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Über dieses Buch:

Es tut weh, von seinem Freund verlassen zu werden – und es wird ganz sicher nicht besser dadurch, dass man in der unerbittlichen Szene schon mit knackigen 42 als »altes Fleisch« gehandelt wird. Kein Wunder also, dass Max die Nase voll hat von den Oberflächlichkeiten der schwulen Welt. Er will einfach nur weg – und landet ausgerechnet in Provincetown, dem amerikanischen Männerparadies. Zuerst will er gleich wieder fliehen. Dann beschließt er, wenigstens eine Nacht zu bleiben. Und so entdeckt er, wie viel Magie und Freundschaft, entspanntes Glück und prickelnde Abenteuer hier auf ihn gewartet haben … und vielleicht sogar eine neue Liebe?

Über den Autor:

Paul Klein, geboren 1971 in Hessen, lebt in Berlin und München. Er arbeitet als freier Autor und Redakteur und veröffentlichte unter anderen Namen bereits sechs Sachbücher zum Thema Leben und Liebe, Kurzgeschichten und zahlreiche Artikel in Magazinen.

Paul Klein veröffentlichte bei venusbooks bereits seine erotischen Romane »Wilde Spiele« und »Der Weihnachtsmann kommt«.

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Neuausgabe September 2020

Ein eBook des venusbooks-Verlags. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Copyright © der Originalausgabe 2013 dotbooks GmbH, München.

Copyrigt © der Neuausgabe 2020 venusbooks Verlag. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Redaktion: Michael Meyer

Titelbildgestaltung: dotbooks GmbH, München, unter Verwendung eines Bildmotivs von Adobe Stock/alesgon

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-95885-035-4

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Paul Klein

Männerparadies

Roman

venusbooks

Für meinen Mann,
den Stern meines Lebens.

Prolog

Meine Reminiszenz an den letzten Sommer:

Du liegst neben mir und schläfst. Du siehst zufrieden aus. Dein Atem geht regelmäßig. Deine Lider zucken ab und zu. Wahrscheinlich verarbeitest auch du gerade das soeben erlebte Glück. Die Leidenschaft, die uns vor ein paar Minuten noch ins Land der Verzückung verbannt hatte. Das einvernehmliche Stöhnen als Ausdruck unserer Lust. Dein Duft in meiner Nase. Dein Geschmack auf meiner Zunge. Ich in dir. So warm. So vertraut. So nah. Ich habe einen Traum. Und dieser Traum bist du. Ich möchte dich nie missen. Immer bei dir sein. Ich liebe dich. Du bist mein Stern. Schlaf süß und träum gut. Träum von mir. Ich bitte dich. Träum von mir …

Kapitel 1:
Schlotti, der Engel

Max war immer schon anders gewesen. Als kleiner Junge streichelte er nicht die reinrassigen Prachtexemplare auf der Hundewiese im Park hinter seinem Elternhaus, sondern die bemitleidenswerten Straßenköter, deren Zukunft bereits von verlorenen Mischlingsseelen früherer Generationen bestimmt wurde. Als Teenie lauschte er lieber den experimentellen Tönen von skandinavischen Underground-Bands, anstatt kommerzielleren Klängen im Sinne von Nena oder Michael Jackson zu frönen. Und er liebte es, zum Zahnarzt zu gehen.

Sein Gebiss war makellos. Seit eh und je. Keine Karies. Keine Parodontose. Kein einziges Loch in 42 Jahren. Daher bestanden seine Besuche stets aus Lobgesängen. Die an ihn adressiert waren. Bewunderung für sein eifriges Putzen, den unermüdlichen Einsatz von Zahnseide und den festen Willen, nie im Leben auf Füllungen, Kronen oder Implantate angewiesen zu sein.

Auch an diesem Tag stand die Stärkung seines Selbstbewusstseins auf der Agenda. Die alljährliche Zahnreinigung. Es würde schnell gehen. Ein bisschen Schleifen, ein bisschen Polieren, ganz viel »Max, ich muss Sie loben. Gäbe es nur so Patienten wie Sie, wäre ich bald arbeitslos«. Und er würde mit einem strahlenden Lächeln die Privatpraxis in der Innenstadt verlassen, mit der Bestätigung im Gepäck, dass er einfach einzigartig sei.

Dieses Mal aber war es nicht wie sonst. Es fühlte sich komisch an. Max fand keine wirklich bequeme Position auf dem weißen Stuhl, trotz der Polsterung mit Fernsehsessel-Qualitäten. Seine linke Fußsohle juckte in einer Tour, doch es gab keine Möglichkeit, während der Behandlung mit einem beherzten Kratzen entgegenzuwirken.

