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Kurzbeschreibung:

"Das Lied des Paradiesvogels - Die Polynesien Saga" 

Hamburg, 1890. Die Zwillinge Thea und Daniel sind unzertrennlich. Als Daniel vom Vater auf eine Expedition in die deutschen Südseegebiete geschickt werden soll, erscheint allein der Gedanke an Trennung den Geschwistern kaum vorstellbar. Sie fassen einen Entschluss: Wenn sie gehen, dann nur gemeinsam und so schmieden sie einen gefährlichen Plan ... 

Auch der junge Hamburger Reeder Leopold Saarner macht sich mit dem Schiff auf den Weg nach Polynesien. Er muss auf der fernen Insel seinen unehelichen Halbbruder finden und zu seinem Vater bringen. Aber er hat eigentlich kein Interesse daran, sein Erbe zu teilen .. Der in Richtung Südsee fahrende Dreimaster beherbergt die Hoffnungen, Wünsche und Ängste der Hamburger - es beginnt eine lange Fahrt in eine ungewisse Zukunft.


Rebecca Maly

Das Lied des Paradiesvogels II

Die Polynesien - Saga

Edel Elements

KAPITEL 6

Die Nordstern legte an einem Regentag ab.

Wie ein düsteres Omen hingen schwarzgraue Wolken über dem Hafen. Daniel stierte von seinem Platz an Deck hinunter auf die Pier, wo sich knapp zwei Dutzend Menschen versammelt hatten. Darunter waren auch seine Eltern, die ihm diese Reise eingebrockt hatten.

Behände lösten zwei Hafenarbeiter die letzten Leinen. Neben ihm zog ein Matrose eines der schweren Taue ein und rollte es sorgfältig auf. Daniel musterte dessen sehnigen Körper verstohlen, dann wandte er schnell den Blick ab. Dass er den Mann kannte, war ein noch größeres Geheimnis als seine Schwester Thea, die als blinde Passagierin mit an Bord gelangt war.

Wie war er am Vortag erschrocken, als er sie ohnmächtig in ihrem Versteck, einer großen Holzkiste, vorgefunden hatte. Doch sie war schnell wieder zu sich gekommen und hatte ihn vor Freude umarmt. Ihre Flucht war gelungen. Die Nacht hatte sie alleine in der Kabine zubringen müssen und es tapfer durchgestanden.

Daniel hatte noch vor einer halben Stunde bühnenreif den exzentrischen Künstler gemimt, der es niemandem erlaubte, seine Kabine zu betreten, auch dem Reinigungspersonal nicht.

Damit sollte Thea sicher sein.

Gerüstet mit einem großen Vorrat Bücher, würde sie für die nächsten neun Wochen an den winzigen Raum gefesselt sein. Sie würde sich fühlen wie in einer Gefängniszelle. Doch er war sich sicher, dass sie auch das meistern würde, genau wie sie bislang für jedes Problem eine Lösung gefunden hatte. Sie war eine beeindruckend starke Persönlichkeit, oft stärker als er.

Ein Beben ging durch das Schiff, als die Dampfmaschinen im Inneren auf höhere Leistung gingen. Schwarzer Ruß mischte sich in den Regen und verschluckte zuerst einige Möwen, dann die winkenden Angehörigen auf dem Kai. Hin und wieder blitzte die Helligkeit eines Taschentuchs auf wie ein Morsezeichen.

Daniel wusste, wo seine Eltern standen. Er musste sie nicht genau erkennen, um zu wissen, welche Regenschirme zu ihnen gehörten. Zum Abschied hob er noch einmal die Hand, dann zog er seine Mütze tiefer in die Stirn und verließ seinen geschützten Platz neben dem abgetakelten Hauptmast. Gegen Regen und Wind gebeugt, hastete er zur Luke. Das Metallschott sah beinahe aus wie eine normale Tür, doch es konnte nicht verhehlen, dass es für Stärkeres gebaut war als für ein laues Lüftchen im Hamburger Hafen.

Im Inneren schlug ihm schon jetzt stickige Luft entgegen. Ein Vorgeschmack auf das, was ihn, aber vor allem Thea, in den kommenden Wochen erwartete.

***

Immer, wenn Thea auf dem Flur vor der Kabine Schritte hörte, beschleunigte sich ihr Puls. Nach dem ersten Schreckmoment erkannte sie aber, dass es dieses Mal Daniel war. Trotzdem stellte sie sich so hin, dass sie bei einem zufälligen Blick aus dem Flur nicht zu sehen war.

Er schloss auf und schüttelte sich wie ein nasser Hund, wortlos trat er ein und drückte die Tür zu. Erst dann wagte Thea, das Schweigen zu brechen. „Wie war es?“, fragte sie leise und versuchte, die Traurigkeit nicht an sich heranzulassen. „Ich hätte mich so gerne richtig von Mama verabschiedet.“

Daniel nickte. „Sie hat sehr geweint. Aber glaub mir, Thea, sie hätten dich niemals gehen lassen. Und du hättest es dann auch nicht über dich gebracht.“

„Ich weiß“, seufzte sie und trat vorsichtig an das winzige Bullauge. Draußen zogen die Kaimauern entlang. Reihe um Reihe von Hölzern, bedeckt mit schmierigen braun-grünen Belägen. Der Regen malte Streifen auf das dicke Glas des Bullauges.

