Alte Gewohnheiten sterben langsam 


Ben Trebilcook


übersetzt von Peter Mehler





This Translation is published by arrangement with Ben Trebilcook
All rights reserved.

 

Diese Geschichte ist frei erfunden. Sämtliche Namen, Charaktere, Firmen, Einrichtungen, Orte, Ereignisse und Begebenheiten sind entweder das Produkt der Fantasie des Autors oder wurden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen, lebend oder tot, Ereignissen oder Schauplätzen ist rein zufällig.





Für Hans und Simon

 

Impressum


Deutsche Erstausgabe
Originaltitel: OLD HABBITS
Copyright Gesamtausgabe © 2019 LUZIFER-Verlag
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

 

Cover: Michael Schubert
Übersetzung: Peter Mehler

  

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2019) lektoriert.

  

ISBN E-Book: 978-3-95835-459-3

  

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Danksagung

 

Über zwanzig Jahre hinweg versuchte ich, an ein bestimmtes Action-Franchise heranzukommen. Dieses Buch ist jenen gewidmet, die meine Ideen mochten und sie unterstützten.

Meinen Eltern – meiner Mutter, dafür, dass sie all die ordinären Filme ertrug, und noch mehr meinem Paps (einem McClane im echten Leben) – sowie meinem Bruder Steven. Hätte ich mir beim BMX-Fahren nicht die komplette linke Seite gebrochen, wäre ich nicht wochenlang von der Schule beurlaubt worden, und du hättest mir nie so viele jener Filme ausgeliehen, die einen solch gigantischen Eindruck bei mir hinterließen. »Young Guns - Sie fürchten weder Tod noch Teufel« (Danke John Fusco) und »Stirb Langsam« auf Video, 1988. Außerdem eine Menge Ninja-Filme wie »Castle of Owls« von 1963, Sho Kosugis »Die 9 Leben der Ninja«, Michael Dudikoffs »American Fighter«-Reihe und die Filme von Beat Takeshi, aber auch eine ganze Reihe von Hongkong-ActionThrillern: John Woo, Tsui Hark, Ringo Lam, ich danke Euch. »A Better Tomorrow 2«, »City on Fire«, »Full Contact«, »Bullet in the Head« und »The Killer« entfachten meine Leidenschaft für asiatisches Kino, und nachdem ich das Glück hatte, 1994 John Woo persönlich zu treffen, wurde mir klar, dass ich meine Liebe zu »Stirb Langsam« irgendwie mit dem Fernen Osten zusammenbringen musste. Ich musste einen Weg finden, den Geist dieser beiden Filmwelten zu vereinen, gewürzt mit Papas eigenen aufregenden Geschichten beim Abendessen über gute und böse Jungs.

Danke an meine Jen, dass du immer für mich da warst und den Plot von »Alte Gewohnheiten sterben langsam« umstrukturiert hast.

Danke auch meine Freunde aus den Anfangstagen, meinen ersten Agenten Paul Levigne, Skip Brittenham, Andy Vajna und meinem verstorbenen Manager, Jeff Ross.

Ebenso bedanke ich mich bei meinen talentierten Filmemacher- und Journalistenfreunden Phil Stoole, Tony Giglio, Reg Seeton, Sean O’Connell, Ken Napzok, Alicia Malone, Hiro Masuda, Mark Reilly, Mark Ellis, Clint Morris, Berge Garabedian, Garth Franklin, Eoin Friel von »Action Elite«, Jordan von »Manly Movie«, Sean Hood, Jeff Sneider, Amy Goldberg, Matt Hamby, Kristian Harloff dem Team von Schmoes Know, Neil Marshall, Johnny Sullivan, Stuart Heritage, Louis Leterrier, Ed Neumeier, Iain Smith, Gail und John McTiernan, Ollie Diaz, Doug Richardson der immer mit Rat und aufmunternden Worten für mich da war (Danke, Kumpel), Steven E. De Souza (Inspirationsquelle der Extraklasse), Joe Carnahan, Jonathan Hensleigh und Roderick Thorp.

Ich danke meinen sehr guten Freunden, dem Designer Ben Hickman (dafür, dass er sich von Papas Fingerpuste hat umnieten lassen, die Filmemacherei anschob und den Ausdruck »Heute ist Moet-Nacht« prägte), Designerin Ant Edith Gardner (deine Cover sind so genial wie ein Bier mit dir zu zischen), und ebenso sehr danke ich der supertalentierten und mich immer unterstützenden Gang bestehend aus Steve Simmons, Jim Arnott und Dan Baines.

 

»Alte Gewohnheiten sterben langsam« ist kein dickes Buch geworden. Es basiert auf einem Originaldrehbuch von mir, aber ich denke, man bekommt ein Gefühl dafür, was für ein Film daraus hätte werden können.

