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Die deutsche Ausgabe von CLONE REBELLION 3 – ALLIANZ

wird herausgegeben von Amigo Grafik, Teinacher Straße 72, 71634 Ludwigsburg.

Herausgeber: Andreas Mergenthaler und Hardy Hellstern,

Übersetzung: Helga Parmiter; verantwortlicher Redakteur und Lektorat: Markus Rohde;

Lektorat: Kerstin Feuersänger und Gisela Schell; Satz: Rowan Rüster/Amigo Grafik;

Printausgabe gedruckt von CPI Morvia Books s.r.o., CZ-69123 Pohorelice.

Titel der Originalausgabe: CLONE REBELLION 3 – ALLIANCE

© 2006, 2013, 2015 by Steven L. Kent. All rights reserved.

German translation copyright © 2015, by Amigo Grafik GbR.

Print ISBN: 978-3-86425-447-5 (Juli 2015)

E-Book ISBN: 978-3-86425-723-0 (Juli 2015)

WWW.CROSS-CULT.DE

Inhalt

PROLOG

Teil I: MÄSSIGUNG … KEINE TUGEND

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Teil II: EXTREMISMUS … KEIN LASTER

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

EPILOG

ANMERKUNG DES AUTORS

ÜBER DEN AUTOR

CLONE

REBELLION

3

ALLIANZ

VON

STEVEN L. KENT

Übersetzung: Helga Parmiter

Dieses Buch ist Dustin, Rachel und Dillan gewidmet; hauptsächlich, weil mir nichts Passenderes eingefallen ist, wie ich ihnen danken könnte.

SPIRALARME DER MILCHSTRASSE-GALAXIE

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Karte von Steven L. Kent, übernommen aus einer öffentlich zugänglichen Grafik der NASA.

 

Extremismus in der Verteidigung der Freiheit ist kein Laster und Mäßigung in der Ausübung der Gerechtigkeit ist keine Tugend.

– Barry Goldwater

PROLOG

Ich hielt die Granate in meiner linken Hand und fummelte mit meiner rechten an dem Stift herum. Ich stand im dunklen Bauch eines Militärtransporters. Man nannte diesen Ort den »Kessel«. In einen Transporter wie diesen konnte man gut hundert Marines stopfen, aber ich war allein … so gut wie. Ray Freeman, mein Partner, lag bewusstlos auf der Bank, die sich entlang der ganzen Wand erstreckte.

Ein zäher Vogel wie dieser Transporter würde die Granate überstehen. Dennoch würde die Detonation dem Schiff nicht besonders guttun. Die Splitter würden Kabel und Leitungen zerfetzen. Die Wucht einer solchen Explosion würde Beulen in die Wände schlagen, doch die Hülle würde unversehrt bleiben. Die Dämmung des Treibstofftanks würde diesen vor der Explosion schützen. Die dicken Schotten um das Cockpit herum könnten noch weitaus mehr aushalten als eine Granatenexplosion. Von Ray und mir würde allerdings kaum mehr als an den Wänden klebende Matsche übrig bleiben. Man würde uns anhand unserer DNA identifizieren und uns mit einem Hochdruckschlauch hinausspülen.

Wäre er bei Bewusstsein gewesen, hätte Ray gewollt, dass ich den Stift ziehe. Wahrscheinlich hätte er mich erschossen und den Stift selbst herausgezogen, wenn er mein Zögern bemerkt hätte. So sah unsere Abmachung aus. »Nicht umkehren. Kein langsamer Tod.«

Ray hätte dem Ganzen zweifellos ein Ende bereitet. Aber Ray war ein natürlich Geborener. Ich war ein Militärklon. Ich war Herr über die meisten meiner Gedanken, aber ein Teil meiner Psyche war durch neurale Programmierung in meinem Hirn fest codiert. Ich war mir der Gewaltbereitschaft, die man mir einprogrammiert hatte, immer bewusst gewesen. Man hatte mich zum Töten geschaffen. Mir war nur nicht klar gewesen, dass man meinesgleichen auch darauf programmiert hatte, zu überleben.

Wenn ich den Stift zog, würde ich auf der Stelle sterben. Das wollte ich. Wenn ich den Transporter umdrehte, würde ich auf dem langen Flug zurück zum Kleinen Mann verhungern. Wenn Ray aufwachte, würde er mich erschießen. Das Sterben machte mir nichts aus, aber ich wollte keinesfalls, dass er glaubte, ich hätte gekniffen, als es an der Zeit war, den Stift zu ziehen. Ich brauchte die Granate nicht einmal. Wenn ich die Luke öffnete, würden wir ins All gesogen werden. Ohne Schutzanzüge würden unsere Körper platzen. Einfach nur auf den Knopf drücken …

Doch ich brachte es nicht über mich. Ich konnte weder den Stift ziehen noch den Knopf drücken. Programmierung. Schiebetüren schwingen nicht. Rechenmaschinen spucken keine Worte aus. Befreierklone töten sich nicht selbst.

Also würde ich versuchen, diesen Vogel zurück zum Kleinen Mann zu fliegen, und den langsamen Tod in Kauf nehmen. Ich hatte noch für eine Woche Nahrung, sechs Wochen Reisezeit vor mir und ein Schiff, das schon vor einem Monat seine Grenzen bei Weitem überschritten hatte. Nun, vielleicht hatte ich ja Glück und Ray würde aufwachen und mich erschießen.

Teil I

MÄSSIGUNG … KEINE TUGEND

Teil II

EXTREMISMUS … KEIN LASTER

1

Erddatum: 12. September 2512 Galaktische Position: Scutum-Crux-Arm

Ein Buch.

Als wir die Kolonie auf dem Kleinen Mann verließen, überreichte einer der Neo-Baptisten mir ein Geschenk. Anhand seiner Form und Größe konnte ich erkennen, dass es sich um ein Buch handelte. Da alle Bücher auf dem kleinen Planeten mit seinen Landwirten religiöser Natur waren, machte ich mir nicht die Mühe, es auszupacken.

Nachdem die Neo-Baptisten mich monatelang nicht beachtet hatten, während ich unter ihnen gelebt hatte, machten sie sich plötzlich Sorgen um mein Seelenheil. Wie rührend. Aber weshalb sollte es sie kümmern? Ich war schließlich ein Klon. Soweit es sie betraf, war ich ein Lebewesen ohne Seele.

Mein Partner Ray Freeman und ich waren nach dem Untergang der Vereinigten Obrigkeit – dem Imperium, das von der Erde aus die Galaxis bevölkert und regiert hatte – auf diesen Planeten gekommen. Diese neo-baptistischen Siedler waren sein Volk. Er war unter ihnen aufgewachsen und hatte ihnen als Teenager den Rücken gekehrt. Ich weiß nicht, wie Religion mit seiner Psyche vereinbar war, aber er verdiente sich seinen Lebensunterhalt jetzt als Söldner. Töten fiel Freeman leicht.

