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Stefan Kraus, Formate bestimmen die Inhalte

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Stefan Kraus

FORMATE BESTIMMEN
DIE INHALTE

Kunstbetrieb, Kunst und
Kunstvermittlung

Inhalt

DER KUNSTBETRIEB

DIE KUNST

… UND IHRE VERMITTLUNG

LITERATUR

STEFAN KRAUS

ABSENDER WEWERKA ARCHIV

EIN WURMSTICHIGER HOLZTISCH, ein weiß lackierter Gartenstuhl, eine Steckdose – ein dreiwöchiger Sommeraufenthalt in der Mitte Mallorcas. Ausblicke auf eine wunderbare Landschaft: auf den abgeernteten Feldern das zu Rollen gepresste Stroh – als hätte man die abgelaufene Jahreszeit darin aufgespult –, aus Steinen geschichtete Mauern, alte Wälder, die silbrige Silhouette der Sierra Tramuntana und davor die nicht abreißende Perlenschnur der Flugzeuge im Landeanflug auf Palma. Ich hatte mich dafür entschieden, »offline« zu bleiben – keine Zeitung, kein Smartphone, kein Internet –, um mit dem organisierten Abstand einige Gedanken zu ordnen, die von der Frage ausgingen, mit welchem Ziel man eigentlich ein Kunstmuseum betreibt und darin Ausstellungen macht. Für die Beantwortung dieser Frage schien mir das Verhältnis von Kunstbetrieb, Kunst und Kunstvermittlung wesentlich zu sein, der Versuch einer Abgrenzung der unterschiedlichen Interessen, Merkmale und Aufgaben dieser drei Bereiche. Mein mallorquinischer Aufsatz entstand ohne eine Bibliothek im Rücken und ohne Wikipedia auf dem Schirm in der Kühle früher Morgenstunden, bei geschlossenen Fensterläden in der Mittagshitze und in schlaflosen Nächten, inspiriert durch Einkäufe auf lebhaften Marktplätzen und in eiskalten Supermärkten, angeregt durch ausgedehnte Strandgänge, das Schwimmen im Meer und Autofahrten über Land.

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Dieser Text erzählt von Zuständen und Verhältnissen, ohne Namen zu nennen, er pauschalisiert, um Merkmale hervortreten zu lassen, er ist unwissenschaftlich, sofern man unter Wissenschaft allein die Methode versteht, Thesen, Erkenntnisse und Zitate durch angemerkte Quellen zu belegen; er bemüht sich nicht um Objektivität, sondern benutzt die subjektive Sichtweise, um eine Bestimmung der eigenen Position zu leisten, sich anhand gesammelter Beobachtungen zu vergewissern, wo, wie und warum man seine Arbeit macht.

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DER KUNSTBETRIEB

Die öffentliche Auseinandersetzung mit Kunst hat sich seit den 1970 er Jahren zu einem international vernetzten »Kunst- und Ausstellungsbetrieb« entwickelt, der mit einem enormen Aufwand ganze Wirtschaftszweige und Berufsgruppen beschäftigt: Versicherungen und Speditionen zählen ebenso dazu wie Sicherheits-, Aufsichts- und Reinigungsdienstleister, herstellende Unternehmen – etwa für die Hardware der Ausstellungsarchitekturen mit Vitrinen und Beleuchtung und für die Software der Inventarisation und Verwaltung – und nicht zuletzt Museen und Ausstellungshallen, Galerien, Auktionshäuser und Messegesellschaften mit Kuratoren, Szenografen, Restauratoren, Technikern und Handwerkern. Autoren und Übersetzer, Fotografen, Typografen und Pre-Press-Agenturen, Druckereien und Buchverlage, Kunstführer und Reiseveranstalter übernehmen Teilaufgaben der Vermittlung und Vermarktung der von Galerien, Museen und Ausstellungshäusern produzierten Ereignisse. Hinzu kommen Bildagenturen und Verwertungsgesellschaften, Kunstzeitschriften und -magazine sowie ein inzwischen unüberschaubar großes Feld von Veranstaltungskalendern, die alle – oft Monate im voraus – mit Inhalten versorgt werden wollen und vielfältige Möglichkeiten der Information suggerieren. An der Bewerbung von Kultur verdienen zahlreiche Branchen, sei es mit der Herstellung und Anbringung fassadengroßer Banner, der Plakatierung an Litfaßsäulen oder durch Anzeigen in Printmedien. Neben den klassischen Formen der Öffentlichkeitsarbeit sind die eigene Homepage, Social Media und Internetplattformen mit dem Zuschnitt auf Kunst und Kultur ebenso zu bedienen wie die auf sie verweisenden Applications für Smartphones und Tablets. Nicht nur der Bund, Länder und Kommunen, auch große Wirtschaftsunternehmen und private Sammler leisten sich in diesen Betrieb integrierte, professionell geführte Museen und Ausstellungshäuser als Zeichen einer kulturellen Tradition, zu der man sich bekennt und die man fortführen möchte, als Statussymbol oder zur Auszeichnung der eigenen Marke.

