Nell, Tine Weightless Heart

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Für Mia und Tom.

 

Hört niemals auf, an eure Träume zu glauben.

 

© 2019 Piper Verlag GmbH, München
Redaktion: Cornelia Franke
Covergestaltung: Traumstoff Buchdesign traumstoff.at
Covermotiv: g-stockstudio / shutterstock.com

 

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Prolog

Das Wasser
umspült mich klar
und kühlt meine Haut.
Wäscht alles fort,
was mich nicht loslässt.
Jeden klammernden Gedanken an dein Gesicht,
an deine Arme, die mich halten,
deinen beruhigenden Atem an meinem Ohr.

 

Wenn ich schwimme, fühle ich mich komplett.
Stark und frei. Schwerelos.
Nichts ist mehr wichtig, außer eins mit dem Wasser zu sein.
Und dann … tauchst du auf und bringst in wenigen Wochen mein geordnetes Leben durcheinander.
Fängst mich ein und lässt mich immer wieder fallen. Wie eine unberechenbare Welle, die mich mitreißt und dann über mir zusammenbricht.
Ich glaubte, die Liebe zum Schwimmen ist das, was uns verbindet, was uns zusammenhält.
Aber das stimmt nicht.
Ich kann dich nicht halten. Ich kann dich nicht heilen. Aber ich kann hoffen – darauf, eines Tages mit dir unterzutauchen und gemeinsam schwerelos zu sein.

Kapitel 1

»Er ist es wirklich. Oh. Mein. Gott.«

Anna schlägt die Hand vor den Mund. Ihre Augen werden groß wie Planeten, was in Kombination mit der eng anliegenden Schwimmhaube total schräg aussieht. Auch der Rest des Teams kreischt. Lilly und Pam fassen sich an den Händen und hüpfen dabei auf und ab. Das Schwimmteam wirkt mit einem Schlag wie ein Haufen verschossener Teenager.

»Leute«, stoße ich hervor und kann die Gereiztheit in meiner Stimme nicht unterdrücken. »Ihr seid erwachsene Frauen. Bleibt locker.«

Ich verstehe, dass alle aufgeregt sind. Und klar, auch mich als Captain hat es nicht kalt gelassen, als die Mail von Miss Johnsen, der Leiterin der College Sportabteilung, kam. Es hatte sich tatsächlich ein neuer Trainer für das Damenschwimmteam gemeldet: Alexander Clark. Zehn olympische Medaillen, davon fünfmal Gold.

Direkt nach mir hat meine Freundin Anna davon erfahren. Natürlich. Sie ist die neugierigste Person auf Erden. Und selbst wenn ich mich nicht damit verraten hätte, weil ich vor Überraschung fast von meinem Bett in unserem WG-Zimmer gefallen wäre, hätte sie es irgendwie herausbekommen.

»Er ist mega heiß«, säuselt Pam und starrt an mir vorbei zu unserem neuen Trainer, der sich seelenruhig mit Bill unterhält. Ich kenne Bill seit meinem Studienbeginn vor einem Jahr und habe ihn noch nie so breit lächeln sehen wie jetzt gerade. Normalerweise ist er der nörgeligste Bademeister aller Zeiten.

»Hast du eigentlich herausgefunden, ob er eine Freundin hat, Lilly?«

»Nein. Nur Berichte über seine Karriere. Und …«, sie kichert, »… jede Menge sexy Fotos von ihm in Badehose.«

Ein Konzert aus Seufzern schallt durch die Halle, als er sich in dem Moment durch das dunkelblonde Haar fährt. »Und jetzt studiert er auch noch bei uns.«

»Er soll ein echter Playboy sein«, meint Kim trocken. Von den vier Mädels ist sie am wenigsten beeindruckt. »Hat wohl ständig eine andere am Start.«

»Prima! Dann steigen unsere Chancen, dass wir alle mal seinen göttlichen Körper anfassen können.« Anna und Pam grinsen sich wie zwei Irre an und geben sich ein High Five. Gott. Das kann doch nicht wahr sein.

»Jetzt reißt euch mal zusammen. Wir starten mit den Aufwärmübungen«, bestimme ich, um daran zu erinnern, dass wir uns in der Schwimmhalle befinden und zum Trainieren hier sind.

Mit ernster Miene taxiere ich mein Team, das nur widerwillig seine Blicke von unserem zukünftigen Trainer löst und dabei nachlässig mit den Dehnübungen beginnt.

»Alexander ist ein Profi. Er war bei Olympia und ist mit den Besten der Welt geschwommen. Wir können eine Menge von ihm lernen.«

»Wie knackig ein Männerhintern sein kann, zum Beispiel«, kichert Anna und ich werfe ihr einen rügenden Blick zu, bevor ich die Zeit checke. Eigentlich begann das Training vor zehn Minuten.

Es sind nur noch vier Wochen bis zum nächsten Wettkampf. Wir müssen unbedingt gut abschneiden, um Miss Johnsen davon zu überzeugen, dass sich jeder kanadische Dollar lohnt, den das College in uns investiert.

Der Kanadier liebt seinen Sport. Eishockey, Football, Basketball, Lacrosse. Schwimmen zählt leider nicht zu den Top Fünf und das bekommen die Vereine zu spüren. Sponsoren tun sich schwer, Geld in etwas zu pumpen, für das sich zu wenige Menschen interessieren. Alexander Clark ist ein Landsmann und rückte durch seinen Erfolg bei Olympia das Schwimmen mehr ins Licht. Ihm ist es zu verdanken, dass unser College sich vergangenes Jahr, genau zu Beginn meines Studiums, dazu entschlossen hat, ein wettkampffähiges Schwimmteam zu genehmigen.

