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ANDREAS
SCHUTTI

mit Daniel Gerber

DiSCO

GELD · SEX · MACHT

Wie ich erst alles verlieren musste, um wirklich reich zu werden

KÖNiG

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ISBN 978-3-7751-7433-6 (E-Book)

Datenkonvertierung E-Book: CPI books GmbH, Leck

© 2019 SCM Hänssler in der SCM Verlagsgruppe GmbH

Soweit nicht anders angegeben, sind die Bibelverse folgender Ausgabe entnommen:

Lektorat: Christiane Kathmann, www.lektorat-kathmann.de

INHALT

Über den Autor

PROLOG: Der verlorene Sohn

 1 | Top of the World

 2 | Villa Wahnsinn

RÜCKBLENDE: Der verstoßene Sohn

 3 | Europa ist nicht genug

 4 | Heiße Nächte, kalte Herzen

RÜCKBLENDE: Schrei nach Liebe

 5 | Was nützt es, die ganze Welt zu gewinnen?

RÜCKBLENDE: Ärmlich aufgewachsen

 6 | Schicht im Schacht

 7 | Gespräche mit dem Gründer und Leiter des Universums oder: Der letzte Schrei der Sexgöttinnen

RÜCKBLENDE: »Euch allen werde ich es noch zeigen!«

 8 | Showdown in Milano

 9 | Vom Mammon zum Manna

10 | Vom König zum Kind Gottes

11 | Wie der Vater so der Sohn

12 | Jesus erzählte meine Geschichte vor 2 000 Jahren

EPILOG: Warum Hugh Hefner nicht glücklich war

ÜBER DEN AUTOR

ANDREAS SCHUTTI (Jahrg. 1969) machte in Österreich als Discokönig Schlagzeilen. Heute lebt er mit seiner Familie in Mödling/Österreich. Die Bibel ist für ihn das Fundament des Glaubens und Jesus Christus sein großes Vorbild.

DANIEL GERBER lebt mit seiner Familie in der Schweiz. Er arbeitet als freier Journalist u. a. für die Berner Zeitung, livenet.ch und Open Doors. Er ist Autor mehrerer Bücher.

PROLOG

Der verlorene Sohn

Letztlich war es nicht schwer gewesen, die beiden Prostituierten zu Sex ohne Gummi zu bewegen. Bei der einen brauchte es etwas mehr Überredungskunst als bei der anderen, aber bald waren die zwei bereit, meinen Appetit auf einen Dreier zu stillen. Schöne Worte und harte Währung führten dazu, dass ich diesen Kick, das Spiel mit dem Tod, ausleben konnte, dank Viagra auch ziemlich lange.

Allerdings war der Sex nur das vordergründige Ereignis. Auf gleicher Ebene stand der Reiz, die beiden herumzukriegen und sie dazu zu bringen, etwas zu tun, das sie zunächst abgelehnt hatten.

Doch dieser Kick allein reichte mir nicht. Nachdem ich von den beiden abgelassen hatte, fuhr ich nach Linz zu meiner Familie, um mit meiner Lebensgefährtin zu schlafen. Anschließend brauste ich in meinem Cabrio zu meiner Geliebten, der amtierenden Miss Austria, um mit ihr das Quartett vollzumachen.

Ich führte ein Leben in Saus und Braus. Die erfolgreichsten Diskotheken im Land gehörten mir. Dank der wildesten Aktionen, zum Beispiel Nacktduschen normaler Besucher in einer Glaskabine auf der Bühne, waren meine Ausgeh-Tempel stets zum Bersten voll.

Die Millionen flossen auf mein Konto und ich streckte meine Fühler aus, um die NACHTSCHICHT-Kette um Standorte in Südafrika, Spanien, USA, England, Deutschland und der Schweiz auszudehnen. Ich hatte es geschafft. Ich, der kleine Junge, aus Oberösterreich, der in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen war, in einem Haus mit Lehmboden, ohne fließendes Wasser und einem Plumpsklo.

Doch mein märchenhafter Aufstieg forderte seinen Tribut: Warum nur überlegte ich, ob ich bei 260 Kilometer pro Stunde zwischen Wien und Linz einfach die Hände vom Lenkrad nehmen sollte? Innerlich war ich komplett ausgelaugt. Moralisch bankrott, zerrissen und abgewrackt. Wären nicht meine Kinder gewesen, hätte es sicherlich die Beerdigung des Jahres gegeben, bei der die falschen Freunde, all die Schmarotzer und Neider so getan hätten, als hätten sie mich geliebt. Die wahren Gefährten und meine Angehörigen hätten echte Tränen der Trauer fließen lassen.

Ziellos, haltlos, rastlos eilte ich von einem irdischen Erfolg zum anderen. Wie der verlorene Sohn in der Bibel wollte ich an einem Ort der Geborgenheit ankommen. Mit einem Unterschied: Der junge Mann aus dieser Geschichte hatte einst ein echtes Zuhause, ich aber hatte in der Kindheit keine Vaterliebe erfahren. So war ich der verlorene Sohn, der heimwollte, ohne zu wissen, wo das ist.

1

Top of the World

»Auf euch werde ich runterpissen!« Diesen verheißungsvollen Vorsatz setzte ich in Graz nun auch in die Tat um. Nur wenige Jahre zuvor hatte ich mir geschworen, dass mein gelber Strahl die Lackaffen und Gastrobonzen der Stadt treffen würde. Freilich stand ich nicht tatsächlich auf dem Dach unserer neuen NACHTSCHICHT, um einen geharnischten Treffer zu landen. In der Zeit der Mobiltelefon-Kameras wäre das doch eher suboptimal gewesen – auch wenn ein Skandal oft die beste Werbung ist. Stattdessen tat ich es nur symbolisch, aber dafür umso ausführlicher.

Mein Schwur ging zurück auf die Eröffnung des »Lucky Valley« in Linz. Mit diesem gigantischen Lokal hatte ich mich erst wenige Jahre zuvor in die Liga der Big Player hochkatapultiert. Eines Abends stand ich auf dem Parkdeck dieses Zentrums und sah die Gastrokapitäne der Stadt, wie sie bei einem Empfang mit ihren Rotwein- und Champagnergläsern zusammenstanden und jeder über seine eigenen Witze lachte. In diesem Moment schwor ich mir: Auf diese wichtigtuerischen, geschniegelten Lackaffen und Ausgeh-Generäle würde ich eines Tages runterpissen. Denen allen würde ich »es« eines Tages zeigen.

