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Über dieses Buch:

Hemmungslos flirten und die Nacht zum Tage machen – darin ist Michael ein echter Meister. Deutlich weniger geschickt stellt sich der attraktive Student in Sachen Finanzplanung an – und so kommt es, dass er pünktlich zum ersten Advent pleite ist. Das Angebot, seinen Knackarsch zu verkaufen, lehnt er entrüstet ab. Bleibt nur eins: Michael heuert bei einer Agentur an, die Weihnachtsmänner vermietet – für Veranstaltungen in Kaufhäusern, für Betriebsfeiern … und, wie sich herausstellt, für ganz besonders heiße Partys!

Über den Autor:

Paul Klein, geboren 1971 in Hessen, lebt in Berlin und München. Er arbeitet als freier Autor und Redakteur und veröffentlichte unter anderen Namen bereits sechs Sachbücher zum Thema Leben und Liebe, Kurzgeschichten und zahlreiche Artikel in Magazinen.

Paul Klein veröffentlichte bei venusbooks bereits seinen romantischen Roman »Männerparadies« und seinen erotischen Roman »Wilde Spiele«.

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Neuausgabe September 2020

Ein eBook des venusbooks-Verlags. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Copyright © der Originalausgabe 2013 dotbooks GmbH, München

Copyrigt © der Neuausgabe 2020 venusbooks Verlag. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Redaktion: Philipp Bobrowski

Titelbildgestaltung: dotbooks GmbH, München, unter Verwendung eines Bildmotivs von Adobe Stock / gpointstudio

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-95885-034-7

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Paul Klein

Der Weihnachtsmann kommt

Roman

venusbooks

Prolog

Ausnahmezustand.

Nachts ticken die Uhren in Slow Motion. Der Herzschlag der Stadt verlangsamt sich. Nur wenige setzen sich zwischen Mitternacht und spätem Morgengrauen den Widrigkeiten des Winters aus. Sie tun es den Tieren gleich, denen das Privileg verwehrt bleibt, gen Süden zu fliegen. Sie suchen Schutz. Igeln sich ein. In ihre warmen Betten. In die Heimsauna, die im Hobbyraum für viel Geld eingebaut wurde und den Rest des Jahres als Vorratszimmer für Papas Angler-Accessoires dient. Auf den Flokati, der vor dem Feuer des offenen Kamins liegt und Schutz vor der Kälte bietet.

Bereits seit Tagen wurden Rekordtemperaturen mit negativem Vorzeichen für diese Nacht angekündigt. Obdachlose vorsorglich in Turnhallen und ähnliche Auffanglager interniert, um dem Sensenmann, in Gestalt von arktischen Böen, zuvorzukommen.

Draußen hat niemand etwas zu suchen. Nur, wer einen triftigen Grund hat, traut sich heute Nacht ins Freie. Polizisten, Feuerwehrleute, Winterdienst. Und betrunkene Weihnachtsfeierwütige, die, bis zur Unkenntlichkeit vermummt, aus den diversen gastronomischen Hotspots auf die Straße torkeln, um ohne Frostbeulen oder sonstige Erfrierungen das nächste Taxi zu ergattern, das sie sicher nach Hause bringt.

Einer trotzt der Kälte in diesen frühen Morgenstunden. Was heißt trotzen – er spürt sie nicht einmal. Obwohl der obere Bereich seines Nikolaus-Overalls schlaff an seinen Beinen herunterhängt. Mit seinem nackten, von einer dünnen Schweißschicht bedeckten Oberkörper tritt er hinaus in den Schnee und geht ein paar Meter Richtung Königsplatz. Er hinterlässt die ersten Spuren im frisch gefallenen Weiß. Markiert ein erneutes Mal sein Revier, das er in den letzten Stunden bereits im Inneren des prachtvollen Altbaus abgesteckt hat, aus dem er soeben trat. Er betrachtet sein blutrotes Tattoo, das prominent auf seinen rechten Oberarm gestochen ist und denselben Farbton aufweist wie seine frisch malträtierten Nippel.

Fuck Santa.

