Schmidt, Janne Über uns der Sternenhimmel

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ISBN: 978-3-492-98444-7

© 2018 Piper Verlag GmbH, München

Redaktion: Julia Feldbaum

Covergestaltung: Lucie A. Jules

Covermotiv: luizclas / pexels.com

Datenkonvertierung: abavo GmbH, Buchloe

 

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1. Leah

»Herr Uschi«, flöte ich, als ich mir den Schlüssel in die Hosentasche stecke. Ich bücke mich nach den Blumentöpfen und stoße die Tür dann hinter mir mit der Hüfte zu, weil ich so schwer bepackt bin. »Wo sind Sie denn?«, rufe ich. »Musch, musch, musch, musch, musch.«

Ich stelle die Pflanzen auf die Arbeitsplatte, streiche mir ein paar der vom Radfahren (und der damit verbundenen Anstrengung) verschwitzen Haare aus der Stirn und stemme dann die Hände in die Hüften, während ich mich suchend in der Wohnung umsehe.

»Na, da streunt der feine Herr wohl mal wieder in der Nachbarschaft herum«, stelle ich fest, bücke mich aber trotzdem noch einmal nach der Packung mit dem Katzenfutter und schüttele sie probehalber eine Weile in der Hand. Immer noch nichts. Das ist ja mal wieder typisch.

»Okay«, murmele ich. Man kann es ja mal versuchen. Mit einem Seufzen lasse ich ein bisschen von dem undefinierbaren Zeug in Herrn Uschis Napf rieseln. Als ich die Verpackung fürs Erste auf der Arbeitsplatte zwischenlagere, fallen mir die Erdkrümel, die aus den Blumentöpfen gebröselt sind, auf. Sie bilden einen absolut verräterischen Kontrast zu dem hellen Marmor.

Notiz an mich selbst: Erde wegwischen. Und vielleicht, wenn ich mich so umsehe, auch noch einmal den Eichenholzboden saugen. Oder feudeln. Am besten vorher noch einmal googeln, welches von beidem ratsamer ist.

Aber eins nach dem anderen. Erst einmal die Pflanzen austauschen. In allen Ecken der hellen, modernen Wohnung stehen nämlich Doppelgänger der Exemplare, die ich vorhin im Baumarkt erstanden habe – nur dass in den alten nicht einmal mehr ein winziges Quäntchen Leben schlummert.

Das darf Helen aber nie erfahren. Helen, das ist meine Schwester und außerdem auch – zusammen mit ihrem Vorzeige-Ehemann – die Besitzerin dieser Wohnung. Im Moment ist Helen aber vor allem eins: auf dem Rückflug von ihrem zweiwöchigen Teneriffa-Urlaub mit Timo und in weniger als fünf Stunden wieder hier. Und dann muss alles genau so aussehen, wie sie es verlassen hat. Der Countdown läuft. Dann nämlich wird sie bei unserem Paps ein gutes Wort für mich und meine Fähigkeit, auf eigenen Beinen zu stehen, einlegen, sodass ich zum Semesterbeginn hoffentlich seinen Segen für eine eigene Bleibe habe. Im Moment nämlich scheint meine ganze Familie mich für ziemlich tollpatschig zu halten – zu tollpatschig.

Gut, das mit den Pflanzen war ein herber Rückschlag, aber immerhin habe ich exakt dieselben noch einmal gekauft, von meinem nicht vorhandenen grünen Daumen muss also niemals eine Menschenseele erfahren. Und überhaupt: In meiner zukünftigen Wohnung werden, und das ist auch wirklich das höchste aller Dinge, nur Plastikpflanzen stehen. Ich kriege das hin, ich weiß das. Und im Prinzip ist die Liste, die Helen mir vor ihrer Abreise gegeben hat, wirklich idioten-, um nicht zu sagen, leahsicher. Wirklich. Denn neben millilitergenauen Instruktionen zum Gießen der Pflanzen finden sich auch andere »nützliche« Hinweise – auf die ich von allein natürlich nie gekommen wäre – darauf, wie »nichts gegen die Katze werfen« oder »nicht mit der Katze werfen«. Wie gesagt: leahsicher.

Manchmal glaube ich fast, Helen und Paps haben sich gegen mich verschworen. Sie scheinen in mir immer nur die jüngste Tochter zu sehen, die vor allem beschützt werden muss und bei jedem ihrer Schritte Hilfe braucht. Ich weiß, dass sie es nur gut meinen, aber ich bin nun mehr als bereit, endlich ohne Stützräder Fahrrad zu fahren.

Meine Füße haben es sich in den letzten neunzehn Jahren meines Lebens unter dem schweren Eichenholztisch meiner Eltern gemütlich gemacht. Und nun möchten sie genauso wie ich endlich Freiheit schmecken. Da gibt es nur ein Problem – und das ist leider alles andere als klein. Um mir meinen Traum von einer eigenen Wohnung erfüllen zu können, brauche ich eine kleine Finanzspritze von meinen Eltern. So etwa in Höhe der Miete.

Mein Vater ist Lehrer an einem Gymnasium am Stadtrand, gegen dessen Volleyballteam das meiner alten Schule bei Wettkämpfen seit Jahren zuverlässig gewinnt, meine Mutter arbeitet als Chirurgin. Beide sind sie sehr ehrgeizige Menschen, die von ihren Kindern immer nur das Beste erwarten. Und zu fünfzig Prozent geht die Rechnung auch auf – überflüssig zu erwähnen, dass ich die übrig gebliebene Hälfte ausmache. Und eben weil sie so erfolgreich sind in dem, was sie tun, kann ich mir beispielsweise BAföG, was ein guter Zuschuss und eine unheimliche Erleichterung wäre, abschminken.

Ich topfe das Grünzeug um und schnappe mir einen Müllsack aus der Schublade neben dem Putzmittelschrank, in den ich die vertrockneten Pflanzen stopfe. Das wird nachher ganz schön schwer werden – ich schwitze jetzt schon wieder, wenn ich daran denke, dass ich den gleich auf meinem Fahrrad bis zum nächsten Supermarkt schaffen muss. Das wird ein Spaß. Noch flauer wird mir allerdings, wenn ich daran denke, dass ich dort dann auch noch genötigt sein werde, so etwas wie Hausfriedensbruch zu begehen, um den Sack in den dortigen Müllcontainer stopfen zu können. Ich mache normalerweise nichts Verbotenes. Gar nichts. Nicht mal ein bisschen.

Abschreiben in der Schule? Auf Partys mal an einem Joint ziehen, nur einmal, ein einziges Mal, um es auszuprobieren? Blaumachen? Schnaps an der Tanke klauen? Oder den überhaupt trinken? Fehlanzeige.

Ich, Leah Braumann, neunzehn Jahre alt, habe eine Weste, die so blütenweiß ist, dass man sofort heftig blinzeln muss, wenn man sie sieht. Ich bin die Mutter Teresa unter den Jugendlichen, der Spießer des Jahres. Baldige Bausparvertragsbesitzerin und heiße Anwärterin auf einen Beamtenposten – zumindest wenn es nach meinem Vater geht. Etwas muss bloß verboten klingen, dann bin ich die Erste, die die Beine in die Hand nimmt und die Straßenseite wechselt. Blöd nur, dass ich ein Händchen dafür habe, Situationen, die mich an den Rand eines Kollaps bringen, anzuziehen. So wie diese hier.