»Bitte konzentriert euch und denkt daran, dass wir noch lange nicht in der Form sind, in der wir sein müssten.«

»Stimmt«, sagt Anna und hebt eine Augenbraue. »Weil Owen sich einfach verpisst hat und wir deshalb seit Wochen trainerlos sind.«

Ich schlucke und weiche ihrem durchdringenden Blick aus, der fast schon herausfordernd wirkt. Als wüsste sie es …

»Er hatte eben seine Gründe«, murmele ich und unterbreche unseren Blickkontakt – so, wie jedes Mal, wenn es um das Thema geht. Und wie jedes Mal rüttelt das schlechte Gewissen an mir, weil ich Anna nicht eingeweiht habe. Owen und ich, das war … ein Fehler.

Hinter meinem Rücken höre ich, wie die Tür von Bills Glaskabine geöffnet wird und wie auf Kommando schnellen alle Blicke an mir vorbei. Das war’s dann wohl mit der Aufmerksamkeit.

Ich stöhne innerlich, als sich auf den Gesichtern meines Teams zeitgleich ein zuckersüßes Lächeln ausbreitet. Es würde mich nicht wundern, wenn jeden Moment Herzchen aus ihren Augen ploppen. Das darf wirklich nicht wahr sein.

Langsam drehe ich mich um und halte den Atem an. Weil ich … geschockt bin. Alex sieht wirklich gut aus. Unanständig gut und noch viel besser als im Fernsehen oder auf dem Foto, das mir Miss Johnsen unnötigerweise in der Mail angehängt hat. Als wüsste ich nicht, wer er ist.

Er ist barfuß und seine Beine stecken in knielangen, schwarzen Badeshorts. Die dunklen Haare an seinen Waden beweisen, dass er sich wirklich aus dem Sport zurückgezogen hat. Schwimmer sind immer rasiert. Überall. Egal, ob Mann oder Frau.

Trotz des locker fallenden Shirts erahnt man unter dem weißen Stoff, den typischen v-förmigen Oberkörper eines Profischwimmers – kräftiger Hals, breite Schultern, schmale Hüften. Die heißeste Figur, die ein Mann haben kann. Meiner Meinung nach.

Aber was mich in diesem Moment wirklich fesselt, ist sein Gesicht, das von dichten dunkelblonden Haaren umrahmt wird, die markanten Züge und der kräftige Kiefer, gepaart mit mandelförmigen Augen, die so türkisblau sind wie das Meer auf kitschigen Urlaubskarten. Unzählige Male habe ich ihn im Fernsehen gesehen, weil ich natürlich jeden Wettkampf verfolge. Aber ihm jetzt live und in Farbe gegenüberzustehen, ist noch mal eine ganz andere Sache. Niemand kennt den genauen Grund für sein selbstbestimmtes Karriereende. Kein halbwegs vernünftiger Schwimmer zieht sich am Höhepunkt seiner Karriere zurück. Schon gar nicht mit fünfundzwanzig Jahren. Angeblich hat es etwas mit seinem Vater, William Clark, zu tun, der vor ein paar Monaten verstorben ist.

»Hey.« Alex kommt vor mir zum Stehen. Er ist groß. Viel größer, als er bei Aufzeichnungen wirkt. Ich bin mit meinen 1,69 Meter kein Zwerg, aber Alex überragt mich mindestens um einen Kopf.

Ein breites Lächeln zieht sich über seine Wangen. Der Geruch von Chlor mischt sich mit seinem herben Parfum und bringt mich vollkommen aus dem Konzept.

»Sorry für die Verspätung. Ich habe mich mit Bill verquatscht. Cooler Typ.«

Ich nicke und muss ernsthaft überlegen, wie das mit dem Sprechen noch mal funktioniert. Jemand räuspert sich hinter mir. Anna. Ich blinzele, um wieder zu mir zu finden, und greife mit Verspätung nach seiner Hand, die er mir entgegenstreckt. Groß und warm schließt sie sich um meine.

»Hallo. Ich bin Chloe Campbell, der Captain der Penfield Zanders. Es freut uns, dich kennenzulernen und es ist uns eine große Ehre, mit dir trainieren zu dürfen«, sage ich meinen einstudierten Text auf, den ich noch heute Morgen vor dem Spiegel geübt habe. Max, mein bester Freund und Nachbar im Wohnheim, hat sich halb schlapp gelacht, als er in unser Zimmer platzte und mich dabei erwischt hat.

Alex mustert mich schmunzelnd, während er weiterhin meine Hand hält. Hinter mir unterdrückt jemand ein Kichern. Wieder Anna. Dieses Biest.

Eine Gänsehaut breitet sich auf meinen nackten Armen aus und mit einem Mal fühle ich mich schrecklich unbehaglich in meinem knappen Badeanzug. Mein Lächeln verkrampft sich und ich hoffe inständig, dass er das rhythmische Zucken meines rechten Mundwinkels nicht bemerkt. Gott, seit wann ist Lächeln so anstrengend?

»Danke für die nette Begrüßung, Chloe«, sagt er mit einer ähnlich förmlichen Betonung. »Die Freude ist ganz meinerseits.«

Meine Wangen brennen, was das leise Prusten meiner Mannschaft nur noch schlimmer macht.

Alex zwinkert und wendet sich dann seinem neuen Fanklub zu.

Kapitel 2

Ich schließe den Reißverschluss meines Parkas und hake mich bei Anna unter, während wir die Sportanlage verlassen und mir der frische Oktoberwind meine Haarsträhnen aus dem Gesicht pustet.

Anna zieht ihre Strickmütze weiter über die Ohren und grüßt Big John, den Captain des Lacrosse-Teams mit einem verführerischen Lächeln.