Welche Ironie. Michael fängt unweigerlich an zu grinsen. Er hasste Weihnachten und alles, was damit zu tun hat. Bis vor ein paar Tagen zumindest. Michael hatte gerade den Fick seines Lebens. Ausgerechnet in voller Weihnachtsmontur. Nahm sein Tattoo heute wörtlich. Aber ganz anders, als es ursprünglich gemeint war …

Schon morgen ist Heiligabend.

Die Feiertage können kommen.

Zum ersten Mal in seinem Leben freut sich Michael darauf. Aus seinem schwarzen Stiefel kramt er eine Schachtel Zigaretten hervor und steckt sich eine an. Das wäre an sich nichts Ungewöhnliches. Wenn er Raucher wäre.

Die Ereignisse dieser Nacht und seinen Waffenstillstand mit dem Weihnachtsmann hätte er sich vor einer Woche noch nicht träumen lassen …

Kapitel 1
13. Dezember

Michael wusste nicht, was schlimmer war. Die Tatsache, dass am EC-Automaten gerade ein gutes Dutzend Menschen ungeduldig hinter ihm warteten und mitbekamen, wie seine Scheckkarte eingezogen wurde, oder dass er nun ohne einen Cent und bar jeder Kreditkarte in der Fußgängerzone stand und nicht wusste, wie er sich neue Patronen für seinen Drucker kaufen sollte. Dabei musste er morgen die Semesterarbeit bei seinem Prof abgeben, den er bereits seit einer Woche vertröstete. Und die existierte bis jetzt nur auf seiner Festplatte.

Michael entschied sich für die zweite Variante, den vorweihnachtlichen Ruin, schenkte der entnervten und auftoupierten Blondinen-Vettel im besten Menopausenalter hinter ihm ein gehässiges Lächeln, hauchte ihr ein »Passen Sie auf Ihre Karte auf, der Apparat scheint Hunger zu haben« zu und mischte sich unter die kaufwütige Shopperklientel, die zu dieser Zeit in die Innenstadt einfiel wie Heuschrecken in die afrikanische Sahelzone.

Es war ein Kitschkonzert für die Sinne. Das Orchester, bestehend aus dem Duft gebrannter Mandeln und Glühwein, den amerikanischen Weihnachtsevergreens, die aus den Lautsprechern der verschiedenen Geschäfte säuselten, sowie dem Farbensupergau der unzähligen weihnachtlichen Kugeln, Girlanden, Plastiktannen, Lichterketten und Engel, die die überfüllten Straßen säumten und überspannten. Die anderen schienen davon magisch angezogen zu werden. Last Christmas – Opium fürs Volk.

Michael bekam nichts davon mit, schon gar nicht lockte es ihn in die diversen Konsumtempel. Er war froh, wenn er in die nächstgelegene Seitenstraße einbiegen und dieses Inferno des schlechten Geschmacks und der vorgegaukelten Nächstenliebe wieder hinter sich lassen konnte. Ein Glück, dass die letzte Handyrechnung noch abgebucht wurde, so konnte Michael nun diesen Anruf tätigen. Mit flauem Magen nahm er das Freizeichen wahr. Mann, wie er diese Gespräche hasste!

»Ja?«

»Mama, ich bin’s …«

»Michilein, wie schön! Papa und ich sind gerade auf dem Weg in die Stadt, Geschenke besorgen. Du weißt ja, man sollte das nicht bis zum Schluss hinauszö…«

»Ja, ich weiß, Mama«, fiel Michael ihr ins Wort. »Deswegen rufe ich ja an …«

»Ach? Sag bloß, du hast deine Meinung über Weihnachten geändert? Doch keine Konsumdiktatur? Also, ich hab da einen tollen Anorak für dich gesehen …«

»Nein, Mama, ich finde immer noch, dass die Leute hierzulande vergessen haben, worauf es zur Weihnachtszeit wirklich ankommt, daher: nein, danke! Ich will immer noch keine Geschenke. Aber …«, Michael holte noch einmal tief Luft, »ich brauchte dringend ein bisschen Geld, um über den Monat zu kommen.«

Er wartete vergebens auf eine Antwort.

»Mama? Noch da?«

Es vergingen wieder ein paar Sekunden, bis er endlich ein Lebenszeichen am anderen Ende der Leitung vernahm, eine Art Flüstern.