Meine Eltern, vor allem aber mein Paps, können manchmal ziemlich streng sein. Sie meinen es nur gut mit ihrer Fürsorge, aber nicht selten fühle ich mich davon ziemlich erdrückt. Als ob mein Paps in mir immer noch das kleine Mädchen sieht, dass seine Hand festhält, um über die Straße zu gehen.

Mit Helens Auszug hat sich das Ganze verschlimmert – er hat immer viel gearbeitet, und ich glaube, jetzt ist er einfach überrascht, dass wir doch so schnell erwachsen geworden sind. Und ihn dabei nicht mehr vor jedem Schritt um Rat fragen. Ich verstehe, dass er noch nicht loslassen will – aber das muss er ja auch gar nicht. Nur weil ich etwas Eigenes möchte, bin ich schließlich nicht weniger seine Tochter.

Aber es ist ja auch gar kein richtiger Hausfriedensbruch, rede ich mir selbst gut zu, als mein Blick wieder auf den Müllsack fällt. Ich werde ja nicht einmal das Gebäude betreten. Bloß den Hinterhof. Ich habe das alles immerhin gut durchdacht. Als ich gemerkt habe, dass mir die Pflanzen hier alle mit erschreckender Geschwindigkeit das Zeitliche segnen – wie, bitte schön, ist es überhaupt möglich, dass das so schnell geht? –, habe ich angefangen, Panik zu schieben. Was soll Helen denn denken, wenn all ihre Orchideen, Bonsais und Yucca-Palmen nach ihrer Rückkehr nichts weiter als Kompost auf dem besten Weg zu Humus wären? Um das Risiko für ein erneutes Massensterben zu minimieren, habe ich das Ersetzen der Pflanzen bis auf den letzten Tag aufgeschoben. Allerdings hätte all das nicht viel gebracht, wenn Helen dann beim Müll-Rausbringen ein paar Tage später plötzlich ein paar tote Azaleen in der Tonne gefunden hätte. Bei uns zu Hause dasselbe im wortwörtlichem Grün. Oder wohl eher Kompostbraun … Ich runzele die Stirn. Das hätte alles nur unnötige Fragen aufgeworfen, auf die ich keine guten Antworten gehabt hätte. Auf die Idee mit dem Müllcontainer beim Supermarkt hat mich dann meine beste Freundin Dana gebracht.

Ich stelle den Müllsack erst einmal in eine Ecke und mache mich daran, die Erde von all den Oberflächen im Haus, auf die sie bei meiner Aktion gerieselt ist, zu wischen. Ich habe keine Ahnung, wie Helen sich hier wohlfühlen kann. Das hier ist diese typische Vorstadtidylle, wie man sie auch bei uns zu Hause findet, bloß fünfzehn Minuten mit dem Fahrrad von unserem Elternhaus entfernt. Und das ist ja schön und gut, aber Helen ist erst dreiundzwanzig, ihr Mann drei Jahre älter. Sollte man in dem Alter nicht irgendwie … verrückter sein? Stattdessen wohnt sie in einem artigen Reihenhaus, ist verheiratet, hat einen Kater und einen Job, für den sie Kleidung tragen muss, die selbst für meinen Geschmack zu bieder ist. Manchmal habe ich das Gefühl, dass Helen sich nie daran gestört hat, die Spießigkeitsgene unserer Eltern geerbt zu haben. Sie hat schon immer den Eindruck gemacht, als wüsste sie, wer sie ist und müsste nicht – im Gegensatz zu mir – erst nach sich selbst suchen. Das Problem liegt bei mir allerdings viel tiefer als beim Eingesperrtsein. Vielmehr ist es die Angst davor auszubrechen, die mich zu der Leah macht, die ich bin.

Ich seufze einmal tief und schaue mich in der Wohnung um – das sieht doch alles gar nicht so schlecht aus. Das Einzige, was jetzt noch stört, ist der Boden. Gerade will ich mein Handy aus der Hosentasche ziehen, um zu googeln, wie man damit jetzt verfahren muss, da klingelt es an der Haustür.

Ich ziehe die Augenbrauen zusammen. Wie merkwürdig: Wer will denn jetzt etwas von meiner Schwester oder ihrem Freund? Wohl wissend, dass sie noch für die nächsten – ich werfe einen raschen Blick auf meine Uhr – viereinhalb Stunden nicht zu Hause sein werden. Aber wahrscheinlich ist das die Post. Da hat Helen aber Glück gehabt, dass ich gerade da bin, um ihr Paket entgegenzunehmen.

Auf dem Weg zur Tür frage ich mich noch, was sie sich wohl bestellt hat; wahrscheinlich sind es eh nur wieder ein paar langweilige Büroschuhe oder eine biedere Bluse. Weil ich kein Freund von unnötigen Wegen bin, stemme ich mit einem tiefen Stöhnen den Müllsack hoch, schleife ihn hinter mir her bis zur Tür und klemme ihn dann zwischen meine Beine, damit er nicht auch noch umkippt und das Areal, was ich feudeln, fegen oder saugen muss – ich darf wirklich nicht vergessen, das nachzusehen –, um ein paar Quadratmeter erweitert.

Ich fahre mir noch einmal durch meine vom Radfahren unordentlichen kastanienroten Locken und öffne dann die Tür.

»Guten Ta-«, setze ich an, aber die Person, die noch halb hinter der blickdichten Haustür steht, ist definitiv nicht der Postbote. Ganz eindeutig. Und ich? Ich kann mich nicht dem Drang widersetzen, den Kerl, der da steht, anzustarren. Es ist, als würden meine Augen in diesem speziellen Moment auf einmal beschließen, dass es an der Zeit ist, eine Revolte gegen mich durchzuführen. Und zwar nicht einmal kurz, sodass der Typ, der nicht der Postbote ist, vielleicht noch denken könnte, dass er sich das eingebildet hat. Nein, ich sauge seine Erscheinung quasi in mich auf. Etwas, was ich normalerweise nie tue. Und erst recht nicht bei Typen, die so unverschämt gut aussehen wie er. Da werde ich dann meistens bloß rot und sehe betreten zur Seite. Aber bei ihm ist es anders, bin ich anders.

Er sieht so gut aus, dass er so was von nicht in meiner Liga spielt. Jenseits von allem schwebt er unerreichbar für mich in irgendwelchen Sphären, die ich mir nur erträumen kann. Und eben weil das so ist, weil ich nichts verlieren kann, nehme ich mir die Zeit, ihn ausgiebig und unverschämt zu mustern. Ich meine, wann hat man schon einmal die Chance, jemand wie ihn in echt zu sehen, hautnah und keine vierzig Zentimeter entfernt? Niemals! Eben – also ergreift man sie, wenn man sie doch mal hat. Das ist doch nur vernünftig.

Oder auch nicht, und diese Azalee, die Helen da auf dem Fenstersims stehen hatte, war in Wirklichkeit Cannabis, der es jetzt irgendwie geschafft hat, mich high zu machen, sodass mir jetzt eh alles egal ist.

