-2

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Schön - und so einsam!

Roman von Vandenberg, Patricia

Dirk Foley wurde an einem Samstagabend mit starken Leibschmerzen in die Prof.-Kayser-Klinik gebracht. Er krümmte sich, und kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn. Er war mit seiner Freundin Alexandra Debrek in dem exklusiven französischen Res­taurant »Bellami« zum Essen gewesen, doch er hatte das Menü nicht ganz genießen können, obwohl er anfangs einen guten Appetit gezeigt hatte.

Die Schmerzen kamen so plötzlich, dass Alexandra zuerst gar nicht wusste, was sie denken sollte. Aber als dann Dirks Gesicht auch noch eine fahle gelbliche Blässe zeigte, brachte sie ihn sofort zur Prof.-Kayser-Klinik.

Der Chirurg Dr. Sternberg, der wieder einen langen anstrengenden Tag hinter sich gebracht hatte, wollte die Klinik gerade verlassen. Es war ein Glück, dass er noch anwesend war, denn er ordnete sofort eine Operation an. Dirk Foley wäre sonst an einem Blinddarmdurchbruch gestorben.

Alexandra Debrek wartete. Nach außen hin wirkte sie ruhig und sehr beherrscht, aber in ihren schönen dunklen Augen konnte man die Angst lesen, die sie ausstand.

Als Dr. Sternberg endlich aus dem OP kam, war es mit ihrer Beherrschung fast vorbei.

»Was ist mit Dirk, wie geht es ihm?«, fragte sie zitternd.

Er erklärte ihr, dass es ein Blinddarmdurchbruch gewesen sei.

»Hat er denn vorher nie über Schmerzen geklagt?«, fragte Dr. Sternberg.

»Dirk ist schmerzunempfindlich. Ich habe selbst einige Male erlebt, dass er sich Verletzungen zuzog, bei denen andere schreien würden. Er hat kaum Notiz davon genommen. Höchstens wenn eine Wunde stark blutete, ließ er sich behandeln.«

»Eine akute Blinddarmentzündung ist aber etwas anderes, und ein Durchbruch kommt erst nach Vorankündigungen.«

»Sicher hatte er vorher mal Schmerzen, wenn es so ist, aber die hat er nicht zur Kenntnis genommen oder überspielt. Man isst ja auch manchmal etwas zu viel oder auch etwas, was einem nicht bekommt. Ich muss sagen, dass auch ich nie gleich etwas Schlimmes denke, wenn es mich mal zwickt.«

Dr. Sternberg betrachtete sie diskret, aber aufmerksam. Alexandra war eine attraktive junge Frau, und sie hatte nichts Puppenhaftes an sich. Ein ausdrucksvolles Gesicht, eine Figur, um die sie bestimmt oft beneidet wurde, und sie war bestimmt auch intelligent.

»Besteht Lebensgefahr?«, fragte sie mit immer noch zitternder Stimme.

»Er liegt jetzt auf der Intensivstation. Wir wollen das Beste hoffen. Er hat eine gute Konstitution und ein starkes Herz, also bin ich zuversichtlich.«

»Kann ich zu ihm?«

»Sie dürfen mal nach ihm schauen, aber es wird wohl noch ziemlich lange dauern, bis er zu sich kommt. Verständigen Sie seine Angehörigen?«

»Seine Eltern leben auf Gran Canaria. Ich denke, es wäre Dirk nicht recht, wenn ihnen ein Schrecken eingejagt würde. Sonst hat er keine Angehörigen.«

»Wissen Sie über seine Versicherungen Bescheid?«

»Er ist privat versichert. Ja, ich weiß Bescheid. Wir leben in einem Haus. Es hat sich so ergeben«, fügte sie hinzu. Dr. Sternberg musste unwillkürlich lächeln, denn schließlich war es keineswegs mehr ungewöhnlich oder gar anrüchig, wenn zwei Menschen ohne Heiratsurkunde unter einem Dach leben, und Alexan­dra Debrek machte auf ihn den Eindruck, dass sie sich diesen Schritt gut überlegt hatte. Ganz sicher war sie eine Frau, die mit beiden Beinen mitten im Leben stand.

Alexandra wurde von Schwester Lissy zur Intensivstation begleitet. Es herrschte in der Klinik bereits Nachtruhe, denn es war mittlerweile schon dreiundzwanzig Uhr geworden.

Als Alexandra den geliebten Mann so still und bleich im Bett liegen sah, angeschlossen an die verschiedens­ten Apparaturen, konnte sie sich gegen das beklemmende Gefühl nicht wehren, dass sie ihn verlieren könnte. Nie zuvor war sie sich so bewusst gewesen, wie viel er ihr wirklich bedeutete.

Sie verstanden sich gut, sie langweilten sich nie, wenn sie zusammen waren, aber sie waren doch beide sehr selbstständige Menschen, die ihre Unabhängigkeit liebten und intensiv an ihrer beruflichen Karriere arbeiteten.

Dirk war Physiker. Er hatte bereits im Alter von vierundzwanzig Jahren seinen Doktor cum laude bestanden, und man sagte ihm eine steile Karriere voraus. Er hatte gerade einen Ruf in ein Forschungsteam nach USA bekommen, und in diesem Augenblick huschte auch der Gedanke durch Alexandras Kopf, was es für ihn bedeuten würde, wenn er nicht rechtzeitig wieder gesund würde.

Sie selbst war PR-Managerin in dem großen Konzern, in dem auch Dirk beschäftigt war. Wer schaffte das schon mit fünfundzwanzig Jahren? Auch sie konnte ein abgeschlossenes Journalistikstudium vorweisen.

Dirk und sie waren ein gutes Gespann, das sagten alle, die sie kannten und schätzten, aber es blieb natürlich auch nicht aus, dass es Neider gab.

Alexandra hielt sich nicht mehr lange in der Klinik auf. Sie konnte nichts für Dirk tun, und sie war erschöpft und müde. Am nächsten Morgen musste sie wieder fit sein.

Sie fuhr durch stille dunkle Straßen. Nur wenige waren beleuchtet, und nur hinter einzelnen Fens­tern war noch Licht zu sehen.