Und nun war dieser Moment gekommen. Ich führte bereits mehrere pulsierende Diskotheken und die NACHTSCHICHT in Graz war das neue Prunkstück in dieser Ausgeh-Juwelensammlung. Der eingangs erwähnte Zeitpunkt war somit gekommen. Natürlich waren es nicht genau »die«, die ich damals gesehen hatte. Doch inzwischen zeigte ich »es« den anderen Discobesitzern und Gastrogenerälen in mehreren großen Städten Österreichs. Ich hatte »sie« nun zu Luft, zu Wasser und zu Boden besiegt, an die Wand gefahren und angezählt. Der Erfolg, das Im-Mittelpunkt-Stehen, die Anerkennung waren die Luft, die ich zum Atmen brauchte. Etliche waren eifersüchtig, aber wie heißt es so schön: Neid ist etwas, das man sich verdienen muss. Und dafür hatte ich hart geschuftet. Vor meinen Etablissements standen die Leute Schlange. Über meine Ausgeh-Tempel wurde in den Medien berichtet. Die Stars gingen ein und aus. Ich war oben angelangt auf dem Dach der Discowelt. Mit meinem neuen Lebensgefühl holte ich Pokal um Pokal in Form von Frauen, Autos und immer wieder neuen Ausbauplänen.

Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass ich später russisches Roulette in einem Bordell spielen würde, wodurch ich nicht nur mich, sondern auch andere Menschen in den Tod reißen konnte. Selbst in meinen durchaus kühnen Träumen wagte ich nicht, mir vorzustellen, dass wir nach Südafrika expandieren würden, wo uns eine Schießerei vor dem Lokal die Schockstarre in die Gebeine treiben würde, und nach Spanien, wo die marokkanische Drogenmafia für die Polizei nur ein müdes Lächeln übrig hatte.

Ohne Höschen gegen »Freude«

Zum NACHTSCHICHT-Komplex in Graz gehörten gleich mehrere Ausgeh-Lokale: der Tanztreff Mausefalle, die Disco Kokomo, das Rock-Café sowie ein Spielsalon.

Mein Lächeln zog sich bis weit über die hintersten Backenzähne, als ich erfuhr, dass wir mit unserer Inhousepartymeile insbesondere einen Konkurrenten ausgestochen hatten: die Diskothek Fun (also »Freude«). Die »Fehde« reichte zurück in eine andere Stadt. In Linz standen wir bereits in Konkurrenz mit diesem Nachtschwärmer-Mekka, das einige Zeit vor unserer Eröffnung ins Grazer Nachtleben eingestiegen war. Mit unserem Nacht-Imperium setzten wir neue Maßstäbe und wir räucherten mit dem Kunstrauch unserer Disco den Freudentaumel im Fun schlicht und ergreifend aus. Die Leute gingen nicht mehr in die Freudenhöhle, sie kamen zu uns. Und dies in solchen Scharen, dass sogar die Verkehrsnachrichten durchaus süffisant davon erzählten – der hippe Sender Ö3 berichtete, dass unsere Eröffnung einen Verkehrsstau ausgelöst hatte …

Ich hatte alle Register gezogen und das Kokomo ganz im afrikanischen Stil gestaltet mit üppigen Palmen und afrikanischen Skulpturen und Masken, die jedoch in Neonfarben bemalt waren. Unser Personal tippelte in eng geschnittenen Stofffetzen mit Leoparden- und Zebramustern herum, die Männer wie Tarzan, die Frauen wie Jane. Sogar ein Pool befand sich im Innenbereich.

Unser Personal war hip und zog das Publikum richtiggehend ins Lokal. Damit unsere Barkeeperinnen – oft mit Rastas ausgestattet – und die männlichen Cocktail-Helden die Gäste sexy und knackig bezirzten, schenkte ich ihnen Solarium-Gutscheine, denn sie sollten auch in den Frostmonaten wohlige karibische und mediterrane Wärme verströmen und zum Bleiben und Anbeißen verlocken. Um gerade Letzteres sicherzustellen, versprach ich einzelnen Mädels einen ansehnlichen Trinkgeld-Bonus, wenn sie unter dem ohnehin knappen Raubtier-Muster-Mini kein Höschen trugen. Also rein gar nichts außer die – nun ja – nackte Natur. Ein paar machten dies hemmungslos mit. Manche bückten sich lasziv und langsam, wenn sie hinter der Bar etwas aus einem tiefer gelegenen Regal oder einer Schublade hervorholen mussten oder wenn ihnen beim Bedienen etwas auf den Boden gefallen war. Die Männer schauten verblüfft – und bestellten nach. Es gab sogar einige Kellnerinnen, die sich unten anfassen ließen, wenn jemand eine Flasche Champagner bestellte. Die Massen kamen in Strömen. Der Alkohol floss in Strömen. Das Geld floss in Strömen. Sieg auf der ganzen Linie.

In meinen – und nicht nur in meinen – Augen war ich schlicht der Größte. Mit diesem weiteren Nachtlokal hatte ich mir auf dem vermeintlichen Höhepunkt meiner Discokarriere noch einmal ein weitaus höheres Ziel gesetzt und auch dieses erreicht. Ich war derart selbstverliebt, dass ich glaube, alles, was ich wollte, auch erreichen zu können. Bestätigt wurde ich darin von wimpernklimpernden Schönheiten, die Dinge flöteten wie: »Wenn der Andi in einen Raum kommt, betritt er ihn nicht – er erscheint!« Obschon ich eine Familie hatte, die mich liebte, erschien ich manchen dieser Mädchen in der Nacht …

Der Erfolg prägte mein Ego nach Belieben. Regelmäßig wurde über unsere Lokale in der Presse berichtet. Mein Stolz wuchs täglich. Es fühlte sich gut an, der Größte zu sein und die Millionen auf dem Konto zu sehen – denn ich war aus dem Nichts gekommen. Einst gehänselt, stand ich nun ganz oben.

Ich konnte dabei zusehen, wie in meinem Leben das in Erfüllung ging, wovon Heerscharen von Männern träumen: ein lautes, schrilles, schillerndes Nachtleben. Mädels, die einen anhimmeln. Geld, das einem nachrennt (statt umgekehrt). Boliden mit so viel PS, dass es für einen Kenworth-Truck reichen würde.

Wirklich damit umgehen konnte ich nicht. Die Leute scharten sich um mich, sonnten sich in meinem Erfolg und wollten etwas davon abbekommen. Manche taten alles für mich. Wenn mir ein Mädel gefiel, organisierten mir Typen ihre Nummer, ohne dass ich danach gefragt hatte – einfach um sich bei mir einzuschleimen und Punkte zu sammeln. Im Gegenzug zeigte ich mich großzügig und verlieh beispielsweise meine Autos.

All dieser Erfolg war im Grund Gift für mich, doch ich trank dieses in vollen Zügen. Und ich fand darin nur Bestätigung. Keiner sagte: »Das ist Blödsinn, was du da machst!«, wenn ich permanent meine Lebensgefährtin betrog. Keiner fragte: »Denkst du, dass das richtig ist? Du hast eine Familie!« Da waren nur die Schulterklopfer, die das toll und cool fanden und mich dabei unterstützten – und selbst nach allen Regeln der Kunst das Gleiche taten. Ich hatte keinen Freund der Sorte, die auch mal bereit ist, einem ins Gewissen zu reden. Im Gegenteil: Mein Erfolg bedeutete für viele andere Geschäftsleute, dass auch sie erfolgreicher waren, etwa jene Lieferanten, die durch uns zu Überfliegern wurden. Klar, dass da niemand Tempo aus der Sache nehmen wollte. Um mich herum gab es nur Leute, die mich noch mehr in die Richtung pushten, in die ich bereits ging.