Der Typ, der ganz offensichtlich nicht der Postbote ist, trägt braune Stiefel, in die er eine dunkelblaue Jeans gesteckt hat, die frei von jeglicher Waschung ist und wirklich unverschämt tief auf seiner Hüfte sitzt. Ehrlich, es sollte verboten sein, so rumzulaufen. Darüber trägt er ein graues T-Shirt, von dem ich leider nicht wirklich viel sehe, da es größtenteils von einer braunen Lederjacke bedeckt ist. Allerdings keine von denen, die die beliebten Jungs auf meiner alten Schule zusammen mit ihrer Bad-Boy-Attitüde, ihren halb aufgerauchten Zigarettenstummeln und ihren nigelnagelneuen Nike Air Max zur Schau gestellt haben. Seine ist braun und an den Ärmeln aufgescheuert. Weil wir uns so nahe sind, komme ich nicht umhin zu registrieren, dass das Material vermutlich so oft getragen wurde, dass es schon ganz weich sein muss, fast wie eine zweite Haut. Außerdem sitzt sie wahnsinnig gut um seine breiten Schultern, betont seinen bemerkenswerten Körper.

Diesen bemerkenswerten Körper, den die brütende Hitze offenbar im wahrsten Sinne des Wortes kalt zu lassen scheint – würde ich so rumlaufen wie er, dann wäre ich schon längst eingegangen vor Wärme.

Und dann ist da sein Gesicht. Sein Gesicht, was ich wohl am längsten betrachte, einfach, weil ich nicht anders kann. Da sind seine aschbraunen Haare, die irgendwie ungestüm aussehen und, aus der Art zu schließen, wie sie ihm in die Stirn fallen, schon viel zu lange keine Schere mehr aus der Nähe gesehen haben. Und wenn, dann keine, die von einer professionellen Hand geführt wurde. Dann dieses Kinn, das kantig ist, aber genau in der richtigen Dosierung, nicht so sehr, dass man sich daran schneiden könnte. Seine Nase – ein wenig schief, als wäre sie schon einmal gebrochen worden.

Und das ist eigentlich der Moment, in dem ich die Tür wieder zuschlagen sollte. Denn seien wir mal ehrlich: So eine gebrochene Nase kommt nicht von ungefähr. Da kann er noch so gut aussehen. Aber ich kann nicht anders – ich muss erst seine Augen prüfen.

Und die sind es, die mir letztlich restlos die Sprache verschlagen und meinen Kiefer dazu bringen, peinlich der Macht der Schwerkraft unterworfen zu werden. Ohne Witz: Er klappt einfach auf. Mir. Der so etwas nie, nie und verdammt noch einmal niemals passiert. Und ich hätte nicht gedacht, dass sich daran jemals etwas ändern würde.

Aber seine Augen, oh mein Gott, seine Augen. Sie sind von so einem dunklen Sommergewittergrau, dass ich den Regen schon in meinen Ohren höre und spüre, wie er erst auf meine Schultern tröpfelt, dann bald schon fast gewaltsam darauf niederprasselt, um dort die laue Wärme des Tages zu vertreiben. Gleichzeitig sind sie wie verschleiert – als würde ein Sturm in ihnen so heftig wüten, dass man nicht über den starken Regen hinaussehen kann. Ich muss mich unweigerlich fragen, wie es wohl wäre, wenn sich die düsteren Gewitterwolken dahinter verziehen würden – und was es ist, das sich hinter ihnen verbirgt.

Im gleichen Moment werde ich furchtbar rot. Und ich hasse es, rot zu werden, weil sich diese verräterische Röte so hässlich mit meinen Haaren beißt und noch dazu niemals gleichmäßig auftritt, sondern immer fleckig. Bis hinunter auf meinen Hals und mein Dekolleté, das, wie mir jetzt auffällt, in dem leichten weißen Sommertop, das ich heute trage, vielleicht ein bisschen zu sehr zur Geltung kommt. Zumindest dem Blick nach zu urteilen, den der Nicht-Postbote, der wohl der Spur der Röte gefolgt ist, nun daraufwirft. Nur, um ihn dann ganz schnell wieder abzuwenden.

Macht er das, weil ich in ertappt habe? Stattdessen wandern seine Augen hinter mich. Ich schaue über meine Schulter und bemerke die Tüte mit Katzenfutter auf der Spüle. Die muss ich unbedingt noch wegstellen. Als ich mich ihm wieder zuwende, sehe ich, dass sich in seinen Augen irgendetwas verschleiert hat. Fast so, als würde etwas darin zerbrechen. Außerdem wird er auf einmal unheimlich blass.

»Deine Katze!«, setzt er auf einmal an, und seine Stimme jagt mir einen Schauer über den Rücken.

Ich glaube, »deine Katze« sind meine neuen Lieblingswörter. Ab heute gibt es für mich nichts, das mehr sexy klingt. Wobei er mir auch die Zahl Pi hätte vorlesen können – ich wäre hin- und weg gewesen. Eigentlich keine schlechte Idee: Ich könnte ihn jetzt einfach ins Haus ziehen, quasi kidnappen, besser, man-nappen oder postman-nappen, aber nur ein bisschen, und ihn hier für immer zusammen mit mir beschäftigen.

Dann nimmt die Blässe, die seine eigentlich spätsommerbraune Haut angenommen hat, allerdings einen wirklich ungesunden Helligkeitsgrad an, und er sieht mich erschrocken und mit geweiteten Augen an, als er mir zwischen die Beine greift, mit einem Ruck an dem Müllsack, der immer noch dazwischenklemmt, zieht und ihn auf einmal an sich reißt, als wäre er so etwas wie seine letzte Rettung.

Wie nahe meine Vermutung tatsächlich an der Realität ist, beweist er mir keine Sekunde später, als er den Sack, ohne zu zögern, aufreißt und … sich darin erbricht?

Und ich?

Beobachte das Ganze mit immer noch offenem Mund und wie versteinert.

2. Henry

Die meisten Geschichten, die ich kenne, beginnen mit einem klingelnden Wecker. Meine hingegen beginnt mit dem Ausbleiben des angesprochenen furchtbar nervtötenden Geräusches.

Das Ganze muss natürlich genau an dem Tag passieren, an dem das verhasste BiepBiepBiepBiepBiep eigentlich ganz nützlich gewesen wäre. Mehr als nützlich. Eigentlich schon beinahe lebensnotwendig. Ach, was sage ich. Nicht beinahe, sondern ziemlich sicher sogar. Existenzrettend. Oder aufbauend. Oder, wie auch immer … ich brauche Kaffee. Ohne den funktioniere ich morgens nicht, gar nicht, nicht mal ein winziges Quäntchen. Das kann jeder, der mich einigermaßen gut kennt, bestätigen. Unter Eid. Diese Tatsache wird mich allerdings auch nicht retten, schätze ich. Schade.

Mein Hirn braucht nun einmal Koffein, um wach zu werden. Pech gehabt, und zu allem Überfluss ziehe ich heute, ausgerechnet heute, so ziemlich alle roten Ampeln geradezu magisch an.

Im Ernst. Wenn ich fünf Euro für jede rote Ampel, die sich mir heute in den Weg stellt, bekommen würde, wäre ich längst Millionär. Zumindest gefühlt. Das ist wohl der berühmte Unterschied zwischen Theorie und Praxis.