Alexandra nahm das alles jedoch nicht wahr. Sie war froh, als sie vor dem modernen Haus hielt, in dem sie mit Dirk wohnte. Aber sie lebten nicht allein darin. Im Erdgeschoss befanden sich zwei Zweizimmer-Wohnungen, darüber dann die Maisonette-Wohnung, die sie mit Dirk teilte.

Sie war so müde, dass sie nicht duschte wie sonst, wenn der Tag zu Ende ging. Sie wusch ihr Gesicht und cremte es mechanisch ein. Dann trank sie noch ein Glas Wasser und fiel ins Bett.

Du darfst nicht sterben, Dirk, dachte sie. Du wirst es schaffen.

Sie schlief ein, aber es sollte kein erquickender Schlummer werden. Es war fünf Uhr, als sie schon wieder wach war, und sie war froh, dass sie aufstehen konnte. Schwere Träume hatten sie geplagt, die sie ruhelos machten.

Sie setzte erst die Kaffeemaschine in Betrieb, und dann duschte sie ausgiebig. Danach fühlte sie sich ein biss­chen wohler.

In der Küche hatten sie sich einen Essplatz eingerichtet, und unwillkürlich hatte Alexandra für zwei gedeckt – wie immer. Es war ihr direkt unheimlich, dass sie dann allein am Tisch saß, und ihr wurde bewusst, wie sehr Dirk zu ihrem Leben gehörte.

Sie stellte das Radio an, aber die seichte Musik ging ihr auf die Nerven, sie schaltete um auf den Sender, der gute Unterhaltungsmusik brachte.

Ihre Gedanken wanderten in die Vergangenheit, als sie nach München kam und glücklicherweise eine erschwingliche Wohnung in Schwabing fand, denn damals hatte sie noch nicht so gut verdient, wenngleich sie neben dem Studium schon einen guten Job hatte, denn sie schrieb für verschiedene Zeitungen.

Es war ein altes Mietshaus in Schwabing ohne Komfort, in das sie einzog, aber es war angenehm, dort zu wohnen. Und dort lernte sie auch Dirk kennen, seinen Kollegen Toni Hensink und die Röntgenologin Marina Gulden. Sie kamen sich näher, trafen sich dann öfter in ihrem Stammlokal und unternahmen auch gemeinsame Ausflüge.

Eines Tages jedoch bekamen sie die Wohnungskündigung. Das Haus war an einen anderen Besitzer gegangen, der es modernisieren wollte, und die Wohnungen sollten verkauft werden.

Sie beratschlagten, was sie tun sollten, denn so viel Geld hatte noch keiner von ihnen, dass er seine Wohnung, die dann einen stolzen Preis haben würde, kaufen konnte. Und wohin sollten sie auch in der Zwischenzeit?

Einfach war es nicht, eine Entscheidung zu treffen, aber da sollte sich urplötzlich Alexandra als rettender Engel erweisen, denn sie gewann dreihundertzwanzigtausend Euro im Lotto. Sie hatte immer den gleichen Tipp abgegeben, und als ob es so sein müsste, hatte sie dann fünf Richtige mit Zusatzzahl.

Sie konnte es nicht fassen. Die anderen drei hatten sie immer geneckt und gemeint, dass sie mehr Geld hätte, wenn sie den Einsatz jedes Mal in eine Sparbüchse stecken würde, aber nun wurde darüber nicht mehr gelacht, denn sie hatte die Idee, ein Haus zu kaufen, in dem sie alle wohnen könnten und das sie dann gemeinsam abbezahlen würden.

Sie hatten das Haus gefunden. Toni und Marina nahmen die Zweizimmerwohnungen, Dirk und Alexandra die Maisonette, da sie sich schon vorher darüber einig geworden waren, dass sie zusammen wohnen wollten.

Toni und Marina waren auch befreundet, aber zu einer gemeinsamen Wohnung konnten sie sich nicht entschließen, denn sie hatten oft sehr unterschiedliche Ansichten, und in der letzten Zeit gingen sie sich nun sogar aus dem Weg.

Darüber dachte Alexandra jetzt seltsamerweise auch nach, denn eigentlich war nie darüber gesprochen worden, was zwischen den beiden eigentlich vorgefallen war.

»Wie kommt es eigentlich, dass es bei euch nie Meinungsverschiedenheiten gibt?«, hatte Marina neulich ziemlich spitz gefragt, als sie sich unten getroffen hatten.

Eigentlich war es Alexandra da erst bewusst geworden, dass Marina sich sehr selten blicken ließ in letzter Zeit.

Sie hätten auch Meinungsverschiedenheiten, aber die würden ausdiskutiert, hatte Alexandra erwidert.

Ob sie vielleicht einen anderen Mann kennengelernt hat?, dachte sie, als sie jetzt hinunterging, um die Zeitung zu holen. Und dann fiel es ihr auch siedend heiß ein, dass sie ja Toni Bescheid sagen musste, was mit Dirk geschehen war.

Als sie wieder hinaufging, trat Marina aus der Wohnungstür. Sie sah verschlafen – um nicht zu sagen, vergammelt – aus.

»Was geisterst du denn schon herum, Alexandra?«, fragte sie spitz.

»Ich habe die Zeitung geholt. Ist Toni schon auf?«

»Wie soll ich das wissen? Vielleicht ist er gar nicht zu Hause. Was willst du denn von ihm?«

»Dirk ist gestern Abend am Blinddarm operiert worden, Durchbruch.«

Marina stieß einen Schrei aus. »Das kann doch nicht wahr sein! So schnell? Hat er denn vorher nichts gemerkt?«

»Jedenfalls hat er nichts gesagt. Wir waren im ›Bellami‹ beim Essen, da ging es los mit den Schmerzen. Ich habe ihn sofort in die Prof.-Kayser-Klinik gebracht, und er wurde dort operiert.«

»Warum in die Prof.-Kayser-Klinik? Warum nicht zu Mühlhaus? Da hätte ich mich um ihn kümmern können.«

Alexandra wollte nicht so direkt sagen, dass sie zu Dr. Mühlhaus nicht das richtige Vertrauen hatte, da Marina in dieser Klinik tätig war. Aber ihr missfiel auch der vorwurfsvolle Ton, den Marina anschlug.

