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Hermann und Maria Hartfeld

OXANA

Eine Geschichte zwischen KGB und Mafia

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Bestell-Nr. 395.328

ISBN 978-3-7751-7084-0 (E-Book)
ISBN 978-3-7751-5328-7 (lieferbare Buchausgabe)

Datenkonvertierung E-Book:
Satz & Medien Wieser

© der deutschen Ausgabe 2011

SCM Hänssler im SCM-Verlag GmbH & Co. KG · 71088 Holzgerlingen
Internet: www.scm-haenssler.de; E-Mail: info@scm-haenssler.de

Die Bibelverse sind, wenn nicht anders angegeben, folgender Ausgabe entnommen:
Neues Leben. Die Bibel, © der deutschen Ausgabe 2002 und 2006
SCM R.Brockhaus im SCM-Verlag GmbH & Co. KG, Witten.

Umschlaggestaltung: OHA Werbeagentur GmbH, Grabs, Schweiz; www.oha-werbeagentur.ch
Titelbild: istockphoto.com
Satz: Satz & Medien Wieser, Stolberg

Vorwort

Wer kann die Leiden eines Kindes ermessen, wie sie in dem vorliegenden Buch von Maria und Hermann Hartfeld dargestellt werden? Wer kann verstehen und nachempfinden, was in der Seele eines kleinen Mädchens vorgeht, das zum Spielball übermächtiger, selbstsüchtiger und grausamer Ausbeuter wird und dem dadurch in jeder Hinsicht die Unschuld genommen wird? Die Geschichte, die hier erzählt wird, ist empörend und verwirrend zugleich. Die Grenzen zwischen »Täter« und »Opfer« verwischen: Opfer werden zu Schuldigen, Schuld erzeugt Rache, Rache erzeugt neue Schuld. Wer sollte die Kraft haben, sich aus einer solchen Todesspirale zu befreien? Wohl kaum ein fünfjähriges Kind, mag man denken, und auch nicht eine heranwachsende Frau, die durch die Verletzungen dieser Kindheit gezeichnet ist. Doch die Rettung, die Befreiung kommt von ganz unerwarteter Seite. Durch Gottes Eingreifen wird möglich, was menschlich unmöglich ist. Gott verwandelt menschliche Ohnmacht durch seine göttliche Kraft. Menschen, die in Schuld verstrickt sind und keinen Ausweg mehr für ihr Leben sehen, erfahren, was Jesus Christus verspricht (Lukasevangelium Kap. 4, Vers 18+19): »Er hat mich gesandt, Gefangenen zu verkünden, dass sie freigelassen werden, Blinden, dass sie sehen werden, Unterdrückten, dass sie befreit werden und dass die Zeit der Gnade des Herrn gekommen ist.«

Wenn man nicht wüsste, dass es sich bei der vorliegenden Erzählung um eine wahre Geschichte handelt, käme man wohl zu dem Schluss: »Das ist zu dick aufgetragen! So etwas kann es doch im wirklichen Leben gar nicht geben!« Dass es das doch geben kann, ist die Erfahrung unzähliger Christen, die auch heute unter religiösem, politischem und gesellschaftlichem Druck leben. Gott wirkt Wunder! Gott verändert Menschen auf so außergewöhnliche, unglaubliche Weise, dass man nur staunen kann. Und oft gebraucht er dazu ganz normale Menschen, die sich nicht durch besondere Kräfte oder Begabungen auszeichnen, sondern einzig und allein durch ihr unbedingtes Vertrauen auf Jesus Christus, den gekreuzigten und auferstandenen Herrn, an den sie glauben.

Ich wünsche dieser spannenden und eindrucksvollen Lektüre eine weite Verbreitung und große Wirkung, denn sie ist ein Zeugnis für die lebendige Hoffnung, die Gott schenkt.

Elstal, den 2. Mai 2011
Pastorin Regina Claas, Generalsekretärin Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland (K. d. ö. R.)

Prolog: Begegnung in Kiew

Am 27. August 2009 saß ich in einem Café in Kiew und wartete auf Oxana und Irina Nikitin. Ich war nach Kiew eingeladen worden, um auf einer Konferenz einen Vortrag zum Thema »Beratung in einer postmodernen Welt« zu halten.

Doch ich hatte mich in erster Linie deshalb zu der Reise entschlossen, weil ich Irina und Oxana wiedersehen würde. Sie verspäteten sich, und so nahm ich das Buch Irina in die Hand und las: »Der alte Wladimir Sokolow sah kränklich aus, doch in seinen Augen leuchtete noch das alte Feuer, und man konnte sehen, dass er glücklich war. Er saß mit seiner Frau Pelagea am Kopf des Tisches. Er redete nicht. Vielleicht hatte er nicht genug Kraft, oder aber er hatte das Gefühl, er habe genug geredet. Er blickte um sich, als wollte er sagen: ›Jetzt seid ihr an der Reihe! Nun sagt ihr mal was Vernünftiges!‹«

Fast 20 Jahre war es her, dass ich das geschrieben hatte. Ich legte das Buch zur Seite und schwelgte in Erinnerungen.

Mein Leben in der Sowjetunion war stark mit der Sokolow-Sippe verbunden gewesen. Mit Irina (geborene Sokolow) hatte ich mein Maschinenbaustudium in Sibirien begonnen. In den Jahren danach hatte ich vieles erlebt, was ich heute am liebsten vergessen würde: sieben Jahre kommunistische Gefängnisse und Straflager, Arbeit unter Tage, Förderung von Uranerz, Herstellung von Atombomben und vieles mehr. Keiner konnte mir diese Erinnerungen aus dem Gedächtnis radieren. Doch ich empfand weder Groll noch Hass gegen die Marionetten des sowjetischen Regimes, die so viele in den Tod trieben. Es war eher eine Leere in mir.

Ich dachte plötzlich an meine Frau Maria, und es wurde mir warm ums Herz. Ich rief sie kurz an, um zu sagen, dass ich gut in Kiew angekommen sei.

Kurz darauf wurde ich aus meinen Gedanken gerissen. »Hermann!« Die Frau, die mich ansprach, war Irina Nikitin.

»Ja, ich!«, antwortete ich, stand auf und nahm sie in die Arme. Wir konnten uns gar nicht mehr loslassen. Sie weinte, und auch ich konnte meine Tränen kaum verbergen.

»Hey, ihr zwei! Ich bin auch noch da! Ich möchte Hermann auch drücken!« Es war Oxana Nikitin.

»Ja, ja, du kommst auch noch an die Reihe!« Irina wischte sich die Tränen von den Wangen und machte Platz für Oxana.

Diese drückte mich nicht minder kräftig an sich. »Es ist schön, dich wiederzusehen, Hermann.«

Irina lächelte und sagte schelmisch: »Drück' ihn nicht zu fest. Er gehört uns nicht. Er hat seine Maria, die er leidenschaftlich liebt.«

»Schade!«, sagte Oxana spöttisch. »Andernfalls könnten wir ihn uns teilen, oder?«

Die zwei ukrainischen Frauen sprachen einwandfreies Deutsch. Gäste beobachteten uns mit großem Interesse. Wir suchten ein Eckchen, in dem wir in Ruhe reden konnten, und bestellten Latte Macchiato.