Irgendwo in meinen Ohren klingelt die Stimme meines alten Philosophielehrers, der etwas von Murphys Gesetz erzählt, und ich hoffe aus tiefster Seele, dass er damit heute unrecht hat. Das Problem dabei ist bloß, dass Herr Braumann sehr selten Dinge gesagt hat, die sich über kurz oder lang nicht bewahrheitet haben: Henry, wenn du nicht bald etwas änderst, dann versaust du dir dein Leben. Du hast die falschen Freunde, die falsche Einstellung, keine Disziplin und reißt auch noch jeden mit hinein, der sich dir auf fünfhundert Meter nähert. Wach auf!

Aufgewacht bin ich in meiner Schulzeit jeden Morgen – meist mit geröteten und lichtempfindlichen Augen – von den Strapazen und der Anstrengung des spätabendlichen Trainings vom Vortag, dem ein oder anderen Veilchen und einem leichten, aber angenehmen Muskelkater. Also ganz anders, als der gute Herr Braumann sich das wohl vorgestellt hat. Und er sollte recht behalten mit seinen Worten, die sich mit der Zeit so sehr in meinem Verstand verankert haben, dass sie fast zu einem traurigen Lebensmotto für mich geworden sind. Ich hatte nicht die falschen Freunde, aber meine Freunde ein gutes Händchen für schlechte Ideen und ich diese irrsinnige Loyalität ihnen gegenüber – sie waren doch meine Familie. Sie sind doch meine Familie – die einzige, die ich jetzt noch habe, wie ich nicht ohne eine tiefe innere Lähmung zugeben kann. Und dabei sind sie es doch, die einen nicht unwesentlichen Anteil daran tragen, dass irgendwann alles den Bach runtergegangen ist. Auch damit, dass ich jeden mit hineinreiße, sollte er recht behalten. Auf die schlimmste Art und Weise.

Nervös zappele ich mit meinen Fingern auf dem angstschweißnassen Lenkrad herum und beuge mich ein wenig zurück, sodass mir im Rückspiegel prompt meine eigenen jetlaggebeutelten Augen aus dem angespannten Gesicht entgegenblicken. Meine Haare sind ein einziges Chaos und könnten mal wieder einen Schnitt gebrauchen. Statt ordentlich zurückgekämmt, fallen sie mir in störrischen, dicken Strähnen in die Augen. Alles andere als vorzeigbar, aber die Zeit ist leider ein sehr mächtiger Gegenspieler, und es blieb mir keine mehr, um etwas annehmbarer auszusehen. Es muss so gehen.

Schweiß rinnt mir in die Stirn, die Klimaanlage in meinem Auto hat ihren Geist schon lange vor dem Tag aufgegeben, an dem ich meinen Führerschein gemacht habe, und wegen der brütend heißen Sommerhitze kommt der Innenraum nun gerade einer Sauna gleich, obwohl ich alle Fenster heruntergefahren habe. Wahrscheinlich bin ich selbst aber auch nicht ganz unschuldig daran, dass ich den baldigen Hitzetod sterbe – die schweren Stiefel, die lange Hose und die Lederjacke (auch, wenn ich darunter nur ein T-Shirt trage) tun ihr Übriges. Ich dachte eigentlich, das letzte Jahr in Australien hätte mich wärmetechnisch abgehärtet – aber offensichtlich haben etwa zwanzig Stunden klimatisierter Flug alles zunichtegemacht.

Ein weiterer Blick auf meine Armbanduhr bestätigt mir, was mein nervöser Herzschlag mir schon in den letzten Minuten zu sagen versucht hat: Falls nicht gleich ein Wunder geschieht, das dafür sorgt, dass ich um Punkt zehn Uhr bei »Ottos Kaffee- und Kuchenhaus« bin, dann bin ich so was von am Arsch. Wer hätte gedacht, dass ich jemals in meinem Leben einen Job als Barista annehmen würde? Ich auf jeden Fall nicht. Aber die älteste Schwester von meinem besten Freund Daniel kennt den Sohn des Besitzers – der nicht Otto heißt, sondern Bernd Brühning, wie mir Daniel immer wieder eingeschärft hat – und hat dafür gesorgt, dass der ein gutes Wort für mich einlegt. Und dafür bin ich ihnen allen wahrscheinlich die nächsten zwanzig Jahre zu Dank verpflichtet.

Es ist schwer genug für so einen Rumtreiber wie mich, überhaupt irgendwo eine Anstellung zu finden. In einer Studentenstadt, in der sich alle um solche Jobs reißen, hat man eben nicht so gute Karten, wenn man fast das Abi nicht geschafft hätte und genau dann anreist, wenn alle gerade mit ihrem Studium beginnen. Meine Schwester würde jetzt sagen, dass man immer Arbeit findet, wenn man bereit ist, etwas dafür zu tun, aber dummerweise bin ich ein bisschen spät zurückgekommen, und so muss ich mich, bis ich nächstes Jahr hoffentlich eine Ausbildung anfangen kann, erst einmal mit Nebenjobs durchschlagen.

Ein lautes Hupen vom Hintermann erinnert mich daran, den Blick von der Uhr und zurück auf die Straße zu lenken. Die Ampel, an der ich stehe, ist mittlerweile grün. Und wer weiß, wie lange schon. Entschuldigend hebe ich die Hand, während ich alles an Beschleunigung aus dem Fox heraushole, was seine 54 PS hergeben. Dass das nicht genug ist, wird mir spätestens dann klar, als die nächste Ampel vor meinen Augen rot wird.

»Neiiin«, fluche ich gedehnt und ramme meine Stirn so fest gegen das Lenkrad, dass ein klägliches Hupen ertönt. Das kann doch alles nicht wahr sein. Ich kann es mir nicht erlauben, zu spät zum Vorstellungsgespräch zu kommen. Ich möchte so schnell wie möglich Geld verdienen, schließlich kann ich meinen Mitbewohner und besten Freund Daniel nicht allein auf der Miete sitzen lassen. Und dafür kommt mir dieser Job – und die überaus attraktive Bezahlung – mehr als gelegen.

Kurz entschlossen reiße ich an der nächsten Kreuzung das Lenkrad nach rechts und biege in eine Seitenstraße ein. In diesem Teil der Stadt kenne ich mich nicht so gut aus. Hier befinden sich die artigen Reihenhäuser und Eigentumswohnungen und ein paar Straßen weiter dann die Einfamilienhäuser mit Buchsbaumhecke im Vorgarten. Daniel, die anderen und ich waren hier früher ein paarmal. Wenn wir nachts um die Häuser gezogen sind, sind wir irgendwann, wenn man schon die ersten Sonnenstrahlen gegen den letzten Rest Nacht hat kämpfen sehen können, hier gestrandet. Meistens immer noch aufgekratzt von den letzten Stunden, voll mit überschüssiger Energie – und das ein oder andere Mal auch mit jeder Menge Restalkohol im Blut, wenn wir ein besonders erfolgreiches Training gefeiert haben. Dem ist es jetzt auch zu verdanken, dass meine Erinnerung ziemlich schwammig ist. Während ich auf gut Glück in die nächste Straße einbiege, sehe ich vor meinem inneren Auge Daniel mit einer Heckenschere auf adrette Buchsbäume losgehen und mich selbst, wie ich probiere, mit meinem Urinstrahl in einen Terrakotta-Blumenkübel zu treffen. Was schwieriger ist, als es klingt, wenn es einem sowieso schon schwerfällt, das Gleichgewicht zu halten. Aber das ist der Henry von früher, so bin ich nicht mehr, und so werde ich auch nicht mehr werden. Damit habe ich abgeschlossen.