Auch mir fiel Töten leicht. Was mir nicht leichtfiel, war das Leben unter religiösen Landwirten. Wir waren monatelang auf dem Kleinen Mann gefangen. Dann hatte Freeman den Geistesblitz, der uns entweder zurück in die Gesellschaft bringen oder uns töten würde. Beide Optionen waren einem Leben auf dem Kleinen Mann vorzuziehen. Er wollte einen auf Kurzflüge ausgelegten Militärtransporter für pangalaktische Flüge umbauen. Genauso gut hätten wir versuchen können, unsere Arme als Flügel zu gebrauchen und so die einhundert Lichtjahre zur Erde zurückzulegen.

Die Siedler bedachten uns mit einem beiläufigen »Danke fürs Kommen« und gaben mir ein in strahlend weißes Baumwolltuch eingeschlagenes Geschenk. Sie verabschiedeten sich und gingen ohne einen Blick zurück davon. So verließen Freeman und ich auch den Planeten – ohne einen Blick zurück.

»Meinst du, es gibt auch nur die geringste Chance, dass das funktioniert?«, fragte ich Freeman, während wir durch den Kessel – den fensterlosen Fracht- und Passagierraum – in unseren Transporter kletterten.

»Spielt das eine Rolle?«, fragte er. So war Freeman, immer direkt auf den Punkt. Er hatte nichts für Geplauder übrig, also hämmerte er dem sprichwörtlichen Nagel immer gleich auf den Kopf. Für uns beide war es belanglos, ob unser Plan aufging oder ob wir im Weltraum in die Luft flogen, solange wir von den Neo-Baptisten wegkamen.

Das Militärshuttle wurde zum Instrument unseres passiven Selbstmords – ein Kurzstreckenschiff, das Entfernungen von vierzig- oder fünfzigtausend Lichtjahren mit der Höchstgeschwindigkeit von dreihundertzwanzigtausend Kilometern pro Stunde zurücklegen sollte. Wir wollten die Geschwindigkeit noch heraufsetzen, vorzugsweise auf respektable fünfzehn Millionen Kilometer pro Stunde, während wir es zu einem Satelliten in ungefähr sechs Milliarden Kilometern Entfernung von diesem Planeten flogen.

In dem unwahrscheinlichen Fall, dass wir es zu dem Satelliten schafften, würden wir die nächste Phase unseres Selbstmords einleiten. Wir würden versuchen, Spezialausrüstung, die dazu verwendet wurde, Schiffe innerhalb der Galaxis an einen anderen Ort zu versetzen, für unseren Transporter zu modifizieren. Man stelle sich vor, man nimmt ein U-Boot und klebt ihm ein paar Flügel und einen Raketenantrieb an. Das U-Boot hat jetzt zwar Flügel und einen Raketenantrieb, aber es würde nicht im Weltraum funktionieren. Das fasst in etwa zusammen, was wir mit unserem Transporter vorhatten. Selbst wenn wir eine Übertragungsmaschine einbauen konnten, hieß das nicht, dass wir damit übertragen konnten.

Eigentlich wollte ich das Geschenk, das die Neo-Baptisten mir beim Einsteigen in den Transporter gegeben hatten, nicht öffnen; aber während der Reise mit Ray Freeman fühlte ich mich einsamer, als wenn ich wirklich allein gewesen wäre. Noch bevor ich das Cockpit betreten und gesehen hatte, wie er schweigend die Instrumente bediente, wusste ich, ich würde etwas Ablenkung brauchen.

Freeman zündete die Triebwerke und wir hoben in einem Bogen ab. Wolkenschleier wichen erst einem blauen Himmel und bald Schwärze, als wir die Atmosphäre verließen. Dann war der Kleine Mann verschwunden.

Als Erstes mussten wir auf Geschwindigkeit kommen. Transporter bewegen sich üblicherweise mit dreihundertzwanzigtausend Kilometern pro Stunde fort. Kommandanten benutzten Transporter wie diesen, um Marines und Soldaten während einer Invasion zwischen Kampfschiffen und Planeten hin- und herzufliegen. Das Schiff verfügte über unglaublich starke Schilde, aber keinerlei Waffen. Was Annehmlichkeiten anging, so befand sich die einzige Polsterung im gesamten Transporter auf dem Pilotensitz.

Es dauerte nicht einmal eine Minute, um von der Oberfläche des Kleinen Mannes die gesamte Atmosphäre hinter uns zu lassen, und ich fühlte mich jetzt schon neben Freeman einsam. Ich verließ das Cockpit und kletterte in den Stahlkessel. Er war eine gedämpft beleuchtete Höhle mit Stahlwänden, einer Stahldecke und Stahlboden. Ich setzte mich auf die Holzbank, die an allen Wänden entlanglief, und wickelte das Buch aus. Das viereckige Baumwolltuch glitt zurück und gab den Blick auf einen schwarzen Einband aus Leder frei. Ich betrachtete die schmucklose Rückseite des Buchs und erkannte die Bibel, noch bevor ich sie umdrehte und die goldenen Lettern sah.

Vor einhundert Jahren hatten alle größeren Kirchen die Religiöse Übereinkunft von 2391 unterzeichnet. In diesem Dokument wurde festgeschrieben, dass Klone vom Menschen und nicht von Gott geschaffen seien, weshalb sie keine Seelen hätten. Da ich mir über eine wohlwollende Vergabe meines Aufenthaltsorts im nächsten Leben keine Sorgen mehr machen musste, kehrte ich der Religion einfach den Rücken. Ich zählte mich zu den wahren Ungläubigen und wusste, dass ich schon verdammt verzweifelt sein musste, bevor ich mich an dieses Buch setzte.

»Harris«, rief Rays Stimme aus der Gegensprechanlage an der Wand.

Ich ließ die Bibel auf der Bank liegen und ging zur Sprechanlage. »Alles in Ordnung?«, fragte ich.

»Ich werde mir die Maschine ansehen und mit dem Treibstoff herumspielen«, sagte Freeman. »Meinst du, du kannst die Instrumente im Auge behalten?«

»Ich habe so einen Vogel noch nie geflogen«, entgegnete ich.

»Du wirst ihn nicht fliegen«, meinte Freeman. »Du musst mir nur die Geschwindigkeit ansagen.«

»Bin unterwegs«, sagte ich.

Ich kletterte die Leiter hinauf und betrat das Cockpit. Freeman ging wortlos hinaus. Vierhundert Stunden, dachte ich. Das schien eine endlose Zeit zu sein. Dann wurde mir klar, dass es nur dann vierhundert Stunden waren, wenn wir das Schiff dazu überreden konnten, fünfzigmal schneller zu fliegen, als es eigentlich sollte. Anderenfalls hatten wir einen Flug von zwanzigtausend Stunden vor uns. Die gute Nachricht war, ich würde keine zwanzigtausend Stunden durchhalten müssen. Ich würde vorher verhungern.