»Ist das angenehm für Sie, oder soll ich weniger Druck anwenden?«

Simone, eine nette Dame um die 30, mit Sommersprossen und blonden Locken, war neu und das erste Mal an seinem Gebiss zugange. Sonst wurden seine Zähne immer von Irmgard gereinigt, einer rüstigen Mittfünfzigerin, die nie verstehen konnte, warum ein so stattlicher Mann wie er noch nicht verheiratet war. Er mochte Irmgard. Allerdings war sie nun mit ihrem Mann aufs Land gezogen, um ihren Lebensabend der Zucht von Äpfeln und Birnen zu widmen. Max stimmte das traurig. Besonders in diesen Tagen. Er mochte keine Veränderungen.

Für ihn war alles in Ordnung, solange alles seine Ordnung hatte.

»Allef gut. Danke. Können Fie mir fagen, wie fpät ef ift?«

Die Watte unter seinen Lippen ließ ihn aussehen wie Melanie Griffith, und er hörte sich an wie dieses dämliche Phantasie-Möchtegern-Erdmännchen aus Ice Age.

»Es ist Viertel vor zehn.«

Er müsste schleunigst ins Büro. Noch nie zuvor hatte er so lange auf die Zahnreinigung warten müssen wie an diesem Morgen. Dabei hatte er extra den ersten Termin um 08.30 Uhr genommen. Max’ Blick fiel auf das Poster an der Wand vor ihm. Das Pärchen darauf ging Hand in Hand über eine Frühlingswiese. Sie hatte lange, braune Haare und war wahrscheinlich so alt wie Fräulein Simone. Er nicht viel älter, aber bereits ein Bild von einem Mann. Seine starke Hand hielt ihre ganz fest. Die beiden wirkten glaubhaft glücklich und verliebt. Auch wenn sie nur Models waren und ihr funkelndes Lachen für den Slogan Regelmäßige Prophylaxe beschert Ihnen eine strahlende Zukunft noch ein paar Stufen weißer photogeshopt wurde: Sie wirkten authentisch. Max konnte nicht aufhören, das Poster anzustarren. Diese Harmonie … Dieses Glück … Das Jucken war verschwunden. Auf einmal war auch der Stuhl wieder bequem. Und er auf der Frühlingswiese. Hand in Hand. Im Bann einer vorgegaukelten Hochglanzwelt, die es nicht gab.

»So, Herr Keller, möchten Sie, dass ich Ihre Zahnhälse versiegle? Drei und Vier oben rechts hätten es dringend nötig.«

Max wurde aus seinen Gedanken gerissen. »Waf?«

Simone befreite ihn von der Watte.

»Verzeihung, was haben Sie gesagt?«

»Sollen wir Ihre Zahnhälse versiegeln? Da haben Sie ziemlich viel weggeschrubbt.«

»Ich … ich …«

»Ja?«

»Wenn Sie glauben, dass das nöt…« Sein Kinn fing plötzlich an zu zittern, und die Tränen liefen ihm so unvermittelt über die Wangen, dass die Helferin instinktiv zurückwich – wahrscheinlich aus Angst, er könne ihr jeden Moment an die Gurgel springen.

»Das mit dem zu starken Putzen ist nichts Schlimmes! Das bekommen wir wieder hin, Herr Keller.« Simone schien in höchster Sorge. Wahrscheinlich war sie noch in der Probezeit und hatte Angst um ihren Job.

»Nein, nein, das hat nichts mit Ihnen zu tun, ich …« Das Schluchzen übermannte ihn und ertränkte seine Worte.

Simone schaute ihn mit weit aufgerissenen Augen an. »Sind Sie ein Angstpatient?«, fragte sie. »Das muss ich in Ihrer Akte überlesen haben. Es tut mir sehr leid …«

Max kniff sich so stark in den Oberschenkel, dass er Sterne sah. Der Schmerz brachte ihn wieder zur Vernunft, ließ den Tränenschleier verschwinden und verschaffte ihm klare Sicht.

»Das liegt nicht an Ihnen. Sie sind toll«, erwiderte Max, nahm ein Kleenex aus der Box neben seinem Stuhl und schneuzte sich. »Ich … ich … ich bin verlassen worden.«

Auch wenn sie eine Unbekannte war, ihm dieses Heulinferno in spätestens einer Stunde mit Sicherheit unendlich peinlich sein würde, er sie daher hoffentlich nie wiedersähe, da er nun die Praxis wechseln musste, tat es gut, sich jemandem anzuvertrauen.

Simone ging in die Knie, um auf Augenhöhe mit ihm zu sein, und ergriff seine Hand. »Ich sag Ihnen eins: Wenn eine Frau einen Prachtkerl wie Sie verlässt, dann hat sie Sie gar nicht verdient.«

Ich mag sie. Sie ist meine neue Irmgard.