Irina erkundigte sich nach Maria. Ich erzählte ihr allerlei Dinge aus unserem Leben in Deutschland. Dann sagte ich: »Ich habe gerade wieder in dem Buch gelesen, das ich über dich geschrieben habe. Es ging um deine Großeltern Wladimir und Pelagea Sokolow. Wie geht es ihnen – falls sie überhaupt noch leben?«

Irinas Gesicht wurde düster und traurig. Dann erzählte sie mir eine so entsetzliche Geschichte, dass ich nur wie versteinert zuhörte: Man hatte die beiden in der Toilette einer Autobahnraststätte erhängt, als sie auf dem Weg in ein Ferienhäuschen waren. Irina und ihr Vater erwischten die Killer, konnten aber nur wenig über die Auftraggeber in Erfahrung bringen; nichts, außer einem Hinweis auf den Geheimdienst.

»Die Großeltern wurden mit allen militärischen Ehren beerdigt. Unser Pastor hielt auf dem Friedhof eine bewegende Predigt«, schloss Irina ihre Erzählung ab.

»Irina, das ist ja unglaublich! Was für ein sinnloser Mord! Sie waren zu meiner Zeit schon so kränklich, dass ich dachte, sie würden wohl bald von uns gehen. Und was soll der Geheimdienst damit zu tun haben? Du arbeitest auf dem Gebiet der Atomenergie, und der Geheimdienst ist doch eigentlich daran interessiert, dich zu beschützen. Ist es nicht so, dass wir gerade vom Geheimdienst abgehört werden?« Ich sah in die Richtung, wo zwei Männer uns mit auffälligem Interesse beobachteten.

»Stimmt. Diese Männer sind meine Bodyguards.« Sie rief sie zum Tisch und stellte mich ihnen vor.

Beide drückten mir höflich die Hand, und einer sagte: »Wir wollen nicht stören. Redet nur weiter. Wir gehen mal raus, eine Zigarette rauchen.«

»Okay, macht's gut, Jungs«, rief Irina ihnen nach.

»Jetzt mal ehrlich«, hakte ich nach. »Was hat es mit diesem gruseligen Tod deiner Großeltern auf sich?«

Oxana mischte sich ein: »Du weißt ja, dass mein Vater früher beim KGB tätig war und darum noch einen sehr guten Einblick in die Arbeit des russischen Geheimdienstes hat. Er glaubt nicht an die Version des unsinnigen Mordes. Es muss etwas im Leben von Irinas Großvater gegeben haben, das niemand je erfahren sollte. Er war Geheimnisträger, und nach seiner Bekehrung zum Christentum hat man wohl angenommen, dass diese Geheimnisse in Gefahr geraten seien.«

»Also doch der Geheimdienst!«, sagte ich bestimmt.

»Vater muss es wissen, aber er schweigt«, sagte Irina. »Ich hatte keine Ahnung, und mich interessierte das alles nicht. Ich war so mit meiner Arbeit und der Familie beschäftigt, dass für mich die Vergangenheit ein Tabuthema war. Ich wollte alles hinter mir lassen und nach vorn schauen. Vater sagte nur: ›Wegen solcher Banalitäten jemanden zu erhängen, der sowieso mit einem Fuß im Grab stand, ist schrecklich!‹ Was er mit ›Banalitäten‹ meinte, verriet er nicht.«

»Dein Vater muss ja auch schon um die neunzig sein«, fiel mir ein.

»Im nächsten Jahr. Kommst du zur Feier?«

»Irina, ich habe nicht das Geld dafür.«

»Das ärgert mich, wenn ich so etwas von einem europäischen Pastor höre«, schimpfte Irina. »Was sind das für Gemeinden, die ihre Pastoren so schlecht besolden!«

»Stopp, Irina! Ich bin in Rente. Und von der Rente kann man keine großen Sprünge machen. Ich werde jedoch deinem Vater gratulieren.«

»Das ist nett von dir«, sagte Irina.

»Gut, Hermann, ich lasse dich mit Oxana alleine. Ihr habt heute noch drei Stunden für die Unterhaltung, morgen kommen wir zu deinem Übernachtungsort im Bibelseminar Kiew. Da werdet ihr stundenlang reden können. Jetzt bin ich weg und gehe mit meinen Jungs einkaufen. Sascha konnte übrigens nicht mitkommen. Er leitet heute einen Gottesdienst außerhalb von Kiew. Aber er lässt dich grüßen, meine Eltern und meine Kinder auch.« Sie stand auf, gab ihren Männern ein Zeichen, uns ein Luftküsschen, und verschwand.

Oxana und ich saßen uns nun gegenüber, und sie begann mit ihren Bedingungen: »Hermann, ich wünsche keine Besuche von westlichen Lesern deines Buches. Irina musste damals regelrecht untertauchen, um sich von ihnen zu befreien.«

Ich versprach ihr das und sagte: »Das mit Irina ist wirklich meine Schuld. Ich verriet ihren richtigen Namen und ihre Adresse einem dänischen Professor, der mir versprach, sie an niemanden weiterzugeben. Er hat sein Wort nicht gehalten. Deshalb waren Sascha und Irina jahrelang sauer auf mich. Ich habe das mit den beiden geregelt und aus der Sache sehr viel gelernt.«

Oxana begann, aus ihrem Leben zu erzählen, und ich notierte mir die Ereignisse, die ich noch nicht kannte. Ihr Leben war eng mit dem meiner Freunde Irina und Sascha verbunden. Und je mehr sie erzählte, umso mehr staunte ich. Was Oxana Nikitin erlebt hatte, war atemberaubender, als ich es je in einem Roman hätte erfinden können.




Ich hasse und ich liebe – warum, fragst du vielleicht.

Ich weiß es nicht. Ich fühl's – es kreuzigt mich.

Gaius Valerius Catullus, 1. Jahrhundert

Die Odyssee am Dnjepr

Der Dnjepr war nicht gerade der beste Ort, um schwimmen zu lernen. Natasha wusste das. Aber ihre kleine Oxana hatte es satt, im Schwimmbad zu »planschen«, wie sie sagte. Sie wollte größere Herausforderungen. Dabei war sie vor ein paar Tagen gerade erst fünf geworden. Oxana hatte Natasha den ganzen Vormittag lang angebettelt, bis Natasha das Bitten und Betteln schließlich satthatte. »Also gut, du beharrliches Ding«, hatte sie geseufzt, »dann schwimm halt im Fluss«, und war zum Telefon gegangen, um ihre Schwester Milena – eine Schwimmlehrerin – zu fragen, ob sie sie begleiten wolle. Natasha war eine der wenigen, die ein eigenes Auto besaßen. Sie stellte das Auto, einen Wolga, auf dem staubigen Wegesrand neben der Straße ab. Die drei besprachen zuerst den Plan: Sie würden unweit vom Ufer schwimmen, dann Wasserball spielen, Eis essen und anschließend nach Hause fahren.

»Bleib in der Nähe!«, war die letzte Anweisung Natashas.