Ich saß auf dem Pilotensitz und beobachtete die kleine, rot beleuchtete Anzeige. Ray ließ uns mit dreihundertzwanzigtausend Kilometern pro Stunde dahindümpeln. Das Schiff fing an zu stottern. Ich weiß nicht, was Ray mit den Maschinen anstellte, aber der Transporter schüttelte sich, zuckte und wurde dann langsamer. Wir waren unter hundertsechzigtausend gefallen, als er etwas Neues ausprobierte und die Geschwindigkeit sich wieder aufbaute.

»Wie schnell sind wir?«, rief Freeman über die Gegensprechanlage.

»Was hast du gemacht?«, fragte ich. »Wir sind auf siebenhundertachtzigtausend mit steigender Tendenz.« Schwerkraft im All beruht auf Beschleunigung. Bei diesem Tempo hätten wir unseren Schwerkraftgenerator ausschalten können und wären prima zurechtgekommen.

»1,5 Millionen«, rief ich. Ich war hingerissen. Die Zeit, die ich mit Ray in diesem Transporter festsaß, war gerade von zwanzigtausend auf viertausend Stunden zusammengeschrumpft. Wir würden bei dieser Geschwindigkeit zwar immer noch verhungern, aber immerhin würden wir näher an der Übertragungsstation sterben.

»Drei Millionen.« Eine Minute später konnte ich schon viereinhalb Millionen Stundenkilometer verkünden. Leider war die Obergrenze bei fast sechseinhalb Millionen Kilometern pro Stunde erreicht. Das bedeutete tausend Stunden … eine sechswöchige Reise mit Nahrungsvorräten für vier Wochen.

Nachdem er den Transporter überredet hatte, mit mehreren Millionen Kilometern pro Stunde zu fliegen, verbrachte Freeman den größten Teil seiner Zeit mit dem Elektrosystem und versuchte herauszufinden, wie er Teile einer Übertragungsstation mit den Systemen im Transporter verbinden konnte. Wir sprachen nur selten miteinander. Um nicht den Verstand zu verlieren, begann ich, die Bibel zu lesen, die die Neo-Baptisten mir gegeben hatten. Eigentlich hatte ich beschlossen, das nicht zu tun. Ich wurde immer verzweifelter und las es gleich mehrmals. Die Baptisten wären stolz auf mich gewesen.

Mir gefiel das Neue Testament nicht. Es ergab keinen Sinn. Die Vorstellung, dass ein allmächtiges Wesen seinen Sohn entsandte, um für Menschen zu sterben, die ihm nicht einmal zuhören wollten, entbehrte jeder Logik.

Das Alte Testament fand mehr Anklang. Ich las es viermal und hatte eine Art religiöse Erweckung. Solange ich Gott als Metapher für Regierung ansah, ergab das Alte Testament der Bibel absolut einen Sinn. Gott nahm eine kleine Nation und machte daraus eine große, indem er die Bürger rettete, die seinen Gesetzen folgten. Einige der Speisegebote erschienen mir extrem, aber jede Regierung hat ihre Eigenheiten.

Wenn Freeman im Frachtraum arbeitete, nahm ich die Bibel zum Lesen mit ins Cockpit. Wenn Freeman im Cockpit herumhing, las ich in der Dämmerung des Kessels. Ich ging ihm aus dem Weg, es sei denn, er rief mich.

Wenn Sie sich je gefragt haben, wie es sich anfühlt, in einer Dose eingeschweißt zu sein, dann sollten Sie eine Reise im Kessel eines Militärtransporters unternehmen. Außer den Netzen im Frachtbereich und der Holzbank entlang der Wände besteht alles im Kessel aus nacktem Metall. Keine Fenster. Keine gepolsterten Sitze. Kein Teppich. Die Wände sind aus Metall, genau wie der Boden und die Decke. Sogar die Toilette besteht aus Metall.

Bevor ich zum fünften Mal das Alte Testament von vorne anfing, rief ich im Cockpit an und fragte Freeman, wie weit die Übertragungsstation noch entfernt war.

»Keine Ahnung«, antwortete er.

Es hatte keinen Sinn, ihn zu drängen, also öffnete ich Genesis.

Die Stunden verflossen.

Wir hatten reichlich Luft dank der riesigen Sauerstoffaufbereitungsanlage im Transporter. Dieselbe Anlage brachte auch so viele Hs und Os zusammen, dass genügend Wasser für zwei Platoons vorhanden war. Unsere Nahrungsvorräte dagegen waren gen null zusammengeschrumpft.

Mir war mein Überleben eigentlich vollkommen egal. Nachdem ich monatelang »lobet den Herrn« von den Leuten gehört und Maisfelder gepflügt hatte, war es mir lieber, im All zu sterben, als auf dem Kleinen Mann zu leben. Ich hätte allerdings nur zu gerne mein persönliches Gelobtes Land erreicht. Auch wenn ich es nicht zurück zur Erde schaffte, so wollte ich doch diese Übertragungsstation sehen.

Erstaunlicherweise ging mein Wunsch in Erfüllung.

Die Übertragungsstation war das letzte Überbleibsel eines kürzlich zusammengebrochenen Transportsystems, das einst als Superautobahn durch die Milchstraße gedient hatte. Selbst wenn Schiffe der Vereinigten Obrigkeit mit Lichtgeschwindigkeit geflogen wären – und keins der Schiffe war dazu in der Lage –, hätten sie hunderttausend Jahre benötigt, um die Milchstraße zu durchqueren. Die meisten der von Menschen bevölkerten 180 Planeten lagen fünfhundert bis tausend Lichtjahre voneinander entfernt.

Der Schlüssel, um von einem Planeten zum anderen zu gelangen, war das Übertragen – eine Technologie, die Raumschiffe und Kommunikation in Daten übersetzte, die auf der Stelle von einem Ort zum anderen transferiert werden konnten. Einige Schiffe, größtenteils Wissenschaftsschiffe, hatten Übertragungsmaschinen an Bord, die es ihren Piloten erlaubten, Koordinaten in den Bordcomputer einzuspeisen und sich an jeden beliebigen Ort zu übertragen. Der größte Teil der Reisen durchs All wurde allerdings durch das Übertragungsnetzwerk geschleust. Die dazu gehörigen Satellitensysteme hießen »Übertragungsstationen«. Übertragungsstationen bestanden aus getrennten Scheiben, die Schiffe senden und empfangen konnten.

Freemans Plan sah vor, einen stinknormalen Kurzstreckentransporter des Militärs in ein selbstübertragendes Schiff zu verwandeln, indem er eine Übertragungsmaschine einbaute. Er wollte diese aus der Sendescheibe des nächsten Übertragungssatelliten ausbauen und sie in das Elektrosystem unseres Transporters integrieren. Die Idee war verrückt, so als wollte man einen Raketenantrieb an ein Kampfflugzeug anbinden, das eigentlich in der Atmosphäre bleiben musste, um dann damit ins All zu fliegen.

Angenommen, wir konnten die riesige Übertragungsmaschine der Station anpassen, damit sie in unserem Schiff funktionierte, dann wären wir in der Lage, uns zur Erde zu senden oder zum Mars oder an jeden anderen Ort im Herzen der Republik. Jetzt, da es uns gelungen war, unseren Transporter zweihunderttausendmal weiter zu fliegen, als seine Bauweise vorgesehen hatte, mussten wir nur noch eine funktionsfähige Übertragungsmaschine aus der Station fischen, sie an unser Schiff anpassen und an unser elektrisches System anschließen.