Sehen und übersehen werden

Innerlich lebten eigentlich zwei Andis in mir. Der eine, der gern und laut im Mittelpunkt stand. Der, der sich in der Masse sonnte und Mädels abschleppte. Ich wollte das alles richtig auskosten. Oft hielt ich unterwegs auf einem Parkplatz wenige Minuten von der Disco entfernt kurz an, um 150 Liegestützen zu stemmen, um die Muskeln aufzupumpen, damit diese schön angespannt und für die weiblichen Besucher ein Blickfang (und für die männlichen ein Statement) waren. Bei den beliebten Chuck-Norris-Facts würde es heißen: »Wenn Chuck Norris Liegestütze macht, drückt er nicht sich nach oben, sondern die Welt nach unten.« Genau so fühlte ich mich.

Da war aber auch der andere Andi in mir, dem ein gewisser Neidlevel unangenehm war. Ich fand es enorm cool, all die Schlitten von Mercedes über BMW bis hin zu Porsche zu fahren, die in meiner Garage darauf warteten. Aber wenn mich Bekannte vor der Disco damit sahen, war mir das peinlich. Das Angeber-Leben auf vier Rädern sorgte in mir für eine innere Scham, irgendwie war ich nicht der Überdrüber-Prolet. Ich fuhr selten – womöglich noch mit dem Cabrio – vor der Tür vor. Meine Lebensgefährtin Astrid war da eher die Autofanatikerin.

Da ich zwischen all den Discos und flüchtigen Bekanntschaften in ganz Österreich zirkulierte, legte ich jährlich an die 180 000 Kilometer zurück. Vor meinen Partybunkern parkte ich öfters in der dritten Reihe oder sogar auf einem Parkplatz hinter dem Lokal. Bei neidvollen Blicken und dem Negativen, das da mitschwingt, war ich sensibel.

Ein Abend war für mich dann ein gelungener Abend, wenn mein Lokal zum Bersten voll war. Und das war oft so. Wenn auch nur an einem Ort auf der Tanzfläche noch eine Lücke war, in die sich zwei oder drei Personen hätten reinquetschen können, wurde ich unruhig und begann bereits zu grübeln, was wir noch besser machen könnten. Existenz- und Versagensängste schossen schnell in meine stets kreisenden Gedanken und verursachten einen hämmernden Mechanismus in meinem Gehirn, der seine Wurzeln in meiner Kindheit hatte und mir auf Schritt und Tritt folgte.

War die Hütte voll, fand ich Ruhe und begann, mich nach feschen Mädels umzusehen, mit denen ich von Disco zu Disco ziehen konnte. An jedem Ort durfte ich den VIP-Eingang nutzen, was meine jeweilige Begleiterin natürlich beeindruckte. Das Augenpaar, das mich da von Stunde zu Stunde stärker bewunderte, war die Krönung auf meinem Discokönighaupt. Es ging mir bei diesen One-Night-Stands jedoch nicht so sehr um den Sex an sich – um den natürlich auch –, sondern um die Eroberung. Der Alkohol half mir, die Frauen schneller rumzukriegen und mein Gewissen abzutöten.

Männer zweimal, Frauen nur einmal

Warum genau geht man in so eine Disco wie meine NACHTSCHICHT? Nur wenige sind zum Tanzen da, die meisten wollen sich mindestens zeigen, sich präsentieren. Und von diesen wiederum wollen viele aufreißen oder aufgerissen werden. Zweifelsohne heißt das nicht, dass jede(r) da drin auch gleich bereit ist, mit jemandem ins Bett zu gehen. In all den Jahren habe ich beobachtet, dass bei den Frauen eine von zwei dazu bereit ist, mit jemandem ins Bett zu gehen. Bei den Männern dagegen gingen etwa 98 Prozent mit, wenn eine Frau ihnen schöne Augen machte. Oder anders gesagt: Die Männer mussten zweimal fragen, die Frauen einmal. Jeder Abend dreht(e) sich um das Gleiche und auch ich schaute, dass ich nicht zu kurz kam.

Für mich gab es zwei typische Arten von Aufriss-Nächten. Die eine lief so ab: Die Tanzfläche bebte, die Laune war feuchtfröhlich und ich erkannte, dass alles einwandfrei lief. Ein sorgenfreier Abend. Dies geschah selten, da ich immer irgendwo noch etwas sah, das zu optimieren war. Aber es gab sie. Mit einem positiven Gefühl in den Eroberungsfeldzug zu steigen, machte natürlich noch viel mehr Spaß.

Unter über tausend Mädels, die sich im Lokal in Szene setzten, war schnell eine für den Boss des Betriebs gefunden. Standesgemäß baggerte ich aber nicht selbst, sondern ich schickte jemanden von der Crew, um abzuchecken, ob da etwas laufen könnte. Es erhöhte das Knistern, wenn die Kleine das Spiel mitspielte und anmutig in meinen Vorhof vordrang. Und es verhinderte, dass ich im eigenen Lokal einen Korb verpasst bekam. Ich war nicht der klassische Aufreißertyp und brauchte darum etwas Alkohol oder eine Starthilfe.

Dann ging es darum, die Maus zu beeindrucken. Ich zeigte ihr mein Reich und genoss die anerkennenden Blicke. Anschließend ging es nach draußen. Mit dem 500er- Mercedes klapperten wir die anderen Diskotheken ab und trafen uns jedes Mal mit dem Chef zum Small Talk. Auch hier ging es um sehen und gesehen werden. Es war wie im Film. An jedem Ort gab es einen Drink aufs Haus und an jedem Ort schmiegte sich das Mädel etwas enger an mich.

Bei diesen Abenden stand das Beeindrucken, das Sich-zur-Schau-Stellen, im Vordergrund. Sex war nicht der Ansporn, sondern der Jagdinstinkt. Was natürlich nicht hieß, dass man tief in der Nacht nicht trotzdem in einer Hotelsuite landete …

Die andere Form meiner typischen Disconacht steht in manchen Punkten im Widerspruch zur vorher beschriebenen Szene. Dennoch waren beide typisch.

Das Ausgangsszenario war ähnlich: Die Tanzfläche war gerammelt voll und ich erspähte eine richtig heiße Katze. Die Bässe wummerten, die Riffs rissen alles mit sich und der Kunstrauch ließ einen Moment der ungezähmten Freiheit riechen. Ich erkannte, dass es mit diesem Mädel etwas werden könnte, ging zu ihr, wir tranken etwas Alkohol und dann, so um 2 bis 3 Uhr in der Früh, nach etwas Schäkern, fragte ich schlicht und einfach: »Wollen wir Sex haben?«

Erstaunlich viele verstießen mich daraufhin nicht, besonders wenn sie wussten, dass ich der Boss des Lokals war. Dann ging es nach etwas Alkohol und Party in ein Hotel. Wichtig dabei war mir, den tollen Hengst zu markieren, was dank Viagra kein Problem war.