Schwungvoll biege ich um die nächste Ecke und drücke das Gaspedal durch, obwohl wir hier in einer Dreißigerzone sind. Und dann höre ich es. Als Erstes ist da das Geräusch, dann das Gefühl. Dieses richtig widerwärtige, markerschütternde, tränentreibende Gefühl, wenn man über etwas Weiches fährt. Und dann das Geräusch. Auf der einen Seite dumpf, auf der anderen so ekelig satt, dass es mir selbst dann noch durch den Kopf klingelt, als ich Bremse und Kupplung gewaltsam durchdrücke, um die Gefahrenbremsung durchzuführen, für die es jetzt eh vermutlich zu spät ist.

Denn, das spüre ich, auch wenn ich nichts Dramatisches sehe, auch wenn die Wohnsiedlung weiterhin friedlich vor mir liegt, als wäre nichts passiert: Das, was da unter meinem Auto liegt, kann nicht mehr lebendig sein, war es aber ganz sicher vor wenigen Sekunden noch.

Mit zitternden Fingern schalte ich das Warnblinklicht an, bevor ich meine wackelpuddingweichen Knie aus dem Wagen schwinge. Und da, tatsächlich, hinter dem linken Vorderrad, da sehe ich es. Es, dieses kleine, matschige Etwas mit dem rot gescheckten Fell, wobei ich mir nicht mehr ganz sicher bin, ob das Blut ist oder tatsächlich die Fellfarbe. Es sieht aus wie in einem Horrorfilm, als hätte man es aufgepumpt, und dann wäre es geplatzt. Oder als hätte man es überfahren. Als mir klar wird, dass das stimmt, wird mir schlecht. Ich schließe einen Moment die Augen, aber dann nehme ich einen tiefen Atemzug, halte dann die Luft an und gehe etwas näher an das Tier heran.

Vielleicht schlummert da ja noch Leben in dem kleinen zertrümmerten Körper. Es muss einfach. Es kann nicht sein, dass die Kollision von Fox und Stubentiger so ein Ende nimmt. Bitte. Aber aus der zerrissenen Haut stechen die Knochensplitter heraus wie Zwiebeln aus einem Mettigel – bei dem Gedanken kommt mir mein spärliches Frühstück hoch. Ich glaube, ich kann nie wieder genussvoll in ein Zwiebelmettbrötchen beißen.

Das Vorstellungsgespräch wird auf einmal vollkommen irrelevant. Ich lasse niemand zurück. Nie. Am liebsten würde ich allerdings wieder in mein Auto steigen, den Rückwärtsgang einlegen und die Zeit irgendwie zurückdrehen. Aber ich kann nicht. Mein Fox ist kein DeLorean und ich bin nicht Marty McFly.

Ich schlucke die bittere Galle, die von meinem Magen aus über meine Speiseröhre hochwandert und mir den Brustkorb ganz eng macht, herunter und fahre mir mit den Händen übers Gesicht.

Einatmen, ausatmen. Ich steige wieder ins Auto, drehe fahrig ein paarmal den Schlüssel und parke den Fox dann nach einigen misslungenen Startversuchen ein paar Meter weiter am Straßenrand. Wäre das meine Katze, dann würde ich wissen wollen, dass sie tot ist. Ich begehe hier keine Fahrerflucht. So weit kann sie ja nicht von ihrem Zuhause entfernt rumgestreunt sein, denke ich.

 

Eine Viertelstunde und acht verwirrte Anwohner später bin ich mir da allerdings nicht mehr so sicher. Ich blicke die Straße hinunter, wo ich den zertrümmerten Katzenkörper anklagend liegen sehe, bevor ich schließlich die nächste Klingel betätige. Mein Blick ist von dieser Odyssee an Hausbesuchen mittlerweile so verschwommen, dass ich schon gar nicht mehr darauf achte, mit wem ich es hier bald zu tun bekomme. Mir ist mittlerweile alles egal.

Innen rumpelt es. Dann höre ich leise Schritte, gepaart mit einem Schleifen – was zur Hölle ist das? – näher kommen. Dann öffnet sich die Tür. Vor mir steht ein Mädchen, das ungefähr in meinem Alter sein muss, etwas jünger vielleicht. Vielleicht auch viel jünger. Ich kann das nicht genau festmachen, denn auf der einen Seite ist sie fast so groß wie ich – also etwa 1,80 – auf der anderen Seite sieht sie ziemlich jung aus, wie sie die rostroten Haare aus dem Gesicht gebunden hat. Die Wangen sind leicht gerötet und die Augen, die fast schon zu groß für ihr Gesicht scheinen, aufmerksam geöffnet.

Sie ist hübsch, aber daran kann ich jetzt nicht denken. Trotzdem machen meine Augen eine kleine Erkundungstour, ich kann nicht anders. Warum muss sie auch diese losen, kurzen Shorts, die mehr nach Schlafanzug als nach wirklicher Kleidung aussehen, und dann auch noch diesen Stofffetzen von einem Oberteil anziehen?

Einen Moment lang frage ich mich, ob ich vielleicht bei dem Unfall doch mehr abbekommen habe, als ich zunächst angenommen habe, und das hier nur ein seltsamer Traum ist. Nach einem weiteren kurzen Blick auf ihre Beine – warum zur Hölle klemmt dazwischen so ein großer, ausgebeulter Müllsack? – sehe ich peinlich berührt wieder auf ihr Gesicht. Nur um festzustellen, dass sie mich genauso mustert. Komischerweise macht mich ihr prüfender Blick nervös. Ich will, dass sie mich mindestens genauso anziehend findet wie ich sie, obwohl ich mir darüber sonst nie Gedanken gemacht habe. Das habe ich, so arrogant das auch klingen mag, immer vorausgesetzt. Ich weiß, dass ich nicht schlecht aussehe und das mein Lächeln, wenn ich es denn aufsetze, in der Regel erwidert wird.

Aber als ich dem durchdringenden Blick und der Wärme ihrer großen Augen begegne, fallen all diese Gedanken in sich zusammen. Sie sieht fast schon unschuldig aus, trotz des Outfits, und damit ist sie für mich absolut tabu. So, wie sie mich ansieht, gibt es keinen Zweifel daran, dass sie eines von diesen Mädchen ist, die mehr wollen als irgendetwas Unverbindliches. Sie ist eine von denen, die man auf Dates einlädt, denen man Blumen zum Geburtstag schenkt und mit denen man nach dem Sex kuschelt, anstatt sich zu verpissen.

Und das sind nun einmal die Mädchen, von denen sich Typen wie ich meilenweit fernhalten sollten. Die guten Mädchen. Die, die etwas besseres verdienen als die bösen Jungs.