Oxana machte ihre Schwimmversuche entlang des Flussufers und schien keine Schwierigkeiten in dem ungewohnten Gewässer zu haben. Die beiden Frauen schwammen etwas weiter vom Ufer entfernt und legten sich auf den Rücken. Durch langsame Bewegungen mit Händen und Füßen hielten sie sich an der Oberfläche.

»Wann kommt dein Mann mal wieder nach Hause?«, fragte Milena.

»Sobald er kann. Aber wann das ist, weiß man ja nie.«

Milena antwortete mit einem nachdenklichen Stirnrunzeln.

»Milena, warum heiratest du eigentlich nicht? Du bist jetzt achtundzwanzig geworden.«

»Manchmal frage ich mich das auch. Bisher ist mir einfach niemand über den Weg gelaufen, dem ich vertrauen oder den ich lieben könnte. Du bist mit einem Diplomaten verheiratet und siehst ihn, wenn es gut geht, einmal im Jahr. In der Zwischenzeit hast du heimliche Liebhaber, und ich frage mich, ob dich das zufriedenstellt. Für mich wäre das jedenfalls nichts.«

Natasha schwieg, und beide beobachteten, wie das braunhaarige Mädchen glücklich im Wasser planschte. Irgendwann sagte Natasha ruhig: »Du hast recht, mein Mann ist fast das ganze Jahr im Ausland, und ich darf ihn nie begleiten. Einmal meldet er sich aus Algier, dann bekomme ich eine Karte aus der DDR und nun aus Laos. Was soll ich tun? Versauern? Mir ist klar, dass ich ständig beobachtet werde. Der Innengeheimdienst benimmt sich wie ein Wachhund. Und ich vermute auch, dass mein Mann Liebhaberinnen im Ausland hat. Wenn er nach Hause kommt, zeigt er mir eine Bescheinigung, dass er sich keine Geschlechtskrankheit geholt hat. Das Leben ist nicht immer schön, Milena. Aber wenigstens muss ich mich um nichts sorgen: Wir haben eine Wohnung, ein Auto und genug fürs Auskommen.«

Milena verzog das Gesicht. »Und das würdest du mir zumuten? Du hast mich doch diesem KGB-Leutnant vorgestellt, der mir bis heute den Hof macht. Glaubst du, der hätte mich glücklich gemacht?«

Natasha schwieg und tauchte unter. Offenbar hatte Milena sie durchschaut; nicht zum ersten Mal, wie sie feststellte. Wieso musste sie nur eine so anspruchsvolle Schwester haben!

Während sie ein paar Tauchzüge unter Wasser machte, überlegte sie, was sie Milena entgegenhalten konnte. Sie tauchte wieder auf und setzte ein Lächeln auf. »Weißt du was, …?«, begann sie.

Doch Milena ging nicht auf sie ein, sondern blickte stattdessen irritiert und suchend um sich.

Natasha verstand zuerst nicht. Dann schaute sie zum Ufer und rief: »Wo ist Oxana?«

Milenas verzweifelter Blick war Antwort genug.

»Wo ist sie? Sie war doch eben noch da!«

»Ich weiß es nicht!«, rief Milena. »Sie hat dort drüben geplanscht … und dann … ich habe nicht mehr hingesehen … wir waren im Gespräch und du …«

»Nur einen Augenblick war ich unter Wasser, und du konntest nicht aufpassen?«

»Da war noch dieses Motorboot. Es ist direkt vorbeigefahren.«

Natasha antwortete nicht, sondern schwamm panisch Richtung Ufer. Milena folgte ihr. Als sie stehen konnten, schauten sie sich um: Weit und breit war nichts zu sehen.

»Oxana, wo bist du?«

Dass sie ertrunken war, schien kaum möglich – dafür war der Fluss an dieser Stelle zu flach. Sie wateten aus dem Wasser. An diesem abgelegenen Ort war keine Küstenwache in der Nähe, deshalb mussten sie das Gebiet selbst absuchen. Ziellos liefen sie umher und riefen immerzu Oxanas Namen.

Bald wurde Natasha klar, dass ihre Versuche vergeblich waren. Sie brauchten Hilfe.

»Lass uns zum Auto gehen. Wir haben dort ein Telefon.«

Sie eilten zum Auto, Natasha griff nach dem Hörer und drückte den Knopf, der sie direkt mit dem KGB verband: »Meine Tochter ist verschwunden!«

»Verstanden. Wir sind sofort da!«

Natasha war nicht überrascht, dass man von ihr nicht die Koordinaten verlangte. Vermutlich wussten sie genau, wo sie sich gerade aufhielt.

Nur wenige Minuten später standen zwei muskulöse Männer und zwei Frauen neben ihnen. In hysterischem Ton versuchte Natasha ihnen zu erklären, wie Oxana mit einem Mal verschwunden war.

Eine der Frauen nahm Natasha in die Arme: »Beruhigen Sie sich. Oxana ist mit Sicherheit am Leben. Es ist etwas passiert, was sogar wir nicht bemerkt haben. Aber wäre sie ertrunken, hätten wir eingegriffen. Fahren Sie nach Hause. Wir bringen Ihnen Oxana gesund zurück.«

Milena fiel ein: »Ich sah ein Motorboot vorbeifahren, ganz in der Nähe von Oxana.«

»Danke«, sagte einer der Männer, »das könnte uns helfen. Aber jetzt gehen Sie nach Hause, und wenn das Telefon klingelt, gehen Sie sofort ran!«

Die vier verschwanden so schnell, wie sie aufgekreuzt waren. Natasha und Milena zogen sich um, warfen die nassen Kleidungsstücke in den Kofferraum und fuhren los.

»Glaubst du diesen Leuten?«, fragte Milena.

Natasha hatte die Fahrt über geschwiegen. Kalte Furcht spiegelte sich auf ihrem Gesicht. »Uns bleibt nichts anderes übrig.« Mehr sagte sie nicht.

Sie fuhren durch die halbe Stadt und hielten schließlich vor dem Radisson. Natasha stieg aus und sagte im Befehlston: »Du wartest hier!«

Milena nickte und blieb sitzen. Es dauerte. Nach einer Weile stieg sie aus dem Auto und ließ ihren Blick über das imposante Gebäude des Radisson gleiten, das Anfang des Jahrhunderts errichtet worden war und sich im Laufe der Zeit zu einem erstklassigen 5-Sterne-Hotel entwickelt hatte. Sie fragte sich, was ihre Schwester wohl da drinnen machte. Sie holte tief Luft und setzte sich wieder ins Auto.

Endlich erschien ihre Schwester, setzte sich ans Steuer und fuhr los. Milena wagte nicht, Fragen zu stellen. Sie wusste nicht, wie sie Natashas Blick zu deuten hatte, ein rätselhaftes Gemisch aus Ahnung und Wut. Wen mochte sie getroffen haben? Es war jedenfalls klar, dass dieses Treffen eine Vermutung bei Natasha geweckt hatte.

Milena wohnte in der Nähe der Universität. Natasha hielt vor der Haustür, immer noch schweigend, umarmte ihre Schwester und wartete, bis sie ausgestiegen war. Kurz darauf war der Wolga wieder außer Sichtweite.