Eigentlich sorgte Viagra jedoch für eine Lähmung. Gefühle hatte ich dabei in den Lenden keine mehr. Sex wurde zur Kopfgeschichte, zum tierischen Akt, bei dem ich mir super vorkam. Mit Zärtlichkeit und Hingabe hat dies nichts zu tun, sondern mehr mit einem Stierkampf, bei dem es darum geht, das Ego zu befriedigen. Viele Männer bedienen sich deshalb auf dem Schwarzmarkt.

Alle sollten denken, dass ich ein toller Hecht bin, es war eine Art Marketing. Eigentlich ein Wahnsinn. Aber die Chicks waren von meiner Testosteronleistung beeindruckt. Ohne diese blauen Pillen hätte es gewiss genug Frauen gegeben, die von mir enttäuscht gewesen wären.

»Es ist vorbei!«

Natürlich litt Astrid unter meinen Affären, meist ließ sie sich jedoch nichts anmerken. Ich wusste selbst nicht, warum ich das tat, nachdem ich so verbissen um Astrid gekämpft hatte. Ich wollte ihr treu sein, doch es zog mich immer wieder weg. All den Druck vor der Eröffnung und auch in den Wochen danach – die Finanzierung war beispielsweise nur durch eine Geldjonglage der Extraklasse möglich – baute ich über das Ventil des Flirtens ab. In meiner äußerst knapp bemessenen Zeit fuhr ich manchmal statt zu meiner Familie ins ländliche Gebiet der Steiermark, wo ich ein Auge auf die Tochter eines anderen Discobesitzers geworfen hatte. Ihrer Mutter war das nicht nur recht, sie dachte aufgrund meines Erfolgs, dass ich sehr reich sei, und verkuppelte mich mit ihrer Tochter. Dass ich liiert und Familienvater war, spielte für meine Gespielin und ihre Mutter keine größere Rolle. Für meine Lebensgefährtin dagegen schon.

Astrid merkte, dass ich mich von ihr wegorientierte und eines Tages sagte ich ihr, dass es aus sei. Doch statt mit unsagbarer Traurigkeit oder einem Wutanfall von der Wucht eines Erdrutschs reagierte sie völlig unerwartet. Mit einer Bestimmtheit, die keinen Deutungsspielraum übrig ließ, entgegnete sie: »Ich denke nicht im Traum daran zu gehen. Sag, was du willst, aber ich gehe garantiert nicht!«

Dennoch fuhr ich tief in der Nacht nach Betriebsende unbeeindruckt zu meinem Flirt hinaus aufs Land. Als ich die Schönheit küsste, spürte ich jedoch rein gar nichts – das war mir noch nie passiert. Ich erkannte, dass ich, der Herr von Schall und Rauch, mich in einem Gebilde aus Glanz und Gloria verirrt hatte. Daher beendete ich diese Episode.

An diesem Tag erschien ich erst zu vorgerückter Stunde wieder in meinem Lokal. Und wen sah ich auf der Tanzfläche, über beide Wangen strahlend und mit ihrem Charisma den Raum einnehmend? Astrid. Sie lächelte mich an, als wäre sie frisch in mich verliebt. Nicht einfach ein Stich traf mich ins Herz, sondern eine Panzerfaust. Reumütig ging ich zu ihr, nahm sie in die Arme und sagte: »Maus, es tut mir so leid.«

Als sich die Abläufe eingespielt hatten, kehrte etwas Ruhe ein. Astrid und ich genossen eine schöne Zeit in unserem Miteinander sowie im Betrieb. Bis sich aus dem Nichts heraus eisenschwere Fäuste auf unsere Schultern legten: Ein Neider hatte uns bei den Behörden angezeigt.

Unser Lokal verfügte über eine Genehmigung für 1 000 Besucher, doch an jedem Abend begrüßten wir etwa 5 000. Eines schönen Abends wurden es noch ein paar Leute mehr: Es waren Beamte, die eine feuerpolizeiliche Überprüfung starten wollten. Sie wurden intellektuell nicht damit überlastet, im Nu herauszufinden, dass fünfmal mehr Personen vor Ort waren als genehmigt.

Der Verantwortliche forderte, dass ich umgehend das Lokal selbst räumen ließe, sonst würde er dies mit dem Bundesheer selbst erledigen. In den folgenden Stunden redete ich aufrecht und tapfer gegen den institutionellen Gegenwind. Ich malte ihm aus, dass beide Varianten zu einer Massenpanik mit Toten führen würden, wie dies in Österreich noch nie geschehen war, und dass dies auch für den Ruf der Behörden entsetzliche Folgen hätte. Sowohl er wie auch seine Vorgesetzten bis hinauf in die Politik würden zur Rechenschaft gezogen, weil ihretwegen friedlich tanzende Menschen aus ihren jungen Leben gerissen würden. Es gelang mir, die Diskussion derart in die Länge zu ziehen, dass sich die NACHTSCHICHT im Laufe der Stunden auf natürliche Weise leerte. Die Schlacht war gewonnen, der Krieg aber natürlich nicht. Am nächsten Tag wurde unser Prunkgebäude amtlich zugesperrt.

Rettung im Rotlicht-Milieu

Durch einen Freund aus dem Rotlichtmilieu gelangte ich an einen Immobilienhai, der einst Polizist gewesen war und über vorzügliche Kontakte zu den Behörden verfügte, auch zu Beamten, die für ein sattes Bakschisch gern schauten, was sich in bestimmten Fällen machen ließ. Man ist ja fürs Volk da und will dieses keinesfalls hängen lassen. Um ein bisschen Spielraum zu gewinnen, waren 100 000 Schilling, was ungefähr 7 300 Euro entspricht, als Zahlung notwendig. Diskret holte der entsprechende Beamte das Geld bei mir ab. Damit waren die Auflagen natürlich nicht umgangen, aber der Prozess beschleunigte sich auf wundersame Art und Weise. Das war mir mehr als recht, da jeder Tag mit geschlossenen Toren einen beträchtlichen finanziellen Verlust bedeutete, während die Betriebs- und Personalkosten weiterliefen.

Nach dieser Zuwendung wussten wir umgehend, was wir tun mussten, um den Vorgaben zu entsprechen. Innerhalb von zehn Tagen waren die nötigen Umbauten erledigt, die unter anderem zahlreiche Notausgänge beinhalteten. Die sieben Millionen Schilling (rund eine halbe Million Euro) hatte ich zwar nicht, da der Bau des ganzen Betriebs ja noch nicht weit zurücklag, aber das Geld kam dank einem aberwitzigen Jonglieren aus Geldleihen und Rückzahlungen zustande.