„Das Wetter versucht, uns den Abschied leichter zu machen“, sagte sie und versuchte, das würgende Gefühl in ihrer Kehle zu ignorieren. Sie wollte nicht weinen.

Als Daniel hinter sie trat und mit den Armen umschlang, rollte trotzdem die erste Träne über ihre Wange. „Wir haben noch uns“, sagte er sanft. „Nun müssen wir einander Familie sein, denn sonst haben wir keine mehr.“

Thea wischte sich über die Augen. „Sie werden uns wirklich nicht mehr wiederhaben wollen, oder?“

„Ich denke nicht.“

„Ich kann gar nicht mehr wütend auf Vater sein, dabei war ich es die ganze Zeit, bis jetzt. Irgendwie ist nun aber alles verflogen.“

„Ich weiß genau, was du meinst. Jetzt brauchst du die Wut nicht mehr. Sie hat uns die Kraft gegeben, diesen verrückten Plan auszuhecken. Nun ist es geschafft.“

„Dann lassen wir unsere schlechten Gefühle also in Hamburg zurück“, sagte sie entschlossen.

Die Tage verschwammen ineinander. Sie krochen nur so dahin.

War es anfangs nur langweilig, plagte sie mittlerweile fürchterliche Übelkeit. Seit sie den Atlantik befuhren, lag sie eigentlich bloß noch auf der schmalen Pritsche und litt. Das Essen blieb nur drin, wenn der Wind nachließ und das Schiff sich fast ausschließlich mit Motorkraft fortbewegte.

Ans Lesen der mitgebrachten Bücher war kaum zu denken.

Daniel verbrachte viel Zeit bei ihr. Er stand mitten in der Kabine, als seien seine Füße mit dem Boden verwachsen, federte die Schiffsbewegungen mit den Knien ab und malte. Die Staffelei keilte er mit Koffern und Kisten so ein, dass sie nicht verrutschen konnte.

Thea sagte ihm nicht, dass die Farbdämpfe es für sie noch unangenehmer machten, denn sie genoss es, ihm zuzusehen. Sein Gesicht nahm dann immer diesen verklärten Ausdruck an, als würde er ganz in seiner Bestimmung aufgehen. Genauso fühlte sie sich, wenn sie ein Porträt plante und schließlich aufnahm. Es gab nichts Schöneres als den Moment des Erschaffens, dann trat alles andere dahinter zurück. Es gab keine Sorgen mehr und keinen Kummer, weder Gestern noch Morgen, nur das Jetzt.

Wie sehr sehnte sie sich danach, das bald wieder zu empfinden, statt mit einem rebellierenden Magen und Kopfschmerzen an eine Schlafkoje in einer winzigen Kabine gefesselt zu sein.

„Wie lange noch?“, fragte sie und starrte dabei auf die dünne Linie des Horizonts, der in dem kreisrunden Bullauge auf- und abstieg.

„Sie sagen, wir kommen gut voran, aber es sind noch sechs Wochen.“

„Sechs Wochen“, stöhnte sie. Das ertrage ich nicht!

***

Baptiste sah auf sein Werk hinab. Vor ihm lag ein perfekt geformtes Kanu. Endlich. Wochen hatte es gedauert, bis er es aus dem Baumstamm herausgeschlagen hatte. Mit Feuer hatte er es gehärtet, mit Sand glattgeschliffen und mit dem Öl der Kokospalme eingefettet. Den Bug zierte eine Schnitzerei. Erst beim dritten Versuch hatte er den Ahnen, der ihn in den Träumen besucht hatte, genau getroffen. Der Kopf des Mannes ging in den eines Krokodils über, und um seine Beine wanden sich Schlangen. Er würde alles Böse von Baptiste und seinem Gefährt fernhalten. Doch noch war das Schutzversprechen dünn, der Geist des Ahnen wankelmütig.

Er musste ihm ein Opfer bringen, das richtige Opfer, groß genug, um dem Ahnen zu beweisen, dass er würdig war.

Baptiste bereitete sich so gut es ging auf die letzte Prüfung vor. Er wusch im nahen Bergbach Schweiß und Holzstaub von der Haut und schmückte seinen Körper mit Bändern und Federn, dann machte er sich auf den Weg landeinwärts. Dort hatte es einst ein Nachbardorf gegeben, weit den Fluss hinauf, das zweimal von seinen eigenen Vorfahren überfallen worden war. Man erzählte sich, dass die Männer jener Siedlung ungewöhnlich tapfer gewesen seien und es daher als besonders ehrenhaft galt, einen ihrer Köpfe zu erbeuten.

Baptiste wollte dorthin, obwohl er den Ort noch nie gesehen hatte. Seine Ahnen riefen ihn auf diesen Pfad.

Jetzt, da er sich darauf eingelassen hatte, war der Sog sehr deutlich zu spüren. Als habe man ihm ein Seil um die Brust geschlungen und zerre ihn daran vorwärts. Er musste nur folgen. Stundenlang lief er über verschlungene Pfade. Das Blätterdach über ihm war so dicht, dass er die Sonne oft kaum sehen konnte. Regen fiel, Wolken hingen schwer bis auf die Äste hinab. Doch er brauchte das Licht nicht, um sich zu orientieren. Er hörte den Flusslauf wie ein stetes Wispern zu seiner Linken.