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Das Gehirn

als sprachliche Goldwaage

 

Was Worte in unserem Kopf bewirken

 

Autor: Markus Hornung

 

Hinweis zur Gender-Formulierung:

In dieser Arbeit wird aus Gründen der leichteren Lesbarkeit bei allen Bezeichnungen, die auf Personen bezogen sind, die männliche Bezeichnung verwendet. Die so gewählte Formulierung schließt immer beide Geschlechter mit ein.

 

Verlag: FQL Publishing, München

Buch: ISBN 978-3-947104-26-0

eBook: ISBN 978-3-947104-27-7

 

Buchreihe: GEHIRN-WISSEN KOMPAKT

 

Die vorliegende Publikation ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung der Texte und Grafiken ist nur mit schriftlicher Zustimmung des Herausgebers gestattet.

In diesem Buch werden u. U. eingetragene Warenzeichen, Handelsnamen und Gebrauchsnamen verwendet. Auch wenn diese nicht als solche gekennzeichnet sind, gelten die entsprechenden Schutzbestimmungen.

Bild-Nachweis: Alle in diesem Buch verwendeten Bilder sind direkt aus den zitierten Publikationen/Untersuchungen bzw. vom Autor selbst. Das Titelbild stammt von iStock.

Autor

Markus Hornung

Markus Hornung widmet sich als Trainer, Coach und Autor seit über 20 Jahren dem Umgang mit Emotionen in Führung, Vertrieb und Privatleben. Dabei legt er besonderen Wert auf emotionale sprachliche Präzision und Ausdrucksfähigkeit sowie auf wirkungsvolles emotionales Selbstmanagement. Privat spielt er mehr oder weniger emotional intelligent Golf, ebenso Poker und verbringt seine Zeit am liebsten in den buddhistischen Kulturen Südostasiens.

In diesem Buch zeigt er dem interessierten Leser detailliert, wie Sprache im Gehirn erzeugt und verarbeitet wird. Er beweist, dass dieses Gehirn tatsächlich jedes Wort auf die Goldwaage legt und liefert damit ein überzeugendes Plädoyer für einen bewussten und gewählten Umgang mit Sprache.

Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser,

das menschliche Gehirn – also auch Ihres! – gehört zu den komplexesten vernetzten Strukturen, welche die Natur hervorgebracht hat.

Und das Interesse an dieser Struktur wächst.

So ist mittlerweile im öffentlichen Bewusstsein verankert, dass es unterschiedliche Gehirn-Regionen gibt, welche unterschiedliche Aufgaben erfüllen, seien diese nun etwa eher „dem Verstand zugeordnet“ (Präfrontalkortex) „Emotionen verarbeitend“ (limbisches System) oder „Muskelfunktionen steuernd“ (motorischer Kortex).

Was allerdings kaum jemand weiß, ist, dass es ungeachtet dieser fein differenzierten – und noch nicht einmal annähernd vollständig erforschten – Aufteilung des Gehirns in verschiedene Funktionsbereiche EINE Aufgabe gibt, für die beinahe sämtliche Gehirnareale herangezogen werden, eine Herausforderung, die fast alle Regionen des Gehirns gemeinsam bewältigen: Das Verstehen und Erzeugen von Sprache.

Diese hochkomplexe Aufgabe findet nicht nur in den beiden – ebenfalls im öffentlichen Bewusstsein verankerten – „Sprachzentren“ (genauer Broca- und Wernicke-Areal) oder gar der scheinbar „für Sprache zuständigen linken Gehirnhälfte“ statt, sondern im gesamten neuronalen Netzwerk.

Wie dies geschieht und vor allem was das für Auswirkungen auf unser Denken, Fühlen und Verhalten hat, davon handelt dieses Buch, welches als Masterarbeit im Rahmen meiner 2017 und 2018 durchgeführten Ausbildung zum Master Of Cognitive Neuroscience bei der Academy Of Neuroscience in Köln entstanden ist.