»Na ja …« Max räusperte sich. »Es ist keine Frau, die mich verlassen hat, sondern ein Mann.«

Ohne zu zögern, antwortete Simone: »Ein ganz schöner Blödmann, Ihr Ex-Freund, wenn ich das so sagen darf.«

Max lächelte sie an. Am liebsten hätte er ihr kleines Puppengesicht umfasst und zärtlich mit beiden Daumen über ihre Pausbäckchen gestreichelt. Aber er beließ es bei einem anerkennenden Nicken. »Sie dürfen, Simone, Sie dürfen …«

***

Als er die Praxis verließ, war es bereits 10.30 Uhr. Er war verdammt spät dran. Das erste Meeting in der Agentur war an diesem Tag für 09.45 Uhr geplant. Und er mal wieder nicht anwesend. Das fünfte Mal in drei Monaten. Dabei hatte er heute ausnahmsweise keine Schuld, sondern das überfüllte Wartezimmer. Das würde seine Chefin allerdings nicht interessieren. Er entschied sich dafür, zu Fuß zur Arbeit zu laufen, da es unter Umständen länger dauern würde, auf die U-Bahn zu warten, obwohl die Haltestelle genau vor dem Haus lag, in dem sich sein Büro befand. Er dachte an den verkorksten Morgen und an den gestrigen Abend, der vollkommen aus dem Ruder gelaufen war. Zwei seiner besten Freunde hatten ihn in einem Anfall von Wahnsinn wieder als ausgehtauglich eingestuft und dazu überredet, einen Zug durch die Gemeinde zu machen.

»Max, drei Monate sind genug der Trauer. Vergiss ihn. Nun geh da wieder raus und lern jemanden kennen! Du wirst auch nicht jünger …«

Besonders das letzte Argument hatte es in sich gehabt. Es machte ihn sogar jetzt noch regelrecht wütend. Niemand musste ihn daran erinnern, wie alt er war. Das war ihm selber klar. Denn Tim hatte ihn für einen Kerl sitzenlassen, der bedeutend jünger war als er. Und genau deshalb hatte er den provokanten Aufruf seiner Kumpels nicht ignorieren können und war ausgegangen.

Mittwochs ging man neuerdings anscheinend in Die Werkstatt. Max war schon seit Jahren nicht mehr dort gewesen. Als er sie an diesem Abend betrat, wusste er binnen zwei Sekunden auch wieder, warum. Die Bar war voll. Die Musik dröhnte aus den Lautsprechern. Aber trotzdem herrschte keine entspannte Stimmung. Die Menschenmenge teilte sich in Grüppchen auf, die alle dicht gedrängt beieinanderstanden. Keiner schien sich für Männer außerhalb der eigenen Runde zu interessieren. Coolness, um Unsicherheit zu verbergen. Typisch deutsch. Wie ihn das anödete. Aufgesetzte Arroganz, gepaart mit gespielter Gleichgültigkeit. Dabei steckten in all diesen eitlen Menschenkindern kleine pubertierende Mädchen, die insgeheim mit feuchten Händchen beteten, angesprochen zu werden. Max wusste, wie Schwule funktionierten. War er doch selber einer. Dennoch gab er sich alle Mühe, seinen Leuten den Abend nicht zu vermiesen. Er kaufte mehrere Runden Bier und trank sich die Meute gesellig und weltoffen.

Das Wunder geschah ungefähr eine Stunde nach Max’ Ankunft. Ein niedlicher Kerl, Marke braver Student mit schmutzigen Gedanken, näherte sich ihm und sprach ihn an: »Hey, schöner Mann. Haben wir gestern nicht miteinander gechattet? Du bist doch Sven, oder?«

Max grinste in sein Glas. Egal, ob das eine billige Anmache war oder nicht: Er fühlte sich geschmeichelt. »Nein, das war sicher nicht ich. Ich bin in der Online-Welt gar nicht vertreten.«

Er nahm einen Schluck aus seinem Pilsglas, sah unsicher zu seinen Freunden hinüber, die symbolisch den Daumen nach oben hielten, und wendete den Blick wieder dem akkurat rasierten Bel-Ami-Verschnitt zu.

»Ich bin Max«, stellte er sich vor.

»Und ich bin der Thassilo.«

Thassilo war keines von den coolen Herdentieren. Er wirkte nett und unverkrampft. Noch authentisch. Unverdorben. War alleine gekommen – wahrscheinlich, um jemanden aufzureißen. Irgendwie hatte der Kleine ja was. Und Max genoss die Aufmerksamkeit.