Mein Blick wandert an ihrem Gesicht vorbei, wird quasi magisch von einer Theke angezogen, auf der, wie, um mich zu verspotten, eine Packung Katzenfutter steht. Und das ist der Moment, in dem ich es einfach weiß. Ich weiß, dass dieses Futter nicht für irgendeine Katze ist, sondern für die, deren Leben ich ausgehaucht habe. Ich habe das Gefühl, dass jedes Blut aus meinem Körper weicht, und sehe kleine schwarze Punkte am Rande meines Blickfeldes tanzen. Scheiße. Aber irgendwo musste sie gelebt haben. Ich habe bloß gedacht, dass es leichter wäre.

»Deine Katze«, bringe ich schließlich mühsam heraus und habe das Gefühl, als würde es mir gleichzeitig den Boden unter den Füßen wegreißen, dabei habe ich nicht einmal das Recht dazu, so zu empfinden. Das hat nur sie. Aber noch hat sich das Verstehen nicht in ihre Augen geschlichen, stattdessen liegt darin so ein träumerischer Ausdruck, den ich nicht deuten kann, und, heilige Scheiße, die schwarzen Punkte in meinem Blickfeld verdichten sich, und ich glaube, mein Magen schafft es keine Sekunde länger, das spärliche Frühstück, das ich heute hatte, noch in meinem Körper zu halten.

Hektisch greife ich nach dem Müllsack, ziehe ihn zwischen ihren Beinen hervor, was einiges an Kraft braucht, weil sie ihn offenbar wie ein Schraubstock umschließt, reiße ihn auseinander und kotze mir die Seele aus dem Leib.

Als ich fertig bin, wische ich mir mit dem Handrücken über den Mund und versuche, den widerwärtigen Gallegeschmack, der jetzt an meiner Zunge haftet, loszuwerden.

»Äh«, sage ich. »Sorry. Ich hoffe, das war nichts Wichtiges.«

Ich habe das Gefühl, dass unsere Blicke zeitgleich auf den Müllsack darten. Sie schüttelt nur den Kopf und schaut mich aus diesen großen Alienaugen an. Sie sind bernsteinfarben und von dicken, dunklen Wimpern umrandet. Es bricht mir das Herz, dass ich ihres gleich häckseln werde.

»Ich glaube«, setze ich an und gerate dann ins Stocken. Wie erklärt man so etwas? Ich blicke auf meine Hände. Fast erwarte ich, dass ich Blut daran herablaufen sehe, und ich ringe damit halbherzig in der Luft – nach einer Eingebung, einer Idee oder zumindest doch nach Worten. »Deine Katze«, wiederhole ich wieder. »Ich hab sie nicht gesehen. Sie … Scheiße, es tut mir so leid.«

»Was tut dir leid?«, fragt sie, und in diesem Moment hasse ich sie aus zwei Gründen. Erstens, weil sie mich zwingt, das auszusprechen, was ich eigentlich um jeden Preis vermeiden will. Und zweitens, weil ihre Stimme unwahrscheinlich anziehend klingt, ein bisschen hoch, sanft, lieb … Ich will niemandem das Herz brechen, der so klingt, als wäre das Grausamste, was er jemals gesehen hat, »König der Löwen«.

»Ich habe deine Katze überfahren.« Ich schließe die Augen, jetzt ist es raus.

»Herrn – Herrn Uschi?«, fragt sie plötzlich, und ihr bleibt der Mund offen stehen.

Jetzt, wo die Katze einen Namen hat und mir der Geruch meines eigenen Erbrochenen so beißend in die Nase steigt, habe ich das Gefühl, gleich noch einmal kotzen zu müssen.

»Du hast Herrn Uschi überfahren?«, fragt sie jetzt, und langsam schleicht sich das Realisieren in ihre Stimme. In ihren Augen liegt Unglauben, und sie rauft sich hektisch diese rostfarbenen Haare, zerstört auch noch den letzten Rest Zopf, den man darin noch mit Mühe hätte erkennen können. »Ist das dein verdammter Er-«, setzt sie an, unterbricht sich dann aber entschlossen selbst. »Nein. Du veräppelst mich doch?«

»Leider nein«, gebe ich zu. Was soll ich denn auch sagen. Plötzlich spüre ich, wie mir ihre kleinen Fäuste gegen die Brust schlagen. Der Müllsack verrutscht, und ich greife geistesgegenwärtig noch schnell danach, bevor sich der Inhalt über unsere Füße ergießt.

»Was fällt dir eigentlich ein?«, schreit sie mich an und weicht dann ein paar Schritte zurück. »Nein, nein, nein«, sagt sie. »Tut mir leid. Also nein – aber doch. Scheibenhonig, was machen wir denn jetzt?«

»Wir?«, will ich gerade fragen, stattdessen ziehe ich nur die Augenbrauen hoch und unterdrücke das in dieser Situation mehr als unangebrachte Grinsen. »Scheibenhonig?«

»Das kommt jetzt absolut ungelegen!«, pflaumt sie mich an, klingt aber gar nicht mal wirklich traurig, sondern einfach nur entrüstet. »Das kann doch nicht wahr sein«, murmelt sie vor sich hin, »ausgerechnet jetzt! Zwei Wochen! Zwei Wochen geht alles mehr oder weniger gut. Okay, ja, die Pflanzen. Und okay, ja, der Boden. Aber das kann ich kitten. Das ist machbar. Aber wie, du katzenmordender Nicht-Postbote, wie soll ich jetzt in weniger als fünf Stunden einen neuen Kater auftreiben?«

Ich habe so absolut gar keine Ahnung, was sie mir hier sagen will. Verstehe nur Bahnhof. Was haben dieser Kater mit Pflanzen und ich mit der Deutschen Post zu tun? Das ist mir wirklich schleierhaft. Ich bin so verwirrt, dass sogar meine Hände nicht mehr ganz so stark zittern wie noch am Anfang.

»Du«, sagt sie und sieht mich plötzlich aus zusammengekniffenen Augen an, geht ein paar Schritte auf mich zu und bohrt mir ihren Finger in die Brust, bis es fast schon beginnt wehzutun. »Du musst mir sofort einen neuen Kater organisieren!«

Ich schätze, das Vorstellungsgespräch kann ich endgültig knicken.

3. Leah

Henry muss mich für total bescheuert halten. Und das absolut zu Recht – so ungern ich das auch zugebe. Als er aber vor Helens Haustür stand wie ein junger Gott, der anstelle eines DHL-Pakets schlechte Neuigkeiten überbrachte, da war ich einfach nicht mehr zu rationalem Denken fähig. Ich war so durch den Wind – so kurz vor dem Ziel, so kurz vor Paps Zuschuss zur Wohnung meiner Träume, gedanklich schon auf eigenen Beinen stehend –, und dann bin ich umgeknickt. Und das hat mich verdammt wütend gemacht. Ich hasse es, auf den letzten Metern schlappzumachen. Ich meine, wie hätte ich es Helen denn beibringen sollen, dass Herr Uschi das Zeitliche gesegnet hat? Timo und sie wären doch am Boden zerstört gewesen.

Gut für mich, dass Henry da war, mit seinem Auto am anderen Ende der Straße und diesen immensen Schuldgefühlen, die dafür gesorgt haben, dass er so ziemlich zu allem bereit war.