Dankenswerterweise bewilligte mein Ausbilder und Korrektor Professor Dr. Dr. Gerhard Roth die Arbeitshypothese und vor allem den bildhaft klingenden Titel dieser Masterarbeit, deren Ziel es war, zu zeigen, dass entgegen einer populären Haltung unser Gehirn aufgrund dieser enormen Komplexität und Vernetzung tatsächlich „jedes Wort auf die Goldwaage legt“. Eine Erkenntnis, deren gelungener Nachweis von Professor Roth zu meiner größten Freude mit der Bestnote 1,0 bewertet wurde.

Ebenso dankbar bin ich, dass es mir bei allem höchst wissenschaftlichen Anspruch gestattet war, die Arbeit in großen Teilen in einem eher literarischen oder gar erzählenden Stil zu verfassen, was letztendlich dafür gesorgt hat, dass der Verlag und ich uns entschieden haben, sie unverändert als Buch herauszugeben.

Ich hoffe, dass sowohl der wissenschaftliche Gehalt als auch die ungemein spannenden Erkenntnisse, die unser Forschungsgegenstand liefert, auf diese Weise vermittelt werden können und wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen und Entdecken des Gehirns als sprachlicher Goldwaage!

Ihr Markus Hornung

München, Januar 2019

 

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

1.1 Ziel der Untersuchung und methodisches Vorgehen

1.2 Aufbau der Untersuchung

2 Der „Linguistic War“

2.1 Platons Kratylos – Naturalisten vs. Konventionalisten

2.2 Neuzeit 1 – Arbitrarität vs. Ikonizität

2.3 Neuzeit 2 – Universalisten vs. Relativisten

2.4 Das Pendel schwingt zurück

3 Die Suche nach dem semantischen System

3.1 Das semantische System in Medizin und Physiologie

3.1.1 Das Wernicke-Broca-Modell

3.1.1.1 Das Broca-Areal

3.1.1.2 Das Wernicke-Areal

3.1.2 Das Wernicke-Broca-Lichtheim-Modell

3.1.3 Die Brodmann-Areale – eine erste seriöse Kartographierung

3.1.4 Das Wernicke-Lichtheim-Geschwind-Modell

3.2 Das semantische System in den Neurowissenschaften

3.2.1 Neuronale Aktivierung unter verschiedenen Bedingungen

3.2.2 Das Cell-Assembly-Modell von Pulvermüller

3.2.2.1 Die Hebb´sche Regel als Grundlage für das Cell-Assembly-Modell

3.2.2.2 Die Cell Assemblies und deren Interpretation als assoziatives Feld

3.2.2.3 Die Eigenschaften der Cell Assemblies

3.2.2.4 Theoretischer Vorbehalt und Plausibilität der Cell Assemblies

3.2.2.5 Der Nachweis der Cell Assemblies

3.3 Das semantische System als „Semantic Brain Map“

3.3.1 Die „Semantic Brain Map“-Teil 1

3.3.2 Die „Semantic Brain Map“-Teil 2

3.3.3 Die „Semantic Brain Map“-Teil 3

3.3.4 Die “Semantic Brain Map”-Teil 4

3.4 Fazit zur Suche nach dem semantischen System

4 Studien zur Wirkung von Sprache und ihrer Elemente

4.1 Einführung

4.2 Sozial- und kommunikationspsychologische Grundlagen

4.2.1 Priming und Framing

4.2.1.1 Priming

4.2.1.2 Framing

4.2.2 Sprachregelung für Priming und Framing in dieser Arbeit

4.3 Studien der Psycholinguistik

4.3.1 Die Wirkung von Phonemen und Kunstworten

4.3.1.1 Maluma und Takete – rund oder zackig?

4.3.1.2 Kiki und Bouba – zackig oder rund?

4.3.1.3 Mil und Mal – klein oder groß?

4.3.1.4 Brido/Brado und Prish/Prash – SUV oder Cabrio?

4.3.1.5 Von Titiki bis Gobudu – von klein nach groß

4.3.1.6 Wumbaba oder Winkiki – dick oder dünn?

4.3.1.7 Tiefer und hoher Klang – kleines oder großes Tier?

4.3.2 Die Wirkung von Worten

4.3.2.1 „Unhöflich“ lesen lässt unhöflich bewerten

4.3.2.2 Der Florida-Effekt

4.3.2.3 Schwierig auszusprechen ist riskant