»Ich habe nur das Beste von der Prof.-Kayser-Klinik gehört«, erwiderte sie. »Ich denke, Mühlhaus ist mehr auf Orthopädie spezialisiert.«

»Einen Blinddarm kann doch jeder operieren, das könnte sogar ich«, sagte Marina spöttisch.

»Auch einen Durchbruch, bei dem es um Leben und Tod geht?«

»So schnell stirbt man nicht, Dirk schon gar nicht«, sagte Marina mit einem Lächeln, bei dem es Alexan­dra fröstelte.

Da tat sich Tonis Wohnungstür auf, und der steckte sein verschlafenes Gesicht durch die Tür.

»Was ist denn hier im Gange?«, fragte er.

Alexandra erklärte es ihm, und er war ganz blankes Entsetzen.

Er reagierte ganz anders als Marina.

»Um Himmels willen, das ist ja schrecklich! Hoffentlich ist es nicht so schlimm, wie es momentan aussieht, dann stünde ja seine Berufung auf dem Spiel.«

»Ich werde mich darum kümmern, dass er bis dahin fit ist«, sagte Marina.

Alexandra war schockiert über diesen anmaßenden Ton. Was war eigentlich in Marina gefahren? Was bildete sie sich ein? Wollte sie mit Macht die Frau Doktor herauskehren?

»Dirk ist in den besten Händen«, sagte Alexandra deshalb aggressiv.

»Ich werde gleich nachher in die Klinik fahren«, erklärte Marina.

»Darf man schon zu ihm?«, fragte Toni.

»Er liegt auf der Intensivstation«, erwiderte Alexandra.

»Mir wird man es nicht verbieten«, meinte Marina selbstsicher. »Bis später, ich muss jetzt unter die Dusche.«

Toni hielt Alexandra am Arm fest. »Was ist eigentlich in sie gefahren?«, fragte er.

»Mich darfst du nicht fragen. Ich weiß nicht, was sie beweisen will. Jedenfalls bin ich froh, dass Dirk in der Prof.-Kayser-Klinik ist und nicht bei Mühlhaus.«

»Hat sie war mit ihm?«, fragte Toni.

»Mit wem?«, fragte Alexandra zurück.

»Mit Mühlhaus. Seit sie bei ihm ist, hat sie sich gewaltig verändert.«

»Ist er der Grund, warum es bei euch nicht mehr stimmt?«

»Nein. Eigentlich hat es nie richtig gestimmt, Alexandra.

Ich will jetzt nicht darüber reden. Ich werde nachmittags in die Klinik fahren.«

»Dann treffen wir uns.«

»Und können uns irgendwo danach hinsetzen und miteinander reden«, sagte er. »Ich mag euch sehr, Alexandra.«

»Wir dich auch, Toni.«

Toni Hensink war ein ganz anderer Typ als Dirk. Jungenhaft, drahtig und eigentlich immer gut gelaunt. Er arbeitete mit Dirk zusammen, und Dirk sagte oft, dass er sich keinen besseren Partner wünschen konnte bei dieser schwierigen Arbeit. Aber Toni hatte nicht den Ehrgeiz wie Dirk. Er war auch keine solche Persönlichkeit, aber er war auch nicht die Spur neidisch auf Dirks Erfolge, obwohl er daran großen Anteil hatte.

Alexandra hatte nach diesem morgendlichen Disput keine Lust mehr, die Zeitung zu lesen. Sie kleidete sich sorgfältig an, wie man es von ihr in ihrer Position erwartete, und beschloss, bevor sie ihren beruflichen Pflichten nachging, noch einmal nach Dirk zu sehen.

Sie verließ um acht Uhr das Haus, und als sie zu ihrem Wagen ging, stellte sie fest, dass Marinas Wagen nicht mehr in der Garage stand. Sie war also schon weggefahren.

Alexandra war aber doch konsterniert, als sie Marinas Wagen dann auf dem Parkplatz der Prof.-Kayser-Klinik entdeckte.

Ärger stieg in ihr empor. Sie fand es anmaßend von Marina, sich so in den Vordergrund zu drängen. Alexandra war diesbezüglich sehr empfindlich.

Bevor sie Marina dann traf, vernahm sie ihre Stimme und verhielt unwillkürlich den Schritt.

»Ich möchte gern auf dem Laufenden gehalten werden, Herr Kollege«, sagte sie. »Ich bin schon lange mit Dr. Foley befreundet, und ich weiß, wie viel ihm an dem Forschungsprojekt liegt, das bereits nächsten Monat in Angriff genommen wird. In vierzehn Tagen müsste er fliegen.«

Innerlich kochte Alexandra, äußerlich aber wirkte sie beherrscht, als sie nun an Marina und Dr. Hillenberg herantrat.

»Du hast es aber eilig gehabt, Marina«, bemerkte sie anzüglich.

»Ich hatte keine Ruhe«, erwiderte diese mit einem süßsauren Lächeln. »Ich habe mir große Sorgen um Dirk gemacht, aber der Kollege sagte mir, dass er eine ruhige Nacht gehabt hat.«

»Du wirst in der Klinik nicht gebraucht?«, meinte Alexandra spöttisch.

»Ich komme noch zur rechten Zeit. Dirk schläft, du brauchst nicht zu ihm zu gehen.«

»Das überlass bitte mir«, sagte Alexandra jetzt eisig. »Sie gestatten es doch, Herr Dr. Hillenberg?«

Michael Hillenberg merkte schon, dass da Spannungen vorhanden waren. Es amüsierte ihn insgeheim, wie die Klingen gekreuzt wurden. Seine Sympathie galt eindeutig Alexandra, denn er mochte es gar nicht, wenn intrigiert wurde, und Marina hatte es sehr eindeutig darauf angelegt.

Er hatte Alexandra zugenickt, und sie hatte sich entfernt, ohne Marina noch eines Blickes zu würdigen.

Diese lächelte zynisch. »Sie kann es leider nicht vertragen, dass ich auch mit Dirk befreundet bin – und das schon länger als sie.« Ihre Stimme klang boshaft.