»Du kannst aber auch von keinem Kerl deine Krallen lassen, oder?«, bemerke ich und muss mir das Lachen verkneifen, als Big John durch die Ablenkung fast gegen einen Laternenmast rennt.

Aus Annas süßem Lächeln wird ein breites Grinsen, gefolgt von einem Schulterzucken. »Ich finde ihn niedlich.«

»Klar. Ihn und Mr. Smith und Ryan und …«

»Und Alex Clark«, schließt sie und zieht aufgeregt an meinem Arm herum. »Er ist der heißeste Typ auf Erden. Unfassbar, dass wir diesen Hottie jetzt zweimal die Woche nur für uns haben.«

Ich seufze und befreie mich aus ihrem Griff, um meinen Geldbeutel aus meiner Sporttasche zu kramen. Nach dem Training halten wir stets beim Campuscafé, das, wie jedes Mal, proppenvoll ist und wir uns in einer langen Schlange anstellen müssen.

»Komm schon.« Anna beugt sich vor und dreht den Kopf so, dass ich ihrem penetranten Blick nicht länger ausweichen kann. »Verarsch mich nicht, Chloe. Du findest Clark genauso heiß wie ich.«

Zwei blonde Mädchen drehen sich mit einem schüchternen Lächeln zu uns um. Sofort tippe ich darauf, dass es Freshmen sind. So verunsichert wie sie wirken, erinnern sie mich daran, wie ich vor einem Jahr am Penfield College ankam. Alles war neu und aufregend und ich irrte den ersten Tag desorientiert über den Campus, der sich als eigene Kleinstadt entpuppte. Ich war heilfroh, als ich am Nachmittag Anna in meinem Zimmer antraf und wir uns auf Anhieb verstanden. Ihre selbstbewusste und gelassene Art beruhigte mich und machte mir den Einstieg in das Studentenleben viel leichter. Max, der gleich neben uns eingezogen war, lernten wir noch am selben Tag kennen. Angeblich hatte er sich in der Tür geirrt und war, ohne anzuklopfen, hineingeplatzt. Anna und ich vermuten bis heute, dass er uns abchecken wollte. Ich weiß noch, dass er irgendeinen dummen Witz riss, über den nur ich lachte und Anna die Augen verdrehte – was sie bis heute ständig macht, wenn wir mit ihm rumhängen. Dabei hat sie ihn, trotz seiner albernen Art, genauso ins Herz geschlossen wie ich.

»Redet ihr etwa von Alexander Clark?«, fragt die kleinere der Mädchen und klimpert so oft mit ihren falschen Wimpern, dass mir schwindelig wird.

»Allerdings. Alex Clark, meine Lieben. Der heiße kanadische Profischwimmer, dessen knackigen Hintern wir jetzt regelmäßig bewundern dürfen.« Anna grinst so triumphierend, als hätte sie einen der wichtigsten Preise der Menschheitsgeschichte gewonnen.

»Oh Gott«, quietscht die andere und beißt sich auf die Unterlippe. »Er studiert also wirklich hier!«

»Ich schwimme total gerne«, flötet ihre Freundin. »Also falls ihr noch Schwimmerinnen braucht, ich …«

»Tut mir leid. Die Mannschaft ist komplett«, unterbreche ich sie und gehe einfach an den Dreien vorbei, die vor lauter Hormonerbrechen nicht mitbekommen, dass sich die Warteschlange in Bewegung gesetzt hat. Es ist wirklich ein Phänomen, dass sich plötzlich so viele Studentinnen für einen Platz in unserem Team interessieren.

»Ah … Chloe. Meine wunderschöne Zimmernachbarin«, begrüßt mich Max, als ich die Theke erreiche. Mit seinem schwarzen Lockenkopf und der weißen Schürze sieht er wie ein französischer Bäckermeister aus.

»Hey, Max. was geht?«, sage ich, schiebe einen Geldschein auf den Tresen und stütze mich mit den Unterarmen auf.

»Viel los halt.« Er nimmt mit einer Zange einen belegten Bagel aus der Auslage und verfrachtet ihn gekonnt in eine braune Papiertüte. Seit Max neben dem Studium im Café ein paar Stunden die Woche jobbt, müssen Anna und ich nicht mal mehr unsere Bestellung aufgeben.

»Wie lief das Training?«

»Super«, murmele ich und weiß, wie wenig überzeugend das klingt.

Max lupft eine Augenbraue und stellt einen Pappbecher unter den Kaffeeautomaten.

»Das klingt ja nicht besonders begeistert. Lass mich raten. Clark, der Superschwimmer, ist ein Trottel?«

Ich seufze als Antwort, weil ich keine Lust mehr habe, über unseren neuen Trainer zu reden. Der Kerl hat mich mit seinen analytischen Blicken dermaßen aus dem Konzept gebracht, dass meine Knie auf dem Startblock weich wie warme Butter wurden und ich keinen Schwimmzug sauber ausführen konnte. Meine Zeit auf der Kurzstrecke war erbärmlich. Alex’ skeptischer Blick, als er von der Stoppuhr in meine Richtung sah, war eine echte Demütigung.

»Er ist kein Trottel, Max. Sondern ein gottähnliches Wesen«, verbessert ihn Anna, die es mir gleichtut und sich auf die Theke lehnt.

»Hallo, Anna, meine wunderschöne Zimmernachbarin«, säuselt Max und nimmt grinsend ihren Geldschein entgegen.