Zwei Runden Bier später verdrückten sich Max’ Freunde. Sie ignorierten sein stummes Flehen, ihn hier doch bitte nicht alleine zu lassen. Langsam ging ihm nämlich der Gesprächsstoff aus. Thassilo war gute 20 Jahre jünger als er, und da stieß er thementechnisch nach einer Weile an seine Grenzen. Seine Kumpels zwinkerten ihm zu. Machten einen auf »Wir wissen, was das Beste für dich ist« und verließen die Werkstatt. Max war müde und leicht angetrunken. Außerdem hatte er am nächsten Morgen einen Arzttermin und wollte nicht zu spät ins Bett. Alleine, wohlgemerkt. Gerade wollte er die Floskeln in Worte fassen und seinen Abgang ankündigen, als Thassilo ihn an der Hand nahm und in eine Ecke der Bar zog. Er schien keine Zeit verstreichen lassen zu wollen und begann sofort, Max zu küssen. Der war überrumpelt, aber nicht abgeneigt. Ließ sich auf das Experiment ein. Schloss die Augen. Er war gespannt, wie es sich anfühlte, nach über einem Vierteljahr wieder jemanden zu küssen. Es war nett. Doch das war es dann auch schon. Max war nicht mit dem Herzen dabei – geschweige denn mit den Lenden. In der Chemieabteilung tat sich nichts. Keine zischende Reaktion. Weder Funken noch Rauch. Aber Thassilo war süß. Mal sehen, wohin das Geknutsche führen würde …

»Ich finde dich so sexy«, murmelte Thassilo.

Er betonte seinen Satz mit einem beherzten Griff an Max’ Beule. Endlich tat sich etwas bei ihm. Der erste wohlige Schauer durchfuhr seinen Körper.

»Meine Freunde sagen ja, ich hätte einen an der Waffel«, fügte Thassilo hinzu. »Aber ich steh einfach auf alte Männer.«

Ein weiterer Schauer jagte durch Max’ Körper. Diesmal war es eine Schockwelle, gepaart mit Brechreiz. Max wollte Thassilo noch eine Chance geben. Wenn das ein Scherz war, dann würde der schnuckelige Pornostudent wohl nun die Auflösung vom Stapel lassen.

»Du bist ein witziger kleiner Kerl«, gab Max zurück.

Thassilo betrachtete ihn nur ungläubig. »Wieso? Du könntest doch locker mein Vater sein. Aber ich finde es geil, meine Typen Daddy zu nennen, wenn wir …«

»Schon gut, schon gut! Ich habe verstanden.« Max löste sich aus der Knutschposition. »Ich muss jetzt echt los. Ist schon spät.«

Offenbar verstand Thassilo die Welt nicht mehr. Mit fassungsloser Miene starrte er ihn an. »Und jetzt? Wie verbleiben wir?«

Max zog sich seine Jacke an. »Wir verbleiben so, dass du dich weiterhin nach Papas umsiehst und ich mich nach Männern, die das nicht tun. Mach’s gut.«

Thassilo hob die Hand und schickte ihm eine zickige Geste im Sinne von »Wie auch immer« hinterher.

Max verließ die Bar. Ich bin durch mit Männern. Ich bin so was von durch.

***

Das Schreiben dieser simplen eMail an seinen Grafiker bereitete ihm mehr Probleme als eine fünfstündige Präsentation für seinen schwierigsten Kunden. Immer wieder verschwammen die Buchstaben auf dem Bildschirm. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen. Sich nicht konzentrieren. Nicht aufhören, nahezu stumm in Selbstmitleid zu versinken.

»Max? Ist wirklich alles okay mit dir?«

Sein Kollege Kurt, der ihm genau gegenübersaß und den man mit seinem geflochtenen Ziegenbart, dem für sein Alter etwas ungewöhnlichen Skater-Outfit und den Buddha-Tattoos auf den Armen eher in einem Aschram als in einer seriösen Werbeagentur vermutet hätte, sprach sonst nie so viel mit ihm. Aber nun schien er ernsthaft besorgt.

»Alles gut, Kurt«, wollte Max ihn beruhigen, »nur wieder die verdammten Pollen. Das geht vorbei.«

Es war bereits August.

Denk dir was Besseres aus!

Manchmal wünschte er sich ein Einzelbüro, obwohl er eigentlich gerne in einem großen Raum mit allen anderen zusammensaß. Flache Hierarchien eben. Dafür setzte er sich ja auch ein. Heute aber wollte er allein sein, sich in sein Schneckenhaus zurückziehen, eine Schlaftablette nehmen und am liebsten nie wieder aufwachen.

»Ne, ist klar, Alter«, gab Kurt zurück. »Wenn die Pollen dich nachher immer noch nerven, können wir gerne einen Kaffee zusammen schlürfen gehen. Ich kenne mich mit Pollenkummer aus …«

Das glaub ich dir. Aber du bist nicht schwul. Du weißt nicht, wie ätzend es sein kann, wenn man’ne alternde Tunte ist wie ich. Und immer an die Falschen gerät. An Typen, die einen zunächst glauben machen wollen, dass man das Universum sei. Und irgendwann tut sich ganz plötzlich und völlig unerwartet ein schwarzes Loch auf, und man wird reingesogen. Ins Verderben …

»Danke, Kurt. Das ist sehr lieb von dir.«

»Kein Thema. Weißt du, egal, ob Weiber oder Kerle: Wir ticken doch alle gleich …«

Max wollte seinen Herzschmerz nicht näher mit seinem Kollegen erörtern. Was wusste der schon vom Leben? Der war höchstens 30, Programmierer und auf Mädchen aus, die eventuell gerade das Führerscheinalter erreicht haben. Und er? Feierte diesen Herbst seinen 43. Geburtstag, hatte bereits die ersten grauen Schamhaare und wollte seinen Lebensabend mit Mister Keiner-will-mich verbringen. Gott, er hing noch immer an diesem Wichser! Obwohl der praktisch mal eben auf vier Jahre Beziehung geschissen hatte und gegangen war, ohne sich den Arsch abzuwischen. Einfach so. Kein auf Wiedersehen. Keine Begründung. Ein lapidares »Ich muss weiterziehen. Lass mich frei …« war anscheinend ausreichend gewesen.