Michael Hillenberg wusste nur zu gut, was solche Frauen anrichten konnten. Er hatte auch gewisse Erfahrungen gemacht, als er noch nicht mit Moni verheiratet war. Aber er äußerte sich nicht. Er sagte nur, dass er an die Arbeit müsse und verabschiedete sich rasch.

Marina rauschte hinaus. Dr. Laurin sah sie gerade noch, denn er war zu Fuß von daheim gekommen. Bei gutem Wetter tat er das jetzt häufiger, um so wenigstens ein bisschen Bewegung zu haben, bevor der Arbeitstag begann.

»Wer war denn das?«, fragte er Schwester Marie, die sich in der Halle mit Moni Hillenberg unterhielt.

»Eine ganz besonders charmante Kollegin aus der Mühlhaus-Klinik«, erwiderte Moni ironisch. »Sie hat Dr. Foley besucht.«

»Wer ist das?«, fragte Leon Laurin, der noch ganz ahnungslos war. Schwester Marie konnte ihn aufklären, denn sie wusste alles, was Tag und Nacht in der Klinik vorging.

Dr. Laurin runzelte die Stirn. »Diese Gulden ist befreundet mit dem Patienten, oder gar liiert?«

»Er wurde von einer anderen jungen Dame gebracht. Alexandra Debrek heißt sie. Sie haben dieselbe Adresse«, konnte Moni zur Information beisteuern. »Sie war auch bereit, eine Vorauszahlung für ihn zu leisten. Jedenfalls ist sie bedeutend sympathischer als diese Frau Dr. Gulden, wenn es sich auch nicht um eine Ärztin handelt.«

Dr. Laurin lächelte flüchtig. »Ich habe nie behauptet, dass alle Ärzte sympathisch sind, dazu haben wir zu schlimme Erfahrungen gemacht. Ich werde mich nachher mal mit meinem Freund Sternberg über Dr. Gulden unterhalten.«

»Er ist noch nicht da. Er ist erst um Mitternacht nach Hause gekommen«, sagte Marie.

»Wir haben ja auch noch Zeit. Ein Blinddarmdurchbruch hopst nicht gleich aus dem Bett.«

Dr. Laurin musste sich seinen Patientinnen zuwenden, die ihn alle überaus sympathisch fanden, und manchmal musste er sich sehr vorsehen, dass nicht ein Lächeln von ihm falsch gedeutet wurde. Er war ein Arzt, wie Frauen ihn liebten, und es war gleich, wie alt sie waren, zumindest schwärmten sie für ihn.

*

Während Dr. Laurin an diesem Vormittag neben zwei Geburten noch eine schwere Aufgabe vor sich sah, konnte sich Dr. Sternberg noch eine Mußestunde mit seiner Frau gönnen, die in der letzten Zeit wenig genug von ihm gehabt hatte.

Corinna Sternberg war aber eine sehr verständnisvolle Arztfrau. Er hatte ihr von dem akuten Fall erzählt und auch den Namen des Patienten genannt, der ihm gleich bekannt vorgekommen war.

»Dirk Foley … Ist das nicht der Physiker, der einen Ruf nach USA bekommen hat? Ich habe so was in der Zeitung gelesen«, sagte Corinna.

»Er ist kräftig, unverbraucht und absolut kein Stubenhocker, wie man annehmen könnte …, und er hat auch eine sehr attraktive Lebensgefährtin.«

»Oh, lá lá, wenn meinem Mann das in einer solchen Situation auffällt, muss es stimmen«, sagte sie lächelnd.

»Mir ist zuerst aufgefallen, dass sie nicht gejammert hat. Und sie hat uns keineswegs in Atem gehalten. Da habe ich einen Blick mehr auf sie geworfen. Sie ist ehrlich besorgt, aber mutig.«

»Vielleicht hofft sie jetzt, dass er nicht nach USA gehen wird«, meinte Corinna ein bisschen nachdenklich.

»So schätze ich sie nicht ein. Sie ist der Typ Karrierefrau, sonst wäre sie sicher schon mit ihm verheiratet.«

»Vielleicht will er nicht heiraten.«

»Kann auch sein, aber sie ist kein Hausmütterchen. Ich werde schon noch erfahren, welchen Beruf sie hat.«

»Du bist aber sehr interessiert«, stellte Corinna nun doch fest.

»Ich bin sehr glücklich verheiratet«, erwiderte er lachend.

»Immer noch?«

»Immer noch?«

»Liebe Güte, du wirst doch nicht zweifeln, weil ich mal eine andere Frau interessant finde?«

»Wir kommen langsam in die kritischen Jahre, Eckart.«

»Ich merke davon nichts. Komm, mein Schatz, mach dir keine Gedanken, sonst kann ich dir nichts mehr erzählen.«

»Dann wäre es erst recht schlimm.«

»Na also, ich brauche nie ein schlechtes Gewissen zu haben.« Er beugte sich zu ihr und gab ihr einen Kuss. »Aber jetzt muss ich gehen, wenn es auch schwerfällt.«

Dr. Laurin hatte indessen geholfen, einen kräftigen Jungen ins Leben zu holen. Eine glückliche Mutter, ein erschöpfter Vater und ein schreiendes Baby ließ er zurück. Da die zweite Geburt noch auf sich warten ließ, wollte er sich mit einer anderen Patientin befassen, die ihm große Sorgen bereitete.

Laura Jaeger war fünfundzwanzig Jahre alt und sehr schön. Sie war ein sehr gefragtes Mannequin und Fotomodell der internationalen Mode­szene.

Für Dr. Laurin aber war sie eine Patientin, die umschattete Augen hatte, aus denen großer Kummer sprach.

Sie war vor zwei Tagen zur Untersuchung zu ihm gekommen, bereits von einer bangen Ahnung erfüllt, die er ihr heute bestätigen musste. Sie hatte zwei Knoten in der rechten Brust. Sie waren nicht groß, aber die Gewebeuntersuchung hatte ergeben, dass einer bösartig war. Und das musste er ihr sagen.

»Nur einer?«, fragte sie mit äußers­ter Beherrschung, konnte es aber nicht verhindern, dass ihre Stimme zitterte.

»Wir haben nur aus einem Gewebe entnommen, und ich kann Ihnen sagen, dass die Chancen für eine Operation sehr gut stehen. Ich würde Ihnen baldmöglichst dazu raten.«

»Und wie soll ich meinen Beruf ausüben ohne Brust?«, fragte sie leise.