»Hey. Ich dachte, das bin ich?«

Max presst die Lippen aufeinander und macht ein verzweifeltes Gesicht. »Wie soll ich mich zwischen euch Schönheiten entscheiden?«

Anna zischt und inspiziert ihre Fingernägel. Ich verdrehe nur die Augen, weil es offensichtlich ist, für wen sich jeder Typ dieses Planeten entscheiden würde. Anna ist eine Augenweide. Blond, graue Augen, Schmollmund, lange Beine und eine Oberweite, die selbst in den engen Badeanzügen noch was hermacht. Ganz im Gegensatz zu mir, wobei ich mich eigentlich okay finde. Ich mag das dunkle Braun meiner Haare, meine großen Rehaugen und durch das Schwimmen bin ich gut in Form. Aber anders als Anna mache ich mir nicht viel aus Make-up oder trendigen Klamotten. Ich falle nicht gerne auf, mag es nicht, im Mittelpunkt zu stehen und auf Partys mit Kerlen zu flirten. So war es schon immer, auch vor meiner Collegezeit. Das war immer in Ordnung für mich. Aber aus irgendeinem Grund glaubte ich, mit dem Beginn meiner Studienzeit würde ein neues Leben starten. Ein neuer, aufregender Lebensabschnitt, den ich auskosten muss. Vielleicht war genau das der Grund, weshalb ich mich auf Owen eingelassen habe. Zu dem Zeitpunkt fühlte es sich unglaublich aufregend an. Dabei hätte ich wissen müssen, dass ich kein Typ für solche oberflächlichen Spielchen bin. Ich hätte ahnen müssen, wie es endet.

Seitdem halte ich noch mehr Abstand zu Männern als zuvor.

»Träum weiter, Maxwell« zischt Anna. »Ich stehe nicht zur Wahl. Auch nicht, wenn es um deine dreckigen Dreierfantasien geht.«

Max’ hoffnungsvoller Blick zuckt zu mir und ich kann nicht anders, als zu lachen. »Du bist ein Idiot.«

»Aber ein süßer, oder?«

»Taylor, hör auf mit den Ladys zu flirten und sieh zu! Ich will meinen Kaffee!«, schnauzt Steven, einer unserer Kommilitonen vom Ende der Warteschlange.

»Heute Abend wieder Pizza im Diner?«, frage ich, greife nach meinem Kaffee und sehe zwischen meinen Freunden hin und her.

»Klar. Wie immer.« Max lächelt schief. Er ist so ein netter Kerl. Ich kann mir keinen besseren Kumpel vorstellen und verstehe nicht, warum er keine Freundin hat. Er ist zielstrebig, lieb und er bringt einen zum Lachen. Soweit ich weiß, ist er nach den Dates mit Cindy Richeston mit niemandem mehr ausgegangen. Andererseits arbeitet er viel und muss in der wenigen Freizeit den ganzen Lernstoff aufholen.

»Aber nur unter der Bedingung, dass Max keine Pizza mit Meeresfrüchten bestellt.« Anna rümpft die Nase und schüttelt sich. »Da vergeht einem der Appetit. Welcher Mensch isst so was Ekelhaftes?«

Plötzlich steht Steven neben uns. Zwar brummeln und murmeln die Wartenden genervt, aber niemand traut sich, sich über sein Vordrängeln zu beschweren. Steven ist ein kantiger, einschüchternder Typ mit kurz geschorenen Haaren, Tattoos bis zum Hals und einem dreckigen Grinsen.

»Wenn du endlich mal mit mir ausgehen würdest, Anna, dann würde ich dich in ein ganz anderes Lokal ausführen als in das billige Campusdiner.«

»Danke, Steven. Kein Interesse«, gibt meine Freundin unbeeindruckt zurück, schnappt sich ebenfalls ihre Bestellung und geht mit einem aufreizenden Hüftschwung, der pures Selbstbewusstsein ausstrahlt.

»Fuck, ich liebe störrische Frauen«, murmelt Steven. Lüstern schaut er Anna hinterher.

»Macht’s gut, Leute.« Ich lächle Max noch schnell zu, bevor ich Anna nach draußen folge.

Wir laufen ein Stück geradeaus, am Supermarkt und Diner vorbei, welcher erst wieder am späten Nachmittag öffnet. Ein paar Schritte weiter biegen wir nach links zu unserem Wohnheim ab, das von großflächigen, kurz geschnitten Rasenflächen umgeben ist. Dort beginnen auch die schicken Apartmentblocks, die im Gegensatz zu der grau gemauerten Fassade unseres Wohnheimes eindeutig einladender wirken und den Studenten mit spendablen Eltern vorbehalten sind. Oder arroganten Ex-Profischwimmer …

»Hast du dir eigentlich überlegt, was du wegen des Remembrance Day machen willst?«, fragt Anna und beißt in ihren Bagel. Sie hält es nie aus, mit dem Essen zu warten, bis wir das Wohnheim erreichen.

»Ich denke, ich bleibe einfach hier, vertilge einen Haufen Fast Food und sehe von Freitag bis Montag Serien.«

»Du glaubst nicht, wie gerne ich das lieber täte, als zu meiner nervigen Familie zu fahren und im Klatschmohn-Look durch die Straßen zu ziehen«, meint sie und schenkt mir ein warmes Lächeln. »Du weißt, die Einladung steht. Meine Eltern würden sich freuen, dich mal kennenzulernen und du -«