 

»An dieses Franchise heranzukommen wird schwer werden«, sagte einmal ein Producer zu mir. Und fügte hinzu: »Ich würde vorschlagen, du erfindest dein Eigenes.«

Yippie-Ya-Yeah.

 

Ich bin ein Berliner

  

Drahtige Hände vermischten Ruß und verbrannte Baumwurzeln in einer abgeschlagenen Schale. Die Hände gehörten einem fünfundfünfzigjährigen Japaner. Er trug eine olivgrüne Uniform und ein weißes Stirnband, das er sich fest um die Stirn gebunden hatte, und saß ruhig auf einer Tatami-Matte. Um ihn herum hockten noch einige andere Japaner, die alle etwa im selben Alter waren und die gleiche olivgrüne Kleidung trugen.

Die Männer wirkten alles andere als gesund, aber sie waren dankbar dafür, in ihrer dunklen, stickigen, unterirdischen Gefängniszelle überhaupt noch am Leben zu sein.

Das Schnarren schwerer, rostiger Metallscharniere ertönte. Das Geräusch sorgte für ein beunruhigendes Echo, das durch einen Korridor jenseits der eisernen Tür hallte.

Die wuchtige Zellentür schwang auf, begleitet von einem ohrenbetäubenden Quietschen der schlecht geölten Türangeln. Die inhaftierten Männer erschraken, winselten, und einige von ihnen pressten sich die Hände an die Ohren. Das Geräusch allein war für sie wie Folter.

Ein etwa einen Meter neunzig großer, europäisch aussehender Mann wurde von vier japanischen Wachen in die Zelle gestoßen. Auch er trug eine olivgrüne Uniform, nur dass sich diese in einem weitaus besseren Zustand als die seiner japanischen Zellengenossen befand. Der Europäer war ein muskulöser Mann, kräftig gebaut und stämmig wie eine Eiche. Er war etwa fünfzig Jahre alt.

Der Mann mit dem weißen Stirnband blickte dem Europäer tief in die Augen und ließ sich Zeit, aufzustehen. Dann streckte er ihm eine Hand entgegen. Ohne Zweifel eine Willkommensgeste.

Der Europäer sah auf die kleine Hand des Mannes hinunter und ergriff sie, drückte vorsichtig mit seiner großen Pranke zu und schüttelte sie. Obwohl er beinahe doppelt so groß wie die Männer um ihn herum war, fühlte er sich in ihrer Gegenwart klein, unbedeutend, verloren und schwach. Jetzt war er einer von ihnen. Ein Gefangener.

Mister Stirnband lächelte, wobei er eine Reihe verfaulter Zähne entblößte, und nickte mehrere Male mit dem Kopf. Er winkte den Europäer zu sich heran und deutete auf die Tatami-Matratze, während sich die anderen Männer setzten oder daneben stellten. Der Japaner war nur wenig älter als der Europäer, doch die Jahre der Gefangenschaft hatten ihren Tribut gefordert. Die Zeit war nicht besonders gnädig zu ihm gewesen.

Mit seinen tiefliegenden Augen sah sich der Europäer in der Zelle um. Er hatte Glück, dass er nicht den Kopf einziehen oder sich ducken musste. Die Zelle war gerade hoch genug, dass er aufrecht darin stehen konnte. Dann musterte er die Männer in der Zelle, die aus ihren Reisschalen aßen. Er starrte sie an, und eine schmerzhafte, noch junge Erinnerung ließ beinahe augenblicklich eine unbändige Wut in ihm aufsteigen.

  

Der Europäer stand vor der Volksbühne in Ost-Berlin und hielt die Hand seines fünf Jahre alten Enkelsohnes. Er war elegant gekleidet, und das aus gutem Grund.

Die Volksbühne war von dem ungarisch-jüdischen Architekten Oskar Kaufmann entworfen und zwischen 1913 und 1914 erbaut worden. Ihr Motto ›Die Kunst dem Volke‹ prangte lange Zeit an dem Gebäude. Es war als Theater für das einfache Volk gedacht gewesen, um der Arbeiterklasse den Zugang zu Kultur zu ermöglichen. Während des Zweiten Weltkrieges war die Volksbühne fast vollständig zerstört worden und musste in den Fünfzigerjahren neu aufgebaut werden.

Ein aschblonder, vor Freude strahlender Junge stand neben ihm, in Kleidern, die zum eleganten Auftreten seines Großvaters passten. Ehrfurchtsvoll blickte er zu der riesigen, hünenhaften Statur des Mannes hinauf. Ich bin so stolz auf dich, dachte er bei sich. Ich liebe dich so sehr. Sein Großvater war für ihn ein Held, ein Fels in der Brandung, sein Lehrmeister und tatsächlich wie ein Vater für ihn.

Denn als sein eigener Vater starb, hatte der Großvater ihn in seine Obhut genommen. Für den alten Mann war der Junge alles. Er lebte für diesen Jungen. Er selbst hatte seinen Sohn verloren und zog nun den Enkelsohn wie sein eigenes Kind auf.