Milena betrat ihre Zweizimmerwohnung, warf ihre Badesachen in das kleine Badezimmer und ging zum Telefon. Sie musste jetzt mit jemandem reden. Sie wählte die Nummer von Rita Lasarew, der Frau eines Baptistenpredigers, der sie das Schwimmen beibrachte. Milena war keine Christin, aber Rita war in ihrem Alter, und sie verstanden sich gut. Sie erzählte Rita die ganze Geschichte. Rita reagierte erstaunlich abgeklärt und sagte zum Schluss: »Ich muss einkaufen. Willst du nicht mitkommen?« Milena verstand.

Eine Stunde später trafen sie sich in einem Lebensmittelgeschäft. Rita machte ihre Besorgungen, dann schlug sie vor, einen Abstecher zur Sophienkathedrale zu machen. Milena wusste, dass sie dort in Ruhe würden reden können.

»Weißt du, Rita, ihr Christen haltet euch an strenge Sexualregeln. Mich beeindruckt das, aber ich bin nicht von diesem Kaliber.« Als Rita nichts erwiderte, fuhr Milena fort: »Andererseits: Ein Ehemann kommt für mich erst dann infrage, wenn ich überzeugt bin, dass er mich liebt. Ich habe den Eindruck, Nikolai Taranin liebt meine Schwester sehr. Aber er muss ihr laufend untreu sein, und meine Schwester verhält sich auch wie eine Schlampe. Sie haben zwei Kinder. Roman aus Nikolais erster Ehe studiert an einer Privatschule in der Schweiz, die kleine Oxana ist ein Nesthäkchen und wird von den Eltern beinahe vergöttert …« Ihre Augen wurden feucht. »Und nun ist Oxana in einem Boot weggebracht worden und niemand ahnt, wohin.« Weggebracht. Zum ersten Mal gebrauchte Milena dieses Wort.

Rita schaute ihr in die Augen und schwieg einen Augenblick.

»Sag doch was!«, forderte Milena ungeduldig.

Rita sagte nachdenklich: »Deine Schwester treibt es wirklich arg, wie ich gehört habe. Das ist aber auch verständlich. Keine verheiratete Person hält es ohne Sex aus, es sei denn, sie ist eine gottesfürchtige Person. Für Nikolai gilt dasselbe. Sie wusste, wen sie heiratet.«

»Ich verstehe nicht, was du mir sagen willst, Rita.«

»Überleg doch mal: Nikolai reist viel um die Welt und lernt schöne, reiche Frauen kennen. Nun stell dir vor, er hat ein Verhältnis mit einer Schönheit in Indien. Dort ist er doch gerade, nicht wahr?«

Milena nickte zustimmend.

»Die KGB-Behörde hat offenbar Grund zur Befürchtung, dass Nikolai Taranin sich im Ausland absetzen könnte. Deshalb hat sie Oxana entführt – als Druckmittel sozusagen. Glaub mir, Milena, das Mädchen ist in Sicherheit.«

Milena umarmte Rita, gab ihr ein Küsschen und machte sich auf den Weg nach Hause.

Rita blickte ihr noch lange hinterher.

Natasha saß im Lehrerzimmer der Eliteschule für hochbegabte Kinder in Kiew. Jeder Lehrer hatte seinen eigenen Arbeitsplatz. Über Natashas Schreibtisch hing ein Foto von Nikolai, der ihr gemeinsames Baby im Arm hielt. Ihre Oxana.

Daneben hing eine von Kinderhand gemalte Urkunde. Für die beste Lehrerin der Welt stand darauf mit Filzstift gemalt. Seit einer halben Stunde versuchte sie nun schon, diesen Aufsatz zu korrigieren. Vor ihr lagen noch dreizehn weitere.

Wieder und wieder las sie den Satz, doch ihre Gedanken wollten ihr nicht gehorchen. Sie versuchte, sich den Satz im Geiste laut vorzulesen, doch auch das funktionierte nicht. Denn in ihrem Inneren schrie alles nach Oxana.

»Natasha, ein Anruf für dich!« Ihre Kollegin stand lächelnd vor ihr und zeigte in Richtung Büro. Natasha sprang auf und rannte zum Telefon.

»Hallo Schatz! Ist das wahr mit Oxana?«

»Nikolai!«

»Ist das wahr mit Oxana?«

»Wo bist du, Nikolai?«

»Stimmt es, dass sie entführt wurde?«

»Entführt …?« Natasha musste sich sammeln. »Nikolai, es ist gut, dass du endlich anrufst. Du weißt ja nicht …«

»Was ist passiert?«

»Ich habe keine Ahnung. Sie ist einfach verschwunden. Wir waren schwimmen, und dann kam dieses Motorboot. Nikolai, was sind das für Leute?«

»Ein Motorboot …«

»Ja. Und der Geheimdienst weiß etwas. Aber keiner will es mir verraten.«

Nikolai machte eine Pause. Dann sagte er gefasst: »Ich verstehe. Mein Schatz, mach dir keine Sorgen. Das wird sich schon regeln.«

Regeln. Er hatte gut reden. Aus seiner Sicht waren die Dinge immer einfach; er wusste über all die Geschäfte Bescheid, von denen sie nur ahnen konnte. Offiziell durfte sie nicht wissen, dass ihr Mann für den KGB arbeitete. Vermutlich glaubte Nikolai immer noch, sie wüsste nicht längst Bescheid. Er mühte sich redlich, ihr weiszumachen, dass er lediglich ein harmloser Diplomat sei. Doch sie hatte genug Hinweise darauf, dass er für den Geheimdienst arbeitete. Was genau er dort tat, war ihr schleierhaft. Jetzt, wo ihre Tochter in all das verwickelt war, hätte sie sich gewünscht, wenigstens ein bisschen mehr zu wissen. Konnte Nikolai sich eigentlich vorstellen, wie es sich anfühlte, die Ahnungslose in diesem Spiel mysteriöser Mächte zu sein? Wahrscheinlich hatte er noch nicht einmal registriert, dass sie wirklich Angst um ihre Tochter hatte. Und da verlangte er, dass sie ihm blind vertraute?

»Natasha, du musst mir jetzt diese Frage beantworten: Mit wem hat man dich wieder im Bett erwischt?«

»Was soll das, Nikolai?«

»Wir wissen beide, wie es um unsere eheliche Treue steht. Mit wem hast du das letzte Mal gekuschelt?«

Sie senkte die Stimme. »Mit Severow.«

»Mit Severow? Dem alten Knacker?« Severow war um die siebzig und leitete die Außenspionage. Natasha empfand nichts für ihn, aber sie wusste, dass er derjenige war, der direkten Kontakt zu Nikolai pflegte.

»Ja. Ich habe mich an ihn herangemacht, weil ich ihn dazu bringen wollte, dich in die Sowjetunion zurückzuholen. Ich … Nikolai, ich brauche dich hier. Ich liebe dich, und ich vermisse dich.«

»Severow«, sagte Nikolai nur. »Ich hätte es mir denken können. Hast du irgendwelche Andeutungen über mich fallen lassen?«

»Nein, natürlich nicht! – Du meinst also, Severow hat Oxana entführen lassen?«

»Natasha, ich werde zurückkommen, das verspreche ich. Sobald es mir möglich ist, werde ich da sein. Bitte halte so lange aus. Und um Severow kümmere ich mich.«

»Was ist mit Oxana?«

»Er wird unser Mädchen nach Hause gehen lassen, noch ehe ich zurück bin. Sonst erwürge ich ihn mit eigenen Händen.« Er legte auf.