Das Übertragungsnetzwerk war linear aufgebaut. Jede Übermittlungsscheibe schickte Schiffe nur zur nächsten Übertragungsstation in der Reihe. Die verschiedenen Stationen hatten keine Computer und brauchten sie auch nicht. Ihre Übermittlungsscheiben bildeten eine feststehende Verbindungslinie, die Schiffe an einige ausgewählte Orte senden konnte. Computer waren dafür nicht nötig, denn die Berechnungen wurden im Voraus durchgeführt.

Das verhieß nichts Gutes für Freeman und mich, denn es bedeutete, wir hatten keine Möglichkeit, ein Ziel für uns einzugeben, nachdem wir die Übertragungsmaschine zum Laufen gebracht hatten. Möglicherweise übertrugen wir uns ins Nichts und würden nie wieder materialisieren.

Freeman drosselte die Geschwindigkeit, bis wir geradezu dahinschlichen, und näherte sich der Übertragungsstation. Von vorne oder von hinten – der Satellit sah gigantisch aus. Sowohl die Übermittlungs- als auch die Empfangsscheibe hatten einen Durchmesser von gut anderthalb Kilometern. Sie bestanden aus Spiegelglas. Wurden Übertragungsscheiben aktiviert, gaben sie Ströme aus hyperbeschleunigten Elektronen ab, die so hell gleißten, dass ein kurzer Blick darauf zum Erblinden führte. Jetzt war der Strom abgeschaltet. Dies war das erste Mal, dass ich die Vorderseite einer Übertragungsscheibe aus der Nähe sah.

»Verdammt, Freeman, du hast uns wirklich hierher gebracht«, sagte ich.

Ray antwortete nicht.

Wir wollten unsere Raumanzüge anziehen, damit wir anfangen konnten, die Maschine aus der Station auszubauen. Prompt gab es das erste Problem. Ray war der Mechanikexperte von uns beiden, aber ihm passte keiner der Atmosphärenanzüge, die es auf dem Transporter gab. Diese Anzüge waren für standardisierte Militärklone geschaffen, die knapp 1,80 Meter groß waren. Ray war 2,13 Meter groß und wog ungefähr hundertsechzig Kilogramm. Sein Rumpf hatte in etwa die Form und die Größe einer Schubkarre, die man auf ihre Nase gekippt hatte. Mit seinen riesigen Bizepsen und Unterarmen passten Freemans Arme nicht in die Ärmel. Und selbst wenn, waren seine Arme ungefähr fünfundzwanzig Zentimeter zu lang. Seine Baumstammbeine und sein breiter Hintern passten auch nicht in die Hosen.

Mir passte der Anzug zwar auch nicht besonders gut, aber ich kam zurecht. Ich war etwa 1,90 Meter, also etwa zehn Zentimeter zu groß. Ich zwang meine langen Arme in die Ärmel, beugte meinen Rücken und stülpte mir den Helm über den Kopf. Sobald ich angezogen war, kehrte Ray ins Cockpit zurück und ließ den Sauerstoff aus dem Kessel ab. Nachdem die Luft entwichen und die Schwerkraft ausgeschaltet war, öffnete er die zehn Zentimeter dicken Metalltüren am hinteren Ende des Kessels. Ein endloses Meer aus Lichtern und Schwärze starrte mich durch die Türöffnung an.

Während meines Spaziergangs zur Übertragungsstation würden Freeman und ich uns störungsfrei über das InterLink unterhalten können. Dieses Kommunikationssystem war für militärische Zwecke entwickelt worden und funktionierte über kurze Distanzen. In das Visier meines Helms war ein Videorekorder eingebaut. Freeman konnte bequem aus dem Cockpit heraus die Bilder, die von diesem Rekorder eingefangen wurden, verfolgen und mich Schritt für Schritt leiten.

Ich hakte mein Sicherheitsseil in einer Buchse an der hinteren Tür des Transporters ein und stieß mich ab, hinaus ins All. Vor mir lag die inaktive Übermittlungsscheibe, die wie ein großer Essteller leicht gebogen war. Wäre sie ein Essteller, so wäre ich kleiner als die kleinste Fliege gewesen. Die reflektierende Glasoberfläche schien sich endlos zu erstrecken. Ich trieb darauf zu, bis ich nah genug war, um mit dem Finger die Oberfläche zu berühren.

Mein Atmosphärenanzug war weiß. Auf den Schultern, dem Helm, am Rumpf und an den Beinen befanden sich kleine Lampen für bessere Sicht. Ich sah mein Spiegelbild im Glas der Scheibe und das Gespinst des Weltalls diente als Hintergrund. Ich streckte meine Hand aus und berührte mein Spiegelbild. Dann benutzte ich das Jetpack meines Anzugs, um an der Oberfläche entlangzufliegen. Als ich die Oberkante erreichte, sah ich nach unten, wo ich hergekommen war. Die Scheibe war zehn Zentimeter dick und ihr Durchmesser betrug 1,5 Kilometer. Aus der Entfernung wirkte sie schärfer als eine Rasierklinge.

Schiffe flogen nicht unmittelbar in die Übermittlungsscheiben hinein. Wenn sie sich näherten, überzog die Übermittlungsscheibe sie mit beschleunigten Elektronen und übertrug sie auf der Stelle zur nächsten Station im Netzwerk. Auf diese Weise war es der Menschheit gelungen, den Weltraum zu erobern; sie hatte eine Transport- und Kommunikationsautobahn geschaffen, die es ermöglichte, Zehntausende Lichtjahre innerhalb eines Lidschlags zu überwinden.

»Hast du das schon mal gemacht?«, fragte Freeman. Freemans Stimme war so tief, dass sie durch den Lautsprecher in meinem Helm eher wie ein Grollen klang.

»Habe ich was schon mal gemacht? Einen Weltraumspaziergang oder Teile aus einer Übertragungsscheibe geborgen?«

»Weltraumspaziergang«, sagte Freeman. Er wusste, dass ich noch nie Teile von einer Übertragungsscheibe geborgen hatte.

»Ja«, sagte ich. Wenn man, so wie ich, in einem Waisenhaus aufgewachsen war – das war der Begriff, den die Politiker der Vereinigten Obrigkeit für die Farmen verwendete, auf denen militärische Klone aufgezogen wurden  –, verbrachte man eine Woche pro Jahr in einem »Sommerlichen Weltraumlager«. Statt Pferde zu reiten oder in einem See zu schwimmen, machten wir Weltraumspaziergänge und trugen Scheingefechte aus.

»Warst du schon mal hinter den Kulissen einer Übertragungsstation?«, fragte Freeman.

»Nein«, antwortete ich.