Damals hatte sein Großvater noch einen weiteren Sohn und auch eine Tochter gehabt, doch zu beiden hatte kaum Kontakt bestanden. Sein Großvater war kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges geboren worden und gerade sieben Jahre alt gewesen, als dieser endete. Es war ihm erspart geblieben, von den Faschisten oder irgendeiner anderen rassistischen Gruppierung hirngewaschen zu werden. Vielmehr war ihm, wie zuvor schon seinem Vater und Großvater und auch seinen Söhnen und seinem Enkelsohn, etwas in die Wiege gelegt worden, das wichtiger war als ein Symbol oder eine Ideologie.

Ihr Geburtsrecht.

  

Den Gefangenen erging es über die Zeit wie ihren olivgrünen Uniformen – sie alterten, nutzten sich ab. Ihre Kleider waren zerrissen, ausgefranst, abgewetzt und versengt. Ihre Gesichter wurden faltig und ihre Haut von Schnitten und Geschwüren gezeichnet. Sie wurden von Ratten, Flöhen, Zecken und Gott weiß von welchem anderen Ungeziefer gebissen. Einige von ihnen hatten sich sogar gegenseitig gebissen. Kratzend und juckend zogen die Jahre an ihnen vorüber.

Die Schläge und die psychische Folter hatten nachgelassen, nachdem man den Europäer in ihre Zelle gesteckt hatte. Vielleicht, weil die Wächter zu viel Angst davor hatten, ihn zu bestrafen oder zu bedrohen. Vielleicht, weil sie sich vor seiner ungeheuren Größe und seiner austrainierten Statur fürchteten. Vielleicht hatten sich aber auch die Zeiten geändert, waren verflogen und hatten die veralteten Überzeugungen ihrer Peiniger mit sich genommen.

  

Langsam ließ der Europäer die Luft aus seiner Lunge entweichen. Sein Atem bildete weißliche Wolken in der kalten, dunklen Zelle. Er kniff die Augen zusammen und beobachtete durch die Gitterstäbe hindurch einen Wächter, der gerade die Batterien einer Taschenlampe wechselte. Er umklammerte die Gitterstäbe und verfolgte mit seinen Augen die Bewegungen des Wächters.

Plötzlich hieb einer der anderen Wächter mit seinem Schlagstock nach ihm, trieb diesen schmerzhaft in die Wange des Europäers. Dann holte der Wächter noch einmal aus und schmetterte den Schlagstock gegen seine Fingerknöchel.

Der Europäer zuckte zusammen und taumelte zur Seite, aber dann richtete er sich wieder auf, und irgendetwas in ihm sagte ihm, dass sich seine Lage sehr bald ändern würde.

Ein anderer Wachmann sah auf und warf unvermittelt eine Batterie nach ihm, und dann mit ungeheurer Wucht noch eine zweite hinterher, die den muskulösen Europäer am Hals traf und nach hinten warf.

Überraschenderweise war Mister Stirnband zur Stelle und fing ihn auf.

Der Europäer schloss für einen kurzen Moment die Augen. Dann nickte er mit zusammengekniffenen Augen seinem neuen Freund dankbar zu. Er erstaunte ihn, dass dieser kleine, drahtige Mann eine solche Kraft aufgebracht hatte.

Jeder der Gefangenen hatte natürlich seine eigenen Gründe dafür, hier in dieser Zelle gelandet zu sein. Ihre Schmerzen aber teilten sie in gleichem Maße.

  

Draußen, vor der Volksbühne, riss der fünfjährige Junge, der noch immer die Hand seines Großvaters hielt, besorgt die Augen auf.

Das Quietschen von Autoreifen war zu hören. Ein unglaublich durchdringendes Geräusch, das über das Kopfsteinpflaster der Straße hinweg hallte.

Der Junge erstarrte vor Angst.

Mehrere maskierte Männer tauchten aus der drohenden Schwärze eines Fahrzeugs auf, packten den elegant gekleideten Europäer ohne jede Vorwarnung und zerrten ihn zu dem wartenden Mercedes-Lieferwagen.

»Opa!«, schrie der Junge. »Opa!«

Sie zogen seinem Großvater einen schwarzen Sack über Kopf. Sein Körper wand sich unter ihren Händen, er ächzte und stöhnte. Dann ballte er eine seiner Hände zur Faust und verpasste einem der maskierten Männer einen kraftvollen Hieb gegen die Kehle. Doch wenig später wurde er von ihnen überwältigt. Die Absätze und die Kappen seiner teuer wirkenden Schuhe kratzten über das Straßenpflaster, während er sich zu wehren versuchte, bekamen Schrammen, verloren ihren makellosen Glanz. Der Europäer bäumte sich ein letztes Mal auf, dann wurde er mit Gewalt in die Dunkelheit gerissen, die die Männer eben noch ausgespuckt hatte.