4.3.2.4 Bist Du Gepard oder Schildkröte?

4.3.2.5 “Erfolgreich” lesen macht erfolgreich

4.3.2.6 Ist Donald selbstsicher oder arrogant?

4.3.2.7 Einfluss des grammatikalischen Geschlechts

4.3.2.8 „Der Adler am Himmel“ wird schneller erkannt

4.3.3 Die Wirkung von Metaphern

4.3.3.1 Bestie oder Virus?

4.3.3.2 Ist Reinheit gleich Moral?

4.3.3.3 Bist Du Professor oder Hooligan?

4.3.3.4 Hügelige und ebene Bergstraßen

4.3.4 Die Wirkung von Schimpfwörtern und Flüchen

4.3.4.1 Schimpfwörter lassen schwitzen und werden schneller erkannt

4.3.4.2 Emotionale Wörter werden leichter gemerkt

4.3.4.3 Fluchen als Auto-Analgetikum

4.3.4.4 Fluchen erhöht die körperliche Leistungsfähigkeit

4.3.4.5 Dosiertes Fluchen erhöht die Überzeugungskraft

4.3.5 Die Wirkung von Fragen

4.3.5.1 90% Überlebenschance vs. 10% Sterberisiko

4.3.5.2 Die Reihenfolge von Fragen beeinflusst die Antwort

4.3.5.3 Fragen manipulieren und erzeugen Erinnerungen

4.4 Studien der Neurolinguistik

4.4.1 Aktivierung motorischer Areale

4.4.1.1 Vokale hören aktiviert Zungenmuskulatur

4.4.1.2 „Oben“ lesen lenkt die Augen nach oben

4.4.1.3 „Kicken“ lesen aktiviert motorische Areale für´s Kicken

4.4.1.4 Objektbegriffe lassen Handlungsneuronen feuern

4.4.1.5 Aktivierung motorischer Areale durch Metaphern

4.4.2 Aktivierung olfaktorischer Areale

4.5 Fazit zu den Studienergebnissen

5 Resümee der Arbeit

6 Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis und Fußnoten

1 Einleitung

„Aber ich muss doch nicht immer jedes Wort auf die Goldwaage legen!“

Dieses Zitat zieht sich als Einwand seit zwanzig Jahren wie ein roter Faden durch die Seminare, Kommunikationstrainings und Coachings, die meine Kollegen von EQ Dynamics und ich durchführen. Und besonders nachdrücklich wird er bisweilen formuliert, wenn wir unseren Teilnehmern oder Klienten empfehlen, Sprache wann immer es geht sehr bewusst und im wahrsten Wortsinn gewählt und vor allem zielgerichtet einzusetzen. Ein solcher Vorschlag von Seiten eines Trainers oder Coaches macht natürlich nur dann Sinn, wenn man davon ausgeht, dass Sprache einen entsprechenden Einfluss auf unser Denken und Verhalten hat und sich die Mühe der gewählten und bedachten Wortwahl dementsprechend auch lohnt.

1.1 Ziel der Untersuchung und methodisches Vorgehen

Das Hauptziel dieser Untersuchung besteht darin, die Frage zu beantworten, ob Sprache einen Einfluss auf unsere Kognitionen, also die Summe unseres Denkens, Beurteilens, Wahrnehmens und Planens sowie auf unsere Lern- und Erinnerungsfähigkeit hat und wenn ja, wie groß dieser Einfluss ist.

Die Beantwortung dieser Frage soll auf zwei Nachweis-Ebenen erfolgen, einer indirekten und einer direkten:

Zum einen soll mittels einer Betrachtung der aktuellen neurobiologischen Forschung die Frage beantwortet werden, wo im Gehirn Sprache, insbesondere ihre inhaltliche Bedeutung, also ihre Semantik, repräsentiert ist. Dieser Teil der Arbeit kann auch als Suche nach dem linguistischen Begriffszentrum verstanden werden. Außerdem soll im Falle seiner Existenz geklärt werden, ob es sich bei diesem um eher begrenzte Areale oder gar ein einziges Areal handelt oder ob die semantische Repräsentation von Sprache größere Teile des Gehirns beansprucht. Ersteres würde für einen eher geringen Einfluss von Sprache sprechen, Letzteres für einen größeren. Dementsprechend wäre dies ein indirekter Nachweis für die nennenswerte Wirkung von Sprache.