Ich steuerte das Jetpack, das hinten an meinem Anzug angebracht war, mittels eines optischen Befehlsmenüs in meinem Helm. Dadurch hatte ich die Hände frei, um Gegenstände zu halten, Werkzeuge zu benutzen und zu beten. Der Gedanke, für immer im All zu schweben, schoss mir durch den Kopf. Ich sah mich zusammengekrümmt in meinem Anzug wie ein Musterexemplar in einem Behälter mit Formaldehyd schwimmen. Doch darüber musste ich mir keine ernsthaften Sorgen machen. Höchstens ein Laserschuss konnte meine Sicherheitsleine durchtrennen und selbst wenn das geschah, konnte ich meine Flugbahn mit meinem Jetpack kontrollieren.

Ich sah an der Rückseite des Glases entlang und bemerkte die Spindel, die die Übermittlungs- und Empfangsscheibe wie eine Achse zwischen zwei Rädern verband. Die gesamte Generatoren- und Übertragungsausrüstung war in dieser Spindel untergebracht. Von hier oben aus achthundert Metern Entfernung sah der Gang, der die beiden Scheiben verband, so eng aus wie eine Nähnadel.

»Da musst du hin«, sagte Freeman.

»Weiß ich«, entgegnete ich.

Ich hätte einiges darum gegeben, das gesamte Übertragungsnetzwerk von dieser Scheibe aus neu starten zu können. Vor nicht allzu langer Zeit waren ganze Flotten aus kilometerbreiten Navyschiffen mithilfe des Übertragungsnetzwerks durch die gesamte Galaxis gereist. Dann kam der Krieg. Feinde der Republik der Vereinigten Obrigkeit übernahmen die Kontrolle über eine selbstübertragende Flotte und zwangen mit einem Schuss die ganze Galaxis in die Knie. Sie zerstörten die Übertragungsstation in der Nähe vom Mars und drehten damit dem gesamten Übertragungsnetzwerk den Saft ab. Ohne den Wiederaufbau der Marsstation würde es keinen Neustart des Netzwerks geben.

Die Vereinigte Obrigkeit hatte immer noch die größten und mächtigsten Schiffe, aber diese konnten nicht selbstübertragen. Ohne das Übertragungsnetzwerk brauchten die Flotten, die sich zehntausend Lichtjahre von der Erde entfernt aufhielten, mehr als zehntausend Jahre für die Rückreise. Solange das Netzwerk keine Nachrichten übertrug, würden auch Funksprüche von der Erde an diese Schiffe zehntausend Jahre unterwegs sein.

Obwohl sie inaktiv waren, machte die Größe der Scheiben mich nervös. Ich schwebte langsam in die Lücke dazwischen. Während ich mich hinabließ, sah ich, dass die Scheiben etwa dreißig Meter auseinander lagen. Aus der Entfernung schienen sie aneinanderzustoßen. Als ich mich weiter bewegte, fühlte ich mich wie ein Taucher, der in eine gewaltige Erdspalte vordrang. Ich ließ mich etwa dreihundert Meter hinab und hielt an. Wenn ich in die Richtung sah, aus der ich gekommen war, schien es, als hätte sich die Lücke zwischen den beiden Scheiben geschlossen.

Ich glitt weiter auf die Spindel zu, die die beiden Scheiben verband, und fragte mich, ob meine Sicherheitsleine lang genug war. Allein um vom oberen Rand der Scheibe bis zur Spindel zu reichen, musste sie knapp 800 Meter lang sein. Das war sie nicht. Ich hatte ungefähr die Hälfte der Strecke zurückgelegt, als im Visier meines Helms eine Nachricht aufblinkte: »VORSICHT. SICHERHEITSGRENZE ERREICHT.«

»SIE HABEN MIT SICHERHEIT IHRE GRENZEN ÜBERSCHRITTEN« hätte es eher getroffen. Wenn man im All schwebte, wo alles nur in Zeitlupe geschah, und solange man von den pechschwarzen Tiefen wie von einer Decke umfangen war, erschien vieles als das genaue Gegenteil der Wirklichkeit. Leere hatte etwas Beruhigendes. Das Schweben im Vakuum erinnerte mich an Schwimmen unter Wasser. Beklommen löste ich mein Sicherheitsseil und beobachtete, wie es sich davonschlängelte. Hätte sich auf der Rückseite der Scheibe ein Griff oder eine Öse befunden, hätte ich es daran festbinden können. Doch die Rückseite war genauso glatt wie die Vorderseite.

»Bist du da?«, fragte Freeman.

»Ja«, antwortete ich.

Da ich wegen meines ungesicherten Schwebens nervös war, hatte ich auf ein paar ermunternde Worte gehofft. Am Klang seiner Stimme erkannte ich aber, dass er nicht mit mir plaudern würde.

Die Rückseiten der Scheiben waren schwarz und reflektierten nicht. Wenn ich sie anstarrte, hatte ich das Gefühl, in einen Schatten zu starren. Ich sah durch die Lücke zwischen den Scheiben hindurch und erblickte die Sterne, die ich einen Moment lang fixierte, bevor ich meine Aufmerksamkeit wieder den Scheiben zuwandte. Es fühlte sich an, als hätte man mir ein schwarzes Tuch über den Helm gezogen. Ich atmete tief durch und setzte meinen Weg zur Spindel fort.

Mir war die Größe der Röhre, die die beiden Seiten verband, nicht bewusst gewesen, als ich sie vom Rande der Übermittlungsscheibe aus etwa achthundert Metern Entfernung betrachtet hatte. Von dort oben sah sie kurz und eng aus. Jetzt, da ich zu ihr hinuntergeschwebt war, wurde mir klar, dass sie die Größe der Kaserne aus meiner Grundausbildung hatte – zwei Stockwerke hoch und etwa dreißig Meter lang.

Ich brauchte nicht lange, um herauszufinden, wie ich in die Übertragungsstation hineinkam. Die Batterien in der Station hatten zwar nicht mehr genug Teravolt, um die Scheiben zu betreiben, aber ihre Elektrizität reichte aus, um die Markierungslichter an der Tür mit Energie zu versorgen.

Ich näherte mich. Natürlich war die Tür verschlossen.

»Jetzt sind wir angeschmiert«, sagte ich. »Meinst du, ich sollte mir den Weg frei sprengen?«

Auf dem Transporter sah Freeman auf seinem Monitor alles, was ich auch sah. »Siehst du den roten Kreis?«, fragte Freeman. Neben der Tür befand sich ein etwa zehn Zentimeter großer, roter Kreis. »Das ist die Frontplatte für die Sicherheitssysteme. Drück da drauf.«

Ich glitt zu dem Kreis und drückte mit drei Fingern darauf. Der Kreis klappte auf und ein Laser so breit wie eine Spaghetti schoss in meinen Helm, um einen Netzhautscan durchzuführen. Ich zog mich zurück.

»Was ist los?«, fragte Freeman.

»Der wird mich nicht erkennen«, sagte ich. »Und dann schaltet er die Sicherheitssysteme scharf.«

»Die meisten Techniker, die diese Stationen reparieren, sind Klone.«

»Das sind aber neuere Modelle.«

»Meinst du, sie hätten die Augen erneuert?«, fragte Freeman.