»Ich habe nicht gesagt, dass die Brust amputiert werden muss. Wir können die Knoten auch so entfernen, und da sie so klein sind, wird man auch die Narben kaum sehen.«

»Und wenn sich herausstellt, dass Metastasen vorhanden sind?«

»Ich kann Sie beruhigen …, es ist noch kein kritisches Stadium. Vertrauen Sie auf meine Erfahrung.«

Sie sah ihn forschend an. »Sie können mir versprechen, dass es niemand erfährt?«

»Es wird niemand erfahren«, versicherte er ernst.

»Ich habe noch einiges zu erledigen«, sagte sie leise. »Kann ich noch ein paar Tage warten?«

»Gewiss, wir können den Operationstermin für nächsten Dienstag ansetzen. Wäre Ihnen das recht?«

»Es muss sein, aber ich muss einige Termine verschieben, das ist nicht so einfach.«

»Ich möchte Ihnen nur noch einmal ans Herz legen, dass die größten Chancen bei einer schnellen Operation liegen.«

»Ich habe verstanden. Ich werde am Dienstag hier sein.«

»Bitte schon am Montagnachmittag. Sie müssen ja auf den Eingriff vorbereitet werden.«

Sie nickte. »Ich habe Vertrauen zu Ihnen, Herr Dr. Laurin, aber Sie verstehen sicher, wie mir zumute ist. Man hat mich immer ein Glückskind genannt. Vielleicht habe ich das Glück auch zu sehr herausgefordert.«

»Sie dürfen jetzt nicht resignieren«, sagte er mitfühlend. »Wir können über alles sprechen, und ich kann Ihnen versichern, dass viele Frauen Schlimmeres überwunden haben und durchaus vollwertige Frauen geblieben sind.«

»Ich stehe und falle mit meinem Beruf«, sagte sie. »Ich habe nichts anderes gelernt. Ich war ein Nichts, als ich entdeckt wurde, ein Mädchen ohne Zukunft, ein Waisenkind. Verstehen Sie mich jetzt?«

»Ich verstehe alles, nur nicht, wenn ein begabter Mensch sich nichts anderes zutraut als das, was er gerade eben erfolgreich macht. Hatten Sie nicht den Wunsch zu heiraten?«

»O doch, aber wer traut mir schon zu, eine treue Ehefrau zu werden, eine gute Mutter? Habe ich jetzt überhaupt noch eine Chance, Mutter zu werden?«

»Natürlich haben Sie das. Das hat mit der Operation gar nichts zu tun. Aber nehmen wir einmal an, Sie hätten die Knoten nicht bemerkt und wären schwanger geworden, dann hätte die Möglichkeit bestanden, dass durch die Hormonumstellung diese Knoten sehr schnell gewachsen wären. Ich bin so offen, damit Sie wissen, was zu vermeiden ist. We­nigs­tens jetzt noch.«

»Ich bin Ihnen sehr dankbar.« Es rührte ihn, wie scheu sie ihn ansah, gar nicht wie eine Karrierefrau, die überall in der Welt zu Hause war. Jedenfalls war aus dem Waisenkind ein sehr selbstbewusster Star geworden, der sich trotzdem ein Gemüt bewahrt hatte. Leon Laurin konnte keine Spur von Arroganz an ihr entdecken.

Wie es in Laura aussah, konnte er sich jedoch nicht vorstellen. Sie ging mit gesenktem Kopf zu ihrem Wagen. Schwester Dorle, die am Fenster stand, hatte sie entdeckt.

»Meine Güte, hat die eine tolle Figur! Und diese Beine! Wenn ich doch wenigstens auch solche Beine hätte. Mein Karli steht auf schöne Beine.«

»Deine Beine sind schön genug«, sagte Schwester Marie. »Zimmer zwei läutet. Dalli, dalli!«

Laura saß indessen noch minutenlang bewegungslos am Steuer ihres Wagens. Sie schrak zusammen, als neben ihr ein anderer Wagen hielt.

Toni Hensink kam, um seinen Freund Dirk zu besuchen. Aber als vom anderen Wagen her ein Augenpaar ihn völlig erschrocken anblickte, hielt er den Atem an. So schöne Augen hatte er noch nie gesehen.

Etwas musste auch in seinem Blick liegen, das Laura verwirrte. Sie wollte den Motor anlassen, aber es gelang ihr nicht. Ihre Hand zitterte so stark, dass ihr der Schlüssel entglitt. Toni war erschrocken, als sie sich bückte.

»Ist Ihnen nicht gut?«, fragte er. »Kann ich behilflich sein?«

»Mir ist nur der Schlüssel runtergefallen. Danke für Ihr Angebot«, sagte sie.

Sie war aber so blass, dass er sich Gedanken machte … Gedanken um eine Fremde, die ihm allerdings wie ein Wesen von einem anderen Stern erschien.

Er hätte so gern mit ihr gesprochen, aber wie hätte er es anfangen sollen? Jetzt ließ sie den Motor an und fuhr vorwärts aus der Parklücke hinaus, und der Wagen entschwand seinen Blicken.

Für einen Augenblick hatte Toni sogar vergessen, was er eigentlich hier wollte, so sehr fühlte er sich in eine andere Welt versetzt. Es war ihm, als sie er von einem Zauberstab berührt worden. Ein einziger Blick hatte es fertiggebracht.

Gedankenverloren ging er zur Klinik, nur von dem Wunsch beseelt, in Erfahrung zu bringen, wer dieses zauberhafte Wesen sein mochte.

Er fasste sich sogar ein Herz und fragte eine Schwester.

»Tut mir leid, ich weiß nicht, wen Sie meinen«, sagte sie.

Er fragte nach der Chirurgischen Station, und darauf bekam er eine Antwort.

Dr. Sternberg hatte gerade einen Neuzugang untersucht, als Toni kam. Der Arzt hatte ein paar Minuten Zeit für den Besucher. Ihn interessierte jetzt, was Dirk Foley für Freunde hatte, nachdem Michael Hillenberg ihm von Marina Guldens überheblichem Auftritt berichtet hatte.