  

In ihrer unterirdischen Zelle entrollten die Männer ein schwarzes Stoffbündel. Eine Reihe von Werkzeugen, die sie aus scharfen Tierknochen und Bambusstöcken hergestellt hatten, kamen darin zum Vorschein. Aus einigen der selbstgebauten Werkzeuge ragten metallene Nadeln.

Der Europäer saß geduldig auf seiner Tatami-Matte und verfolgte aufmerksam die Handlungen seiner Mithäftlinge.

Einer der Gefangenen griff sich die achtlos weggeworfenen Batterien. Zuerst befeuchtete er etwas Toilettenpapier und begann die Batterien aneinanderzubinden. Dann befestigte er einen Draht an beiden Enden und schloss auf diese Weise den Stromkreis.

Der Europäer bemerkte, dass der Draht in der Mitte ausgefranst war und sich wie ein Feuerzeug aufzuheizen begann. Er warf einen Blick zu Mister Stirnband, der neben ihm auf einer anderen Matte saß.

Im fahlen Licht des Mondes, welches durch eine Öffnung einige Meter über ihnen herabschien, waren deutlich die zahlreichen Tätowierungen auf seiner Haut zu erkennen. Der Japaner drehte den Kopf und sah, dass der europäische Zellengenosse seinen auf diese Weise verzierten Rücken bewunderte. Der Europäer konnte nicht sagen, ob die Tätowierungen aus der Zeit ihrer Inhaftierung stammten, doch im Laufe der Jahre sollte er von dem Mann noch vieles über die fernöstliche Lebensart lernen.

Und so dauerte es gar nicht lange, bis der kräftige Europäer Mister Stirnband auf der mondbeschienen Matte ablöste und sich von den drahtigen alten Händen seines Freundes ebenfalls eine der traditionellen Wabori-Tätowierungen in seinen vernarbten Rücken ritzen ließ.

Eine wunderschöne Kirschblüte.

Später ging Mister Stirnband auch dazu über, dem Europäer das Gesicht und den Kopf zu rasieren.

  

Jahre vergingen. Wie viele? Zwanzig? Fünfundzwanzig? Vielleicht sogar dreißig.

Mister Stirnband war merklich gealtert.

Die langen Arme des Europäers waren mittlerweile mit wundervoll gestalteten Tätowierungen geschmückt. Ein in die Lüfte steigender Drache und ein Samurai zierten seinen muskulösen Rücken. Mit zusammengekniffenen Augen beobachtete er einen seiner Mitgefangenen dabei, wie er einen Schnürsenkel entfernte und diesen an einen kurzen Bambusstock band, dann bemerkte er auch die Rasierklingen, die der Mann an den Schnürsenkel knotete. Die Männer planten etwas. Er spürte, dass ein Aufstand in der Luft lag, und wieder fühlte er diese unbändige Wut in sich hochkochen. Die Jahre in der Zelle hatten ihn auf einen solchen Moment vorbereitet. Wann es so weit sein würde, wusste er nicht. Doch tief in seinem Inneren brodelte der Zorn, sein Aggressionspotenzial stieg über die Zeit immer mehr an. Wenn die Wut ihn zu übermannen drohte, trainierte er in seiner Zelle, stemmte Liegestütze mit einem seiner Zellengenossen auf dem Rücken.

Mister Stirnband war nun siebzig Jahre alt, seine Uniform beinahe vollständig verschlissen und er selbst so mitgenommen wie die Kleidung, die er am Leibe trug. Aber er war unglaublich loyal. Auf gewisse Weise ähnelte er der Figur des Freitag in Daniel Defoes Geschichte von Robinson Crusoe. Er sprach nur selten, und wenn er es tat, drang oft nur ein unverständliches Murmeln über seine Lippen. Hin und wieder raunte er ein »Hai«, untermalt von seinem fast durchgehenden Kopfnicken. Vorsichtig schob er die Nadel unter die Haut des Europäers, so wie er es bereits viele Male in den vergangenen Jahrzehnten getan hatte. Nur zu gern hätte er sich dem Europäer vorgestellt, aber er hatte Schwierigkeiten, sich an seinen eigenen Namen zu erinnern. Er hatte ihn vergessen. Die Tage und Nächte der Folter hatten ihre Spuren an seinem gezeichneten Verstand hinterlassen. Mister Stirnband war in diesem Gefängnis gelandet, weil er eine wesentliche Rolle in der Planung eines Protestmarsches gegen eine US-amerikanische Nuklearwaffenbasis gespielt hatte. Genau wie den Europäer hatten sie ihn einfach von der Straße weggeholt. Als er verschwunden war, hingen seine Mutter und sein Vater über fünfundzwanzig Jahre hinweg immer wieder frische Vermissten-Plakate auf, bis zu ihrem Tod.