Ich drückte ein zweites Mal auf die Frontplatte und wartete, während der Laser mein linkes Auge scannte. Die Tür zur Station öffnete sich.

»Das war ja einfach«, sagte ich. Ich brauchte nicht auf Freemans Kommentar zu warten, dass er es mir ja gesagt hätte; das wären zu viele verschwendete Silben gewesen.

Nachdem ich mich in die Station begeben hatte, suchte ich die Hauptschalttafel. Ich fand die Schalter, um die Tür zu schließen und den Schwerkraftgenerator zu aktivieren. Ich machte mir nicht die Mühe, den Sauerstoff einzuschalten. Obwohl die Station ein Lebenserhaltungssystem hatte, zog ich meinen Anzug vor. Ich machte das Licht an. »Siehst du das?«, fragte ich.

Ray antwortete nicht. Ich nahm an, dass er etwas gesagt hätte, wenn er kein Bild gehabt hätte.

Das Innere der Station sah wie eine Lagerhalle aus. Ausrüstung in allen Formen und Größen hing an den Wänden. Es gab Spinde und Lagerfächer. Überall lagen Sauerstofftanks, Laserschneidbrenner, Jetpacks, Ständer voller Schutzanzüge und Werkzeugkästen herum. Es gab sogar einen Münzautomat voller Snacks für Wartungsarbeiter, die diese Station reparieren mussten, falls und wenn sie kaputtging. Uns waren auf dem Transporter gerade die Lebensmittel ausgegangen. Diese Maschine voller Süßigkeiten und Kartoffelchips trieb mir beinahe die Tränen in die Augen.

In dem Moment, als ich die Übertragungsmaschine fand, wandte sich das Glück gegen mich. Die Maschine war viereinhalb Meter hoch und in die Wand der Station eingelassen. Aufgrund ihrer Größe und Masse war es unmöglich, sie zu zerlegen und Stück für Stück hinauszutragen, wie wir es geplant hatten. »Wir sind angeschissen«, sagte ich. »Sie ist zu groß.«

Freeman antwortete nicht.

»Was machen wir jetzt?«, fragte ich.

»Durch die Wand schneiden.«

»Was ist mit der Station?«

»Was soll mit der Station sein?«

»Wird das die Übertragungsstation nicht zerstören?«

»Siehst du jemanden, der sich darüber beschweren könnte?«

Ich ging zurück zum Eingang, wählte einen Laserschneidbrenner und kehrte zurück. Mir hatte einmal ein selbstübertragendes Schiff gehört; ein Pendlerschiff, das Johnston Starliner genannt wurde. Die Übertragungsmaschine auf dem Schiff sah aus wie ein mit Mörsergranaten gefüllter Kasten. Sie verfügte über achtzehn Messingzylinder, die jeweils etwa 1,20 Meter hoch waren. Die Übertragungsmaschine für die Scheiben war grundsätzlich genauso gebaut – achtzehn Messingzylinder, die wie Geschosse geformt waren. In diesem Fall war jeder Zylinder aber viereinhalb Meter hoch und so beschissen breit, dass ich mit meinen Armen nur etwa zwei Drittel umfangen konnte.

Während Freeman mir über die Schulter sah, durchschnitt ich jedes Kabel und jeden Draht, die die Maschine mit der Übertragungsstation verbanden. Bevor ich unter die Zylinder kroch, um durch die äußere Hülle des Satelliten zu schneiden, kehrte ich zu den Umweltkontrollen zurück und ließ die noch vorhandene Luft aus der Station entweichen. Wenn sich in dem Moment, in dem ich begann, ein Loch in den Rumpf zu schneiden, noch Sauerstoff in der Station befand, konnte das in einer Katastrophe enden.

Dann schaltete ich die Schwerkraft ab. Auf der Erde würden diese achtzehn Messingzylinder pro Stück mehrere Tonnen wiegen. Ohne Schwerkraft war ihr Gewicht bedeutungslos, doch ihre Masse stellte immer noch ein Problem dar. Sie von der Station zum Transporter zu bewegen würde nicht einfach werden.

Freeman gab mir Anweisungen und ich durchschnitt die Außenwand der Station. Sobald der Schnitt durchgeführt war, stützte ich mich gegen eine Strebe und trat gegen einen Zylinder. Die gesamte Maschine, inklusive der Außenwand, fiel als Ganzes aus der Station.

Auf der Erde hätte ich einen Kran benötigt, um die Übertragungsmaschine zu bewegen. Hier draußen im All beförderte ich sie mithilfe eines improvisierten Lastenschleppers. Ich hatte einige gleichgeschaltete Jetpacks mit Segeltuchstricken an den äußeren Zylindern angebracht. Ich stand auf der Übertragungsmaschine, hielt die Zügel in der Hand und steuerte sie wie ein Römer einen Streitwagen.

Bis zu diesem Zeitpunkt war alles ziemlich glattgegangen.

Danach begann die Kacke zu dampfen.

2

Ich ritt die Maschine zwischen den Scheiben hindurch und hinaus zum Transporter. Alles lief glatt. Die Probleme begannen erst, als ich den Kessel erreichte.

Die Übertragungsmaschine saß immer noch fest an dem Teil der Wand, den ich aus der Station herausgeschnitten hatte. Damit die Maschine in den Transporter passte, musste ich sie losschneiden. Mit dem kleinen Bereich Außenwand war sie zu groß für die Rampe, die zum Kessel führte.

»Sie ist zu breit, um durch die Luke zu passen.« Ich benutzte den Umkehrschub des Lastenschleppers, um zu bremsen.

»Schneid die äußere Wand weg.«

Wir hatten keine Schneidbrenner im Transporter und ich hatte den, mit dem ich die Maschine herausgeholt hatte, in der Übertragungsstation gelassen. Ich musste zurückfliegen, um ihn zu holen. Das dauerte zwanzig Minuten. Dann musste ich mit dem Laserschneidbrenner unter Freemans kritischen Blicken – der sicherstellte, dass ich die Zylinder nicht beschädigte – die Träger durchtrennen, mit denen die Übertragungsmaschine an der Außenwand befestigt war.

Ich beschädigte weder die Zylinder noch durchschnitt ich irgendwelche versteckten Kabel, aber dennoch ging etwas schief. Wir hätten es kommen sehen müssen. Nachdem die Träger durchschnitten waren, gab es nichts mehr, was die Zylinder zusammenhielt. Es war, als ob man ein Dutzend Eier auf den Tisch legte und dann schlagartig den Karton entfernte, in dem sie sich befanden. Wand und Träger waren weg und die riesigen Zylinder wurden nur noch durch die Segeltuchstricke meines Lastenschleppers zusammengehalten.