Toni war alles andere als überheblich.

Er war aber immer noch ein wenig geistesabwesend. Dr. Sternberg meinte allerdings, dass er sich große Sorgen um seinen Freund machte.

Er sagte ihm, dass sich Dirks Zustand schon stabilisiert hätte.

»Und wann ist damit zu rechnen, dass er aus der Klinik entlassen werden kann? Ich frage nur, weil viel für ihn auf dem Spiel steht. Bei uns ist man schon ganz nervös. Damit hat ja niemand gerechnet.«

»Ich wage noch nicht, eine Prognose zu stellen. Bei normalem Heilungsprozess könnte er in zehn Tagen wieder auf den Beinen sein.«

»Körperlichen Belastungen würde er bestimmt nicht ausgesetzt. Es ist eine rein wissenschaftliche Tätigkeit.«

»Wollen wir also für Herrn Foley das Beste hoffen.«

»Kann ich zu ihm?«, fragte Toni.

»Vielleicht ist er bei Bewusstsein. Es sah vorhin schon ganz gut aus.«

Ein bisschen blinzelte der Frisch­operierte, als Toni an das Bett trat.

»Hallo, Kumpel«, sagte er. »Toni ist da.«

»Alexandra?« Das kam ganz leise von den Lippen des Kranken.

»Alexandra war heute Morgen schon hier, sie kommt auch bald wieder. Du wirst wieder gesund.«

»Ist doch klar«, sagte Dirk heiser. Mehr sagte er nicht, denn seine Augen fielen ihm wieder zu. Aber Toni war beruhigt. Es war wichtig, dass Dirk wusste, was um ihn her vorging. Wenn die Gehirnzellen arbeiteten, war alles halb so schlimm, das war Tonis Devise. Nur wenn man resignierte, konnte es schlimm kommen.

Seltsamerweise waren seine Gedanken gleich darauf schon wieder bei der schönen Fremden. Hatte sie vielleicht eine Krankheit, die schwerwiegend war?

Diese Augen … War es nur Erschrecken gewesen, was er darin gesehen hatte, oder war es ein Kummer?

Laura dachte nicht mehr an den jungen Mann, sie war auf dem Weg zu einem anderen.

Sie wurde im Hotel »Vier Jahreszeiten« erwartet.

Als sie die Halle betrat, kam ihr schon ein schlanker dunkelhaariger Mann entgegen.

»Wo bleibst du denn nur so lange, Darling? Ich habe mir schon Sorgen gemacht«, sagte er nervös.

»Tut mir leid, Vince, ich wurde aufgehalten. Ich habe Durst.«

Er führte sie ins Restaurant. »Und ich habe Hunger«, sagte er.

Vincent Barany war es nicht gewöhnt, dass man ihn warten ließ, aber er zeigte es Laura nicht. Er wollte sie bei Laune halten.

»Was möchtest du essen?«, fragte er.

»Ich habe keinen Hunger, nur Durst.«

»Verdirb mir die Stimmung nicht, Laura.«

»Ich habe nicht die Absicht. Warum reagierst du gleich so gereizt?«

»Du lässt mich warten, du siehst abgehetzt aus, und ich wollte mit dir Probeaufnahmen für einen Film machen. Du erinnerst dich hoffentlich daran?«

»Das müssen wir verschieben, Vince. Ich habe in einer wichtigen Familienangelegenheit eine Reise vor und muss auch meine anderen Termine verschieben.«

Eine steile Falte erschien zwischen seinen Augenbrauen.

»Du weißt hoffentlich, was dich das kosten wird?«, stieß er aggressiv hervor.

»Darauf kann ich keine Rücksicht nehmen.«

»Darf man wenigstens fragen, um was für Familienangelegenheiten es geht?«

»Nein, man darf nicht fragen.«

»Es geht also um einen Mann.«

»Wenn du es so interpretieren willst … bitte.«

»Ich will es nicht so sehen, nein. Ich habe mich lange genug um dich bemüht.«

»Wir wollen bei der Wahrheit bleiben, Vince. Du hast dich um das Model bemüht, durch das du eine Menge Geld verdient hast.«

»Hast du etwa nicht genug verdient?«

»Reden wir also vom Geld. Beanspruchst du Schadenersatz für den heutigen Termin, den ich nicht wahrnehmen werde?«

»Fang nicht so an! Es wäre eine enorme Chance für dich.«

»Was würdest du eigentlich machen, wenn ich durch Krankheit ausfiele und nicht mehr gefragt wäre?«

»Das kann jedem passieren, und so, wie du heute aussiehst, wirst du bald weg vom Fenster sein«, sagte er brutal.

»Danke, das genügt mir. Such dir ein anderes Model für deinen Film. Ich habe noch viel zu erledigen.«

Er starrte sprachlos hinter ihr her, als sie zum Ausgang strebte. Aber als er merkte, dass es ihr ernst war und er ihr folgte, war sie schon im Gewühl der Menschen verschwunden.

Er stieß einen Fluch aus. So hatte er sich die Sache nicht gedacht. Es war seine Methode, andere einzuschüchtern, und Laura war ihm nicht als eine Frau erschienen, die aggressiv werden konnte. Er war einer der wenigen, die ihren Werdegang kannte, und so war sie für ihn immer noch das Waisenmädchen, das froh sein konnte, dass man ihm zur Karriere verhalf. Dabei maß er sich selbst einen großen Anteil zu.

Was mochte nur in sie gefahren sein? War es ein Mann, ein reicher Mann vielleicht, der sie für sich allein haben wollte? Das passte ihm nicht in seine Berechnungen.

Er war so wütend, dass er erst einen kräftigen Drink zu sich nehmen musste, und Laura wollte sich nun allein irgendwo hinsetzen und ihren Durst stillen.

Sie war blindlings durch die Straßen gelaufen, weil sie sich momentan nicht erinnern konnte, wo sie ihren Wagen geparkt hatte. Doch dann fiel ihr ein, wo sie den Parkplatz gefunden hatte. Es war in der Nähe eines kleinen Lokals gewesen. Einfach war es ja nicht, in München einen Parkplatz zu finden.