Seine damalige Freundin, die ebenfalls Aktivistin gewesen war und es geschafft hatte, rechtzeitig unterzutauchen, führte daraufhin die Arbeit seiner Eltern fort. Und obwohl sie über die Zeit einen neuen Partner kennengelernt und eine Familie gegründet hatte, klebte sie sein Bild unermüdlich weiter an Schaufenster oder schob es unter die Scheibenwischer parkender Autos. Wenn ihre Kinder sie nach dem Mann fragten, den sie stets als ihren Onkel bezeichnete, erzählte sie ihnen, dass er ein gebildeter, herzlicher und treuer Mann gewesen war. Sie erzählte ihren Kindern, dass ihr Onkel immer dann geschwiegen hatte, wenn es angebracht war, gleichzeitig aber auch eine Stimme für Tausende sein konnte. Sie erklärte ihnen, dass er alle Menschen unabhängig ihres sozialen Status gleichermaßen respektiert und immer daran geglaubt hatte, dass es niemandem erlaubt sein sollte, sich über andere zu erheben. Eine Vorstellung, die sie auch an ihre Kinder weitergeben wollte.

Mister Stirnband war in geschichtlichen Dingen sehr bewandert und gleichzeitig ein wahrer Visionär gewesen. Der Schmerz über den Verlust seiner Familie und seiner Geliebten hatte ihn tief getroffen, wie ein Messer, dass sich ihm ins Herz bohrte. Er akzeptierte sein Schicksal und doch sehnte er sich danach, wenigstens die Chance gehabt zu haben, sich von ihnen verabschieden zu können. Manchmal fragte sich Mister Stirnband, wieso er nicht aufgegeben hatte und in diesem unterirdischen Gefängnis einfach gestorben war, wie so viele andere Männer. Die einzige Antwort, die ihm einfiel, war, dass ihn die Liebe seiner Verwandten in Freiheit am Leben hielt.

  

Donnergrollen. Ein Blitz zuckte am Himmel auf. Regen drang in ihre Zelle und rann an den steinernen Wänden hinab. Ein unangenehmes und zu allem Überfluss nicht selten auftretendes Ereignis, an das sich die Männer aber mittlerweile gewöhnt hatten. Der kräftige Europäer biss die Zähne zusammen. Auch er litt unter den Jahren der seelischen Misshandlungen und dem Verlust seiner Familie, sowie unter den beschwerlichen Umständen, tief unter der Erde in einer klammen, dunklen Zelle von der Außenwelt abgeschnitten zu sein. Ein gleißender Blitz ließ ihn kurz in flackerndem Licht erscheinen. Sein Zorn wuchs.

Eine Ratte huschte über den rissigen, unebenen Boden. Geschickt mied sie die vereinzelten Pfützen am Boden, wurde aber schließlich von einer knochigen Hand geschnappt.

Einer der japanischen Gefangenen, vielleicht sechzig Jahre alt, hatte die Ratte gepackt und zerquetschte sie zwischen seinen Fingern. Er war in eine Ecke der Zelle zurückgerutscht und schien vollkommen den Verstand verloren zu haben. Seine Pupillen glichen Scheiben schwarzer Oliven und seine Augäpfel waren so groß wie Billardkugeln.

Ein ähnlich aussehender Mann, der auf einer abgenutzten Tatami-Matte kauerte, zupfte Wanzen von seinem Kopf. Hin und wieder aß er verstohlen eine davon, verbarg die Leckerbissen aber vor seinen Zellengenossen, weil er glaubte, dass sie ihm diese streitig machen würden, wenn sie ihn essen sahen. Seine Kiefer arbeiteten, während er die Wanzen zwischen seinen klappernden Zähnen zermalmte.

Die schmutzige und klamme Umgebung der unterirdischen Zelle setzte den Männern unerbittlich zu. Ihre psychische und physische Verfassung hätte dringender Behandlung bedurft. Doch stattdessen starrten sie nur tagein, tagaus wie hypnotisiert auf den Schatten, der immer wieder durch ihre Zelle strich. Gebannt lauschten die Männer den tiefen, schweren Atemzügen des Europäers, der seine Zeit in Gefangenschaft darauf verwendete, seinen Körper in Form zu halten und abwechselnd einen von ihnen in die Höhe stemmte, immer und immer wieder.

  

***

  

Ein Stacheldrahtzaun führte um einfach konstruierte, hölzerne Wachtürme auf einem kargen Gelände im nordöstlichen Japan. Sie ragten über grasbewachsenen Hügeln mit metallenen Falltüren auf. Eine streng geheime Gefängnisanlage. Auf einem rostigen Schild ließen sich japanische Schriftzeichen erkennen: P.S.I.A. – Public Security Intelligence Agency, der japanische Nachrichtendienst.

Ein maskierter weißer Mann in Tarnkleidung tauchte hinter einem der Hügel im Inneren der Anlage auf.

Ffft! Ffft!

Die lautlosen Schüsse des Mannes töteten zwei der Soldaten in den Wachtürmen.