Wie Newton schon bemerkte: »Ein ruhendes Objekt wird so lange ruhen, bis es durch die Kraft eines Lastenschleppers bewegt wird.« Ich war viel zu abgelenkt, um zu bemerken, dass die Segeltuchstricke die verschiedenen Einzelteile der Übertragungsmaschine nicht zusammenhalten konnten, nachdem das Wandstück, das sie unten festgehalten hatte, fort war, und startete den Lastenschlepper. Die Zylinder rutschten aus den Stricken heraus und schwebten in achtzehn verschiedene Richtungen davon. Es sah aus wie eine Zeitlupenaufzeichnung von Bowlingkegeln, die von einem Ball getroffen worden waren.

Jeder andere hätte gesagt: »Du solltest sie besser zurückholen« oder »Sei vorsichtig«. Doch Ray Freeman, der in der versiegelten Atmosphäre des Cockpits saß, verschwendete keinen Sauerstoff, um mir das Offensichtliche mitzuteilen. Er saß da und beobachtete schweigend, wie ich nach und nach die einzelnen Zylinder einsammelte und sie zum Transporter zurückbrachte.

Jetzt, da sie getrennt waren, konnte ich die einzelnen Zylinder mit meinem Jetpack bewegen. Ich umschlang jeden Zylinder mit meinen Armen, verwendete die Raketen meines Jetpacks und glitt mit der Geschwindigkeit einer neunzigjährigen Frau, die einen Hügel hinaufklettert, auf den Transporter zu. Sobald ich die Zylinder in den Transporter befördert hatte, stapelte ich sie wie Holzscheite auf der Seite liegend auf. Freeman versiegelte die hintere Luke, nachdem ich den letzten hereingebracht hatte. Die Türen schlossen sich knirschend und verriegelten sich mit einem Klacken.

Da jeder einzelne Zylinder mehrere Tonnen wog, ließ Freeman die Schwerkraft ausgeschaltet, während ich den internen Frachtgreifer benutzte, um sie hinzustellen und anzuordnen. Dabei stießen wir auf das nächste Problem. Transporter wie dieser waren für die Beförderung von Soldaten gebaut, nicht aber für Fracht. Der Durchschnittssoldat war etwa 1,80 Meter groß – die Zylinder viereinhalb Meter hoch. Der Kessel, der ausreichend Kopffreiheit für transportierte Marines bot, hatte eine Deckenhöhe von 3,70 Metern. Ray flutete den Kessel mit Luft und kam heraus, um sich das Problem anzusehen. »Sie sind zu hoch«, sagte er nur.

Ich ließ meine Blicke von der Spitze der Zylinder zu ihrem Fuß schweifen. »Scheiße!«, fluchte ich. »Können wir sie auf der Seite liegen lassen?«

Freeman schüttelte den Kopf. »Die Unterseiten sind isoliert. Alles andere wurde gebaut, um Elektrizität zu leiten. Wenn wir sie liegen lassen, würde das Messing die Ladung an die Hülle des Schiffs abgeben.«

Freeman fand eine Lösung für das Problem. Unter dem Boden des Kessels befanden sich Lagerfächer. Mit meinem Laserschneidbrenner entfernte Freeman einen fast zehn Meter großen Teil des Bodens, wodurch er etwa dreißig Zentimeter Abstand zwischen den Zylinderköpfen und der Decke des Schiffs erreichte.

Nachdem das Problem gelöst war, kehrte Freeman ins Cockpit zurück und ließ den Sauerstoff aus dem Kessel entweichen. Dann benutzte ich den Frachtarm, um die riesigen Zylinder waagrecht aus dem Kessel hinaus zu zerren, sie diagonal wieder hereinzubringen und sie dann senkrecht an ihren Platz zu stellen.

Nachdem sie sich an Ort und Stelle befanden, schickte Freeman mich zum dritten Mal zur Übertragungsstation. Dieses Mal wollte er die Isolierungsmatten haben, um zu verhindern, dass die Elektrizität, die durch die Zylinder floss, das gesamte Schiff unter Strom setzte. Als ich zurückkehrte, hatte ich meterweise Gummimatten bei mir. Außerdem hatte ich jeden noch so kleinen Krümel aus dem Münzautomaten mitgebracht.

Freeman versiegelte die Türen, pumpte ein bisschen O2 in den Kessel und gesellte sich zu mir.

Ich zeigte ihm die Matten und er nickte. »Wickeln wir die um die Maschine?«, fragte ich.

»Ja.«

»Beeinflusst das nicht die Weise, wie sie die Elektrizität leitet?«

»Doch«

»Wird das denn funktionieren?«

Er starrte mich an. Dieser Blick konnte bedeuten: »Ja, was glaubst du denn?«, oder vielleicht hieß er auch: »Natürlich wird es nicht funktionieren.« Höchstwahrscheinlich sollte das Starren mir aber sagen: »Du wusstest, dass du Selbstmord begehst, als du den Kleinen Mann verlassen hast.«

»Hast du Hunger?«, fragte ich.

»Was hast du?«, fragte Freeman zurück. Ich zeigte ihm die Beute, die ich aus dem Münzautomaten gestohlen hatte. Er nahm sich ein paar Würstchen. Ich aß einen Schokoriegel.

Freeman hatte keine Schwierigkeiten, die verschiedenen Bestandteile der Übertragungsmaschine wieder zusammenzubauen. Sie war wie ein Baukasten. Nachdem die Zylinder angeordnet waren, zog er einige Kabel zwischen ihnen, die er dann mit dem Generator verband, der die Schilde unseres Transporters speiste. Das Ganze dauerte Stunden. Er arbeitete ohne Unterlass und sprach kein Wort.

Als Freeman endlich fertig war, schlängelten sich so viele Kabel aus den Zylindern heraus und um sie herum, dass wir nicht länger durch den Kessel laufen konnten, ohne zu stolpern.

»Glaubst du, der Generator hat genug Dampf für das Monster?«, fragte ich.

»Er hat ’ne Menge Dampf.« Freeman begutachtete sein Werk.

»Sollen wir sie anwerfen?«

Mein Leben neigte sich seinem Ende entgegen. Die Übertragungsmaschinen auf selbstübertragenden Schiffen waren mit Computern verbunden. Der Pilot benutzte den Computer, um ein Ziel zu berechnen. Danach brachte die Maschine das Schiff an genau diese Stelle. Ohne einen Kontrollcomputer war nicht vorherzusagen, was die Übertragungsmaschine tun würde. Vielleicht löste sie uns einfach auf. Vielleicht schickte sie uns in eine Sonne. Mir wurde erneut bewusst, dass die Reise hierher zu diesem Satelliten nie etwas anderes gewesen war als eine passive Form des Selbstmords. Wir konnten uns immer wieder weismachen, dass wir versuchten, in den Krieg zurückzukehren. Auf die eine oder andere Weise würden wir uns schon umbringen.

»Du weißt, dass das nicht funktionieren wird.« Freeman warf einen letzten Blick auf seine Arbeit. Er drehte sich um und starrte auf mich herunter. In seinen gefühllosen, dunklen Augen war weder Ärger noch Erbarmen zu sehen.