Natasha wusste nicht, ob sie weinen oder lachen sollte. Es war so beklemmend, wenn man selbst nichts tun konnte. Sie konnte doch nicht einfach abwarten. Sollte sie vielleicht Severow anrufen? Aber das würde wohl nichts nützen. Er würde nichts zugeben, sie hatte ja bereits in dem Hotel versucht, etwas aus ihm herauszubekommen.

Auf dem Weg zur U-Bahn wanderte sie über den Kreschatik Boulevard. Sie war umgeben von Menschen, die meisten waren Frauen, einige schleppten Plastiktüten, andere Aktentaschen, wieder andere schoben Kinderwagen. Was in Moskau die Twerskaja oder in St. Petersburg der Nevsky Prospekt, das war für die Kiewer Frauen der knapp anderthalb Kilometer lange Kreschatik mit dem Unabhängigkeitsplatz. Wäre dies ein Tag wie jeder andere gewesen, hätte Natasha dem Geräusch des Windes in den Kastanienbäumen gelauscht und die Gesichter der Menschen studiert. Aber sie nahm nichts davon wahr. Starr blickte sie vor sich auf die Straße, einen Schritt vor den anderen setzend.

Als sie ihr Haus erreichte, nahm sie den Fahrstuhl, schloss die Wohnung auf, machte die Tür hinter sich zu und setzte sich erschöpft in den Sessel.

Plötzlich hörte sie ein Rascheln aus dem Kinderzimmer. Was war das? Lauerte man ihr auf? Sie stand auf, schlich vorsichtig zum Zimmer und spickte um die Ecke. Ihr Erstaunen war grenzenlos. »Oxana?«, schrie sie laut.

»Mama!«

Natasha nahm ihr Kind in die Arme und hielt es so fest, dass niemand ihr es jemals wieder entreißen konnte. Die Tränen liefen in Strömen.

Sie spürte, wie sich die kleinen Arme um ihren Nacken schlangen und sich das ganze Kindergewicht an sie hängte. »Ich hab's geschafft, Mama, ich bin wieder da!«

»Ja, mein Engel. Ja.«

Eine unglaubliche Geschichte

Irina Nikitin, eine Freundin von Natasha und Nikolai Taranin, saß mit geschlossenen Augen in einem Plastiklehnstuhl in der Sonne, als sich plötzlich jemand vor sie stellte und seinen Schatten auf sie warf. Sie öffnete die Augen und schloss sie gleich wieder, als sie ihren Mann Sascha erkannte, der sich gerade zu ihr hinunterbeugte, um sie zu küssen. »Weißt du eigentlich, dass sie uns ›die Frischverliebten‹ nennen?«, sagte sie lächelnd.

»Wer – die Kinder?« fragte Sascha.

Irina schloss wieder die Augen und sagte: »Nein, die Studenten. Weil du mich immer küsst, bevor wir zum Auto gehen.«

Irina und Sascha waren Professoren am selben Institut, nur an anderen Fakultäten, darauf hatten sie Wert gelegt. Nun waren sie seit vier Tagen im Urlaub auf der Krim.

»Mama, ein Anruf für dich!«, rief einer ihrer Söhne aus dem Haus.

Irina und Sascha sahen sich fragend an. Sie erhob sich und ging ins Haus. Ein Freund der Familie, der im KGB tätig war, meldete sich: »Irina, ich wollte dich im Urlaub nicht stören. Aber in der Familie Taranin ist etwas vorgefallen, was dich interessieren dürfte.«

»Tatsächlich? Was denn?«, fragte sie neugierig.

»Die kleine Oxana Taranin hat einen KGB-Beamten überwältigt.«

»Übertreib bitte nicht. Wie soll eine Fünfjährige das angestellt haben?«

»Frag mich etwas Leichteres, jedenfalls konnte sie sich befreien. Ich sage dir, sie wird einmal so ein Luder wie ihre Mutter.«

»Hör auf, ich mag keine abschätzigen Bemerkungen über Kinder. Erzähl mir lieber, was geschehen ist.«

»Du wirst die Geschichte ohnehin nicht glauben. Diese Oxana hat eine ganz schöne Fantasie.«

»Erzähl.«

»Oxana war mit Natasha und Milena zum Schwimmen im Dnjepr. Offenbar waren die beiden abgelenkt, als ein Motorboot vorbeikam, in dem Onkel Mischa saß. Du weißt schon, Mischa – Michail –, ein enger Freund von Nikolai. Er nahm Oxana ins Boot und sagte: ›Lass uns mal für ein paar Minuten verschwinden und dann deine Mama und die Tante überraschen.‹ Das schien ihr zu gefallen, und so sausten sie davon.

Am Ufer wartete schon eine Limousine auf sie. ›Mach dir keine Sorgen‹, sagte Mischa. ›Deine Mama holen wir auch noch her.‹ Sie brachten Oxana in ein Appartement, wo sie viele Spielsachen für sie ausgebreitet hatten. Dort sollte sie auf ihre Mutter warten. Wenn sie nach ihr fragte, bekam sie die Antwort: ›Sie ist sehr beschäftigt, aber sie sollte jede Minute da sein.‹

Dieses Spiel trieben sie ein paar Tage. Einmal hörte Oxana, wie sich zwei Männer miteinander im anderen Zimmer unterhielten. Der eine sagte: ›Wenn Nikolai sich in den Westen absetzt, bringen wir seine Tochter um.‹ Oxana hatte einen Minirekorder von Mischa bekommen, um Musik zu hören. Nun stell dir vor: Sie schaltete tatsächlich die Aufnahme an. Das ganze Gespräch ist aufgezeichnet.

›Das können wir doch nicht machen. Sie ist doch noch ein Kind!‹, sagte der eine.

›Wenn wir Natasha umbringen, dann ist es zu offensichtlich; auch wenn es diese Schlampe verdient hätte.‹

›Da hast du auch wieder recht.‹

Eines Tages soll Onkel Mischa sie mit in die Toilette genommen haben, angeblich damit sie nicht abhauen würde. In Wirklichkeit wollte dieses Schwein etwas ganz anderes von dem Mädchen. Du kannst es dir vorstellen.«

»Das kann ich«, antwortete Irina ernst und versuchte, sich nicht in ihren eigenen Erinnerungen zu verlieren.

»Jetzt pass auf, Irina: Oxana erinnerte sich auf einmal daran, welche Bewegungen du ihr und den anderen Kindern beigebracht hast für den Fall, dass sie einmal einem Kinderschänder begegnen – einem männlichen. Du verstehst, was ich meine. Irgendwie scheint sich das in ihr kindliches Gedächtnis gegraben zu haben. Sie fügte ihm ziemliche Schmerzen zu und zog den Schlüsselbund aus seiner Hosentasche. Ich schätze mal, ihr Vorteil war, dass er überhaupt nicht mit so etwas rechnete und sie ihn völlig überrumpelte. Er krümmte sich vor Schmerzen, machte irgendwelche Bewegungen und streckte ihr die Hand entgegen. Aber kein Mitleid kam bei ihr hoch, sie wollte nur weg. Den Schlüssel hatte sie ja. Sie lief zur Außentür, ging hinaus und vergaß nicht, Mischa einzuschließen.