Astrid und ich lebten zu diesem Zeitpunkt nicht etwa in einer atemberaubenden Villa, sondern zuerst unten im Lokal und später in einer kargen Wohnung in Graz, die abgesehen von einer ausgelegenen Matratze nicht möbliert war. Zwar klingelte die Kasse nun wieder und pro Monat wurden mehrere Millionen Schilling auf meine Konten gespült, doch das Geld nutzte ich, um die Schulden vom Bau sowie dem Umbau so rasch wie möglich abzuzahlen.

Pro Monat setzten wir zu diesem Zeitpunkt etwa zwölf Millionen Schilling um und nach einem Jahr waren sämtliche Schulden getilgt. Weniger gut ging es meinem Geschäftspartner Roland: Die Arbeitsbelastung unterspülte seine Ehe, da er in Linz die »Mausefalle« führte, seine Frau aber in Graz lebte. Um ihn zu entlasten, leitete ich die NACHTSCHICHT ohne seine Hilfe mit Astrid und meiner rechten Hand Kurt, teilte aber fifty-fifty mit Roland. Da ich ihn sehr schätzte und ihm beistehen wollte, fiel mir diese Großzügigkeit nicht weiter schwer.

In dieser Zeit lief alles rund. Nach den langen, extremen Partynächten konnte ich daheim runterkommen. Bei all den Affären und flüchtigen Sextreffen klingt es komisch, aber wenn ich daheim war, fühlte ich mich bei meiner Familie geborgen. Es fühlte sich richtig an. Und trotzdem schaffte ich den Einstieg ins Familienleben nicht richtig. Denn kaum rüttelte es am Äußeren – sprich am Geschäftlichen –, vergaß ich wieder, was ich an Astrid hatte. Sosehr ich mich auch bemühte, besonders wenn ich unter Druck stand, flüchtete ich immer wieder in Eroberungen. Ein gutes väterliches Vorbild aus meiner Kindheit, dem ich folgen konnte, hatte ich nicht.

»Wehen? Warte noch!«

Plötzlich war Astrid schwanger. Mein zweites Kind war unterwegs, für Astrid war es das erste. Wir hatten nie darüber geredet und tasteten uns nun gegenseitig vorsichtig ab, ob wir das Baby überhaupt wollten. Doch bald bemerkten wir, dass wir uns enorm auf das kleine Leben freuten.

Ich kaufte uns in Graz eine Eigentumswohnung und wir richteten diese schmuck ein, damit das Kleine nicht in eine laute Bude an einer dicht befahrenen Straße hineingeboren würde. Da wir nun ein richtiges Zuhause hatten, holte ich meinen Sohn Kevin häufiger zu mir. Er nervte mich jedoch durch seine Verschlossenheit, er war stur und wollte nicht mit mir sprechen. Eigentlich sehnte er sich nach meiner Liebe, aber das verstand ich zu diesem Zeitpunkt nicht. Stattdessen versuchte ich, ihn mit allerhand Geschenken zu bestechen. Weil ich stets mit jeder Menge Arbeit eingedeckt war, setzte ich ihn oft vor Spielautomaten, auf denen er Autorennen fahren konnte.

Von Zeit zu Zeit stand ich selbst hinter dem DJ-Pult. Eines Nachts rief Astrid an. Die Wehen hatten eingesetzt. Umgehend beorderte ich den für diesen Fall vorgesehenen Ersatz hinter die Regler, holte im fürsorglichen Eiltempo meine hochschwangere Frau ab und sauste mit ihr ins Spital. Klingt das unglaublich? Leider ist es das auch. Tatsächlich schärfte ich Astrid am Telefon ein, dass sie noch ein wenig warten müsse, denn ich hielt mich für unersetzlich. Erst als ich meine Musikschicht pflichtgetreu um 2 Uhr beendet hatte, erlaubte es mir mein Terminplan, ins Krankenhaus zu fahren.

Früher wäre es jedoch auch nicht nötig gewesen, denn es dauerte noch bis 11 Uhr, bis unsere kleine Vivienne geboren wurde. Es war der 24. Oktober 1996.

Die Geburt war ein überwältigendes Erlebnis. Bei Kevin hatte ich diese nicht miterlebt, da er aus medizinischen Gründen ohne mein Beisein von den Ärzten aus dem Mutterbauch geholt worden war.

Vivienne war rotbraun, ganz dunkel, als sie frisch geboren war. Es war etwas ganz Besonderes, die ersten Schreie zu hören und sie dann das erste Mal tragen zu dürfen. Ich erinnere mich noch daran, als wäre es gestern geschehen. Und zuletzt war ich genauso erschöpft wie Astrid, weil ich ebenfalls nicht geschlafen hatte. Die Zeit als kleine Familie war wunderbar.

Doch unweigerlich meldete sich der Alltag nur allzu früh wieder, nicht zuletzt durch eine albanische Gang, die Schutzgeld erpressen wollte. Wenn man eine Disco besitzt, schwirren viele Menschen um einen herum, die etwas von einem wollen, und für die Unterwelt sind solche Lokale ein stetiger Anziehungspunkt. Die Albaner begannen bereits, Ausschau nach unserer Wohnung zu halten, meine Familie war in Gefahr. Deshalb zogen wir an einen sicheren Ort, damit Astrid angstfrei leben konnte. Dort verbrachten wir die ersten Monate mit Vivienne. Ich kuschelte stets gern mit ihr, wenn ich nach meiner Nachtschicht nach Hause kam. Das hielt sehr lange an, bis zu ihrer Pubertät, als es etwas weniger angemessen gewesen wäre.

Was Astrid alles für mich tat, erkannte ich im Laufe der Jahre nur mit gletscherhafter Langsamkeit. Astrid war während der Schwangerschaft und in den kommenden Jahren aufgrund unseres Nachwuchses selten in der Disco mit dabei. Doch wir hatten das Ganze gemeinsam aufgebaut und auch während dieser Zeit arbeitete sie von zu Hause aus für die Betriebe, indem sie die Buchhaltung und andere administrativen Tätigkeiten erledigte. Sie mochte das Discoleben, ich hatte sie als Discoqueen kennengelernt.

Ich selbst hatte sie sogar darauf gedrillt, möglichst wenig anzuziehen. Wenn unsere Kinder wüssten, wie sie sich auf meine Stoffdirektive hin herrichtete, würde es ihnen eher erzürnte Sorgenstatt Lachfalten ins Gesicht treiben. Wir lebten ein wildes Leben, zudem hatte Astrid auch schon früher gern viel Haut gezeigt. Diese von mir noch befeuerte Neigung lag in einem gewissen Maße auch daran, dass sie es gewohnt war, sich über das Äußere zu definieren. Das war unsere Welt, sie lebte diese Dinge mit und war nicht nur die brave Mutter, die sich daheim um den Nachwuchs kümmert. Das ganze Nachtleben war auch in ihr – mit einer mehrjährigen Kinderpause.