Der Mann huschte dicht über den Boden auf eine der Metallluken zu. Als sich ganz in seiner Nähe eine andere Luke öffnete und ein Soldat erschien, gab der Mann zwei schnelle Schüsse auf ihn ab. Eine Kugel riss ihm den Arm ab, die zweite ließ den Hinterkopf des Wachsoldaten explodieren und Gehirnmasse und Knochensplitter wie aus einem Gartenspringbrunnen schießen. Dann feuerte der Eindringling noch eine dritte Kugel hinterher.

Der Körper des Soldaten zuckte wie eine Marionette, als wäre ein Stromschlag durch ihn hindurchgefahren.

Durch seine Maske starrte der Fremde auf den frischen Leichnam hinab, der noch immer unkontrolliert zuckend vor ihm am Boden lag. Eine Freudenträne rann ihm aus dem Auge, denn auf eine geradezu sadistische Weise genoss er jedes neue Opfer noch mehr als den Toten zuvor.

  

Unter ihm, in dem Gefängnis unter der Erdoberfläche, verebbten die schweren Atemzüge.

Der Mann mit der Ratte in der Hand zuckte zusammen und drehte sich zu seinem Wanzen essenden Zellengenossen um. Gemeinsam lauschten sie in die Stille hinein.

Auch die anderen Häftlinge blickten nun zu der moosbewachsenen Decke hinauf.

Ein gewaltiges Dröhnen war von oben zu hören. Dreck und Staub regneten herab.

In Ermangelung von Hanteln stemmte der Europäer den hageren Mister Stirnband als Gewicht in die Höhe. Der Mann, der äußerlich immer noch einer Eiche glich, war nun achtzig Jahre alt. Seine Muskeln zeichneten sich deutlich unter seiner fadenscheinigen, olivgrünen Uniform ab. Seine Arme waren so dick wie Oberschenkel. Sein Haar war verfilzt und sein Gesicht von einem dichten Bart bedeckt. Mit seiner Statur sah er aus wie Arnold Schwarzenegger. Sein Name war Frederick. Er stemmte den loyalen Mister Stirnband in die Höhe und stieß warme Atemwolken in die kalte Zelle. Schmutz rieselte ihm ins Gesicht. Er lauschte, während er den alten Japaner nach oben drückte. Seine Muskeln traten von der Kraftanstrengung hervor. Sein Gesicht nahm einen neugierigen Ausdruck an. Irgendetwas war passiert, eine Art Überfall vielleicht. An der Luke über ihnen huschte etwas vorbei. Frederick richtete sich auf und setzte Mister Stirnband vorsichtig auf dem Boden ab.

In dem schwach beleuchteten Korridor tief unter der Erde flackerte ein Licht auf.

Stimmen riefen etwas auf Japanisch, begleitet von Gewehrsalven.

Einer der Wachleute wirbelte herum und legte sein Gewehr an, aber es war bereits zu spät. Er wurde von Kugeln durchsiebt, die sich durch seine Uniform und sein Fleisch bis in seine Lunge und andere lebenswichtige Organe bohrten. Die Kugeln brachen ihm die Rippen, rissen ihn von den Füßen und trieben ihn gegen die Wand. Dort sackte der Wachmann als blutdurchtränktes Bündel zusammen.

Frederick blinzelte zu der stabilen Eisentür.

Kugeln prallten von der Tür und einigen der Gitterstäbe ab.

Der Widerhall von Schreien vermischte sich mit dem Krachen von Gewehrschüssen und dem gelegentlichen dumpfen Poltern der Wächter, die jenseits der Zellentür zusammenbrachen.

Lautlos abgefeuerte Kugeln bohrten sich in die rostigen, feuchten Metallwände entlang des Korridors.

Ein maskierter Mann erschoss zwei weitere Wachen. Im Vorbeigehen trat er mit seinen schweren, schwarzen Stiefeln auf die Brust eines Soldaten. Blut und Innereien quollen aus dem Leichnam, als sich der Stiefel tief in die offene Brustwunde senkte.

Als er an einer der Zellentüren vorbeilief, starrten ihn durch das vergitterte Fenster drei halb verrückte japanische Gesichter an. Gesichter von Männern, die Jahre der Isolationshaft hatten erdulden müssen. Wer waren sie? Was hatten sie verbrochen? Doch selbst die Häftlinge hatten vergessen, weshalb sie hier eingesperrt worden waren.

Der maskierte Mann brachte ein explosives Gel an der eisernen Tür von Fredericks Zelle an. Schnell begann es zu glühen und erhellte den dunklen Korridor. Der Mann trat ein paar Schritte zur Seite, schirmte sich das Gesicht ab und wartete.

Aus der Zelle war kein Laut zu hören.

Frederick selbst war inzwischen misstrauisch geworden und wich von der Tür zurück, ohne den Blick von ihr abzuwenden.

Ein Knirschen. Der Häftling mit der Ratte in der Hand hatte dem Tier den Kopf abgebissen.