Und so sitze ich jetzt in einem alten VW Fox, der nach etwas, was mich an Mottenkugeln erinnert, Lufterfrischer und Tabak riecht, obwohl alle Fenster heruntergekurbelt sind, und durchforste die Kleinanzeigen auf E-Bay nach Katzendealern in der Nähe.

»Was hältst du von dem hier?«, frage ich und schiebe Henry mein Handy mit dem verpixelten Amateurkatzenfoto unter die Nase. »Meinst du, der sieht aus wie Herr Uschi?«

»Ich vertraue da auf dein Urteilsvermögen.«

»Ja, aber meinst du, dass das auffällt? Ich finde, das Tier hier hat ein bisschen giftigere Augen?«

Jetzt dreht Henry mir den Kopf zu und sieht mich fest an. Er spielt die ganze Zeit mit dem Autoschlüssel in seinen Händen, bereit loszufahren, sobald ich ihm ein Ziel sage – ich glaube, er will das hier schnell hinter sich bringen. Das Klacken von Metall auf Metall ist das einzige Geräusch, was sich zwischen uns schleicht.

»Leah.«

Das ist das zweite Mal, dass er meinen Namen sagt. Das erste Mal war direkt, nachdem ich ihn ihm genannt habe. Weil ich mich als »Leah mit h« vorgestellt habe, zieht er meinen Namen jetzt am Ende fast schon provozierend lang. Ich weiß nicht, wie er es anstellt, den stummen Buchstaben zu betonen, oder ob er es mit Absicht macht, aber irgendwie mag ich den eigenwilligen Klang. Selbst jetzt, als er ihm etwas Strenges gibt.

»Hallo?«

Er schnippt mit den Fingern direkt vor meinen Augen herum, ich zucke erschrocken zurück und blinzele ein paarmal heftig. »Was?«

»Hast du mir gerade überhaupt zugehört?«

»Ähhm … ja, klar«, versuche ich, mich rauszureden. Leider passiert es mir ziemlich schnell, dass ich von der Realität in eine Traumwelt abdrifte. Ich habe großen Respekt vor allen, die nicht sofort die Geduld mit mir verlieren, wenn das mal wieder der Fall ist. »Und? Meinst du jetzt, dass er aussieht wie Herr Uschi?«, frage ich und schwenke mein Handy bedeutungsvoll in der Hand.

Henry stöhnt auf. »Hast du also nicht. Leah, ich habe diese Katze erst gesehen, nachdem ich sie … du weißt schon. Nachdem man nicht mehr viel von ihr erkennen konnte. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich absolut kein geeigneter Ansprechpartner dafür bin. Sag mir einfach, wo ich hinfahren soll, okay?«

Zum Ende hin klingt er furchtbar erschöpft. Außerdem ist er ziemlich zickig für jemand, der mir noch einen riesengroßen Gefallen schuldet. »Ich denke, die ist zumindest unsere beste Option. Oder wir fahren ins Tierheim – aber die geben die Katzen nicht gleich mit. Und ich weiß nicht, wie es mit dir steht, aber ich bin nicht dafür, dass wir eine klauen.«

»Ruf den Besitzer an und frag, ob wir sie bekommen können«, meint Henry entschlossen. Offenbar hält er genauso wenig von Diebstahl wie ich, was ihn mir noch eine Spur sympathischer macht.

Er sieht angespannt aus dem Fenster, während ich mit Georg – so nennt sich der Katzendealer von E-Bay – spreche und ihm erkläre, dass ich mich für Chili (wer gibt seiner Katze bitte so einen bescheuerten Namen?!) interessiere. Wir haben mehr Glück als Verstand, denn er ist tatsächlich zu Hause. Ich nenne Henry die Adresse.

»Das ist in Bezirk zehn«, stellt er fest.

»Und?«

Er seufzt und steckt den Schlüssel in die Zündung. »Nichts und

»Die Katze heißt also Chili?«, fragt Henry, als er den Blinker setzt und vorsichtig auf die Straße biegt. Herr Uschi und der Müllbeutel, in dem er sich befindet, liegen, so gut es geht zusammengeknotet und in einen weiteren Sack gesteckt, im Kofferraum, und ich glaube, Henry gibt sich Mühe, dieser Mischung aus Tod, Erbrochenem und zukünftigem Kompost nicht allzu viel Erschütterung zuzumuten.

Ich nicke. »Bescheuerter Name, oder?«

»Liefert sich ein knappes Rennen mit ›Herr Uschi‹.«

Ich werfe ihm einen schiefen Blick von der Seite zu – auch wenn ich für Herrn Uschis Namen keine Verantwortung trage, habe ich doch das Gefühl, ihn irgendwie in Schutz nehmen zu müssen. »Henry?«, frage ich nach einer Weile des Schweigens schüchtern, nachdem ich mir die Anzeige noch einmal genauer angesehen habe. »Wir müssen vorher aber unbedingt noch zur Sparkasse.«

Jetzt wirft er mir einen wirklich bösen Blick zu, und ich verstumme. Der feine Herr ist offenbar nicht allzu erfreut über Änderungen und Zwischenstopps auf unserer Route, aber das hätte er sich ja auch vorher überlegen können. Bevor er Herrn Uschi überfahren hat. Als er merkt, wie ich ihm vom Beifahrersitz aus einen trotzigen Blick zuwerfe, schleicht sich ein winziges bisschen Reue in seine sommergewittergrauen Augen.

»Ich denke mal nicht«, setze ich vielleicht ein bisschen zu bissig nach, »dass ich den E-Bay-Typen mit Karte bezahlen kann.«

»Okay, gut«, gibt er sich einsichtig. »Wir sind jetzt eh schon bei mir in der Nähe, und dort ist auch eine Sparkasse. Dann kann ich mir die Zähne putzen, während du Geld abhebst. Ich gebe dir aber natürlich einen Teil dazu.«

Er fühlt sich in seiner momentanen Lage sichtlich unangenehm.

»Danke. Oh Mann, was für ein teurer Spaß, erst siebzig Euro für die blöden Pflanzen, und jetzt auch noch die Katze obendrauf …«

»Die Pflanzen im Kofferraum?«, fragt Henry skeptisch.

Als er sich übergeben musste, hat er wohl einen guten Blick auf diese üppige Fauna gehabt …

»Nein«, stelle ich schnell richtig. Irgendwie ist es mir wichtig, dass er mich nicht für total neben der Spur hält. »Die sind eher der Grund, warum ich neue brauchte. Meine Schwester – der die Katze gehört … ähm … gehörte – ist gerade im Urlaub, deswegen habe ich mich um alles gekümmert. Oder es zumindest versucht, okay? Und jetzt ist alles schiefgegangen, was nur schiefgehen konnte.«

»Murphys Gesetz«, murmelt Henry düster neben mir, setzt den Blinker und biegt auf den Parkplatz eines Supermarkts ein.

»Wie bitte?«

»Alles, was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen«, erklärt er mir und klingt dabei so abgeklärt, als hätte er damit schon einige Erfahrungen gesammelt.

Er parkt den Fox in der Nähe des Hinterhofs und öffnet seine Tür. Von draußen dringt noch mehr Hitze ins Auto.