Die Oberseite der Übertragungszylinder befand sich doch näher am Dach, als wir gedacht hatten. Dank der Lagerfächer hatten wir auf etwa achtzehn Zentimeter gehofft. Nachdem Freeman alle Drähte und Kabel angebracht hatte, waren es eher zehn Zentimeter. Ich hätte nicht einmal meine Faust zwischen die Zylinder und das Kesseldach stopfen können.

Freeman hielt seine rechte Hand ausgestreckt und öffnete sie, damit ich sehen konnte, was darin lag. Sein Handrücken war dunkel wie Schokolade, aber seine Handfläche war fast so hell wie meine. In einem galaktischen Imperium, in dem Rassentrennung gründlich ausgemerzt worden war, waren Ray und sein Volk – die Neo-Baptisten auf dem Kleinen Mann – ein lebendiger Anachronismus. Sie nannten sich selbst »reinblütige Afroamerikaner«. Soweit ich das beurteilen konnte, waren sie das letzte Volk im Universum, das sich für »Amerikaner« hielt.

Die weiße Granate blitzte in Ray Freemans schaufelgroßer Hand. Es war eine Granate mit geringem Wirkungsbereich, ungefähr so groß wie ein Golfball. Doch in seiner Riesenpranke wirkte sie kleiner als eine Kastanie. Wenn Freeman mir seine gespreizte Hand vors Gesicht legte, konnte er mit seinem kleinen Finger das eine Ohr antippen und mit seinem Daumen das andere.

»Was ist das?«, fragte ich.

»Eine Granate«

»Ich weiß, was das ist.« Ich war in einem Waisenhaus für Militärklone aufgewachsen und hatte mit acht Jahren meine erste Granate geworfen.

»Wofür ist die?«

»Falls die Maschine nicht funktioniert«, sagte Freeman.

Ich nickte und nahm die Granate. Dabei bezweifelte ich, dass ich sie brauchen würde. Das wahrscheinlichste Ergebnis beim Starten der Übertragungsmaschine war, dass sie nicht funktionierte. Die Granate würde ich deshalb nicht brauchen, weil die Übertragungsmaschine explodieren oder einen tödlichen Elektrostoß durch den Transporter schicken würde. Freeman und ich würden einfach geröstet. Sollte sie doch funktionieren, würde sie uns wahrscheinlich ins unbekannte Weltall schicken und wir würden nie wieder materialisieren.

Ich ließ die Granate auf meiner Handfläche hin und her rollen. »Na ja, viel Glück.« Ich drehte mich um und ging ins Cockpit. Dort wäre ich sicher. Falsch – ich war nicht sicher, aber sicherer. Wenn etwas schiefging, blieb von mir vielleicht genug übrig, um den Stift zu ziehen.

Das Cockpit hatte einen Videobildschirm, auf dem ich beobachtete, wie Ray noch einige letzte Kabel verband. Er inspizierte sein Werk ein letztes Mal, ließ sich auf alle viere hinab und überprüfte die Isolierungsmatten unterhalb der Übertragungsmaschine. Er kroch nacheinander zu allen Zylindern und begab sich dann zu dem Bedienfeld, das er neben der Übertragungsmaschine installiert hatte.

Freeman war groß, aber neben diesen viereinhalb Meter hohen Messingzylindern sah er wie ein Kind aus.

Er zögerte keinen Moment, drückte den Einschaltknopf und leitete die Elektrizität vom Schildgenerator in die Übertragungsmaschine.

Die Katastrophe begann geräuschlos. Ich konnte auf dem Bildschirm alles verfolgen. Der Schildgenerator lief gleichmäßig. Einige der Kabel bebten. Die Zylinder erhielten die elektrische Ladung des Generators und verstärkten sie. Dioden oben auf der Übertragungsmaschine blinkten erst schwarz, dann blau, dann grün, dann gelb und schließlich rot, während die Ladung stärker wurde. Das geschah langsam; mehr als eine Stunde war bereits vergangen.

Während der gesamten Zeit unternahm Ray Freeman keinen Versuch, mit mir zu kommunizieren. Er ging um die Maschine herum und begutachtete Kontakte, Skalen und Dioden. Er verbrachte eine Weile damit, ins Zentrum der Maschine zu starren, scheinbar ohne etwas Bestimmtes anzusehen.

Weder Freeman noch ich waren in der Übertragungstechnologie sehr bewandert. Ich wusste nicht, ob das, was als Nächstes passierte, gut oder schlecht war. Ich glaube, Ray hatte es nicht erwartet.

Ein knapp drei Zentimeter breiter Bogen aus blauweißer Elektrizität formte sich an den Oberseiten der Zylinder. Er war so dick und fest wie ein Seil und tanzte zwischen den Spitzen der Zylinder. Das Dach des Kessels bestand aus blankem Metall und ein Teil des Bogens berührte es. In genau diesem Moment ging mein Monitor aus und das elektrische System im Transporter schaltete ab.

Für weniger als eine halbe Sekunde wurde es dunkel, dann schalteten sich rote Notlichter ein. Die Lichter des Cockpits erwachten wieder zum Leben, aber der Monitor, auf dem man den Kessel sehen konnte, blieb dunkel. Ich sprang aus meinem Sitz und machte mich auf den Weg in den Kessel.

Ich hatte auf einem selbstübertragenden Schiff einmal gesehen, was passiert, wenn etwas mit der Übertragungsmaschine misslingt. Für eine Übertragung brauchte man 1 Milliarde Volt Elektrizität. Wenn bei Milliarden von Volt etwas schiefgeht, dann geht es richtig schief.

Ich verschaffte mir vom Cockpit her einen Überblick über den Kessel und es dauerte nur einen Moment, bis ich wusste, dass der Transporter unversehrt war. Ich kletterte die Leiter hinab in den Kessel. »Freeman, was ist passiert?«, brüllte ich. Er antwortete nicht. »Was ist passiert?«

Ein harmloser und deutlich kleinerer Bogen tanzte entlang der Spitzen auf den Zylindern der Übertragungsmaschine. Zunächst dachte ich, dass weiterhin elektrische Ladung in die Maschine floss. Dann sah ich den verkohlten und geschmolzenen Stumpf, wo sich vorher der Schildgenerator befunden hatte. Die letzten Dämpfe der Ladung hatten die Explosion verursacht.

Freeman lag neben dem Schildgenerator auf dem Boden. Sein Gesicht war verbrannt. Metall- und Plastiksplitter steckten in seiner Haut, und Blutrinnsale liefen über seine schweißnasse, ledrige Haut. Seine riesige Brust hob und senkte sich im gleichmäßigen Rhythmus seines Atems.

Er sah übel aus, aber er hatte überlebt. Ich war froh, dass mein Freund noch am Leben war, zog die Granate hervor und hakte meinen Finger um den Stift.

Ray Freeman war groß und stark – ein paar Granatsplitter würden ihn nicht umbringen. Die Granate in meiner rechten Hand konnte das aber sehr wohl bewerkstelligen. Er würde das wollen. Doch bevor ich den Stift zog, beschloss ich, Ray bequem hinzulegen.

3