»Junge, ich musste mich erst ein paar Meter zurückfallen lassen, damit dein Vater das nicht mitbekommt.«

Michael ließ den Kopf auf die Brust sinken. Er wusste, was nun kommen würde.

»Ich kann dir unmöglich noch mehr Geld geben. Dein Vater würde mich vierteilen! Du weißt doch, was er sagt: Das, was er dir gibt, muss reichen.«

»Das würde es auch, Mama, wenn ich noch in Berlin wäre. Aber hier in München kostet alles das Doppelte.«

»Michilein, wir wollen Papa nicht verärgern. Ich kann dir nichts geben. Geschenke darf ich dir kaufen, aber wenn ich dir Geld schicke, bekommt er das mit.«

Michael vernahm am anderen Ende der Leitung ein kleinlautes Seufzen.

»Ich freue mich schon, wenn du kommst.«

Michael konnte fast spüren, wie die letzten Worte seiner Mutter das Herz brachen. Er kam sich schlecht vor. Wusste er doch, wie sehr er sie mit solchen Dingen unter Druck setzte. Eine Frau, die zu gut für die Welt war und es jedem recht machen wollte. Aber als Nicht-Berufstätige waren ihr die Hände gebunden. Und sein Vater hatte ihn bereits mehrmals aufgefordert, sich nach einem zweiten Job umzusehen, wenn ihm als Studenten die 600 Euro nicht reichten, die er ihm überwies.

Also ließ Michael es auf sich beruhen und wollte seine Mutter nicht länger mit seinen finanziellen Engpässen belasten.

»Ich freue mich auf dich, Mama.«

»Schön, wann kommst du?«

»Heiligabend, wenn ich mir bis dahin das Geld für die Reise zusammengebettelt habe.«

»Hör auf, mir Angst zu machen! So, ich lege jetzt auf. Papa guckt schon so genervt. Kuss, Kuss.«

»Kuss, Kuss.«

Die letzten Abschiedsworte stammelte Michael nur noch so vor sich hin, während er das Handy zurück in die Hosentasche gleiten ließ. Mit einem tiefen Seufzer blickte er in die Abenddämmerung. Natürlich war nur er an seiner Misere schuld – und sonst niemand. Dessen war er sich bewusst. Der Barkeeperjob zweimal die Woche ließ locker noch Zeit und Raum für einen weiteren. Und er musste ja auch nicht dreimal die Woche ausgehen und mit seinen Kumpels auf die Kacke hauen. Aber er war eben nur einmal jung. Und 26 blieb man nicht ewig. Instinktiv ging er die Optionen durch, wie er in kürzester Zeit an ein bisschen Geld kommen könnte. Das Trinkgeld, das er an diesem Abend hinter der Bar verdienen würde, reichte auf jeden Fall für den neuen Toner. Daher müsste er auch nicht schon wieder um einen Vorschuss bitten. Dann würde er die Arbeit eben morgen ein wenig später abgeben und gleich in der Früh die Patrone kaufen. Von diesem mikroskopisch kleinen Licht am Horizont beflügelt, ging er weiter und entfernte sich langsam von der Friede-Freude-mit-Eierlikör-getränkter-Eierkuchen-Welt. Sobald die Sonne weg war, wurde es gefühlte 50 Grad kälter.

Mamas Idee mit dem neuen Anorak war doch nicht so schlecht

Er knöpfte sich seine spärlich gefütterte Übergangsjacke bis zum Hals zu und steuerte die nächste Rolltreppe an, die ihn hinunter zur geheizten U-Bahn beförderte. Mit jedem Meter, den Michael dem Untergrund näher kam, wurde es wärmer.

Ein schwules Pärchen stand vor ihm. Sie hielten Händchen. Ganz selbstverständlich. Nicht, um andere zu provozieren und ein Statement abzugeben. Einfach nur, um dem anderen möglichst nah zu sein. Auch, wenn die beiden locker seine Großväter hätten sein können, entlockte ihm dieser Anblick ein Lächeln. Denn er fühlte sich den beiden nah. Er war nur ein paar Zentimeter hinter ihnen und hätte am liebsten liebevoll die Schultern der beiden gestreichelt. Um ihnen mitzuteilen, dass er einer von ihnen war. Dass er sich auch wieder nach einer starken, warmen Hand sehnte. Und dass er sie beneidete. Leider nicht nur um ihre gemeinsam gelebte Liebe. Sondern auch um die Tatsache, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit beide ein fürstliches Pensionärsdasein führten. Befeuert von zwei Renten, zwei Lebensversicherungen, einem abbezahlten Ferienhaus in der Provence und noch vielem mehr.