»Es ist okay, Anna. Ich komme schon klar.« Ich lächle, obwohl ich weiß, dass dies gelogen ist. Natürlich würde ich das lange Wochenende lieber zu Hause verbringen. Der Remembrance Day oder auch Poppy Day wird am elften November gefeiert und ist ein wichtiger Feiertag für die Kanadier. Die roten Mohnblüten, die an diesem Tag überall verteilt und als Ansteckblume getragen werden, sind ein Symbol des Gedenkens an die gefallenen Kriegsopfer. Mom und Dad zelebrieren den Tag zwar nicht mit solcher Hingabe wie Annas Eltern, aber es wir haben ihn bisher immer zusammen verbracht, etwas Leckeres gekocht und die Straßenumzüge im Fernsehen verfolgt. Selbst letztes Jahr, als ich gerade erst ein paar Wochen auf dem Campus war, hatten meine Eltern mich mit einem Bahnticket überrascht. Über meinen Bruder Josh habe ich aber erfahren, dass sie zurzeit knapp bei Kasse sind, weil sie eine kostspielige Reparatur am Hausdach bezahlen mussten. Und da ich selbst nur ein minimales Budget für Freizeitaktivitäten besitze, das ohnehin kaum für einen Monat reicht, stand meine Entscheidung fest, diesmal hierzubleiben. Die Fahrt bis nach North Bay ist einfach zu teuer. Annas Angebot, mit ihr mitzukommen, möchte ich nicht annehmen. Ich käme mir wie ein Eindringling vor und würde meine eigene Familie nur noch mehr vermissen.

»Vielleicht kannst du mich irgendwann mal mit zu deiner Familie nehmen«, zwitschert sie, als wir die Treppenstufen in die zweite Etage hinaufgehen. »Dann lerne ich Josh endlich mal persönlich kennen.«

»Vergiss es.« Ich ziehe den Schlüssel aus meiner Jackentasche und zeige mit der Spitze auf sie. »Von mir aus kannst du jeden Mann der Welt vögeln, aber nicht meinen Bruder. Er ist erst achtzehn. Außerdem hat er eine Freundin.«

Anna rollt mit den Augen. »Und wenn schon. Sie sind ja nicht verheiratet.«

»Anna.« Ich schließe die Tür auf und Anna drängelt sich grinsend an mir vorbei.

»Bleib cool. Ich mach doch nur Spaß.« Sie pfeffert ihre Jacke auf den Schreibtisch in der Ecke unseres quadratischen Zimmers, während ich meinen Mantel an den Haken hinter der Tür hänge. Sie ist ein Chaot und kann überhaupt keine Ordnung halten. Einmal habe ich nicht mal mehr die Tür aufbekommen, weil sie seit Tagen vom Boden gelebt hat. Die ersten Wochen hat mich das wahnsinnig gemacht, mittlerweile versuche ich, es einfach auszublenden. Auch wenn es mich wirklich eine Menge Selbstbeherrschung kostet, meine kribbelnden Finger zu ignorieren und mich nicht über die Unordnung herzumachen.

Es reicht, dass ich zu Hause bei meiner Familie den Ruf der Aufräumfetischistin weghabe. Von Mom weiß ich, dass besonders meine beiden jüngeren Brüder ihrer ordnungsliebenden Schwester hinterhertrauern. Seit ich ausgezogen bin, müssen sie ohne meine Hilfe die Legobausteine einsammeln, die sie über den Tag im Haus verteilen. Und obwohl sie als Zwillinge immer ein gutes Team sind, hört beim Thema Aufräumen die brüderliche Liebe doch auf. Da Josh genauso ein Aufräummuffel ist und sowieso die meiste Zeit bei seiner Freundin abhängt, können sie auf seine Hilfe auch nicht bauen.

Mit dem Fuß schiebe ich Annas aufgeklappten Ordner auf ihre Seite des Zimmers. Im Schneidersitz hocke ich mich neben sie auf den flauschigen, rosafarbenen Teppich, den sie von Zuhause mitgebracht hat, um den kargen Raum etwas gemütlicher zu gestalten. Sie war ganz aus dem Häuschen, als ich an unserem Einzugstag aus meiner Umzugskiste zwei Lichterketten zog, die jetzt jeweils über unseren Betten hängen.

»Was gucken wir?«, fragt Anna, zieht den Laptop von ihrem Nachttisch und startet Netflix. Ich nehme meinen Bagel aus der Tüte und beiße hinein. »Irgendwas mit verwesenden Zombies oder so. Ich habe für heute genug von schönen Kerlen.«

»Aha …« Anna kneift die Augen zusammen und grinst. »Ich wusste doch, dass du Alex scharf findest.«

Ich zucke kauend mit den Schultern und gebe mich unbeeindruckt. »Nur, weil er gut aussieht, muss ich mir nicht gleich das Höschen vom Körper reißen. Es gibt auch noch andere wichtige Eigenschaften, die ein Mann haben muss.«

Anna legt die Stirn in Falten, als hätte ich gerade in einer fremden Sprache mit ihr gesprochen.

»Dir ist wirklich nicht zu helfen, Chloe.« Sie schaltet den Laptop ein und klopft mit ihren Fingern auf der Tastatur herum, während das Programm hochfährt.

»Ich habe ihn ein paar Mal dabei erwischt, wie er mich heute angesehen hat.«

»Anna«, sage ich seufzend, weil ich nicht länger Interesse daran habe, über Alex Clark zu sprechen. Dabei habe ich es selbst bemerkt, dass sein Blick immer wieder zu ihr gezuckt ist, als sie sich am Beckenrand vollkommen übertrieben und ausgiebig dehnte. Typisch Anna.

»Denkst du, er steht auf mich?«

Ich mustere ihr hübsches Gesicht mit den grauen Augen, in die sich ein Hauch seltene Unsicherheit mischt.

»Selbst wenn. Er ist unser Trainer.« Erst als ich die Worte ausgesprochen habe, schmecke ich den schlechten Geschmack von Heuchelei auf der Zunge. Schließlich war mir diese Tatsache bei Owen auch egal.