»Willst du mitkommen und Herrn Uschi die letzte Ehre erweisen?«, fragt Henry und schafft es, dass sich nicht die kleinste Spur Sarkasmus in seine Stimme schleicht. Er war dafür, aus der Stadt rauszufahren und alles zu vergraben, aber auf der einen Seite ist er ein völlig Fremder, wenn auch gleichzeitig mein ›partner in crime‹, was ihn wohl nicht ganz so fremd macht, und auf der anderen Seite haben wir für so was auch überhaupt keine Zeit.

Ich überlege einen Moment und schüttele dann den Kopf. Lieber nicht. Eine mutigere Version von mir wäre mitgegangen. Eine mit mehr Rückgrat. Aber als die wirbellose Leah, die ich nun mal bin, sacke ich nur noch tiefer in den kratzigen Sitzbezug und ziehe den Kopf zwischen die Schultern. Ich höre, wie sich der Kofferraum erst öffnet und dann wieder mit einem lauten Knall schließt, und beobachte, wie Henry den Müllsack mit einigem Abstand zu seinem Körper schnell um eine Ecke trägt. Ich hoffe, es erwischt ihn niemand dabei.

Als würde ich sein Näherkommen spüren, sehe ich in dem Moment auf, in dem Henry wieder in mein Sichtfeld tritt. Sein Blick verhakt sich mit meinem, und ich mache eine Bewegung seiner Lippen aus. Es wirkt, als ob er flucht. Dann bleibt er stehen, kramt in seiner Hosentasche nach etwas Kleinem, Quadratischem – seinem Handy – und lehnt sich an die Supermarktwand, während er telefoniert. Beim Sprechen schüttelt er ein paar Mal den Kopf, rauft sich die Haare und gestikuliert mit der freien Hand in der Luft herum.

Das hat er vorhin auch schon die ganze Zeit gemacht – Henry scheint einer dieser Menschen zu sein, die immer einen Teil von sich in Bewegung halten müssen. Normalerweise machen mich solche Leute nervös, weil ich das komplette Gegenteil bin. Ich bleibe gern da, wo ich bin. Selbst wenn meine Ist-Situation nicht ganz optimal scheint, so ist sie meist doch wenigstens sicher. Was ich von der Zukunft nicht behaupten kann. Zu viele Unwägbarkeiten. Zu viele Kleinigkeiten, die Ereignisse verändern und aus ihren geregelten Bahnen bringen können.

Ich erschrecke mich, als Henry die Autotür wieder öffnet.

»Okay, das wäre also erledigt«, erklärt Henry und wirkt alles andere als erfreut.

Es entsteht ein unangenehmes Schweigen zwischen uns, als wir vom Parkplatz rollen und Henry den Blinker setzt. Ich hoffe wirklich, dass am Ende dieser Odyssee alles wieder in geregelten Bahnen verläuft, die Welt wieder im Lot ist und ich mein Leben zurück in einem sicheren Griff habe.

 

»Oh, wie putzig«, zische ich zwischen meinen zusammengebissenen Zähnen, umrahmt von einem gequälten Lächeln, das wie festgefroren auf meinen Lippen liegt und langsam beginnt wehzutun. Chili – oder zumindest seine Krallen – machen dem Namen alle Ehre, die sind nämlich verdammt scharf, wie sie mir gerade die Oberschenkel aufschlitzen. Ich bewege die Hand, die auf dem rot gescheckten Fell liegt, ein wenig, um ein Kraulen anzudeuten, ernte dafür aber nur ein warnendes Fauchen.

Henry, der neben mir auf der ranzigen und von Katzenhaaren überzogenen Couch sitzt, unterdrückt ein Kichern, was in ein Niesen übergeht. Das hat er in letzter Zeit ziemlich oft gemacht. Genauer gesagt, seit wir die Wohnung von Georg May betreten haben. Ich kann es ihm nicht einmal verdenken, denn auch meine Nase juckt bei diesem kunstvoll und über Jahre geschichteten Staub und dem kalten Rauch, der sich bestimmt schon seit Dekaden in sämtlichen Wänden und Stoffen niedergelassen hat. Außerdem steht die Luft in dem dunklen Wohnzimmer trotz des leise flatternden Deckenventilators. Der wirbelt den Staub ab und an in dichten Flocken auf und lässt ihn von Schrank A nach Kommode B ziehen. Ein dicker Schweißfilm klebt auf meiner Haut, und ich spüre einzelne Tropfen geradezu meine Schläfen herabrinnen.

»Nein, danke, wirklich nicht«, lehnt Henry gerade schon die zweite Zigarette ab, die Georg – er hat darauf bestanden, dass wir uns duzen – ihm anbietet. Der Katzendealer zuckt mit den Schultern und lässt sich zurück in den Sessel gegenüber von uns fallen.

Die ganze Zeit über bin ich mir Henrys Arm, der über meiner Schulter liegt, nur allzu bewusst – denn da gibt es ein Problem mit Georg May: Offenbar ist dieser Typ, so nachlässig er auch mit seiner Wohnung umgeht, ein richtiger Katzenliebhaber und nur bereit, Chili in wirklich liebevolle Hände abzugeben. Und die ist er offenbar in dem jungen, verliebten Paar, das Henry und ich nach einem stummen Blickaustausch beschlossen haben zu mimen, gewillt zu sehen.

Wir sind zu weit gekommen – und gefahren – um jetzt den Rückzug anzutreten. Außerdem haben wir keine Alternativen. Entweder wir bekommen Chili oder Helen reißt mir den Kopf ab und ihr Bilderbuchehemann hängt ihn sich wie eine Trophäe über den Kamin. Und das habe ich Henry mehr als deutlich gemacht.

Der Umweg zu Henrys Wohnung gab mir reichlich Zeit, um ihm klarzumachen, wie wichtig das Meistern unserer Mission für mich ist – Scheitern ist keine Option. Als wir schließlich vor der Wohnung ankamen, war ich mit dem Geldholen ratzfatz fertig, sodass ich eine ganze Weile in der brütenden Hitze warten musste. Ich war kurz davor durchzudrehen, weil ich schon dachte, er hätte mich vergessen – oder wohl eher bewusst sitzen gelassen.

Ich fühle mich wahnsinnig ekelig und sehne mich mehr als alles andere nach einer Dusche, besonders weil Henry, als er zu mir zurückkam, wieder einigermaßen ausgehfertig schien. Zumindest roch sein Atem minzfrisch und er selbst nach Katzenwäsche und einem Spritzer herbem Parfüm.

»Chili mag euch«, stellt Georg erfreut fest. Ich bemerke eine Brille auf dem zerkratzen Tisch anstatt auf seiner Nase, und der habe ich es wahrscheinlich zu verdanken, dass Georg nicht bemerkt, dass diese Katze meine Beine gerade gefühlt bis auf den Knochen zerfleischt.

Henrys bestätigendes »Ja« geht in ein herzhaftes »Hahaatschi!« über, als er meine Hand drückt und Georg zunickt.

»Es ist mir ganz wichtig, meine kleinen Babys in gute Hände abzugeben.«

Als ob Chili noch ein Baby wäre. Aber gut. »Und die haben wir ganz sicher«, meine ich und hebe zum Beweis noch einmal die verschränkten Hände von Henry und mir hoch. Henry lacht nervös.