Als er noch mit Alex zusammen gewesen war, konnte er sich mehr leisten. Überhaupt war mit Alex alles besser gewesen. Sie hatten sich eine gemeinsame Wohnung geteilt. Nichts Besonderes, aber immerhin keine WG. Und auch die Zeiten, in denen einer von beiden unter akutem Geldmangel litt, waren leichter zu ertragen gewesen. Nicht nur finanziell. Aber Alex konnte den Schwanz nicht in seiner Hose lassen. So kam es, dass Michael seinen damaligen Freund fickenderweise im heimischen Bett überrascht hatte. Mit einem behaarten Muskelviech, das er vom Ausgehen aus diversen Bars kannte. Er wusste aber weder, wie der Kerl hieß, noch, dass Alex jemals etwas mit ihm zu tun gehabt hatte. Und für eine offene Beziehung war sich Michael noch zu schade. Daher trennten sie sich nach drei Jahren. Alex blieb in der Wohnung, und Michael nahm sich ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft im rustikalen Untergiesing. So war er mittlerweile wieder zum mittellosen, homosexuellen Singlestudenten mutiert, der dringend einen zweiten Job brauchte. Und Alex zelebrierte das schwule Leben als promiskuitiver Hipster, der mit Papas Aston Martin von Szenelokal zu Szenelokal cruiste.

Das Leben ist’ne Flatrate-Hure

***

Das schlechte Gefühl blieb aus. Es wollte sich einfach nicht einstellen. Michael fing an zu grinsen, während er Gimlets für die beiden Sugar Daddys an Tisch neun zubereitete. Dabei hätte er schwören können, dass er sich an irgendeinem Punkt dieses Abends fühlen würde wie ein Escort. Normalerweise legte er wenig Wert auf exzessives Styling. Seine natürliche Attraktivität leistete ihm von Haus aus gute Dienste. Doch an diesem Abend erschien er absichtlich in einem übertrieben sexy Outfit zur Arbeit hinter dem Tresen in der Glamour Bar.

Quirin, sein Chef, von allen aber Chi Chi genannt, gab ein spontanes »Fick miiiich!« von sich, als Michael zur Tür reinkam und seine Jacke auszog. Jeans, die zwei Nummern zu eng an Hintern und Schritt saßen und Michaels beachtliche Beule hervorhoben. Ein weißes Tank Top, das so körperbetont war, dass seine gestutzte Brustbehaarung durchschimmerte und man beim Anblick von Michaels Nippeln annehmen konnte, die Heizung wäre ausgefallen. Seine schwarzen Haare nach hinten gegelt wie ein italienisches 80er-Jahre-Model. Das alles in Kombination mit seinem athletischen Körper, seinen muskulösen, leicht behaarten Armen und seinem Dreitagebart machte aus dem natürlichen Studenten den schwulen Nachfahren der Chippendales.

»Mein Hase, mein Reh, bedienst du nachher noch bei der Spank-Night im Boots, oder warum bist du heute aufgemotzt wie ein ungarischer Pornodarsteller?« Chi Chi zog an seiner E-Zigarette und musterte mit gierigem Blick Michaels wohlgeformten Hintern. Der registrierte Chi Chis Interesse. Es fühlte sich irgendwie sexy an, so enge Hosen zu tragen. Bei jedem Schritt wurde sein Riemen gegen die Jeans gedrückt. Seinem Arsch ging es ebenso. Als würde er konstant von starken Händen betatscht werden.