Annas Miene wird ernster, fast schon verbissen. »Na und? Es gibt kein Gesetz, was dagegenspricht, oder?«

Ich konzentriere mich auf den Bildschirm und räuspere mich. »Nein.« Mehr kann ich nicht dazu sagen, auch wenn ich es gerne möchte. Es ist nicht verboten, etwas mit seinem Trainer anzufangen. Aber wir brauchen Alex für unser Team und können es nicht riskieren, dass uns deshalb wieder ein Trainer abspringt. Und ich weiß aus eigener bitterer Erfahrung, wie es sich anfühlt, wenn so eine Aktion nach hinten losgeht. Ich möchte meine Freundin nur vor einem Fehler bewahren. Sie kann so viele Kerle haben, aber von dem eigenen Trainer lässt man besser die Finger.

Schweigend schaltet Anna eine Serie ein. Ohne Zombies, dafür mit jeder Menge High-School-Jungs, Cheerleadern und Intrigen.

Kapitel 3

Ich streife mir einen dunkelroten Wollpulli über, der locker über den Bund meiner schwarzen Jeans fällt. Dann warte ich geduldig, bis Anna mit ihrem aufwendigen Make-up und dem Lockenstab fertig ist. Als der Platz vor dem bodentiefen Spiegel endlich frei ist, bürste ich meine Haare, bis sie in weichen Wellen über meine Schultern fallen und lege etwas Mascara sowie Lipgloss auf. Mehr brauche ich nicht. Vor allem nicht, wenn ich nur mit meinen Freunden Pizza essen gehe. Wie jeden Montag.

Ein einziges Mal hatte Anna mich überredet, mich von ihr schminken zu lassen. Ich habe mich später beim Blick in den Spiegel nicht mehr wiedererkannt und mich, unter lautem Protest, sofort wieder abgeschminkt.

»Chloe, hilf mir mal bitte.« Anna stellt sich vor mich und hält abwechselnd zwei Tops vor ihren Oberkörper.

»Das weiße«, sage ich und lehne mich gegen die Schreibtischplatte.

Anna schlüpft in das enge Oberteil, das wirklich keine Kurve verbirgt und zieht einen offenen Cardigan darüber.

Als sie dann noch Ohrringe und eine ordentliche Ladung Parfum auflegt, werde ich stutzig. Anna macht sich immer zurecht, egal ob wir zu den Vorlesungen gehen oder zum Training. Aber heute scheint sie sich extra viel Mühe zu geben.

»Hast du noch was anderes vor?«, frage ich, streife mir meinen Mantel über und hänge mir meine kleine Handtasche schräg über die Schulter.

Anna schlüpft ebenfalls in ihre Jacke und betrachtet sich noch einmal im Spiegel. »Nein, aber ich denke an die Möglichkeit, dass unser heißer Trainer im Diner auftaucht.« Sie zwinkert mir zu. »Man muss auf alles vorbereitet sein.«

»Na klar. Weil Mr. Supersportler bestimmt einen Haufen Pizzen verdrückt, um seinen Body zu stählen«, brumme ich, öffne die Tür und laufe direkt in Max hinein, der auf der Schwelle mit ausgebreiteten Armen wartet. Bevor ich ihm ausweichen kann, schließt er mich in eine feste Umarmung und ich befreie mich mit einem Lachen daraus.

»Zum Glück bist du zuerst aus der Tür gegangen«, meint Anna spitz und stolziert an uns vorbei.

»Sei nicht eifersüchtig, Anna-Maus. Ich liebe euch beide.« Tim und Brend, die sich auf dem Flur vor der Gemeinschaftsküche herumdrücken, johlen Max bestätigend zu und glotzen dann anstandslos Annas Hintern hinterher.

»Wenn du die Kalorien der Pizza später wieder verbrennen willst, kannst du gerne bei mir klopfen, Anna.« Brend lacht, als Anna ihm den Mittelfinger zeigt. Max legt locker einen Arm um mich und pfeift irgendeine Melodie, die mich zum Lächeln bringt. Draußen schließen wir zu Anna auf und laufen gemeinsam zum Diner. Heute ist Pizza-Tag – jede Pizza zum halben Preis. Es ist nicht verwunderlich, dass gefühlt der ganze Campus dieses Lockangebot Woche für Woche mitnimmt. Doch wer für den Abend keinen Tisch reserviert hat, kann einen Platz im Restaurant vergessen. Dank Max, der auch hier zwischendurch jobbt, haben wir für das komplette Semester einen Tisch sicher. Ich bewundere ihn dafür, dass er neben dem ganzen Lernstress noch so viel arbeitet. Mir reichen schon die vier Stunden im Bookshop, die ich irgendwie zwischen die Seminare und das Schwimmtraining quetsche. Meine Eltern unterstützen mich finanziell so gut es geht, aber die hohen Studiengebühren und die Lernmaterialien verschlingen fast das gesamte Budget. Ohne die Arbeit im Bookshop könnte ich mir nicht mal den Pizza-Tag leisten.

Wir drängeln uns an den anderen Studenten bis zu unserem Tisch an der Fensterfront durch und schieben uns auf die speckigen, roten Ledersessel.

Max und ich setzen uns nebeneinander, während Anna unsere Jacken und Schals neben sich stapelt. In Gedanken verdrehe ich die Augen, weil sie sich immer wieder umsieht, wenn neue Gäste die Ladentür öffnen.

»Nach wem hält sie denn Ausschau?«, flüstert Max und schiebt mir eine Speisekarte zu. Ich klappe sie auf und studiere die Auswahl, die sich immer mal wieder ändert. »Rate doch mal.«

Er schnaubt wissentlich. »Ist er denn wirklich so toll, dieser Clark?«

Ich stiere weiter auf die Karte und weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Klar, Alex ist … gut aussehend und charismatisch und … ein Weiberheld.