Seine Schreie konnten sogar die Nachbarn hören. ›Was ist denn da los?‹, wurde Oxana gefragt. Und weißt du, was sie antwortete? ›Ach‹, sagte sie, ›Mama hat den Papa getreten. Nun schreit der arme Papa.‹ An der Tür klopfte es von innen heftig, aber der Nachbar kam nicht auf den Gedanken, weitere Fragen zu stellen. Er grinste nur und machte sich davon.

Oxana lief bis zu einer Bushaltestelle. Während der Fahrt beachtete sie niemand, weil Stoßzeit war. Nach einigen Haltestellen verließ sie den Bus, ging zum Dnjepr und warf die Schlüssel ins Wasser. Zu Hause musste sie erst lange den Ersatzschlüssel von der Wohnung ihrer Eltern suchen. Sie fand ihn im Kellerraum hinter einer Röhre angeklebt. Sie warf sich aufs Bett, weinte und schlief ein. Vom Schrei der Mutter wachte sie auf und fiel ihr in die Arme. Sie redeten stundenlang, bis sie in den Armen der Mutter wieder einschlief.«

Irina hatte schweigend zugehört. Sie wusste nicht, ob sie lachen oder heulen sollte. »So hat Oxana die Geschichte also erzählt?«

»Ja. Es ist schwer zu glauben, nicht wahr?«

»Hast du auch gehört, wie es ihr jetzt geht?«

»Keine Ahnung. Ihr Vater wird bald aus Indien erwartet.«

»Gut. Und wie geht es Natasha?«

Er lachte. »Sie hat gegen den KGB eine Klage beim sowjetischen Bundesgeneralstaatsanwalt eingereicht. Aber sie wird damit nichts erreichen.«

»Bist du sicher?«, fragte Irina.

»Absolut. Ich weiß, wie diese Dinge laufen.«

»Dann warten wir ab, bis Nikolai zu Hause ist.«

Sie bedankte sich bei ihrem Freund und legte auf. Dann ging sie zum Strand, wo Sascha sich mit den drei Jungs sonnte. »Kinder, wie wär's, wenn ihr mal eine Stunde schwimmen geht. Ein bisschen Bewegung tut euch gut nach dem Mittagessen.«

Ohne Widerrede liefen sie ins Meer und waren bald außer Sicht.

»Du bist so nachdenklich, Irina«, fing Sascha an. »Ist in Kiew etwas vorgefallen? Ist unser Pastor erkrankt?« Mehr fiel ihm auf Anhieb nicht ein. Er umarmte sie. Sie schwieg. Das war für ihn nichts Ungewöhnliches. Wenn sie etwas auf dem Herzen hatte, brauchte sie Zeit, es zuerst allein zu verarbeiten.

Sie saßen im Sand und beobachteten die Wellen. Irgendwann begann Sascha, ihr den Nacken zu massieren. Sie lächelte: »Das tut gut. Danke, Sascha!« Nach ein paar Minuten hörte er sie sagen: »Setz dich, mein Lieber! Ich muss dir einiges erzählen.«

Er ließ sich neben ihr nieder und war ganz Ohr.

»Du kennst doch Familie Taranin?«

»Sicher doch. Der Diplomat, der schon über fünfzig ist – habe gehört, er sei mehr im Ausland als zu Hause«, scherzte er.

»Das stimmt. Aber er tut das aus Liebe für unser Land, auch wenn er sich manchmal über die Schwächen der Sowjetunion beklagt. Nikolais Sohn studiert Jura in der Schweiz und spricht fließend acht Sprachen. Er könnte in der Schweiz promovieren und eine Professorenkarriere beginnen.«

»Nicht übel.«

Sie küsste ihn und legte seinen Kopf auf ihren Schoß. »Und dann gibt es da noch die kleine Oxana aus seiner Ehe mit Natasha. Du wirst es nicht glauben, was ich eben über sie erfahren habe.« Sascha richtete sich auf und hörte aufmerksam zu, während Irina die Geschichte mit sorgenvoller Stimme erzählte. Am Ende sagte sie: »Oxana ist wieder zu Hause bei ihrer Mutter. Aber die psychischen Folgen sind leider nicht abzusehen.«

Irina merkte nicht, dass Saschas Grinsen immer breiter geworden war. »Das hat das Kind doch toll gemacht!« Er sprang auf, zog Irina hoch und drehte sich mit ihr im Kreis.

»Hör auf, ich weiß nicht, ob ich mich darüber so freuen kann.«

»Ach komm schon, sie hat es diesem Widerling gegeben!«

»Trotzdem mache ich mir Sorgen um sie, Sascha.«

Er dachte kurz nach, dann sagte er: »Gut. Lass uns die Jungs holen. Wir brechen den Urlaub ab und fahren nach Kiew.«

Irina dankte ihm und schloss ihn in die Arme. Die Jungs stiegen gerade aus dem Wasser. Irina teilte ihnen den Entschluss mit und bot ihnen an, bei der Tante zu bleiben. In den drei Augenpaaren blitzte ein kurzes Funkeln auf. Sie mochten es, ihre Cousinen zu necken, zumal sie in der Pubertät waren und eine Menge Blödsinn machten. Aber dann zogen sie es doch vor, ihre Eltern, die doch recht besorgte Gesichter machten, nach Hause zu begleiten.

Es war nicht viel zu packen. Sascha hatte die Hotelkosten bereits bei der Ankunft beglichen. Ein Küsschen hier, ein Küsschen da, ein paar Händedrücke und Umarmungen, und sie waren unterwegs. Irina und Sascha hatten beschlossen, auf der Fahrt ihren Kindern von Oxana und ihren Erlebnissen zu erzählen. Sie wussten, dass Geheimnisse im Kreis der Familie immer gut aufgehoben waren. Das war ein Wunder, wenn man bedachte, wie viele Freunde die Jungs nach Hause brachten. Und auch diesmal versprachen die drei Stillschweigen – so schwer es ihnen auch fallen würde – bei dieser Geschichte!