Leidvoll erfahren musste ich damals, zu welchen Tiefpunkten eine Sucht führen kann. Ein Freund aus der Pionierzeit meiner Gastrokarriere war in Not geraten. Seine Spielsucht schwemmte alles weg, was er aufgebaut hatte. Sein Bordell, sein Haus, alles hatte er verspielt. Deshalb verschaffte ich ihm eine Arbeit an der Tür. Doch um – buchstäblich – seinen Ruin finanzieren zu können, stahl er alles, was nicht niet- und nagelfest war. Dazu gehörte auch unser kleiner Tresor. Die beiden waren eines Nachts auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Dem Geld trauerte ich nicht nach, es war »nur« das Wechselgeld drin. Aber mich schmerzte, dass ich ihm nicht wirklich hatte helfen können. Wenige Jahre später erfuhr ich, dass er einsam und verwahrlost verstorben war.

Mich traf diese Nachricht hart, denn wir hatten gute Jahre zusammen verbracht. Wie er, war auch ich kurz der Spielsucht verfallen und ich wusste, mit welcher Macht diese an einem zerren kann. Doch ich konnte diese Sucht wieder abstreifen, ehe ich abglitt und das damit verbundene Unheil mit voller Wucht zuschlagen konnte.

Nacktstar sorgt für Leben in der Bude

Doch der Alltag rief mich bald aus der Grübelei hoch, im Nachtleben braucht man ein bunkerdickes Fell und es galt, neue Sprossen in die Karriereleiter zu zimmern. In der damals jüngsten Landeshauptstadt St. Pölten witterte ich den nächsten attraktiven Standort für ein Lokal. Das »Hollywood Megaplex Kinocenter« hatte mir ein Mietangebot unterbreitet, das ich annahm. Täglich fuhr ich die 230 Kilometer hin, um den Fortschritt auf der Baustelle lückenlos zu überwachen, und dann am Abend wieder zurück, um in der NACHTSCHICHT aufzulegen oder nach dem Rechten zu sehen.

Dies wurde mit der Zeit dann doch des Guten zu viel. Deshalb setzte ich in Graz einen Betriebsleiter ein, der ebenfalls Roland hieß. Meine jüngere Schwester Martina leitete das Büro, ihr Freund war für die Tür und den Sicherheitsdienst verantwortlich und meine andere Schwester Manuela arbeitete als Kellnerin in der Mausefalle.

Gleichzeitig kam mir zu Ohren, dass mein Partner Roland in Salzburg eine Mausefalle eröffnete, ohne dass ich daran beteiligt war. Mein Ärger war nicht unerheblich, da er von Graz die Hälfte erhielt, ohne dafür auch nur einen Finger rühren zu müssen. Und so holte ich mir hier Tilly als Partner an Bord, den Sohn eines früheren Chefs. Als ich Roland, der damals einer meiner besten Freunde war, in einem Brief mein Herz ausschüttete, erfolgte die Antwort flugs. Er habe mich mit einem Anteil an der Mausefalle zu Weihnachten überraschen wollen, beteuerte er. Dies erachtete ich zwar als Notlüge, in der wohl die Angst mitschwang, in St. Pölten leer auszugehen, aber ich freute mich dennoch über die plötzliche Beteiligung an der Mausefalle in Salzburg, und so holte ich ihn in St. Pölten mit ins Boot. Unweigerlich musste ich deshalb Tilly wieder absetzen, was auch besser war, denn inzwischen war er mit meiner Exfreundin Sabine zusammen. Wenn wir Partner geblieben wären, hätte das nichts anderes bedeutet als: »Feuer frei zum Zickenkrieg inklusive Seitensprung«, denn Sabine und mich vereinte eine Onoff-Hassliebe.

Eine pulsierende Metropole mit einem alles mit sich reißenden Nachtleben, schillernd und voller Elan – so wurde mir die Stadt, die wirtschaftlich im Aufschwung war, vorgestellt. Doch als ich begann, den Staff aufzubauen, bröckelten die ersten Steine und es kam die Frage auf, ob die NACHTSCHICHT hier nicht eher ein Luftschloss war. Die Teammitglieder, die hier lebten, fanden nicht viel Gutes an der neuntgrößten Stadt Österreichs.

Im Gebäude hatte ich gleich noch ein Café gepachtet, das niemand sonst wollte. Ich richtete es im tropischen Stil her mit einer überdimensionalen Hooch-Zitrone. Die Brauerei war begeistert und finanzierte deshalb gleich einen Teil des Mobiliars. Solche Werbegags lockten stets das Publikum, zudem führten sie immer wieder zu finanziellem Entgegenkommen der Brauereien, die mit solchen martialischen Gastrospektakeln ihre Umsätze noch einmal steigern konnten.

Die Eröffnung 1997 sollte zum vollen Erfolg werden. Im Grunde hatte meine zunächst stänkernde Crew recht und das trieb meinen DJs erzürnte Sorgenfalten ins Gesicht: Bei einem Song war die Tanzfläche gerammelt voll und beim nächsten Lied herrschte gähnende Leere auf dem Parkett. Das passte mir natürlich gar nicht. Da ich einen untrügbaren Sinn für den richtigen Sound hatte, stellte ich mich umgehend hinter den DJ und ordnete an, welche Nummer wann zu spielen war. Das führte innerhalb von wenigen Minuten zu einem phänomenalen Umschwung, bald war die Tanzfläche nicht nur wieder gerammelt voll – sie blieb es auch.

Zwar konnte ich keine echten Übergänge von einem Song zum anderen hinkriegen – für den Nichteingeweihten mag das nach einer zu vernachlässigenden Kleinigkeit klingen, doch wenn Wechsel von einem Song zum nächsten nicht wie die Faust aufs Auge passen, dann fühlen sie sich genau so an – aber für die Auswahl und Abfolge der Hits, Stampfer und Anheizer hatte ich stets die richtige Nase, was mir bei den Discjockeys nicht nur Respekt einbrachte, sie waren auch bereit, auf mich zu hören. Zu ihnen gehörte Gerhard Friedle, besser bekannt als DJ Ötzi. Wie die meisten Helden hinter den Plattentellern buchte ich ihn über Agenturen, bald aber stellte ich diese Stimmungskanone ganz bei mir an.

Meine anderen Standorte trotzten dem Sommerloch als uneinnehmbare Festungen. Nicht so St. Pölten. Die Temperaturen stiegen, die Besucherzahl sank. Erstmals überhaupt sah ich mich dieser heimtückischen Gegebenheit gegenüber. Bei Waldläufen mit meinem Dobermann Carlo weinte ich. Meine nagenden Selbstzweifel, die Existenz- und Versagensängste folgten mir auf Schritt und Tritt, so wie sie dies bereits seit frühester Kindheit getan hatten. Was war, wenn die Gäste ausblieben und sich unser Betrieb nicht mehr rentieren würde? Ich wäre vor aller Augen öffentlich demontiert! Das konnte der Discokönig nicht zulassen. Deshalb kam mir eine neue Idee, »the empire strips back«, könnte man sagen.