»Lass den Schwanz im Höschen, Chi Chi.« Er verstaute seine Jacke und den Rucksack hinter dem Tresen. »Ich bin mal wieder total verpleitet und wollte einfach nur die Chancen auf ein bisschen mehr Trinkgeld erhöhen.«

»Du kleines ausgekochtes Flittchen!« Chi Chi beehrte Michael mit seinem besten Raucherlachen. »Wenn du mit einem von den alten Säcken nach Hause gehst, dann tu es bitte diskret, ich habe einen Ruf zu verlieren!«

»Welchen? Dass du die einzige noch lebende Transe über 80 bist, die jeden Abend in ihrem eigenen Etablissement einen auf Knef macht? Außerdem …«, Michael gab Chi Chi einen Kuss auf die Wange, »könntest du von den alten Säcken hier locker der Vater, äh, die Mutter sein.«

Chi Chi gab Michael einen Klaps auf den Hintern, während der sich die weiße Schürze umband, und kläffte ihm hinterher: »Wieso schmeiß ich dich nicht einfach raus und hol mir für dein Gehalt zwei tschechische Bel-Ami-Boys, die mir nach der Schicht dann noch schön einen verbraten?«

»Weil du mich sooooooo lieb hast.«

»Tu lieber was für dein Geld, du böses Bartmädchen, anstatt einer alten Dame in die Suppe zu spucken.«

Bartmädchen? Michael prustete los. Dieser Begriff schien momentan total in zu sein. Viele seiner Freunde bezeichneten einen Kerl, der unter 30 war, weniger als 100 Kilo auf die Waage brachte und Fell im Gesicht hatte, als Bartmädchen. Dass er gerade so genannt worden war, überraschte ihn. Eine Premiere. Ich bin jetzt also ein Bartmädchen – mein Leben irgendwie das totale Chaos, eine Bitch,’ne Flatrate-Hure … heute passt aber auch alles! Grinsend schüttelte er den Kopf. Bevor er noch weiter im Selbstmitleidsschlammbad versank, sollte er sich lieber an die Arbeit machen und zusehen, dass sein Drucker morgen früh ordentlich zu tun hatte.

***

Der Abend gestaltete sich eher schleppend. Die Bar war auch um 23 Uhr nur halbvoll. Am Tresen saß ein halbes Dutzend älterer Herren zwischen 55 und 70. So alt schätzte Michael sie zumindest ein. Auf der einen Seite war er froh, dass sich alle zu kennen schienen und in Gespräche vertieft waren, so würde ihm keiner ein Ohr abkauen. Doch hatte es bis jetzt noch kein übermäßiges Trinkgeld geregnet. Und das bekam er eben meistens nach einem netten Small-Talk-Geplänkel mit einem der Gäste. Chi Chi war sich mal wieder selbst der beste Gast und hatte mit Bekannten in einer mit rotem Samt ausgeschlagenen Nische bereits die vierte Flasche Dom Pérignon geleert. Aufs Haus natürlich.

Michael war hundemüde. Noch zwei Stunden, dann war seine Schicht zu Ende. In Gedanken ging er den morgigen Tag durch. Und die Ausrede, die er seinem Professor auftischen würde, warum er seine Semesterarbeit wieder mal mit einiger Verspätung abgab. Er formulierte das potenzielle Konfliktgespräch in Gedanken vor, als ein graumelierter, mit markanten Gesichtszügen ausgestatteter, großgewachsener Mann im Anzug den Laden betrat. Er musterte den Raum. Etwas unsicher guckte er sich um. Michael hatte ihn hier noch nie gesehen.

Wahrscheinlich auf Geschäftsreise.

In die Glamour Bar verirrten sich des Öfteren schwule Touristen oder Männer, die auf einem Businesstrip waren. Meistens waren das die Spendabelsten. Intuitiv nahm Michael eine gerade Haltung an, streckte die Brust raus und zog den Bauch ein. Er nickte dem neuen Gast aus der Ferne freundlich zu. Der hatte Michael nun auch bemerkt und schien sichtlich erfreut.

Ka Ching, dachte sich Michael, vielleicht sind neben der Druckerpatrone ja auch noch ein Paar Handschuhe drin.

Schnurstracks steuerte der Geschäftsdaddy auf die Bar zu. »Ist hier noch frei?« Der Anzugtyp legte gute Manieren an den Tag. Während er Michael die rhetorische Frage stellte, nahm er bereits auf dem plüschigen Hocker Platz.

»Habe ich extra für Sie frei gehalten.« Michael lächelte ihn verschmitzt an.