Wer bin ich? Ein verschrumpelter Vogelzüchter? Es gibt keinen Käfig. Den gab es nie. Die Tür stand immer offen. Nur hatte ich gehofft, du würdest sie von innen schließen und nicht von außen …

Max’ Telefon klingelte. Aber er nahm gar nichts außer seinem mit Selbstmitleid aromatisierten inneren Monolog wahr.

»Max? Ist für dich. Ich hab abgenommen. Du scheinst es nicht gehört zu haben, was ein bisschen komisch ist, denn der Apparat ist höchstens eine Unterarmlänge von deinem Ohr entfernt. Die Pollen hauen echt ganz schön rein, was?« Grinsend hielt Kurt ihm den Hörer hin.

»Sorry. Wer ist dran?«

»Es.«

O Gott, die hatte ihm jetzt noch gefehlt. »Es« war Charlotte Weber, genannt Schlotti, die Chefin und Inhaberin der Marketingagentur, in der Max arbeitete. Er war sozusagen ihre Vertretung, der zweite Geschäftsführer. Doch wer hier das Sagen hatte, daran ließ Schlotti keinen Zweifel. Sie konnte so laut werden, dass es allen Anwesenden in Hörweite die Knie »schlottern« ließ. Einmal hatte sie einen Programmierer so zusammengestaucht, dass der sich daraufhin in den Papierkorb neben seinem Schreibtisch übergeben musste. Sie war hochgewachsen, recht vollschlank und trug stets dunkle Hosenanzüge mit dazu passenden Designerturnschuhen. Das dunkle, kurze Haar hatte sie streng nach hinten gegelt, damit ihre nicht unattraktiven und spitzen Gesichtskonturen besser zum Vorschein kamen. Kaum zu glauben, dass sie bereits über 50 war. Es gab bloß zwei Lebewesen, bei denen sie sich fast schon menschlich gab: Das eine war ihre Schäferhündin Cora, das andere vollkommen unverständlicherweise Max. Und das wohl nur, weil sie sich mal vor ein paar Jahren auf einem Straßenfest getroffen und Brüderschaft getrunken hatten. Manchmal bedurfte es nicht viel …

»Hi Charlotte«, begrüßte er sie nun. »Hör mal, ich weiß, ich hab euch heute Morgen versetzt, und du wartest auf die Druckvorlagen. Ich hatte einen Arzttermin und …«

»Komm mal rüber, Max. Wir müssen reden.«

Mist. Das kann ich jetzt überhaupt nicht gebrauchen. Aber was soll’s, dann flieg ich eben heute auch noch raus. Eh schon alles egal. Zwei langjährige Beziehungen in einem Sommer verkackt. Gute Arbeit, Max, gute Arbeit …

Obwohl er mit seinen 1,90 m mindestens einen Kopf größer war als Schlotti, kam Max sich in ihrer Gegenwart ständig vor wie ein kleines, dummes Kind. Das war jedenfalls der Eindruck, den sie ihm vermittelte. Zu ihm war sie immer fair, aber unnahbar. Trotzdem war das für ihre Verhältnisse bereits zuckersüß. Mehr ging wohl nicht. Max kniff sich fest in beide Wangen, damit das Blut zurück in seinen Kopf schoss. Er sammelte sich einen Moment lang und klopfte an ihre Tür.

»Komm rein, Max.«

Schlotti saß an ihrem Glasschreibtisch und tippte hastig auf ihrem MacBook. Ohne aufzuschauen, wies sie Max mit einer Geste an, Platz zu nehmen. Den Blick weiterhin auf den Bildschirm gerichtet, ergriff sie das Wort: »Wie läuft’s so bei dir, Max?«

Er kam sich vor wie in der Schule. So als hätte er etwas ausgefressen und müsste sich nun vor der Direktorin verantworten. »Na ja, es lief schon besser.«

»Was ist passiert?«

»Ach, privat ist alles ziemlich mau. Aber das wird wieder.«

»Max, wie lange arbeiten wir jetzt zusammen?«

»Im November werden es zwölf Jahre.«

»Zwölf Jahre. Wow. Ziemlich lange Zeit, oder?«

Bring es doch endlich hinter dich und schmeiß mich raus.