Sex verkauft sich immer gut und so musste sich nun das Sommerloch warm anziehen: Die französische Nackttänzerin und Pornodarstellerin Lolo Ferrari sollte sich bei uns ausziehen. Wegen ihrer großen Silikonbrüste hatte sie den Weg ins Guinnessbuch der Rekorde gefunden – und nun kam sie deswegen auf unsere Tanzfläche in St. Pölten.

Einen geringfügigen Denkanstoß hatte ich bei dieser Idee jedoch erhalten: Ein anderer Discobesitzer hatte Lolo Ferrari bereits für einen Auftritt bei sich gebucht und auf Plakaten mit ihr geworben. Bei ihrer Agentur leistete ich ein regelrechtes Bravourstück: Es gelang mir, sie noch vor diesem Auftritt bei der Konkurrenz für eine Show in unserem Lokal zu buchen. Auf die Plakate druckte ich »NACHTSCHICHT – immer eine Nasenlänge voraus«. Jeder in der Stadt verstand die Botschaft. Und mir gefiel es, dem Besitzer des anderen Lokals eins auszuwischen, indem das Busenwunder zuerst bei mir die Massen anlockte. So kam es, dass Lolo Ferrari sich bei uns auszog und Autogramme verteilte. Wer wollte, konnte sie auch anfassen.

Bald traten bei uns immer wieder Pornostars auf. Unsere Flyer waren voller Möpse. Pornografie war mein Leben und das projizierte ich erfolgreich in unsere Ausgehpaläste. Frauen- und Männerstrips zogen die Scharen an. Die Umsätze schossen in St. Pölten nach oben und das Sommerloch getraute sich in den folgenden Jahren nicht mehr, uns herauszufordern.

Erfolg und Verlust liegen nah beieinander

Auch wenn die Erträge an den verschiedenen Standorten stiegen und ich mehr und mehr zum Star der Szene wurde, lief nicht immer alles rund. Zu den bittersten Erfahrungen gehörte es, als meinem Betriebsleiter in Graz auffiel, dass Eintrittsgelder in beträchtlicher Höhe gestohlen wurden. Ich ließ Kameras installieren und musste voller Gram erkennen, dass niemand anderes als der Freund meiner Schwester in die Kasse griff. Den Millionen-Schilling-Verlust wusste ich zu verkraften. Was mir jedoch das Herz brach, war, dass meine Schwester sich vor Gericht gegen mich stellte, als der Gauner schuldig gesprochen wurde.

Dabei hatten wir in der Kindheit so eng zusammengehalten! Wir waren bei der Tyrannisierung, die wir durch ihren Vater (meinen Stiefvater) erlebt hatten, beim Betrug, den er der Familie angetan hatte, unsere gegenseitige Zuflucht gewesen. Und nun stellte sie sich gegen mich und brannte mit einem Kriminellen durch. Es war, als wäre das Traumschloss, ja das Imperium der Träume, das ich aufbaute, zumindest für einige Zeit zu einer staubigen Bezirksstadt irgendwo im Nahen Osten mutiert, aus der die Härte unerbittlicher Jahrhunderte blickte.

Doch auf der Karriereleiter ging es weiter nach oben. Die Lieferanten liebten unsere Unternehmen, da unsere Monatsabschlüsse für ihre Finanzabteilung besonders wertvoll oder gar Schätze waren wie die Ausstellungsstücke im Louvre für Kunstliebhaber. Wir brauchten uns nicht mehr selbst nach neuen Örtlichkeiten umzusehen, diese wurden regelrecht an uns herangetragen. So entschieden Roland und ich, in Linz einen weiteren Standort zu eröffnen. Und weil ich Roman einst versprochen hatte, ihm in »seiner« Stadt nicht in die Quere zu kommen, holte ich ihn und seinen Schwager einfach mit an Bord. Da wir an diesem Standort zu viert waren, blickten wir auf einen deutlich größeren Finanzierungsrahmen – was auch dringend nötig war, denn Roman brachte gleich noch einen weiteren Ableger in Salzburg ins Spiel. Für beide Bauvorhaben zusammen veranschlagten wir rund 60 Millionen Schilling, also etwa 4,4 Millionen Euro.

Um die nötige Inspiration zu finden, jetteten wir mit den Architekten nach Las Vegas, wo ich eine absolute Glimmer-, Glitzer- und Lügenwelt entdeckte, in der nichts normal ist. Tief beeindruckt waren wir vom »Cesar’s Palace«. Dessen römischen Stil bauten wir in unseren beiden neuen Tanztempeln nach.

In Las Vegas passierte immer irgendwo etwas, es war unglaublich, was für Shows es dort gab. Nie kamen wir zur Ruhe, überall blinkte etwas. Ich spielte mit 100 000 Schilling, mal verlor ich, mal gewann ich. Kaum war das Glück auf meiner Seite, waren ein paar hübsche Mädels da, die mit mir etwas trinken wollten. Natürlich war mir bewusst, dass die Lokalbetreiber dank der engmaschigen Kameraüberwachungen stets mitbekamen, wenn jemand etwas gewann, um dann ein paar Girls loszuschicken, professionelle Abzocke eben. Die meisten Spieler verlieren letztlich. Ich weiß, was es bedeutet zu verlieren – und auch welch betäubendes Glücksgefühl einen durchfährt, wenn man gewinnt. Aber im Durchschnitt verliert man, denn Casinos und Glücksspielstätten sind keine von Pestalozzi gegründeten Sozialvereine.

Einmal begegnete ich Boxstar Mike Tyson auf einer Toilette. Er war eine Wucht. Seine Oberarme waren unbeschreiblich umfangreich. Ich vergaß völlig, ihn zu fragen, ob er wie ich einige Liegestütze pumpte, bevor er ein Lokal betrat. Aber vermutlich hatte er dies nicht nötig und vielleicht hätte ihn meine Frage auch nicht begeistert. Wer weiß, vielleicht hätte er mir einen Teil des Ohrs abgebissen, wie er es wenig später im Ring tat … Das wäre eine unglaubliche kostenlose Werbung gewesen!

2

Villa Wahnsinn

Nichts ließen wir in unserem gut sortierten, facettenreichen und durch unsere Eindrücke in Las Vegas aufgerüsteten und veredelten Arsenal stehen. Die Optik überwältigte. So bauten wir beispielsweise die römischen Säulen, die wir in Nevada gesehen hatten, im kleineren Maßstab nach. Alles warfen wir bei der fast zeitgleichen Eröffnung unserer neuen Unterhaltungstempel ins Rennen. Ähnlich wie Guns’n Roses sieben Jahre zuvor mit Use Your Illusion I und II gleichzeitig zwei Alben auf den Markt gebracht hatten – der eine oder andere Song hatte auch in unseren Betrieben zu den tragenden Säulen gehört –, schlugen wir nun einen Doppelmeilenstein in die österreichische Diskotheken-Geschichte.

Die Menschen spürten die Liebe zum Detail in den verschiedenen Themenbereichen der NACHTSCHICHT. Wir boten nicht Schaumschläger-Billigausstattung, sondern einen für das Auge wohlklingenden Dekorationskanon, viel nackte Haut und einen Klangteppich, der die Leute regelrecht auf die Tanzfläche zog.