»Mein Typ ist er nicht«, antworte ich deshalb, kann aber nicht leugnen, dass mein Puls in die Höhe schießt, als ich an unser erstes Aufeinandertreffen in der Schwimmhalle denke – an Alex’ blaue Augen, die mich neugierig musterten.

Die rundliche Bedienung, Susi, reißt mich aus meinen Gedanken, begrüßt uns und nimmt die Bestellung auf.

»Und wer ist dein Typ?«, fragt Max, als die Bedienung sich in Windeseile alles notiert und wieder verschwindet. Er sieht nicht wie erwartet belustigt aus, sondern ernsthaft interessiert.

»Das ist ausnahmsweise mal eine gute Frage, Max«, schaltet sich Anna in unser Gespräch ein und stützt die Ellbogen auf die Tischplatte. »Ich lebe mit Chloe jetzt schon seit Monaten in einem winzigen Raum zusammen, aber über Männer spricht sie nie mit mir.«

»Weil es da nichts zu erzählen gibt«, gebe ich frostig zurück. Es nervt, dass Anna ständig versucht, mich über meine Männer-Vorlieben auszuhorchen. Außer der Sache mit Owen, weiß Anna mehr über mich als meine Mom oder meine beste High-School-Freundin Lin. Ich habe ihr sogar von meinem späten ersten Mal erzählt, als das Thema zwischen uns aufkam, dabei aber geflissentlich verschwiegen, wann genau und mit wem es stattfand.

»Bei deinem Verschleiß an Männern, kann einem ja auch nur die Lust am anderen Geschlecht vergehen«, zieht Max sie auf, was ihm einen Tritt unter dem Tisch einheimst.

»Willst du damit sagen, dass ich eine Schlampe bin?«, fragt sie, kann ein Grinsen aber nicht verbergen. Anna macht keinen Hehl daraus, dass sie Männer und Sex mag. Sie nimmt sich, was sie möchte. Eine ernsthafte Beziehung hatte sie aber noch nie.

»Wenn es dich glücklich macht, dann, ja, Anna. Du bist eine Schlampe«, verkündet Max feierlich und ziemlich laut, was natürlich die Aufmerksamkeit der umliegenden Tische auf uns zieht. Ich senke peinlich berührt den Kopf und beobachte Anna dabei, wie sich ihr Grinsen nach und nach in ein angespanntes Lächeln verwandelt, während ihr Blick etwas hinter unseren Köpfen fixiert. »Oh, Leute …«

»Was denn?« Ich drehe mich um und halte die Luft an, als ich sehe, was Annas Interesse geweckt hat.

In dunkler Jeans, schwarzer Lederjacke und einer grauen Mütze auf dem Kopf, steht Alex inmitten des Diners. Ihm scheint es nicht aufzufallen, dass es mit einem Schlag viel stiller geworden ist und ihn alle anstarren. Unsere Blicke treffen sich und er sieht für einen Moment verwirrt aus. Dann wandelt sich sein Ausdruck zu etwas, was ich nicht genau deuten kann. Ein einnehmendes Lächeln bildet sich auf seinem Gesicht und ich bin so geschockt über sein Auftauchen, dass ich nicht in der Lage bin, es zu erwidern.

»Ist er das? Dieser Schwimm-Heini«, höre ich Max fragen.

»Zur Hölle, ja, das ist er«, antwortet Anna genauso leise und klingt dabei wie eine ausgehungerte Raubkatze, die ihrer Beute auflauert. »Ich wusste doch, dass er hier aufkreuzt.«

Alex zieht sich die Mütze ab und fährt sich durch sein Haar, was Anna ein leises Stöhnen entlockt. »Seht ihn euch doch nur mal an. Er ist ein Gott.«

Ich muss schlucken und sehne mir meinen bestellten Eistee herbei. Meine Kehle fühlt sich staubtrocken an.

»Kommt er etwa her? Oh verdammt!« Annas Stimme schnellt in die Höhe. »Er kommt zu unserem Tisch.«

Endlich schaffe ich es, meinen Blick von Alex zu lösen. »Jetzt beruhige dich mal, Anna.« Ich bin mir nicht sicher, ob ich nicht eher mich damit meine.

»Chloe, Anna.« Alex’ tiefe Stimme dringt an mein Ohr und verursacht ein Kribbeln in meinem Nacken.

»Ich musste zweimal hinsehen, bis ich euch erkannt habe. Gar nicht so leicht, wenn man euch nur mit Schwimmkappe kennt.«

Ich starre auf meine Finger, die unnatürlich verkrampft auf der Tischplatte liegen. Alex steht nur Zentimeter neben mir und wieder vernebelt mir sein Parfum für einen Herzschlag lang die Sinne.

»Hi, Alex«, schnurrt Anna und mit einem Mal ist die Aufregung ihrer selbstsicheren Art gewichen. »Hattest du auch Bock auf Pizza?«

»Ich dachte, ich versuch’s mal. Meine Kommilitonen haben mir den Laden empfohlen.«

Endlich schaffe ich es aufzusehen. Alex’ Blick ist auf Max gerichtet, der sich mit verschränkten Armen in den Sitz zurückgelehnt hat.

»Ich glaube, wir kennen uns noch nicht. Ich bin Alex.« Er streckt ihm eine Hand über den Tisch, die Max mit unbewegter Miene kurz ergreift. Ihn scheint das Aufsehen um den gut aussehenden Profischwimmer nicht die Bohne zu interessieren.