Nicht lange nachdem sie zu Hause angekommen waren, telefonierte Irina bereits mit Natasha. Sascha konnte nur Fetzen aufschnappen: »Weißt du, Natasha, ich habe den Kindern praktische Schritte beigebracht, sich zu wehren. Pädophile gibt es da draußen viel zu viele, und wir müssen unsere Kinder schützen. Ich tat es im vollen Bewusstsein, dass ich missverstanden werde, aber später wird man mir dafür dankbar sein. Die Selbstbefreiung deiner Tochter geht auf mein Konto. Sag dem KGB: Sie sollen mit solchem Unfug aufhören … Ich fürchte, dein Nikolai bringt Mischa dafür um … Nein, ich habe keine Angst vor ihnen, nur Ehrfurcht vor Gott. Deshalb schütze ich Kinder vor den Gefahren des Missbrauchs … Ich muss jetzt etwas schlafen, dann werde ich mit Oxana sprechen, in Ordnung? Sie muss in die Therapie. Mach's gut, Natasha. Grüße Nikolai … Ja, die Frau in Indien war nicht seine Geliebte, da kannst du dir sicher sein. Glaube deinem Mann und nicht dem alten Severow! Du hast dich geirrt wie so oft … Nichts zu danken. Damit ich es nicht vergesse: Du bist nicht so eine ungezogene Frau, wie du vorgibst. Du willst deinen Mann eifersüchtig machen und zurückhaben. Das verstehe ich. Aber spiel nicht mit dem Feuer. Er hat seine erste Frau an Krebs verloren. Das hat Wunden hinterlassen. Schone ihn ein bisschen … Auf Wiedersehen. Ich muss schlafen und meine Jungs wohl auch.«

Sie legte den Hörer auf, küsste Sascha, warf sich aufs Bett und schlief sofort ein. Während sie schon eingeschlafen war, saß Sascha neben ihr und las in einem Buch. Ihre drei Söhne knieten in der Ecke des Schlafzimmers und spielten leise Domino. »Was würde ich ohne meine Irina tun?«, flüsterte Sascha vor sich hin.

»Du hast noch uns«, flüsterte Alex, einer von den dreien.

Sascha lächelte, stand auf, trat zu seinen Söhnen und nahm alle drei in die Arme.

Erschwerte Heimreise

Die Gespenster waren hässlich. Sie verfolgten sie, holten sie ein, schlangen sich um sie und erdrückten sie. Sie ließen sie aus ihren Träumen aufschrecken, bis sie nach ihrer Mama schrie. Sie fragte sich, wie es wohl wäre, wenn nicht nur ihre Mama in der Nacht zu ihr ans Bett käme, sondern auch ihr Papa.

Ihr Papa, bei dem die Muskeln am Unterarm so fröhlich tanzten, wenn er sie hochhob und so fest an sich drückte, dass sie wusste, dass er der stärkste Mann in der ganzen Sowjetunion war. Ihr Papa, den man immer alles fragen konnte und der ihr schon so viel beigebracht hatte. Zum Beispiel eine lustige Sprache, die er »durch die Blume reden« nannte. Das Ziel war, dass die anderen das Gespräch nicht verstanden. Hoffentlich würde Papa sie bald »anrufen«.

Das war das Wort für »nach Hause kommen«.

Nikolai saß in einer indischen Kirche der Mennoniten-Brüder neben der Frau des Pastors, als sich ihm ein Inder näherte und in Hindi sagte: »Sie werden gebeten, sich mit einer Frau außerhalb der Kirche zu treffen.« Nikolai konnte einige der indischen Sprachen wie Hindi, Bengali, Kashmiri und Urdu. Zumeist hatte er mit Menschen aus diesen Sprachgruppen zu tun. Es waren einige der zwölf Sprachen, die er fließend sprach.

Er ging nach draußen und war überrascht, als er Serena erblickte, eine Frau, die er nicht ausstehen konnte, weil sie ihm nachsagte, mit der Frau des Pastors ein Verhältnis zu haben. »Was willst du?«, fragte er in Urdu. Diese Sprache beherrschte sie am besten, denn sie war im indischen Bundesstaat Bihar in ärmsten Verhältnissen aufgewachsen. Nur durch fremde Hilfe – vermutlich von katholischen Nonnen – war es ihr möglich geworden, sich an der Universität von Delhi zu immatrikulieren und Naturwissenschaften zu studieren.

Nikolai mochte Serena auch deshalb nicht, weil sie als Mitglied der indischen kommunistischen Partei direkten Kontakt zur KPdSU hatte. Severow, sein Vorgesetzter und anscheinend der Liebhaber seiner Frau, hielt große Stücke auf Serena, und seit einiger Zeit vermutete Nikolai, dass er sich massiv von Serenas Verleumdungen beeinflussen ließ.

»Sei nicht so schroff, Nikolai«, fing sie flüsternd an. »Du wirst dringend in Moskau erwartet. Deine Sachen sind schon gepackt, das Flugticket habe ich bereits besorgt. Am Domodedowo-Flughafen wirst du abgeholt. Dein Diplomatenpass ist in Ordnung.« Sie übergab ihm die Dokumente und bat ihn, in die Limousine einzusteigen, die an der Straße wartete.

Als das Auto losfuhr, sah er noch, wie Pastor John und seine Frau Romila ihm zuwinkten. Serena hielt sich neben ihm aufrecht wie eine Königin. »Na, ist deine Romanze nun zu Ende?«, fragte sie spöttisch.

Das war nun endgültig die Höhe. Niemand hatte das Recht, Romila zu verleumden! »Anhalten!«, befahl er dem Chauffeur und sagte auf Russisch: »Jetzt reicht's, du Miststück! Raus mit dir, sonst werfe ich dich eigenhändig aus dem Wagen!«

Die Worte zeigten Wirkung – Serena stand binnen weniger Augenblicke auf der Straße, wild auf ihn schimpfend.

Serena wusste nur wenig von seiner Mission und ihren Hintergründen. Die Sowjets bereiteten gerade ihre Invasion in Afghanistan vor, die im Dezember 1979 Wirklichkeit werden sollte. Nikolai glaubte nicht an den Erfolg dieser Invasion – er kannte die Afghanen. Der Versuch, die Bevölkerung zu säkularisieren und die ehemals privilegierten Gruppen zu vertreiben, würde nur zu einem breiten Widerstand führen – sicherlich unterstützt von der CIA. Die Mudschaheddin-Gruppen hielt er zwar für besiegbar, aber er war sich sicher, dass aus deren Niederlage der islamische Fundamentalismus eine Blütezeit erleben würde. Und gegen diesen war jeder Krieg verloren.

»Es gäbe zu viele Opfer auf beiden Seiten, und siegen werden letztlich die radikalen Islamisten«, hatte Nikolai fortwährend in seinen Berichten wiederholt und sich damit offiziell als Gegner der sowjetischen Invasion zu erkennen gegeben. Das bescherte ihm mächtige Feinde unter den Befürwortern des Krieges, den Militärs in Moskau. Die Geheimdienste hingegen stimmten ihm überwiegend zu.

Nun hatte er in Indien den Auftrag, wichtige Informationen aus Afghanistan entgegenzunehmen, die ihm ein Geschäftsmann überbringen sollte. Der Mann war jedoch nie aufgetaucht. Entweder war er aufgehalten oder erschossen worden. Das machte Nikolai Sorgen, und er saß seit Wochen wie auf Kohlen. Romila hatte ihren Mann dazu überredet, Nikolai eine Unterkunft zu bieten. Sie war die Tochter eines indischen Kommunisten, der bei einer Demonstration ums Leben gekommen war. Dass Nikolai ein sowjetischer Spion war, ahnte sie zwar, wusste es aber nicht sicher.

Jetzt saß er in der Limousine und dachte über alles nach. Offenbar hatte sich sein Auftrag nun endgültig erledigt. Oder wurde er zurückgerufen, weil man an seiner Loyalität zweifelte? Der Gedanke an das höhnische Lächeln von Serena brachte ihn in Rage. Am liebsten hätte er sie mit eigenen Händen erwürgt. Vermutlich steckte sie hinter all dem. Sie hatte behauptet, er habe ein Verhältnis mit Romila und wolle sich absetzen. Vermutlich war sie einfach nur neidisch auf ihn und wollte ihn zu Fall bringen. Andererseits: Für einen Verräter hielten sie ihn wohl nicht, sonst hätten sie ihn bereits in Indien oder schon früher in Laos oder Afrika erschießen können. So beschloss er, seine Heimreise zwar mit Vorsicht, aber ohne Angst anzutreten.