Mit fast schon theatralischer Geste drückte sie mit ihrem rechten Ringfinger die Entertaste, klappte ihren Laptop zu und sah Max in die Augen. »Du hast in den letzten Monaten drei Accounts um ein Haar an die Wand gefahren. Die Projektleiter warten auf dein Feedback, und du siehst aus, als hättest du seit Ostern nicht mehr geschlafen. Das Eiersuchen ist aber bereits vier Monate her. Max, so kann ich dich nicht gebrauchen.«

»Ich weiß, es tut mir leid. Ich … Mir geht es nicht …« Mehr brachte Max nicht heraus. Seine Stimme versagte.

»Dein Kerl?«

Max nickte.

»Er ist abgehauen?«

Max nickte ein weiteres Mal.

»Kommt er wieder?«

»N…Nein, denke nicht.«

»Und du bist seitdem am Boden zerstört, schläfst keine Nacht mehr und googelst die zehn besten Wege, sich das Leben zu nehmen

»So … so ungefähr. Ich habe von Männern erst einmal die Schnauze voll«, stammelte er.

Schlotti verschränkte die Hände hinter dem Kopf und dehnte den Oberkörper. »Alles Schlampen außer Mutti. Das tut mir wirklich sehr leid, Max.«

So einen Satz hatte er noch nie aus Schlottis Mund gehört.

Das Piepsen ihres Handys riss sie aus ihren Gedanken. Schlotti schaute auf das Display und seufzte. »Mist, das hatte ich ganz vergessen. Max, ich muss unser Gespräch leider vertagen. Eine Telko mit den Franzosen.«

»Soll ich hierbleiben und dich unterstützen?« Max wollte sich irgendwie nützlich machen und so den Schaden, den er verursacht hatte, auf behutsame Weise wiedergutmachen.

Schlotti musterte ihn leicht verächtlich. »Das wäre wunderbar. Berichte ihnen doch bitte, was heute Morgen bei dem Meeting für die neue Kampagne beschlossen wurde. Ach, das geht ja gar nicht.« Sie machte eine bedeutungsschwangere Pause, sah ihm tief in die Augen und fuhr fort: »Du warst ja nicht dabei.«

Max wollte zu einer Erklärung ansetzen, kam jedoch nicht dazu.

»Sonst noch was?«, unterbrach sie ihn.

Er stand auf und ließ die Schultern hängen. »Nein.«

Nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, ging er zurück zu seinem Arbeitsplatz. Der hast du es ja mal wieder gezeigt …

***

Er sollte damit aufhören. Seit er wieder Single war, verschanzte er sich nach der Arbeit regelmäßig in seiner Badewanne. Bewaffnet mit einer Duftkerze, einer Flasche chilenischem Rotwein und dem Fotoalbum, das er nach dem ersten gemeinsamen Urlaub mit Tim in der Toskana zusammengestellt und ihm geschenkt hatte. Der hatte nicht mal daran gedacht, diese kostbare Erinnerung bei seinem Auszug mitzunehmen. Tim hatte es so eilig gehabt, aus Max’ Wohnung auszuziehen, dass man hätte meinen können, auf ihn wäre ein Kopfgeld ausgesetzt gewesen. Anscheinend hatte er alles, was mit Max zu tun hatte, hinter sich lassen wollen. Auch das Fotoalbum, dessen Einband Max für ihn mit getrockneten Rosen beklebt hatte. Als Tim es damals zum ersten Mal in den Händen gehalten hatte, war Max sich fast sicher gewesen, ein paar Freudentränen zu erkennen. Wie schnell die Menschen sich doch ändern, wie schnell ihre Gefühle umschwenken konnten. Von Liebe in so etwas wie Abscheu. Ihm gegenüber. Was hatte er nur so Abstoßendes an sich?

Auch an diesem Abend saß er in seiner Eckwanne, die eigentlich für zwei konstruiert war. Draußen war prächtigstes Sommerwetter. Immer noch über 25 Grad, obwohl es schon dämmerte. Seine Freunde, Bekannten, Familienmitglieder und Kollegen würden sicherlich irgendwo in Biergärten, Cafés oder auf einer Picknickdecke sitzen und das Leben genießen. Aber Max trieb es nicht ins Freie. Er hatte auch jetzt noch Bammel, Tim in die Arme zu laufen. Angst davor, sich dieser Konfrontation zu stellen. Also blieb er bei seinem Aromabad-Herzschmerz-Ritual und klammerte sich an bessere Zeiten. Der Shiraz half ihm dabei. Immer wenn er zu dem Foto kam, auf dem sie in Monticiano auf dem Markplatz saßen und Eis aßen und Tim ihm so verliebt in die Augen sah wie nie mehr danach, kämpfte er mit den Tränen. Das war meist der Zeitpunkt, an dem er das Album zuklappte, es auf den Badvorleger warf und sein Glas in einem Zug austrank. Heute war es anders. Er zwang sich, die Italienreise noch einmal bis zum Schluss anzusehen. Obwohl es ihn viel Kraft kostete, kämpfte er sich durch die letzten zehn Seiten. Dann erst klappte er das Album zu und legte es weg. Sein Kopf war leer.