»Maxwell Taylor.«

Alex’ Lächeln bleibt freundlich. Nur eine kleine unmerkliche Falte bildet sich auf seiner Stirn. »Freut mich.«

»Und? Bist du hier mit deinen Freunden verabredet?« Anna stützt den Kopf in die Hände und drückt dabei mit den Unterarmen ihre Brüste zusammen – ganz unabsichtlich natürlich. Wenn es darum geht, einen Mann für sich zu gewinnen, setzt Anna jede ihrer weiblichen Waffen ein.

»Nein. Ich habe noch ein bisschen was zu tun.«

Ich schiele wieder zu Alex auf, dem Annas Flirtaktion natürlich nicht entgeht und er die Lippen zu einem Schmunzeln verzieht. Ein dämlicher Stich jagt durch meine Eingeweide. Dabei war es doch klar, dass er sie heiß findet.

»Ich wollte mir die Pizza mit in mein Apartment nehmen. Ich habe noch einiges an Lernstoff aufzuholen.«

»Was studierst du denn?«, will Anna weiterwissen und lässt ihn keine Sekunde aus den Augen.

»Betriebswirtschaft.«

»Ah, cool. Und, gefällt es dir?«

Er verzieht die Lippen und zuckt mit den Schultern. »Ja, es ist ganz okay. Außer Arbeitspsychologie. Das Fach nervt.«

Ich erstarre und muss mich zusammenreißen, das erstaunte Keuchen zu unterdrücken.

»Wie lustig. Chloe studiert Psychologie!«

Ich werfe Anna einen strafenden Blick zu und rutsche in meinem Sitz ein Stück nach unten.

»Ach ja?« Alex’ Lächeln wird breiter. »Dann hast du das Fach auch, oder?«

Ich zucke mit den Achseln. »Letztes Semester, ja.«

»Und wie kamst du klar?«

»Sie ist ein Streber«, schiebt Anna ein und ich kann ihr für den Kommentar nicht mal böse sein. Sie hat schließlich recht. Ich nehme mein Studium ernst und lerne viel. Im Gegensatz zu meiner Freundin lenken mich nicht ständig Kerle ab. Das macht es einem leicht, sich auf den Stoff zu konzentrieren.

Alex’ forschender Blick bleibt weiter auf mich gerichtet, als würde er in meinem Gesicht nach irgendwelchen Antworten suchen. In Zeitlupe hebt sich einer seiner Mundwinkel.

»Gut zu wissen.«

Kapitel 4

Kim, Anna, Pam, Lilly und mir fallen beinahe die Augen aus dem Kopf, als wir die Schwimmhalle betreten und Alex mit geschmeidigen Bewegungen durch das Wasser gleiten sehen.

Wie eine Gruppe unsicherer Entenkinder bleiben wir stehen und ich bestaune fasziniert die Art, wie er sich mit ruhigen, aber kraftvollen Kraulzügen voranbringt – als seien er und das Wasser eine Einheit.

»Heilige Scheiße«, stößt selbst die skeptische Kim hervor, als Alex den Beckenrand erreicht, prustend auftaucht und sich nach oben drückt. Das Wasser rinnt sein breites Kreuz hinunter, an den Erhebungen seiner Rückenmuskulatur entlang bis zu dem Rand seiner Badeshorts, in der ein ziemlich knackiger Hintern steckt.

»Das ist purer Sex«, nuschelt Anna neben mir und sucht blind nach meiner Hand, um sich daran festzuhalten.

Ich starre noch einen Moment auf Alex wohlgeformten Körper, bis er von einem der Startblöcke ein Handtuch zieht und sich den Kopf damit abrubbelt. Für Sekunden verharrt er in seiner Bewegung und seine Schultern senken sich langsam herab. Ich würde zu gern wissen, an was er denkt.

Gerade, als ich meine Mädels antreiben will weiter zu gehen und ihnen zuraunen möchte, dass das hier keine Peepshow, sondern ein Trainingsort ist, platzt ein kindisches Kichern aus Lilly heraus, was Alex’ Aufmerksamkeit auf uns lenkt. Für den Bruchteil einer Sekunde meine ich, in seinem Blick tiefen Kummer zu sehen. Aber bevor ich den Ausdruck wirklich deuten kann, legt sich ein Grinsen über seine Züge.

»Hey, Team! Ihr seid ja schon da.« Er winkt uns auffordernd zu sich.

»Genau zur richtigen Zeit«, flüstert Pam und stößt Anna in die Rippen, die den Stoff ihres Badeanzuges am Dekolleté-Bereich weiter nach unten zieht.

Es ist immer warm in der Schwimmhalle, aber heute bin ich davon überzeugt, dass Bill die Heizung um ein paar Grad höher gedreht hat. Meine Wangen glühen dauerhaft und langsam bin ich mir nicht mehr sicher, ob es wirklich eine gute Idee von Miss Johnsen war, Alex Clark den Job als unseren Trainer zu geben. Denn auch aus der Nähe betrachtet ist Alex’ Körper unglaublich perfekt: definierte Brustmuskulatur, flacher Bauch und schmale Taille. Wenn das so weiter geht, werden wir nie im Leben den nächsten Wettkampf gewinnen. Wir sind alle viel zu abgelenkt. Vielleicht sollte ich Alex wenigstens darum bitten, sein T-Shirt und eine andere Hose anzuziehen, die nicht jedes Körperteil von ihm offenbart.

Sooft ich mich auch räuspere, die Augen von Anna und Co. kleben förmlich an Alex’ Körper, als er uns die nächsten Minuten Insidertipps für eine bessere Wasserverdrängung anhand von Trockenübungen veranschaulicht.