Bei der Finanzierung eines derart gigantischen Betriebs rücken Marketing-Aspekte zwangsläufig in den Blick des Interesses. Öffentlichkeitsarbeit und Tourismus sowie eine auf sie zugeschnittene Kunstvermittlung spielen bei der Entwicklung der Museumskonzepte und ihrer Inhalte eine immer größere Rolle. Zur Entlastung der angespannten öffentlichen Haushalte hat sich mancherorts nach amerikanischem Vorbild eine Zusammenarbeit zwischen öffentlicher Hand und privaten Unternehmen etabliert: die öffentlich-private Partnerschaft (ÖPP) oder Public-private-Partnership (PPP). Beide Partner gehen dabei eine Zweckgemeinschaft mit vertraglich geregelten Aufgaben ein, wobei die öffentliche Hand das Gemeinwohl zu beachten hat und der private Partner die (Teil-)Finanzierung eines Projekts übernimmt. Neben dem Konzert- und Theaterbetrieb sind es vor allem die Museen, die den Bereich öffentlich und privat geförderter Kultur repräsentieren, wobei der Sonderausstellung besondere Bedeutung zukommt, da sie dem Ereignischarakter der anderen Sparten mehr entspricht. Im internationalen Ausstellungswesen bedingen Leihgaben und Leihnahmen ein dicht geknüpftes Netz museologischer Logistik, das nahezu jedes Gastspiel möglich macht, doch gleichzeitig Abhängigkeiten beim Geben und Nehmen produziert, denn nur wer Leihgaben gibt, bekommt auch welche. Man hätte annehmen sollen, dass mit der zunehmenden Mobilität von Menschen die Mobilität der Exponate zurückginge, Kunstwerke aufgrund ihrer besonderen Beziehung zu einem Ort, ihrer Zugehörigkeit zu einer Sammlung oder aufgrund ihrer fragilen Beschaffenheit geschont würden, doch das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Weil große Ausstellungen meist nur durch Kooperationen zu finanzieren sind, wurden Ausstellungstourneen, von einem Museum federführend vorbereitet, um anschließend weitervermittelt bzw. weiterverkauft zu werden, allgemein üblich. Mögliche Risiken für den Erhalt der Werke werden durch eine immer perfektere konservatorische Betreuung minimiert, die mit einem immer höheren technischen und personellen Aufwand einhergeht.

»Worüber will man sich beklagen, wenn doch die quantitativen Erfolgskriterien greifen?«, habe ich vor fünfzehn Jahren auf einem Kolloquium des Louvres zur »Zukunft der Museen« gefragt: »Die Museen müssen Ereignisse produzieren, um von den Medien wahrgenommen zu werden, um ihre Öffentlichkeit zu erreichen und um Besucherzahlen nachweisen zu können. Dieser Notwendigkeit gehorchend, haben sie sich eine zeitgemäße Verpackung zugelegt: Museumsarchitekturen mit großen Eingangshallen und spielerischen Fassaden, in denen sich der gestiegene gesellschaftliche Rang der Institution und der Eventcharakter der Ausstellungskonzepte widerspiegelt und ein mit großem Aufwand betriebenes Marketing, vom Logo bis zum Internet, eine Flut von Prospekten, Plakaten und Anzeigen, die inflationär mit Begriffen wie Gold und Schatz operieren und ohnehin nur Meisterwerke kennen. Doch da sich nicht ständig Superlative produzieren lassen, vor allem, wenn man nicht in der Ersten Liga spielt, muss die Verpackung diesen Mangel ausgleichen.«