Max schaute ans andere Ende der Wanne zu seinen Füßen. In der Mitte des Weges ragte seine Eichel aus dem Wasser. Obwohl dieser Anblick natürlich nicht neu war und er seinen Körper in- und auswendig kannte, gefiel ihm heute besonders, was er da sah. Zum ersten Mal seit Monaten kam so etwas wie Lust in ihm auf. Der Wunsch, seinen Schwanz in die Hand zu nehmen. Die Sehnsucht nach Ekstase. Sein eigener, behaarter Körper erregte ihn. Er berührte erst seine Eier, streichelte die weiche Haut, die sich, obwohl sie unter Wasser war, sofort verhärtete und zusammenzog. Dann fuhr er mit dem Zeige- und dem Mittelfinger der rechten Hand den Schaft entlang, bis er die Eichel erreichte. Mit seiner Linken griff er nach dem weichen Badeschwamm, der im Wasser trieb, und umklammerte damit seinen Prügel. Max schloss die Augen und dachte an Tim. An das erste Mal, als er ihn gefickt hatte. Vor mehr als vier Jahren. An einem Aschermittwoch, abends in seiner Wohnung. Zwei Tage, nachdem er ihn auf einer Kostümparty bei Freunden kennengelernt hatte. Sie hatten auf der Couch gelegen. Tim hatte ihm unvermittelt ins Ohr geflüstert, dass er ihn in sich spüren wollte. Und Max war seinem Wunsch liebend gerne nachgekommen. Es war ein geiles Gefühl gewesen, als er in ihn eingetaucht war. Sein strammer, behaarter Arsch war hart wie Stahl gewesen, aber sein Loch zart und butterweich. Max war damals einfach so in ihn hineingeglitten und hatte seine Wärme genossen. Weich, warm und feucht – so wie der Schwamm, der jetzt als Ersatz für Tims kleinen Arsch herhalten musste. Tim hatte auf dem Rücken gelegen, und mit jedem Stoß hatte sich sein Oberkörper aufgebäumt.

»Spritz mir danach alles ins Maul. Bitte. Gib mir deinen Saft«, hatte Tim ihm zugeflüstert. Ein unmissverständlicher Befehl. Stöhnend hatte er die Worte hervorgestoßen, und genau das hatte Max damals beinahe um den Verstand gebracht.

Während er nun mit seiner rechten Hand seine Eier und die Schwanzwurzel in die Zange nahm, holte Max sich mit dem Schwamm in der linken einen runter. Er war in seinem sexuellen Wachtraum wieder im Wohnzimmer. Auf dieser Couch, die er noch immer besaß. Und es war, als würde er dieses erste Mal wieder erleben. Ein wohliger Schauer nach dem anderen durchfuhr seinen Körper. Max sah Tim vor sich, der nun vor ihm kniete und ihm einen blies. Der devote Blick, den er ihm von unten zuwarf und der ihn anflehte, ihn endlich mit seinem Saft zu belohnen. Und in der Tat: Bald würde Max ihm sein schönes Gesicht vollspritzen, wenn Tim so weitermachte – beziehungsweise wenn der Badeschwamm ihm noch ein paar Augenblicke länger solche Dienste erwies. In seinem Kopf reckte Tim seinen schönen, gierigen Mund nach der Eichelspitze, damit auch bloß kein Tropfen Sperma verschwendet wurde, sondern alles in seinem Rachen landete. Die Worte »Kommst du? Bitte komm. Bitte …« drangen erneut in Max’ Bewusstsein, und die Erinnerung an den Beginn der Fastenzeit 2008 hatte ihn vollkommen in Beschlag genommen.

Max war richtig geil. Seit gut zwölf Wochen hatte er nicht mehr abgespritzt. Die Lebensgeister hatten auch im Lendenbereich seines Körpers Langzeiturlaub gemacht. Nun schienen sie wieder zurück zu sein und pumpten die Sahne in seinen Schoß. Eine Menge musste sich dort unten angelagert haben. Er nahm den Schwamm noch stärker in den Schwitzkasten. Und der Schwamm tat das Gleiche mit seinem brettharten Schwanz. Während seine Wichsbewegungen immer schneller wurden, verspritzte Max das Badewasser unkontrolliert nach allen Seiten. Seine Eichel war dunkelrot. In seiner Phantasie stand er über Tim, schaute ihm in die Augen und entlud sich in der warmen Mundhöhle seines Ex-Freundes, so dass dessen Zunge komplett in ein milchiges Weiß getaucht war. Es war ein herrliches Gefühl. Max ließ mit dem Schwamm von seinem Schwanz ab, stieß einen unterdrückten Schrei aus und spritzte eine wahre Samenfontäne ab. Sein Becken bebte bei jedem Schuss. Er hätte in diesem Moment alles dafür gegeben, um wieder in Tim zu kommen. In seinem schönen Mund. Oder seiner geilen Kiste. Die orgastischen Zuckungen legten sich erst nach einer Weile. Und die Flocken seiner Schwanzsahne verteilten sich in der gesamten Badewanne. In seinen Gedanken kniete Tim noch immer unter ihm, schloss dankbar die Augen und seinen Mund. Ließ Max’ Belohnung auf der Zunge zergehen und schluckte. Genau wie vor vier Jahren.