Sie hatte immer den Wunsch gehabt, sich in München niederzulassen, aber da sie ständig unterwegs war, hatte sie sich noch nicht nach einer Wohnung umgesehen. Ob sie jemals dazu kommen würde, wenn sie nichts mehr verdiente?

Warum solche Gedanken? Dr. Laurin hatte doch gesagt, dass sie positiv denken solle.

»Laura?«, tönte da eine fragende Stimme an ihr Ohr, und ihr Kopf fuhr herum.

»Alexandra …« Sie schluchzte es fast heraus, denn es erschien ihr wie ein Geschenk des Himmels, Alexandra Debrek hier zu treffen. Sie hatten sich vor ein paar Jahren in Paris kennengelernt, als sie im selben Hotel wohnten. Sie waren sich sofort sympathisch gewesen, hatten sich unterhalten und auch gemeinsam einiges unternommen.

»Ich freue mich«, sagte Alexandra aufrichtig.

»Und ich erst!«, erwiderte Laura. »Hast du ein paar Minuten Zeit?«

»Die kann ich schon erübrigen, aber ich hoffe, wir werden uns noch häufiger treffen können. Wie lange bist du in München?«

»Bis Montag.« Laura wollte noch nicht sagen, dass sie zwangsweise länger bleiben musste. Über ihre Operation wollte sie jetzt schon gar nicht sprechen.

Sie gingen in das Lokal und ließen sich Campari Soda kommen.

»So ein Zufall«, sagte Alexandra nachdenklich. »Aber du hättest mich doch sicher angerufen?«

»Ich muss gestehen, dass ich mein Adressbuch in Paris gelassen habe. Ich bin froh, dass der Zufall so freundlich zu mir war.«

»Wo wohnst du hier?«

»Ich muss mir noch ein Hotel suchen. Ich möchte nämlich meinem Manager nicht mehr begegnen.«

»Du kannst bei mir wohnen, Laura. Bitte, sag nicht nein, ich würde mich wirklich freuen, wenn ich jetzt abends Gesellschaft hätte. Dann können wir erzählen. Jetzt habe ich leider keine Zeit. Kommst du?« Sie gab ihr ihre Visitenkarte.

Laura zögerte einen Augenblick, aber dann nickte sie zustimmend.

»Ich werde um neunzehn Uhr wieder zu Hause sein. Sollte ich mich verspäten, was ja bei dem Verkehr immer möglich ist, läute bei Toni Hensink. Er hat einen Schlüssel zu meiner Wohnung. Ich kann mich darauf verlassen, dass du kommst?«

»Ich komme gern, Alexandra«, erwiderte Laura leise.

Sie verabschiedeten sich herzlich.

Ob ihr etwas fehlt?, ging es Alexandra durch den Sinn, als sie nun zur Prof.-Kayser-Klinik fuhr, nicht ahnend, dass sich dort Lauras Schicksal entscheiden würde. Sie freute sich ehrlich über dieses zufällige Wiedersehen. Obwohl sie keinen Briefwechsel gehabt hatten und beide beruflich so beansprucht waren, war die freundschaftliche Bindung geblieben. Gut, dass sie Laura die Karte gegeben hatte, denn sie war ja umgezogen, seit sie sich das letzte Mal getroffen hatten, und sie hatte auch eine andere Telefonnummer. Daran hatte sie erst jetzt gedacht.

Laura fiel es auch auf, als sie die Karte betrachtete.

Sie war leicht überrascht, aber sie kannte die Gegend, in der Alexandra jetzt wohnte. Sie war einmal bei Clemens Bennet eingeladen gewesen, und dadurch war sie auch auf die Prof.-Kayser-Klinik aufmerksam geworden, denn zu Clemens Bennets Schwiegersohn, Dr. Petersen, hatte sie nicht gehen wollen.

Aber konnte sie ihre Krankheit wirklich geheim halten? Man würde doch mit ihr rechnen bei den großen Modeschauen. Jetzt hatte sie ja ein paar Wochen Zeit, denn sie hatte alles so geregelt, dass es in ihre Urlaubszeit fiel.

Allerdings ärgerte sie sich, dass sie sich vorher auf den Termin mit Vincent eingelassen hatte. Er würde wahrscheinlich nicht locker lassen, war sie doch sein bestes Pferd im Stall, wie man ein Topmodel in ihrer Branche gern bezeichnete.

Wenn ich doch einen ähnlichen Beruf hätte wie Alexandra, ging es ihr durch den Sinn. Kein Mensch würde sich darum kümmern, ob man mir ein paar Tumore aus der Brust operiert hätte oder die Brust gar hätte amputiert werden müssen. Da brauchte sie sich ja nicht mit tiefen Dekolletés zu zeigen.

Hätte sie doch nur so eine Chance bekommen, viel zu lernen. So glücklich war sie ja nicht, ständig im Rampenlicht zu stehen. Anfangs hatte es ihr gefallen, aber jetzt empfand sie es oft als Belastung, war des ständigen Umherreisens müde und sehnte sich nach Ruhe und einem gemütlichen Heim.

Laura hatte kein aufwändiges Leben geführt wie die meisten ihrer Kolleginnen. Sie hatte gespart, um sich das zu schaffen, was sie nie besessen hatte: Die eigenen vier Wände.

Es war jetzt Nachmittag. Sie hatte noch gut zwei Stunden Zeit bis neunzehn Uhr. Sie wollte ein paar Sachen einkaufen, um nicht mit leeren Händen zu Alexandra zu kommen.

Es war ihr leichter ums Herz, weil sie bald mit Alexandra zusammen sein konnte. Sie hatte nie eine richtige Freundin gehabt. Als Kind wurde sie hin und her geschubst, als junges Mädchen hatte sie es schwer, überhaupt Geld zu verdienen, und dann, als es aufwärts ging, lernte sie Neid und Missgunst kennen. Alexandras selbstverständliche Herzlichkeit war für sie beglückend gewesen, und so nahm sie einen ganz besonderen Platz in Lauras Herzen ein.