WUMM!

Die Zellentür wurde aus ihren Angeln gerissen und flog in die Zelle hinein. Sie köpfte den Mann mit der Ratte und blieb in der Wand hinter ihm stecken.

Ein grelles Licht, das vom Lauf eines Maschinengewehrs ausging, zuckte durch die Zelle. Ein roter Ziellaser huschte flackernd umher.

Der maskierte Mann betrat die Gefängniszelle. Er hielt die Waffe wie jemand, der im Umgang mit ihr geübt war, wie ein Mitglied einer Spezialeinheit. Umsichtig suchte der Gewehrlauf jeden Winkel ab.

Einer der Gefangenen musterte den Mann eindringlich mit irrem Blick. Dabei schwankte er ein wenig, hypnotisiert von der offenen Tür und dem potenziellen Weg ins Freie.

»Opa?«, fragte der maskierte Mann.

Der Gefangene mit den irren Augen zuckte zusammen, als plötzlich einer der schwer verletzten Wachleute mit einer Remington-870-Schrotflinte in der Hand in die Zelle stolperte.

Frederick trat einen Schritt vor und zerschnitt mit einer selbstgebastelten Schnürsenkel-Rasierklingen-Peitsche das Gesicht des Wachsoldaten. Mit der anderen Hand schlug er den Wachmann bewusstlos und schnappte sich gleichzeitig dessen Waffe. Frederick lud die Schrotflinte durch. Danach drehte er sich um und sah blinzelnd zu dem maskierten Eindringling. Ein Funkeln des Wiedererkennens schimmerte in seinen Augen.

Hinter ihm stand Mister Stirnband, zusammen mit den anderen Zellengenossen.

Einer der Gefangenen starrte abschätzend auf die Leiche des Rattenmannes hinab. Er schien zu der Ansicht gelangt zu sein, dass die Lage nun weniger gefährlich war, beugte sich zu ihm hinunter und nahm ihm die halb aufgegessene Ratte aus der Hand. Er wischte etwas von dem Schmutz von ihr ab, dann begann er selbst, die Ratte zu verspeisen. Dabei hob er immer wieder den Kopf, um möglichst nichts von dem Schauspiel zu verpassen, dass sich vor seinen Augen bot.

Der Mann zog sich die Maske vom Gesicht und offenbarte strohblonde Haare und das glatte, gut aussehende Gesicht eines Mannes von vielleicht fünfunddreißig Jahren. Sein Name war Philip.

»Mein Enkelsohn?«, fragte Frederick in perfektem Japanisch.

Philip lächelte amüsiert.

Frederick trat zu ihm. Er musterte Philip für einen langen Augenblick, dann lächelte auch er.

  

Brady

 

Vor dem Hackensack University Medical Center in New Jersey kämpften zwei Männer mit einem überdimensional großen Weihnachtsbaum.

Im schwindenden Licht der Dämmerung fixierten sie einen Weihnachtsstern auf der Spitze der Tanne, während in einem der Behandlungsräume der Klinik ein anderer, langsam verblassender Stern behandelt wurde.

Eine Hand ließ schwungvoll eine Röntgenaufnahme gegen einen Leuchtkasten an der Wand klatschen. Auf dem Röntgenbild war ein Schultergelenk zu erkennen.

Der Arzt, dem die Hand gehörte, war indischer Abstammung und um die dreißig. »Okay, Sie können Ihr Hemd wieder anziehen und dann besprechen wir alles weitere.«

Joe Brady war das Inbild eines Zynikers. Er hatte genug vom Leben und von anderen Menschen. Er saß mit nacktem Oberkörper und in Boxer-Shorts auf dem Rand einer Krankenliege und ließ die Beine herunterhängen. Sein Körper glich einer Straßenkarte aus Narben und Verbrennungen. Brady war übersät mit alten Schusswunden, Schnittverletzungen, Kratzern und alten Nähten. Außerdem war er unrasiert, sein Haaransatz merklich zurückgewichen. Die wenigen Haare, die ihm noch geblieben waren, ragten grau und stoppelig aus seinem Hinterkopf. Das kümmerte ihn jedoch wenig, was kaum verwunderlich war, wo er doch auch sonst einen Scheiß auf alles gab, ganz besonders, was Klamotten oder seine Frisur anbelangte. Brady wirkte wie in Trance. Mit glasigen Augen starrte er die Röntgenaufnahme an.