Max hatte die ersten leidenschaftlichen Minuten seit langem hinter sich. Nun aber war der Höhepunkt Geschichte. Und Max wieder alleine. Mit seiner Duftkerze, dem Shiraz und den Erinnerungen an bessere Zeiten. Jetzt gab es nur noch eins zu tun: zwei Schlaftabletten und ab ins Bett. Draußen war es schließlich fast schon dunkel. Also hatte er eine Entschuldigung, sich ein weiteres Mal von der Außenwelt abzuschotten.

***

Am nächsten Morgen war er einer der Ersten in der Agentur. Schon während des Aufstehens hatte er den Drang verspürt, an sein altes Leben anzuknüpfen. Als noch alles in Ordnung gewesen war. Dass er es gestern Abend geschafft hatte, das Fotoalbum komplett durchzusehen, ohne an diesem einen Bild hängenzubleiben und in Depressionen zu verfallen, wertete er als Durchbruch. Als Hoffnungsschimmer, es auch ohne Tim zu schaffen. Er hatte die Schnauze voll von Selbstmitleid.

Heute wollte er auf jeden Fall gut Wetter bei Schlotti machen. Retten, was noch zu retten war. Er machte sich ernsthaft Sorgen, seinen Job zu verlieren. Das durfte nicht geschehen. Max war nie zuvor arbeitslos gewesen. Eine Lücke im Lebenslauf bedeutete in seinen Augen einen karrieretechnischen Super-GAU. So war er nicht erzogen worden. Es passte einfach nicht in sein Lebenskonzept. Also schickte er Schlotti zunächst eine Mail mit der Bitte, das Vieraugengespräch von gestern so schnell wie möglich fortzusetzen. Doch bei ihrer Ankunft rauschte sie betont gestresst durch die Agenturräumlichkeiten, würdigte niemanden – ihn eingeschlossen – eines Blickes und verschwand in ihrem Einzelbüro.

Fast drei Stunden vergingen. Er konnte es nicht fassen, dass sie ihn so zappeln ließ. Fühlte er sich nicht ohnehin schon schlecht genug? Musste sie es ihm denn unbedingt so schwermachen? Miststück.

»Max? Maaaaaax?«

»Ja?«

Leicht genervt hielt Kurt ihm in Täglich-grüßt-das-Murmeltier-Manier den Telefonhörer hin.

»Ich empfehle dir ein Headset«, meinte sein Kollege. »Denn dann, denke ich, kannst du dem penetranten Klingeln deines Telefons direkt vor deiner Nase und in deinen Ohren nicht entkommen.«

»Entschuldige, Kurt. Wer ist es?«

»Na, wer wohl …?«

Mit zitternder Hand nahm Max den Hörer entgegen. »Hallo Charlotte.«

»Hallo Max. Hast du jetzt Zeit?«

Max bemühte sich, locker zu klingen. »Aber natürlich, ich bin gleich bei dir.«

Er legte auf, erhob sich von seinem Stuhl und steuerte langsam auf Schlottis Büro zu. Sein Gang nach Canossa. Ermahnung oder Rausschmiss? Würde er noch einmal mit einem blauen Auge davonkommen oder auf dem Schafott enden? Er klopfte an die Tür.

»Komm rein!«, rief seine Chefin.

Max holte tief Luft, versuchte, so viel positive Energie wie möglich zu sammeln, und betrat ihr Büro.

»Setz dich, Max.«

Schlotti saß an ihrem Tisch, die Hände vor dem zugeklappten Laptop gefaltet, und betrachtete ihn eindringlich. Sie schien auf ein längeres Gespräch vorbereitet zu sein.

Noch während er auf dem Stuhl ihr gegenüber Platz nahm, begann er mit seinem Verteidigungsplädoyer. »Charlotte, es tut mir leid wegen gestern«, sagte er. »Und überhaupt wegen der ganzen letzten Zeit. Ich war ein ziemlicher Jammerlappen. Ich will nicht, dass du mich so siehst. Ich verspreche dir, ab jetzt reiß ich mich zusammen. Gleich morgen werde ich …«

»Du musst morgen nicht kommen.« Sie sprach langsam und akzentuiert. So als wolle sie ihm den Wind aus den Segeln nehmen.

Wow, das ging aber schnell …

»Ich … ich kann verstehen, dass du sauer auf mich bist«, stammelte Max, »aber ich mache es wieder g…«