Er hatte einen Fensterplatz in der Businessclass, wo er sich mit seinem Kopf das Kissen ans Fenster klemmte und einschlief. Als er wieder aufwachte, saß neben ihm ein Araber. Der Mann grüßte ihn höflich und stellte sich mit dem Namen Abdul-Ghaffar vor.

Nikolai lächelte und sagte auf Englisch: »Diener, der Allverzeihende, nicht wahr? Das bedeutet der Name doch?«

»Ja, richtig … Ich soll Sie von Sir John Walker grüßen.«

Woher wusste der Mann, wer er war? Und woher wusste er um seine Beziehungen zu dem Briten, mit dem er im Übrigen gar kein gutes Verhältnis hatte? Nikolai setzte ein Lächeln auf, entschuldigte sich und ging zur Toilette. Dort sammelte er sich und dachte nach, wie er sich in den verbleibenden zwei Stunden bis Moskau verhalten sollte.

Als er zurückkam, waren die Tischchen zum Abendessen gedeckt. Gläser mit Champagner und Säften standen bereit. Der dicke Araber ließ Nikolai vorbei zu seinem Platz. Nikolai wunderte sich, dass für Abdul-Ghaffar ebenfalls ein Glas mit Champagner auf dem Tischchen stand. Für gewöhnlich ließen sich Muslime keinen Alkohol servieren.

»Prost!«, sagte Abdul fröhlich lächelnd und hob sein Glas. Nikolai prostete zurück und untersuchte das Essen unauffällig mit den Augen. Schließlich machte er sich an die Vorspeise.

»Sie trinken ja gar nicht«, sagte Abdul.

»Sie doch auch nicht – oder trinken Muslime nie?«

»Doch, doch, aber im Dienst nur wenig.«

Nikolai schmunzelte und bat die Stewardess um etwas mehr von dem bulgarischen Gewürz für seinen Salat. »Bevor ich trinke, muss alles perfekt sein.«

Abdul-Ghaffar bestellte ebenfalls von dem Gewürz und ließ sich für einen Moment vom Lächeln der Stewardess betören. In dieser Sekunde tauschte Nikolai blitzartig die Champagnergläser.

Kurz darauf hob er sein Glas und sagte: »Trinken wir nun endlich. Prost!«

»Sehr freundlich«, sagte der Araber. Es war offensichtlich, dass er keine Erfahrung mit Alkohol hatte. Er kippte das ganze Glas in einem Schwung in sich hinein.

Nikolai mischte seinen Champagner mit Orangensaft und aß seinen Salat. »Man wird ja wirklich verwöhnt in der Businessclass.« Es gab noch Fisch und Nudeln, beides schmeckte vorzüglich. Der Araber schlief sichtlich beschwipst ein.

Nikolai stand auf und ging zur Chefstewardess: »Ich möchte Sie bitten, meinen Freund erst zu wecken, wenn alle das Flugzeug in Moskau verlassen haben.« Er zeigte ihr den Diplomatenpass und bat um einen anderen freien Platz. Dort nahm er eine populärwissenschaftliche Zeitschrift in die Hand und vertiefte sich ins Lesen.

Als das Flugzeug landete und wenige Minuten später zum Stehen kam, schlenderte Nikolai den Gang zurück und prüfte im Vorbeigehen unauffällig, ob der Araber atmete – offenbar nicht. Damit hatte er gerechnet. Geistesgegenwärtig drehte er das leblose Gesicht des Mannes dem Fenster zu, während die anderen Passagiere mit Einpacken beschäftigt waren und auf das Signal zum Aussteigen warteten.

Am Flughafen wurde er von einem Mitarbeiter erwartet und durch eine Nebentür an der Kontrolle vorbeigeschleust. Man führte ihn zu einem Tschaika. Ein Beamter öffnete die Hintertür, und Nikolai nahm Platz. Als alle eingestiegen waren und sie losfuhren, fragte er: »Wer ist der leitende Offizier?«

Der Mann an seiner Seite meldete sich.

»In der Businessclass sitzt ein Araber. Er atmet nicht mehr. Jemand sollte sich darum kümmern.«

Der Offizier musterte ihn, nickte und sagte dann zum Chauffeur: »Halten Sie an.« Als er ausgestiegen war, ordnete er an, Genosse Taranin zum Hotel Moskwa zu bringen. Die anderen Männer verfolgten das Geschehen ohne jede Teilnahme. Sie schwiegen weiter, während der Wagen sich wieder in Bewegung setzte. Nikolai war zufrieden, dass der Fahrer eine alternative Route zum Hotel wählte. Schließlich konnte man nicht wissen, ob ihm nicht noch jemand auflauerte.

Im Hotel gab man ihm eine Suite und bat ihn, seine Frau zu Hause nicht anzurufen. Er wusste, dass er sich besser daran hielt.

Im Zimmer wartete eine Bedienstete auf ihn. Er bat sie, ihm ein Bad vorzubereiten, während er zur Bar hinunterging. Kurvenreiche Damen mit blonder Dauerwelle saßen an der Theke, offenbar wartend.

»Einen Martini, bitte.«

Der Barmann nickte ihm freundlich zu. Eine Brünette näherte sich ihm und fragte: »Brauchen Sie Gesellschaft?«

»Tut mir leid, Genossin, aber ich bin müde.«

Während er auf seinen Martini wartete, blickte er vor sich auf die blank geputzte Theke. Vor seinem inneren Auge sah er Natashas Lachen und daneben Oxana, wie sie sich immer den Pony zuerst auf die Seite strich, bevor sie ansetzte, etwas Wichtiges zu verkünden. Er hätte alles dafür gegeben, wenn er sie jetzt in seine Arme schließen und für immer beschützen könnte. Gut, dass Irina sich um sie kümmerte. Severows Intrige hatte er noch immer nicht ganz durchschaut. Der Befehl, Oxana zu entführen, konnte nicht von ganz oben gekommen sein, da war er sich sicher.

Er trank seinen Martini zu Ende und ging hinauf in seine Suite. »Königlich hat man mich empfangen«, schmunzelte er und stieg in die Wanne. Das Wasser war angenehm warm. Auf einmal klingelte das Telefon. Zum Glück hatte er den Apparat mit ins Bad genommen.

»Ja?«

»Nikolai, hier ist Irina Nikitin.«

»Woher weißt du, wo ich bin?«

»Man hat so seine Kontakte. Du weißt ja, wer mein Vater war.«

Nikolai lächelte. »Ja, Irina.« Dann wurde sein Gesicht ernst. »Wie geht es Oxana? Man redet über sie, aber keiner kennt die volle Wahrheit.«

»Oxana geht es den Umständen entsprechend gut. Sie ist in Therapie. Es war alles zu viel für sie.«

»Alles? Was bedeutet das?«