Zuerst eröffneten wir 1998 den neuen Standort am Rande der 200 000-Seelenstadt Linz. In jedem Ohr war damals der Eurodance-Knaller »Bailando« von der niederländischen Sängerin »Loona«. Ihren Platin- und Echo-gekrönten Hit interpretierte sie bei unserem Start in Linz live. Die NACHTSCHICHT war gedroschen voll: 1 500 Besucher waren von den Behörden genehmigt, doch bei der Eröffnung und oft auch später waren dreimal so viele Leute gleichzeitig in der NACHTSCHICHT.

Zwei Wochen später eröffneten wir in Salzburg nicht weniger bombastisch. Wir hoben die Erlebnisgastronomie auf ein bislang in Österreich unbekanntes Level. Die beiden neuen NACHTSCHICHT-Diskotheken spielten in einer eigenen Liga, entsprechend groß war der Andrang. Die Gäste wurden aus dem Alltag rausgeholt, was auch unser Ziel war. Die beiden Eröffnungen waren bei Weitem nicht unsere ersten und so waren wir entsprechend gut vorbereitet. Das einzige Epizentrum fand sich an der Tür, weil wir die Massen einfach irgendwann stoppen mussten, da wir schlicht keinen Platz mehr hatten, die Schlange vor dem Einlass war hundert Meter lang. In Salzburg waren tausend Besucher von den Behörden genehmigt, doppelt so viele waren drin.

Dem verheißungsvollen Auftakt folgte in den Folgejahren der uneingeschränkte Erfolg, der darin gipfelte, dass das ORF-Wirtschaftsmagazin »Eco« uns 2003 einen Beitrag widmete, in welchem festgehalten wurde, dass wir gerade daran waren, die 100-Millionen-Euro-Umsatzmarke zu knacken.

Doch zurück in die Zeit kurz nach der Eröffnung der beiden neuen Leitsterne am österreichischen Ausgeh- und Nachtschwärmer-Himmel. Nur die Sperrstunde konnte uns noch stoppen – und diese begab sich stets bereits am späteren Nachmittag (auch unter der Woche) in ein aussichtsloses Rückzugsgefecht.

Natürlich stieg der Arbeitsaufwand mit den beiden zusätzlichen Schuppen. Um dem gerecht zu werden, zogen wir als Familie nach Linz. Von dort aus konnte ich meinen alles überwachenden Raubvogel-Kreis (meine Devise lautete unverrückbar: »Bei mir kann jeder tun, was ich will«) nach St. Pölten, Wien, Graz und wieder zurückziehen.

Unaufhörlich klingelten die Kassen, gleichzeitig waren auch etliche Probleme zu bewältigen. Dazu gehörte Ärger mit den DJs. Wenn man mit dem Sound, den man auflegt, die Massen kontrollieren und bewegen kann, steigt einem das durchaus zu Kopf, und man will der obercoole Typ hinter dem Pult sein. Immer wieder spielten sie, was sie wollten, oder streuten eigene Kompositionen ein, welche sie und ihre Freunde lustig fanden, sonst aber niemand. In meinen Lokalen war stets die Musik der Garant für den Erfolg und solche Eigenregie-Übungen der DJs leerten die Tanzfläche. Der falsche Sound zur falschen Zeit ist ungefähr so, als würde im Fußball plötzlich der Ball durch einen Tennis- oder Basketball ersetzt. Die Musik war unser Rückgrat. Entsprechend gab ich an unseren wöchentlichen Meetings meine Direktiven jeweils in nicht zu diskutierender Generalität im Kasernenhof-Ton weiter. Den einen oder anderen habe ich bei mehrfacher Zuwiderhandlung entlassen. Entsprechend wenig andächtig, aber richtig ruhig war es deshalb bei den Sitzungen.

Damit die DJs wirklich das taten, was ich forderte, richtete ich außerdem über eine Glasfaserleitung ein Netz ein, durch das ich stets beobachten konnte, was an den einzelnen Standorten gespielt wurde.

Auge in Auge mit der albanischen Mafia

Mit dem wachsenden Erfolg wurden auch Neider, Parasiten, zwielichtige Gestalten und Banden auf uns aufmerksam. Manche waren auf Zerstörung aus, andere wollten vom Profit etwas abbekommen. Ausländergruppen drohten mit Messerstechereien, um auf diese Weise Schutzgeld zu erpressen. Beim erschreckenden Höhepunkt dieser Art war ich von rund 25 zu allem entschlossenen Albanern eingekesselt, die ihre Messerklingen blitzen ließen. Wir standen in der Nähe des Notausgangs auf sehr engem Raum. Die Türsteher waren auf wundersame Art und Weise plötzlich verschwunden, weil sie großen Respekt vor dieser Klientel hatten.

Das mögliche Ende vor Augen, wagte ich eine gewaltige Behauptung: »Ich bin in diesem Betrieb nur die Vorzeigefigur, sonst aber eine kleine Nummer. Glaubt ihr denn wirklich, dass ich der Betreiber all dieser Diskotheken bin? Hinter dem ganzen Unternehmen steckt die ebenso mächtige wie rücksichtslose Russenmafia!« Ich erklärte, ich sei nur das Aushängeschild eines gigantischen Russenimperiums, dessen Möglichkeiten unser Denken weit übersteigen würden. Wenn ich angetastet würde, würden die Russen die Albaner nicht einfach umbringen, sondern auf furchtbare Weise hinrichten. Offensichtlich war ich überzeugend, denn sie verzogen sich schließlich.

Durch einen Kellner, der selbst Albaner war, konnte ein Treffen mit dem Gang-Führer vereinbart werden. Ich stellte mich mit ihm etwas abseits vor dem Lokal auf und machte ein paar Regeln fest. Dazu gehörte, dass er reindurfte – Ganovenehre –, aber seine Jungs nicht, weil das zu Problemen führen würde. Meine Vermutung, dass er reingehen, aber dann bald wieder verschwinden und nicht mehr wiederkommen würde, stellte sich als richtig heraus. Das war gut, denn vorher war diese Gruppe für etliche Probleme verantwortlich gewesen. Bei 3 000 bis 4 000 Personen geht eine Gruppe von 20 Leuten zunächst unter. Doch die Schwierigkeiten nahmen zu und eine Person war bereits mit dem Messer attackiert worden.

Solche Bandenprobleme stellten sich leider immer wieder ein. In Wien waren es eher die Türken, später in Spanien die Marokkaner. Teils kämpften verschiedene Gruppierungen auch gegeneinander. In Wien entfachten erhitzte Gemüter auf den Straßen schon mal Massenschlägereien von bis zu 30 Leuten. Dann schlossen wir umgehend die Tore, damit die Welle der Gewalt nicht auch in unser Lokal flutete. In solchen Fällen muss man nicht mehr versuchen, etwas dagegen auszurichten.