Zum anderen sollen mittels einer Studienrecherche Forschungsergebnisse der Psychologie und der Neurowissenschaften identifiziert werden, die eine Antwort auf die Frage ermöglichen, ob Sprache Auswirkungen auf menschliche Kognitionen hat. Positive Ergebnisse solcher Studien können als direkter Nachweis hierfür gewertet werden.

1.2 Aufbau der Untersuchung

Die Untersuchung beginnt mit einem kurzen historischen Überblick über einen der ältesten Konflikte der Linguistik, der sich an der Frage entzündet, ob sich Sprache arbiträr (willkürlich) gebildet hat oder ob sie ikonisch ist, also ob es einen Zusammenhang zwischen ihrer Struktur und dem gibt, was sie beschreibt.

Im zweiten Teil wird die Suche nach dem semantischen System (dem Begriffszentrum) sowie ihr Ergebnis anhand eines historischen Überblicks über die medizinischen, physiologischen und neurobiologischen Forschungen rund um das sogenannte Sprachzentrum beschrieben.

Im dritten Teil werden in einer kurzen Einführung die beiden Begriffe Priming und Framing geklärt, die im weiteren Verlauf der Arbeit eine wichtige Rolle spielen. Außerdem wird ein Vorschlag zu ihrer konsistenten Verwendung gemacht. Anschließend werden anhand einer Vielzahl von Studien klassische und aktuelle psychologische und neurowissen-schaftliche Befunde beschrieben, welche die Antwort liefern sollen, ob Sprache auf Kognitionen wirkt.

2 Der „Linguistic War“

In den folgenden Abschnitten werden kurz die für die Arbeit wichtigsten Ideen und Erkenntnisse der Linguistik (Sprachwissenschaft) behandelt. Es handelt sich hierbei insbesondere um den Konflikt zwischen den linguistischen Universalisten und den Relativisten, welcher auch als „Linguistic Wars“ oder „Linguistic War“ bezeichnet wird.1

Das Kapitel beschränkt sich mit Fokussierung auf die Hauptfrage dieser Arbeit (Welchen Einfluss hat Sprache auf Denken und Handeln?) hierauf.

2.1 Platons Kratylos – Naturalisten vs. Konventionalisten

Seit der Mensch sich wissenschaftlich mit Sprache über ihre direkte praktische Anwendung hinaus befasst, also auch ihre Entstehung und Wirkung erforscht, stehen zwei unterschiedliche Auffassungen über den Zusammenhang zwischen Denken und Sprache im Raum.

In seinem philosophischen Trialog „Kratylos“ inszeniert der antike Philosoph Platon um 400 v. Chr. ein Streitgespräch, in dem der Philosoph Sokrates zwischen dem Philosophen Kratylos und dessen Freund Hermogenes schlichten soll. Dabei geht Kratylos davon aus, dass Worte eine „natürliche Richtigkeit“ haben, mit anderen Worten, dass ihre Semantik (inhaltliche Bedeutung) ihrem Klang entspricht oder diesen zumindest während ihrer Bildung beeinflusst hat.2 Diese Eigenschaft wurde von dem amerikanischen Semiotiker Charles S. Peirce auch Ikonizität genannt.3 Kratylos ist also ein Vertreter des semantischen Naturalismus.

Hermogenes hingegen, ein Freund des Kratylos, ist der gegenteiligen Auffassung, nämlich dass Worte zufällig gebildet wurden, daher einer willkürlichen Konvention entsprechen und es keinerlei Zusammenhang zwischen Wortklang und Inhalt gäbe.4 Der von ihm vertretene Konventionalismus widerspricht also dem Einfluss des Denkens auf die Sprache.

2.2 Neuzeit 1-Arbitrarität vs. Ikonizität

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