»Mister Brady? Detective?«

Brady rollte langsam seine Augen nach oben, um den Doktor anzusehen. »Ich bin im Ruhestand.«

»Schön, das zu hören«, antwortete der Doktor und erwiderte den Blick. »Ich sagte, Sie können sich jetzt wieder anziehen.«

Brady sah an sich hinunter. »Schön, das zu hören. Langsam wird mir kalt«, antwortete er schnippisch. Dann widmete er seine Aufmerksamkeit seinem rechten Ellbogen und betrachtete die beiden Metallstifte, die aus diesem herausragten. Für einen Moment zuckte er ein wenig zusammen, vor Schmerzen, vielleicht aber auch nur wegen des Anblicks. »Hey, Doc, bleiben die Dinger da drin?«

Der Doktor platzierte eine weitere Röntgenaufnahme neben der ersten. Auf dieser war ein Kniegelenk zu sehen. »Die Stifte sorgen dafür, dass der Knochen wieder gerade zusammenwachsen kann. Und sie stehen deshalb heraus, damit die Chirurgen sie später wieder leicht entfernen können. Wir müssen sie nur etwas bedecken.«

Brady seufzte. Er schnallte sich den Gürtel seiner Jeans um, dann streifte er sich ein weißes Unterhemd über. Feinripp. Das erinnerte ihn an etwas und er kicherte unter Schmerzen in sich hinein.

»Was wollen Sie als Erstes hören?«, fragte der Doktor.

»Wird das so eine Zuerst-die-gute-dann-die-schlechte-Nachricht-Sache?«, wollte Brady wissen.

»Unglücklicherweise habe ich nur zwei schlechte Nachrichten«, erwiderte der Doktor.

»Schießen Sie los.« Brady seufzte erneut. Er sah zu, wie der Doktor auf verschiedene Teile des Röntgenbilds deutete, und versuchte ihm zu folgen.

»Ihre beiden Knie haben ihr Knorpelgewebe eingebüßt. Das findet man normalerweise an der Stelle, wo zwei Knochen aufeinandertreffen. Man nennt das dann das Gelenk. Ein gesunder Knorpel wird auch Hyalin genannt, von dem Sie aber so gut wie nichts mehr besitzen. Das hat zur Folge, dass ihre Knochen aneinander reiben, was Ihnen ernsthafte Schmerzen bereitet. Ihre linke Schulter ist am Oberarmknochen zersplittert. Es wird schwer werden, die Knochenstücke wieder zusammenzusetzen. Wir haben es hier mit einer avaskulären Nekrose zu tun, einem schmerzhaften Zustand, der dann auftritt, wenn die Blutzufuhr zu den Knochen unterbrochen ist. Außerdem haben sie einen beträchtlichen Riss in der Schulter.«

Brady schluckte. Er kräuselte die Lippen, nickte und sah den Doktor an. »Und jetzt das Ganze noch mal so, dass jemand wie ich es auch versteht.«

Der Doktor musterte Joe von oben bis unten. Er sah einen einfachen Mann vor sich, der ernüchtert, beinahe besiegt wirkte. Und er sah jemanden, der die simple Wahrheit hören wollte, also sollte er sie bekommen. »Ihre Schulter und ihre Knie sind im Arsch.«

»Kopf, Schulter, Knie und Zehen. So viel zu meinem Lieblingskinderreim. Na großartig!« Brady stieß einen tiefen Seufzer aus, nickte und fuhr damit fort, sich weiter anzuziehen.

»Osteoarthritis ist eine bekannte Diagnose bei Knorpelschäden. Das kann zu einer eingeschränkten Beweglichkeit, anhaltenden Schmerzen und chronischer Müdigkeit führen«, bemerkte der Doktor.

»Hey, L’Oreal, den wissenschaftlichen Teil können Sie sich schenken. Wodurch wird so etwas verursacht?«

»Von Häusern zu fallen und Terroristen abzuwehren war sicherlich nicht besonders hilfreich dabei, aber wenn Sie meine ehrliche Meinung hören wollen, haben Sie es hauptsächlich starkem Alkoholkonsum zu verdanken.«

»Und ich dachte schon, Sie kommen mir mit Krebs um die Ecke«, witzelte Brady.

»Nun, es ist bekannt, dass das Metall in Knieprothesen über längere Zeitraum hinweg Stoffe abgibt, die für Blutkrebs verantwortlich sein sollen, also werden wir Sie auch auf Blutkrebs untersuchen.«

»Großartig. Könnt ihr Typen so was heilen?«

»Wenn Sie mit ihr Typen Ärzte meinen, lautet die Antwort: Ja. Auf diesem Gebiet der Orthopädie werden derzeit große Fortschritte erzielt. Was Ihre Schulter anbelangt, würde ich empfehlen, sie mit einer hochglanzpolierten Metallkugel und einer Gelenkpfanne aus Plastik ersetzen zu lassen.«

Brady unterbrach ihn, mit einem sarkastischen Unterton in der Stimme. »Warten-Sie-mal. Sagten Sie gerade, die Kugel ist wirklich hochglanzpoliert?«

 

Vor der Tür des Untersuchungszimmers wischte eine männliche Putzkraft unmotiviert den Boden.

Brady trat auf den Gang und zog die Tür hinter sich zu. Dann schlurfte er über den Korridor und rief sich die Worte des Doktors ins Gedächtnis.

beider