Es hatte auch ein paar Männer gegeben, denen sie einen Platz in ihrem Leben eingeräumt hatte, aber an die wollte sie jetzt nicht mehr denken. Männer hatten keinen Stellenwert mehr in ihrem Leben. Sie glaubte nicht an die Liebe, die alles verstehen und alles verzeihen konnte. Sie hatte sich zu sehr einen Partner gewünscht, der sie auch als Frau respektierte und nicht nur als Vorzeigeobjekt behandelte. Aber diesen Partner hatte sie leider nie gefunden.

Die Zeit verging dann schneller, als sie gemeint hatte, und bald war sie auf dem Weg zu Alexandra …

*

Alexandra hatte vergessen, auf die Uhr zu schauen, als sie bei Dirk saß und seine Hand hielt. Zum ersten Mal hatte sie das Gefühl, dass er sie brauchte, dass sie am wichtigsten für ihn war.

Als er sagte, dass er jetzt wohl tot wäre, wenn sie nicht so schnell und entschlossen reagiert hätte, lief ihr ein eisiger Schauer über den Rücken. Sie konnte sich nicht vorstellen, ohne ihn zu leben. Eine Trennung auf Zeit, ja, aber ein ganzes Leben ohne ihn?

»Weißt du eigentlich, wie sehr ich dich liebe?«, fragte er, ihre Hand auf sein Herz drückend.

Ein elektrisierendes Gefühl rann durch ihren Körper, machte sie atemlos. Das Wort Liebe war noch nie über seine Lippen gekommen, sie hatte es allerdings auch gemieden.

»Ist das wahr?«, fragte sie beklommen.

»Zweifelst du etwa? Was ist es sonst, was uns verbindet?«

Sie neigte sich zu ihm und küsste ihn. »Es ist Liebe, Dirk. Ich liebe dich sehr, und ich hatte eine höllische Angst um dich. Und ich bin sogar schrecklich eifersüchtig.«

»Auf wen denn?«, fragte er verwundert.

»Auf Marina. Hat sie eigentlich mal eine Rolle in deinem Leben gespielt?«

»Wie kommst du denn darauf? Sie ist überhaupt nicht mein Fall, und ich glaube, Toni hat auch genug von ihr.«

»Sie spielt sich hier aber so auf, als hätte sie Rechte an dir. Das ärgert mich maßlos.«

Dirk lächelte. »Du bist ja wirklich eifersüchtig«, neckte er sie. »Es ist nun mal ihre Art, sich wichtig zu machen. Es ist lästig, aber sie begreift es nicht, dass es auch peinlich werden kann. Denk dir nichts, Alexandra. Ich wäre heilfroh, sie würde endlich an einem Mann hängen bleiben, damit wir sie loswerden.«

»Ich habe nie daran geglaubt, dass es zwischen uns mal Unstimmigkeiten geben könnte. Ich dachte, dass Toni und Marina zusammenbleiben würden«, sagte Alexandra.

»Daran habe ich nie gedacht. Von Liebe war da nie die Rede«, sagte Dirk. »Ich habe eigentlich auch nicht darüber nachgedacht, wie es bei uns werden würde, aber jetzt weiß ich, dass wir zusammengehören. Es wird mir schwerfallen, mich von dir zu trennen, Liebes.«

»Wir waren uns einig, dass wir uns nicht im Wege stehen würden, wenn es um die Karriere geht, Dirk. Ich denke, es ist für uns beide wichtig, dass wir ein gestecktes Ziel erreichen.«

»Willst du kein Kind haben?«, fragte er nachdenklich.

»O doch, aber daran denken wir erst, wenn du wieder zurück bist. Und jetzt wollen wir vor allem an deine Gesundheit denken. Du hast genug geredet, mein Schatz.«

Sie küsste ihn wieder und hatte das Gefühl, dass sich zwischen ihnen etwas verändert hatte. Sie gingen viel zärtlicher miteinander um.

Sie blickte auf die Uhr. »Liebe Güte, ich bin ja mit Laura verabredet!«, rief sie aus.

»Mit Laura? Meinst du dieses Model?«, fragte Dirk überrascht.

»Ja, stell dir vor, ich habe sie zufällig in der Stadt getroffen. Ich habe ganz vergessen, dir das zu erzählen. Ich habe ihr angeboten, bei uns zu wohnen die paar Tage. Du hast doch nichts dagegen?«

»Was sollte ich dagegen haben? Ich bin froh, wenn du nicht allein in der Wohnung bist und womöglich Marinas aufdringlichem Getratsche ausgesetzt wirst.«

»Sie ist selten zu Hause. Ich habe die Hoffnung, dass sie nicht nur beruflich mit Mühlhaus liiert ist.«

»Das wäre allerdings die beste Lösung.«

»Komisch, dass wir jetzt so denken. Wir haben uns doch eigentlich ganz gut verstanden«, meinte Alexandra nachdenklich.

»Wir haben uns keine großen Gedanken gemacht, und du warst nicht eifersüchtig«, scherzte er.

»Jetzt muss ich aber wirklich gehen. Ich komme morgen früh, bevor ich ins Büro fahre, und werde nachmittags dann auch zeitiger hier sein … Und du schläfst jetzt. Deine Augen fallen ja schon zu.«

»Es ist schön, wenn du bei mir bist. Ich genieße es.« Er drückte ihre Hände an seine Lippen, und sie küss­te ihn liebevoll auf den Mund, bevor sie ging.

*

Neunzehn Uhr war schon vorbei, als Laura vor dem Haus hielt. Sie hatte länger für die Fahrt gebraucht, als sie gemeint hatte, und dann hatte sie sich auch nicht gleich in dem Vorort zurechtgefunden.

Sie läutete, nachdem sie die Namen an den Klingeln betrachtet hatte, doch gleich darauf tat sich die Tür auf – und dann sahen sich zwei Menschen fassungslos an.

Toni glaubte sekundenlang an Halluzinationen zu leiden, weil er unentwegt an sein Traumbild gedacht hatte, und auch Laura hatte ihn sofort erkannt.

»Ich wollte zu Alexandra«, sagte sie verlegen.

»Sie sind Laura? Alexandra hat mich gerade angerufen, weil sie sich ein bisschen verspätet. Entschuldigen Sie, aber ich bin sehr überrascht, da wir uns doch mittags bei der Prof.-Kayser-Klinik gesehen haben. Hatten Sie da Dirk besucht?«